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ADELA

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Während der Physikstunde bekam ich kaum etwas vom Unterricht mit. Die Lehrerin vorne stellte irgendwelche Berechnungen an, aber ich musste unentwegt darüber nachdenken, ob die Namensgleichheit reiner Zufall war. Sicherlich gab es weltweit Tausende Menschen mit dem Namen Atwood. Sobald sich die Gelegenheit bot, fragte ich Alex weiter aus.

Was, wenn mich meine Eltern nach Hause holen würden, damit jemand anderes Tristan Atwood auf Dunkelmagie prüfte? Sie könnten darauf bestehen, dass ich mein Ziel erreicht hatte, denn ohne meinen besonderen Einsatz wäre uns diese Tatsache, dass Liam Atwood einen Sohn hatte, der vor dem Rat verheimlicht worden war, nach wie vor nicht bekannt.

Ohne Alex hätte ich Tristan niemals mit der Hexengemeinschaft in Verbindung gebracht. Ich hatte den Auftrag, Christoph und Noah Brand auszuspionieren, Bekanntschaft mit ihnen zu schließen und zu erkunden, mit wem sie Umgang pflegten. Es gab keinen Grund, nach weiteren Hexen oder Hexern zu suchen, ehe die ersten fürs Tribunal anreisten. Außerdem bestand offenbar keine Blutsverbindung und Tristans Erscheinungsbild war das krasse Gegenteil von Christoph und Noah.

»Sie sind Stiefgeschwister, nicht richtig verwandt«, erklärte Alex flüsternd und meine Anspannung ließ meine Nervenenden kribbeln. Konnte es tatsächlich sein, dass Liam Atwood einen Sohn hatte und vor dem Rat und den Auguren verbergen konnte? Ich lugte noch einmal zur Seite, wo Tristan und Mara am anderen Ende der Reihe saßen, und traf erneut direkt Tristans Blick. Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze, das Blau kaum mehr zu sehen. Ich drehte mich schnell wieder weg. Ich war verwirrt, hätte am liebsten sofort mit meinen Eltern gesprochen. Doch das musste bis nach der Schule warten.

Weshalb dieses Misstrauen mir gegenüber? Konnte er wissen, wer ich war? War er talentiert genug, um die Überreste meiner Magie zu spüren? Oder den Hämatit? Wenn er tatsächlich Liam Atwoods Sohn war …

Meine Eltern selbst hatten mich geprüft und keinen Hauch Magie feststellen können. Dennoch zog ich die Ärmel meines Shirts bis zu meinem Handrücken hinab.

»Warum … sieht er uns so grimmig an?«, flüsterte ich so leise, dass er es hoffentlich nicht hören konnte. Es musste eine Erklärung dafür geben. Für ihn war ich nur eine Austauschschülerin, keine Hexe.

»Keine Ahnung«, erwiderte Alex mit einem Schulterzucken. »Er schaut in der Schule immer so. Irgendwie … desinteressiert. Er kommt nicht wirklich gut mit Gleichaltrigen klar, glaube ich. Er hängt ständig nur mit Mara ab.« Kurz zogen sich ihre Brauen zusammen und ihr Blick fokussierte irgendetwas hinter der Wand des Physiksaals, als suchte sie dort nach verblichenen Erinnerungen. »Wie auch immer sie es geschafft hat, durch den Panzer zu dringen, der ihn seit dem Tod seines Vaters vor acht Jahren umgibt.«

Mit einem Mal sah ich nur noch ihre Lippenbewegungen, konnte ihren Worten kaum mehr folgen. Das konnte kein Zufall mehr sein. Liam Atwood war vor acht Jahren vors Tribunal gestellt worden.

Alex flüsterte unablässig weiter und ich konzentrierte mich, damit ich nichts verpasste. Mein linkes Handgelenk kribbelte.

»Seit dem tragischen Unfall seines Vaters ist auch das Verhältnis zu seinen Brüdern nicht das beste. Ich kann mich noch daran erinnern, wie die Familie früher oft Partys veranstaltete, zu denen sie die halbe Stadt eingeladen haben. Doch seitdem hat kein Fremder mehr das Anwesen der Familie betreten.« Ihre Stimme klang wie aus einem Gruselfilm und ließ mich erschaudern.

Das Kribbeln ebbte ab. Noch immer konnte ich es kaum erwarten, meinen Eltern davon zu erzählen. Aber der Gedanke an Tristans Verlust schob den Wunsch in den Hintergrund. Den Schmerz, den der Tod eines Elternteils mit sich brachte, konnte ich mir nicht einmal ausmalen. Trotz seines abweisenden Verhaltens empfand ich Mitleid für Tristan, das sich mit einem kurzen Seitenblick jedoch schnell wieder in Luft auflöste. Er sah noch immer zu Alex und mir, seine Lippen waren nun zusätzlich zusammengekniffen. Ich bemühte mich um ein Lächeln, doch erneut prallte es an seiner Fassade ab.

»Tristan Atwood«, wiederholte ich mehrmals lautlos und formte jede Silbe übertrieben. Seinem Namen fehlte etwas, er klang für mich falsch, abgehackt unvollständig.

»Mach dir keine allzu großen Hoffnungen«, wechselte Alex urplötzlich das Thema.

»Über was?«, fragte ich abgelenkt und fuhr die einzelnen Stränge des Armbandes nach. Sofort fühlte ich mich entspannter.

»Keine Ahnung? Du hast ihn angesehen, als würdest du gleich anfangen zu sabbern.«

»Igitt!«, erwiderte ich ehrlich angewidert.

»Er sieht gut aus, rein objektiv, versteht sich. Mittlerweile gleicht er ein wenig einer jungen Version von diesem Typen aus der Motorradserie, findest du nicht? Heißt er Jax? Irgendwie Typ Rocker oder Motorradfahrer und mit seinen halblangen Haaren das krasse Gegenteil seiner aalglatten Brüder. Aber hübsch ist er.« Wenig später fügte sie noch ein lang gezogenes »Oder?« hinzu.

»Vermutlich hast du recht.« Seine Gesichtszüge waren ebenso klassisch wie die seiner Stiefbrüder, aber die blonden Haare verliehen ihm etwas weniger Düsteres – was er mit seinem ablehnenden Ausdruck jedoch wieder wettmachte. Als würde er es darauf anlegen, Leute auf Abstand zu halten. Aus irgendeinem Grund stellte ich mir vor, wie sich sein Gesicht verändern würde, wenn er lächelte.

Der Rest der Doppelstunde verging wie im Zeitraffer. Meine Gedanken hingen unentwegt an Tristan fest, dem Atwood-Sohn, von dem niemand wusste. War er die Quelle der Dunkelheit aus den Visionen der Auguren? Konnten sie ihn nicht sehen, weil er offiziell nicht existierte? Ich musste mehr über ihn herausfinden. Das jedoch würde vermutlich komplizierter werden als bei seinen Stiefgeschwistern – denn jedes Mal, wenn ich an Alex vorbei zum Ende der Reihe sah, traf mich Tristans eiskalter Blick.

Das Klingeln zum Ende der Stunde hallte durch den Raum, der sich sofort leerte.

»Los, los!«, scheuchte mich Alex auf. »Sonst ist die Schlange in der Mensa unendlich lang!«

Wir waren nicht schnell genug. Die Mensa war bereits überfüllt. Es war laut, roch nach Essen in den verschiedensten Variationen, aber irgendwie … künstlich.

Alex schnappte sich zwei Äpfel, während ich mich nicht entscheiden konnte und daher einen Teller wurmartiger Nudeln mit Käse und gerösteten Zwiebeln darauf und irgendeine Cremesuppe auf mein Tablett stapelte.

»Du magst Äpfel«, stellte ich fest und Alex sah mich irritiert an, während wir Schritt für Schritt dem Ende des Tresens näher kamen – und den Süßspeisen, aus deren Richtung ein intensiver Duft nach Schokolade zu uns drang.

»Wie kommst du darauf?« Ich wusste nicht, ob sie es sarkastisch meinte oder wirklich eine Erklärung erwartete. Sie war fast so schwer zu durchschauen wie Calliope.

»Deine Haare riechen nach Apfel und … das Offensichtliche.« Ich deutete auf ihre beiden Hände. Sie senkte ihren Kopf, bis ihre Haare über die Schulter fielen, und schnupperte daran.

»Ah! Stimmt, die Spülung. Äpfel erinnern mich an meine Großmutter. Sie hatte mehrere kleine Apfelbäume im Garten, die im Herbst immer kurz vor dem Zusammenbrechen waren.« Ihre Augen trübten sich ein, und als wäre sie in Gedanken in eben diesem Garten, sog sie die Luft ein und senkte die Lider. Wie gern wäre ich jetzt ebenfalls an einem solchen Ort, einem Garten, in dem die Luft nach Obst oder Kräutern duftete wie in dem weitläufigen Garten zu Hause in Rom.

Alex sah mich an. Ich hatte geseufzt, was wohl nicht die passende Antwort auf ihre Aussage gewesen war, daher erklärte ich mich: »Ich liebe den Geruch der Natur. In meiner Familie ist der Geruchssinn sehr ausgeprägt, ich …«

»Dann muss es für dich hier ja grauenhaft sein. Ich habe gelesen, dass Menschen mit Hypersomie Panikattacken kriegen, wenn zu viele Gerüche auf sie einströmen.« Nun musterte sie mich mit einem schon beinahe mitleidigen Blick. Jenem Blick, dem ich zu entkommen versucht hatte.

Ich winkte ab. »Ganz so schlimm ist es nicht, aber durch das tägliche Geruchstraining zu Hause bin ich etwas sensibler, was …« Ich überlegte, wie ich es am besten ausdrücken konnte, doch Alex kam mir zuvor:

»… den Gestank hier angeht?« Sie lachte. »Warum trainierst du deinen Geruchssinn?«

»Fürs Familiengeschäft«, erwiderte ich schnell und ratterte die Erklärung herunter: »Wir haben ein kleines Weingut und dafür ist eine gute Nase unerlässlich. Morgen sollte ich mir Kaffeebohnen mitbringen.«

Nun sah Alex mich mit völlig neuen Augen an. Vielleicht war es doch nicht so schlecht gewesen, das offizielle Tätigkeitsfeld unserer Familie zu erwähnen, das komplett den unwissenden Angestellten überlassen wurde. Mamma und Papà heimsten nur das Lob für das exklusive Bouquet unserer edelsten Weine ein.

»Wir können zum Essen gerne nach draußen gehen, da sollte es für dich erträglicher sein und die Terrasse ist überdacht«, schlug sie vor und ich nahm den Vorschlag gerne an. Nachdem ich mir Pudding und einen handflächengroßen Kuchen geholt hatte, balancierte ich mein voll beladenes Tablett hinter Alex her, die sich einen Weg durch die volle Cafeteria zum Seitenausgang bahnte und hin und wieder ein paar Mitschüler grüßte, die mir von ihrer Highspeed-Vorstellung zuvor vage bekannt vorkamen.

Trotz des vor Regen schützenden Glasdachs waren draußen alle Tische und Stühle verwaist. Ich atmete erst einmal tief durch. Alex hatte mit ihrer Vermutung, dass mich der für meine Rezeptoren zu intensive Geruch eingeschränkt hatte, richtig gelegen. Das beklemmende Gefühl, das mich im Inneren der Schule überkommen hatte, verschwand zunehmend und auch meine Handflächen schwitzten endlich nicht mehr.

Wir setzten uns an einen der Metalltische und aßen schweigend. Die Suppe schmeckte sogar halbwegs gut, auch wenn etwas mehr natürliche Inhaltsstoffe anstelle künstlicher Geschmacksverstärker vorteilhaft gewesen wären.

Nachdem sie auch ihren zweiten Apfel bis auf das Gehäuse verputzt hatte, brach Alex das Schweigen:

»Wie kommt es, dass du am Austauschprogramm teilnimmst, obwohl du privat unterrichtet wurdest?«

Ich verschluckte mich beinahe an meinem nächsten Bissen. Alex war wirklich so aufmerksam, wie ich vermutet hatte.

»Das war eine Idee meiner Eltern«, log ich. »Ich wollte raus, eigentlich eine Schule in Rom besuchen, aber dort … bin ich zu bekannt. Meine Eltern hielten es für zu gefährlich.« Der bittere Geschmack der Lüge klebte auf meiner Zunge. Selbst der Käsekuchen konnte ihn nicht vertreiben. Daher ging ich in die Offensive und fragte gemäßigtes Interesse vorschützend: »Hattest du früher viel mit den Brands und den Atwoods zu tun?« Hoffentlich merkte mir Alex meine brennende Neugier nicht an.

»Nicht so wirklich. Meine Eltern hatten nie großes Interesse an Gemeindeaktivitäten. Ich kenne sie alle nur, weil es hier in der Stadt unmöglich ist, sich nicht zu kennen.« Ich war mir nicht sicher, ob Alex wirklich zu mir oder eher zu sich selbst sprach.

»Was machen deine Eltern?«

»Sich streiten, sofern sie sich in einem Raum aufhalten.« Alex zuckte mit den Schultern, als wäre das nichts Dramatisches. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sich meine Eltern zerstreiten würden. Ich wusste nicht, was ich anderes darauf erwidern sollte, als ein ehrlich gemeintes »Das tut mir leid« zu flüstern.

»Ach, ich kenne es nicht anders. Sie sind einfach zu verschieden. Vermutlich ist es lediglich einem Zuviel an Partys und Alkohol geschuldet, dass ich überhaupt existiere.«

»Wie kannst du das so locker sehen?«

Alex zeigte keinerlei Anzeichen von Unmut über den Zustand ihrer Familie. »Das hängt damit zusammen, weshalb ich hier normalerweise meist allein sitze.« Nun zeigte sie zumindest den Anflug von Unsicherheit und wich für einen kurzen Moment meinem Blick aus. »Laut den meisten Psychologen, zu denen ich als Kind geschleppt wurde, bin ich wohl so was wie ein Genie mit einem erheblichen Defizit in Sachen Emotionen und Empathie. Meinen Eltern wäre es andersrum wohl lieber, vielleicht würde ich ihnen dann weniger Gründe liefern, sich zu streiten.« Ihr rechter Mundwinkel senkte sich, eindeutig ein Zeichen, dass sie eben doch Gefühle hatte.

»Lass dich von niemandem schlecht machen oder dir so etwas einreden«, sagte ich. »Wenn sie so etwas auch nur erwähnen, suchen sie doch nur Gründe, die ihre wachsende Abneigung gegeneinander rechtfertigen.«

»Genau das habe ich mir auch schon gedacht.« Sie lächelte kurz. »Du denkst mit, das gefällt mir.«

Aus ihrem Mund klang es wie ein Kompliment, das ich einfach mal so stehen ließ.

Jenseits des schützenden Glasdachs rannten zwei Gestalten durch den strömenden Regen, doch ganz gleich, wie sehr ich mich auf sie konzentrierte, unter den Kapuzen waren sie nicht zu erkennen.

»Was hast du an deinem Handgelenk?«, unterbrach mich Alex und langsam, als müsste ich mich erst aus einem Traum schälen, sah ich zu ihr. »Bist du allergisch gegen den Verschluss des Armbandes? Eine Unverträglichkeit gegen Nickel kommt sehr häufig vor.«

Sie deutete mit einem leisen Schnalzen auf meinen linken Arm. »Du kratzt dich immer wieder. Das könnte ein Zeichen für eine Überempfindlichkeit sein. Das Armband ist recht eng, wenn du an der Stelle schwitzt, kann das eine allergische Reaktion auslösen.«

Sofort sah ich auf meine Finger hinab, die sich tatsächlich unter die verschlungenen Bänder der magischen Fessel geschoben hatten und die Stelle rieben, wo der Hämatit meine Haut berührte. Sofort zog ich sie zurück.

Es läutete gerade zum Ende der Mittagspause und ich verstand endlich Alex’ Warnung, sie wüsste immer alles besser. Was in diesem Fall jedoch nicht der Wahrheit entsprach.

»Es ist keine Allergie, sondern eher … ein Tick«, erklärte ich, während ich aufstand, um wieder ins Schulgebäude zu gehen. »So wie dich deine Muse bei Herrn Reeders Vorträgen küsst, beruhigt es mich, mit dem Armband zu spielen.«

Sie sah zu mir nach oben und wirkte, als wäre sie nicht erfreut darüber, einmal nicht recht zu haben. Doch einen Moment später lächelte sie mich breit an. Ich erkannte die Herausforderung in ihren Augen, was mich ebenfalls lächeln ließ. Es klingelte zum zweiten Mal und auch Alex stand auf. In genau dem Moment traten die zwei Personen aus dem Regen unter das Vordach und schoben die triefenden Kapuzen vom Kopf. Mara und Tristan lachten, als gäbe es nichts Schöneres, als bei den kühlen Temperaturen triefend nass zu sein. Ich sah zu ihnen hinüber, wie sie ihre Köpfe zusammensteckten, und eine Sehnsucht erfasste mich. Alex’ Stuhl knarrte, als sie ihn nach hinten schob und aufstand. Ich folgte ihr zwischen den Tischen hindurch, konnte dem Drang jedoch nicht widerstehen, kurz hinter uns zu sehen, als Mara die Tür zur Mensa aufschob.

»Soweit ich weiß, hatte er noch nie eine Freundin«, sagte Alex beinahe verschwörerisch leise und über das Prasseln der Regentropfen über uns kaum hörbar. Ich sah kurz über die Schulter zu Tristan, als uns der Lärm – und die Gerüche! – der Cafeteria entgegenschlugen. Hätte ich kein Tablett in der Hand gehabt, hätte ich mir instinktiv die Nase zugehalten. Ich hielt den Atem an, bis ich das Tablett in die Ablage geschoben hatte, und atmete tief in den Kragen meiner Bluse. Durch meine Adern rauschte erneut diese Energie, die wie ein Adrenalinstoß wirkte und alles intensiver machte. Vielleicht hatte Alex ja recht damit, dass meine Nase zu empfindlich für die Öffentlichkeit war. Ich sollte mit meinen Eltern darüber sprechen … wobei dieses Problem im Vergleich zu der Erkenntnis, dass Liam Atwood einen leiblichen Sohn hatte, komplett verblasste.

»Hast du mir zugehört?«, fragte Alex, und während ich überlegte, was sie gesagt hatte, wiederholte sie in zweideutigem Ton: »Ich sagte, Tristan hatte noch nie eine Freundin – abgesehen von Mara. Aber ich glaube nicht, dass da etwas läuft.«

»Na und? Vorhin meintest du noch, ich solle nicht sabbern, wenn ich ihn ansehe.« Mich schüttelte es bei dem Bild, das sich dabei in mir auftat – von Speichelfäden, die aus meinen Mundwinkeln trieften wie bei einem Bernhardiner. Genau das Richtige, um mich von dem aufgeregten Kribbeln in meinem Bauch abzulenken, das bei jeder Erwähnung von Tristans Namen für das Gefühl einer rasanten Talfahrt sorgte.

»Vielleicht hat er nur auf dich gewartet?« Sie klimperte mit den Wimpern wie eine Zeichentrickfigur und ich lachte auf.

»Die Chancen dafür dürften ziemlich schlecht stehen. Außerdem … stehe ich nicht auf Blond.« Es war die erste Ausrede, die mir einfiel. Sie war absolut oberflächlich und dämlich – und genau so sah mich Alex nun auch an. Enttäuscht. Dann fing sie sich wieder und überging meinen letzten Satz glücklicherweise: »Laut Berechnung eines Mathematikers aus Großbritannien stehen deine Chancen eins zu zweihundertfünfundachtzigtausend, den perfekten Partner zu finden.«

»Oder es gibt andere, die darüber entscheiden«, murmelte ich gedankenverloren vor mich hin. Auch wenn Partner in der modernen Hexenwelt nicht mehr unbedingt dasselbe bedeutete wie kurz nach der Zeit der Hexenverfolgung, als die Ritualpartner tatsächlich noch heiraten und Nachwuchs zeugen mussten, um ihr starkes magisches Blut zu vererben.

»Wie bitte?«, sagte Alex so laut, dass einige der Schüler um uns herum von ihren Handydisplays aufsahen. »Ernsthaft?«

Vielleicht hätte ich mich doch besser auf das Gespräch konzentriert und nicht auf Tristan Atwood. Dann wäre mir so etwas nicht herausgerutscht. Nun jedoch musste ich versuchen, wieder da rauszukommen. »Es gibt … Familien, die sehr viel Wert auf Traditionen legen«, erklärte ich. »Meine Familie gehört dazu. Ich sage nichts von Zwangsheirat oder so.« Allein der Gedanke daran ließ mich erschaudern. »Sie spielen nur sehr gerne Schicksal und setzen alles daran, mich in eine ›ebenbürtige Beziehung‹ zu bekommen.« Immerhin konnte ich Mutters Ton und ihren nicht totzukriegenden italienischen Akzent perfekt nachahmen.

»Du bist wirklich Italienerin?« Sie wirkte erst überrascht, dann tief beeindruckt. »Du hast absolut keinen Akzent.« Leider konnte ich das Kompliment nicht annehmen, wenn es nicht meine eigene Leistung, sondern das Ergebnis von Magie war. Daher ging ich schnell auf die Frage ein.

»Ich wohne in Rom. Herr Reeder hat mich doch schon als italienische Austausch…«

»Weingut, Italien …«, unterbrach mich Alex und zählte die Punkte an ihren Fingern ab, ehe sie mich durchdringend musterte. »Heißt du wirklich Bianchi?«

Kurz wog ich Vernunft gegen Bauchgefühl ab. Konnte ich ihr vertrauen? Ich kannte sie erst wenige Stunden. Meine Instinkte könnten durch den Hämatit getrübt sein. Aber Alex würde eine Lüge erkennen und der Rat – oder meine Eltern – könnten mich zurückbeordern, wenn ich aufflog. Sie hatte mir bereits einen wichtigen Hinweis geliefert, daher entschied ich mich für mein Bauchgefühl.

»Mescinia«, flüsterte ich, doch natürlich verstand mich Alex und ich konnte sie gerade noch davon abhalten, den Namen laut in die Gegend zu brüllen.

»Pscht!«, zischte ich. »Niemand weiß, wer ich wirklich bin. Selbst in meinen Meldeunterlagen steht Ela Bianchi.« Ich sah mich hastig um und konnte nur hoffen, dass uns niemand gehört hatte.

Sofort schloss sich ihr Mund wieder und ein wildes Funkeln trat in ihre Augen, weshalb sie das Grün verloren und nun komplett dunkelgrau schimmerten.

Ich bestätigte ihre Vermutung, hielt mich aber so vage wie möglich: »Für mich ist es … gefährlich, ohne Schutz unterwegs zu sein. Aber ich wollte nicht, dass während meines Aufenthalts ständig Papàs Aufpasser an mir kleben.«

Würde man das Leuchten ihrer Augen in Lux messen können, hätte sich die Zahl nun noch mal verdoppelt. Ein verschwörerisches Grinsen trat auf ihre Lippen, ehe sie sie mit einer Geste verschloss. »Sobald wir allein sind, will ich mehr erfahren!«, flüsterte sie und zog mich dann zu unserer letzten Doppelstunde des Tages. Sport.

Ich konnte es kaum erwarten, meinen Eltern Bericht zu erstatten und weitere Nachforschungen über Tristan anzustellen.

Doch zuvor gab es ein Vesper mit Ingrid und Babs, die mir von ihrem Tag berichteten – sie waren neben der Arbeit auf dem Hof in der Kirchengemeinde engagiert und besuchten nicht mehr ganz so fitte Senioren im Wohnheim – und mich ausfragten.

»Bist du in der Schule gut zurechtgekommen?«, fragte Ingrid zeitgleich mit Babs, die wissen wollte, ob ich schon Freunde gefunden hatte.

»Alexandra Foster hat mir alles gezeigt und mir mehr Namen genannt, als ich mir je merken könnte«, erwiderte ich, während ich in das übergroße Brötchen biss, das sich Knauzen nannte und bei uns als Brot durchgehen würde.

»Foster …«, dachte Ingrid laut und wandte sich an Babs. »Gehört sie zu den Fosters im Neubaugebiet oben?«

Babs zuckte mit den Schultern. Weil ich auch nicht mehr wusste, überließ ich den beiden die Überlegungen über potenzielle verwandtschaftliche Beziehungen, während ich mich durch das Angebot an Wurstscheiben probierte. Anschließend verabschiedete ich mich in mein Zimmer – natürlich erst, nachdem wir gemeinsam alles aufgeräumt hatten. Babs und Ingrid begleiteten mich zum Windfang, Babs verabschiedete sich und beide wünschten mir eine gute Nacht, ehe ich die knarrende Holztreppe nach oben stieg, mein Zimmer abschloss und eine Nachricht an meine Eltern schrieb.

Die Antwort kam schneller, als ich erwartet hatte. Schnell suchte ich nach einer Möglichkeit, unbemerkt von hier zu verschwinden.

Direkt unter meinem Fenster stand ein großer metallener Wassertank. Zum Glück machte es nicht allzu viel Lärm, als ich mich vom Fensterbrett aus darauf fallen ließ und wie eine Verbrecherin der Route in meinem Handy zu der von Papà genannten Adresse folgte und vor dem Falkhausener Hof landete.

Magic Tales - Verhext um Mitternacht

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