Читать книгу Magic Tales - Verhext um Mitternacht - Stefanie Hasse - Страница 7
ADELA
ОглавлениеBei allen Dunkelhexen!«, schimpfte ich und schmetterte den hölzernen Stößel in den sowieso schon zerbeulten Kessel, aus dem weißer Rauch aufstieg. Das Echo des Aufpralls schwebte noch einen Moment in meinem Labor umher und vervielfältigte mein Scheitern auf dramatische Weise. Es glitt von den dunklen Holzregalen mit den zahlreichen Zutaten zu der hohen Decke, unter der Kräuterbüschel trockneten, streifte die zahlreichen Gaslaternen, die ich für meine Arbeit immer noch am stimmungsvollsten fand, bis zur Wand hinter mir, an dem das für den Rest der Einrichtung viel zu moderne Edelstahl-Waschbecken hing.
Wieso funktionierte die Verbindung nicht? Ich hatte alles bis ins Detail berechnet, sämtliche Zutaten frisch überall auf der Welt besorgen lassen. Lag es an der Sigille? Hatte ich die Worte falsch gekürzt? Oder war mein Vorhaben, das Medikament mit unserer Heilmagie zu verstärken, zu ambitioniert, als was es letztens sogar im Rat belächelt worden war?
Ich atmete tief ein. Seltsamerweise roch mein Scheitern nach Cola. Aber vielleicht lag das auch an den Inhaltsstoffen des Medikaments.
Also begann ich von vorne und sah mir den Zauberspruch erneut an, kürzte alle Buchstaben, die doppelt vorkamen, und zeichnete – wie Hexen im ersten Ausbildungsjahr! – die Sigille direkt neben dem Hexenrad, das in jedem Grimoire abgedruckt war, als wüsste nicht schon jede Junghexe, an welcher Stelle der drei konzentrischen Kreise des Hexenrades jeder einzelne Buchstabe des Alphabets lag.
Das Ergebnis sah bei einem komplexeren Zauber wie diesem aus, als hätte ein Kind wild aufs Papier gekritzelt. Und das, obwohl der Zauber zu einem knappen Befehl gekürzt war: Verstärke die Wirkung des Medikaments mit Magie.
Vielleicht war »Medikament« zu allgemein und ich musste den Wirkstoff selbst nennen? Magiewissenschaft war – egal was das Wort behauptete – keine Wissenschaft wie die Biochemie, die der Herstellung der Tabletten vor mir zugrunde lag. Ich zerknüllte das Papier mit der Sigille und notierte den Wirkstoff anstatt »Medikament«, kürzte und zeichnete die Sigille erneut.
Schnell kippte ich den noch immer schwelenden Inhalt des Bronzekessels ins Waschbecken an der Wand, füllte ihn anschließend mit drei der Tabletten und streute frisch zerstoßene Kräuter aus der verfärbten Holzschale neben mir darauf.
Jetzt war es an der Zeit, den Zauber an das Element zu übergeben. Die dafür benötigte Kerze stand, ganz wie im Lehrbuch, direkt neben dem Kessel.
Ich konzentrierte mich auf meinen Zauber, während ich das Papier in die Flamme hielt. Meine eigene Sigille, die aus den Buchstaben meines Namens bestand und meine ureigene Magie nach außen brachte, leuchtete auf. Die Magie wand sich in bläulichweißen Rauchschwaden von der Sigille am linken Handgelenk über den Handrücken, floss über meine Finger hinweg in das glimmende Papier mit der Sigille.
»Ciao, Lieblingsschwester«, erklang Glorias Stimme direkt neben meinem Ohr. Vor Schreck ließ ich das brennende Papier fallen. Natürlich nicht in den Kessel, wo es hingehörte, sondern direkt auf den massiven Arbeitstisch aus magiegetränktem Kirschbaumholz. Ein Brandfleck mehr fiel auf der Oberfläche glücklicherweise nicht auf.
Seufzend drehte ich mich zu Gloria um, die ihre Jägeruniform trug. Die dunklen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, die eng anliegende weiße Kleidung umschmeichelte ihre Kurven. Mit Blick auf das inzwischen verbrannte Stück Papier auf meinem Arbeitstisch fragte sie: »Kommst du gut voran?«
Ich warf ihr einen Blick zu, der ihr ganz genau sagte, wie gut ich vorankam, ehe ich erwähnte, dass sie nur eine Schwester hatte. Sie grinste mich nur an und klimperte mit ihren dichten Wimpern, ehe sie sich über das aufgeschlagene Grimoire neben meinem Kessel beugte und so tat, als würde sie verstehen, was dort stand.
»Wofür wohl werde ich bei der nächsten Konferenz der Magiewissenschaft ausgezeichnet werden?«, fragte sie unschuldig.
»Wenn es weiter so läuft, für gar nichts.« Ich stieß erneut einen Seufzer aus, las das Stück Papier auf und beförderte es ebenfalls ins Waschbecken, wo ich mir auch direkt die Aschereste von den Fingern spülte.
»Das hast du auch letztes Jahr gesagt. Das Jahr davor auch. Und jedes Mal hast du es geschafft. Es wird klappen, ich glaube an dich, Ela.« Ich sah über die Schulter und Gloria warf mir einen Luftkuss zu. »Was hältst du davon, wenn ich dir helfe?« Ihre dunklen Augen reflektierten die Flamme und ließen Gloria teuflisch-verrückt aussehen. Sie hatte keinerlei Talent für Tränke, geschweige denn für Magiechemie. Daher zweifelte ich ernsthaft daran, ob es eine gute Idee war, wenn sie mir beim Zaubern half.
»Du?«
»Wenn ich schon das Lob für deine Arbeit bekomme, könnte ich dich dabei ja wenigstens unterstützen. Wenn du fertig bist, können wir …«
Ich seufzte. Natürlich gab es einen Grund, weshalb sie hergekommen war.
»Sorry«, sagte Gloria sofort. »Aber die Entwürfe der Designer für die drei Ballnächte zum Walpurgisritual sind da. Du musst mir beim Aussuchen helfen!« Ihre Stimme klang so verzweifelt, dass ich mich geschlagen gab. Sie war eine grandiose Jägerin, reiste via Sigillenfährte auf der ganzen Welt umher, um Dunkelhexen einzufangen, aber wenn es um Kleider ging, benahm sie sich schlimmer als menschliche Teenager.
»Was tust du eigentlich hier?«, fragte ich, während ich ihr durch den Innenhof der Villa folgte, wo eben die Außenlaternen mit Dämmerungssensor angingen. Den im Wetterbericht angekündigten schönen Frühlingstag in Rom hatte ich wohl verpasst. Wo war die Zeit denn nur geblieben? »Solltest du nicht noch beim Training sein?«
»Papà meinte, die Vorbereitungen zum Ball seien ebenso wichtig wie das Training.«
Das bezweifelte ich stark. In unserer Familie war das Training oberste Pflicht. Das hatte bis vor vier Jahren auch für mich gegolten. Seit Generationen stellten wir Jägerinnen und Jäger für die gefährlichsten Missionen. Kleidungsfragen hatten nie Priorität. Auch wenn Kleider zum Hexenereignis der Dekade gehörten wie eine Krone zu einer Prinzessin.
Die Erneuerung des Occultatums, das verhinderte, dass Menschen unsere Magie sehen und deshalb verhext werden konnten, war jedoch in erster Linie gefährlich, daher galt: Training über Kleidung. Alle Hexen und Hexer der Welt würden anwesend sein. Nicht nur diejenigen, die sich der lichten Magie und der Erneuerung des Occultatums verschrieben hatten, sondern auch Dunkelhexen, die Magie mit Blut wirkten. Dessen war ich mir mehr als alle anderen Hexen bewusst. Umso wichtiger war meiner Meinung nach das Training.
Gloria sah es anders. »Hattest du deinen Termin bei Signora Rosalia eigentlich schon?« Sie schwebte nahezu zwischen den Beeten im Innenhof hindurch bis zum Eingang der Villa. Ihre dunklen Augen leuchteten, während ich meinen Kopf schüttelte.
»Ich habe mir ihre Entwürfe zeigen lassen, aber ich kann mich einfach nicht entscheiden«, fuhr sie fort, zog mich dann mit sich an den Portraits unserer berühmten Ahninnen vorbei bis zur Eingangshalle, während sie unentwegt plapperte: »Signora Rosalia schwört darauf, dass sie weiß, welche Epoche der Trend bei den Bällen sein wird.« Sie grinste wie früher beim Anblick ihrer Geburtstagsgeschenke. »Wir werden uns vor Angeboten kaum retten können. Hast du in der Hexen heute den Bericht über die Gastgeberfamilie gelesen? Oder die Fotos angeschaut?« Wir stiegen gerade die breite Treppe empor. Gloria hielt sich am mit Blattgoldelementen verzierten Geländer fest, wandte sich um und warf mir einen verschwörerischen Blick zu.
»Du weißt, dass Fotos manipuliert sein könnten.« Was Unwissenden mit Photoshop gelang, funktionierte für uns mit einer lässigen Handbewegung.
»Jetzt verdirb mir doch nicht die Vorfreude!« Ein paar Hexenfunken schossen auf mich zu und ich duckte mich schnell darunter weg, auch wenn sie mich nicht verletzt hätten.
Gloria wusste genau, dass ich diesen Teil der nächsten Wochen verabscheute. Große Bälle, um einen passenden Partner zu finden, waren so … letztes Jahrtausend. All der Prunk, die Zurschaustellung – vor allem bei den Gerüchten rund um unsere Familie, die in den letzten Monaten immer weiter hochgekocht waren wie ein falsch dosierter Trank im Kessel. Gloria würde sich vor Anfragen kaum retten können und Dutzende belangloser Smalltalks mit unpassenden Partnern führen müssen. Über diese Konsequenz des Bans war ich nicht böse. Er hielt mich bis zum letzten Moment von diesen Oberflächlichkeiten fern. Unmagische fanden ihre Partner heutzutage doch auch ohne das ganze Tamtam und ich konnte das auch.
Seufzend ließ ich mich auf das gigantische Himmelbett in Glorias Zimmer fallen und ließ mir von ihr die Entwürfe zeigen, ein Kleid opulenter als das andere. Die Skizzen hatten jedoch alle eins gemeinsam: Sie waren blau – das dunkle Blau der Familie Mescinia. Und es war kein einziges schlichtes, moderneres Kleid darunter. Mir graute schon davor, mich in ein Mieder quetschen zu müssen – denn die waren in diesem Jahrzehnt unumgänglich, gab mir Gloria die Aussage von Signora Rosalia weiter.
»Was hältst du von dem hier?« Gloria deutete auf ein Rokokokleid. Den dunkelblauen Seidenmanteau verzierten vorne etliche Edelsteine, die Ärmel waren innen hochgesteckt, sodass der silbern schimmernde Unterstoff hervorlugte. Mich störte besonders die Raffung an den Hüften, die die Trägerin doppelt so breit erscheinen ließ.
Noch ehe ich Gloria meine Gedanken mitteilen konnte, gingen unsere Handys los. Der Alarmton war nur für einen einzigen Kontakt reserviert. Ich hatte ihn noch nie gehört. Weder in den letzten vier Jahren, in denen ich vor der Hexengemeinschaft verheimlicht wurde, noch in meinen aktiven Jahren davor.
Das Blut gefror in meinen Adern. Der beißende Geruch von Glorias Angst kroch in meine Nase.
Gloria hatte sich schneller gefangen und las die Nachricht vor, die alle Jägerinnen und Jäger in Alarmzustand versetzen musste. »Es gab einen Dunkelhexenanschlag auf Falkhausen. Das ist dort, wo …«
»Ich weiß, wo es ist.« Auch wenn ich seit vier Jahren in meinem Labor allein vor mich hin forschte, kannte ich mich auch in der Hexenwelt aus. Vor allem, wenn es um das Ereignis der Dekade ging: das Walpurgisritual.
Glorias schockgeweitete Augen ließen meinen aufgekommenen Ärger über die mir unterstellte Unwissenheit in Rauch aufgehen wie die Sigille bei einem Zauber.
»Sind Menschen zu Schaden gekommen?«
Glorias Augen flogen über den Text. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, das nicht. Aber sie haben die Auswirkungen von Magie gesehen. Alle Brigaden sollen sofort via Sigillenfährte nach Falkhausen reisen, um die Menschen das vergessen zu lassen.«
Pure Erleichterung durchflutete mich. Es waren nur noch wenige Tage bis zur Walpurgisnacht, wenige Tage bis wir das Occultatum erneuern konnten, das unsere Magie vor den Menschen verbarg. Wenn sie uns bemerkten und wir deshalb das Ritual nicht durchführen könnten, wäre das der Anfang vom Ende. Selbst wenn die Menschen gelegentlich die Auswirkungen von Magie bemerkten, konnten sie dank des Occultatums doch nicht erkennen, wer sie wirkte. Nicht wie früher, als man tatsächlich hin und wieder Hexen gefangengenommen und getötet hatte, weil ihre Magie zu sehen gewesen war.
Glorias Handy summte erneut. Eine normale Nachricht. Mit zusammengezogenen Brauen las sie und sagte dann: »Mamma und Papà haben mich angewiesen, nicht nach Deutschland zu reisen. Ich soll mit dir trainieren.«
»Wirklich?« Es klang zu unglaublich, um wahr zu sein. Ich war seit Jahren nicht mehr beim Training gewesen, hatte mich nur in meinem Labor verschanzt. Es war zu gefährlich für mich. Der Rat und meine Eltern trauten niemandem.
»Alle werden unterwegs sein und die Menschen schnell unter Kontrolle haben. Aber Mamma befürchtet weitere Anschläge. Wir brauchen dann vielleicht jeden Jäger, den wir haben. Und da gehörst du auch dazu.« Dann grinste sie und der süße Geruch ihrer Herausforderung wehte zu mir. »Oder bist du zu eingerostet, um mit mir mithalten zu können?«
»Niemals!« Ich nahm die mir entgegengestreckte Hand an und Gloria zerrte mich hinaus aus ihrem Zimmer bis zur großen Treppe beim Eingang. Die Tür direkt darunter führte zum Trainingsraum.
Noch ehe Gloria die Tür hinter uns geschlossen hatte, warf sie einen Fluch auf mich. Der Angriffszauber blitzte auf, als er auf meine hastig errichtete Verteidigung stieß. Ich sprang über die nächste Welle blauschimmernder Magie hinweg, brachte meine Sigille erneut zum Aufleuchten und schmetterte meinerseits einen Fluch auf Gloria, den sie lachend abwehrte.
»Du bist doch eingerostet, Labormädchen«, lachte sie, in ihren Augen blitzte etwas auf, das ich vorher noch nie gesehen hatte und nicht zuordnen konnte. Sie warf einen Fluch nach dem anderen auf mich, brachte mich zum Stolpern, schnitt in meinen Arm oder sogar direkt in meine Sigille, wenn ich mich nicht schnell genug verteidigte. Es dauerte aber nicht lange, bis sich mein Körper wieder an die seit meiner Kindheit einstudierten Bewegungsabläufe und all die Zauber erinnerte.
Eine Jägerin blieb eindeutig immer eine Jägerin, egal wie lange sie sich in ein Labor zurückzog und die Magiewissenschaft vorantrieb.
Während ich es immer wieder schaffte, auch Glorias Abwehrzauber zu durchbrechen, keimte in meinem Unterbewusstsein ein Gedanke, wuchs weiter und weiter, während unablässig blau-weißes Licht aus unseren Sigillen schoss.