Читать книгу Equinox - Stefanie Purle - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеIch weiß nicht, wie ich all diese Verluste verkraften soll. Gerade eben erst habe ich meine Mutter verloren und nun denkt mein Gefährte, dass ich ihn nie richtig geliebt habe und ihn als Wolf sowieso nicht lieben könnte. Nichts auf der Welt ist weiter von der Wahrheit entfernt als das! Es ist mir egal, was Chris ist! Und wenn er jede Nacht zur schrecklichsten Bestie auf der Welt mutieren würde, so wäre er noch immer mein Gefährte, die Liebe meines Lebens, der einzige Mann, mit dem ich zusammen sein will. Doch er traut dem Gerede seiner Schwester Bianca mehr als seinem eigenen Herzen.
Mit verweinten und verquollenen Augen stelle ich mich vor den Badezimmerspiegel und betrachte mich selbstmitleidig. Meine Tränen brennen auf dem Sonnenbrand auf meinen Wangen und schon lange habe ich mich nicht mehr mit so vielen Sommersprossen im Gesicht gesehen. Meine roten Strähnen wirken ausgeblichen und haben einen dumpfen Kupferton angenommen. Am Ansatz sind sie gute zehn Zentimeter rausgewachsen und sowieso wirkt mein Haar struppig und von zu viel Sonne geschädigt. Durch das Töten der Sirenen sind noch jede Menge dünner weißer Strähnen hinzugekommen. Wenn das so weitergeht, bin ich in ein paar Jahren genauso weiß wie Jo oder Elvira.
Ich weiß nicht, was es ist, dass Beziehungsprobleme bei mir immer den Fokus auf meine Haare lenken. Vielleicht ist es eine Art instinktiver Ablenkungsmechanismus. Was auch immer es ist, es hilft mir dabei, meine Tränen versiegen zu lassen und etwas Abstand zu gewinnen.
Ich ziehe mich an und schaue auf die Uhr. Es ist halb fünf am Morgen. Normalerweise würde ich mich hüten, so früh jemanden zu stören, doch bei meiner besten Freundin Carmen kann ich eine Ausnahme machen.
Da mein Bulli noch nicht wieder hier ist und ich Chris seinen Transporter nicht wegnehmen will, schnappe ich mir nur meine Handtasche und renne in den Wald hinein. Ich hinterlasse ihm keine Nachricht, denn in seiner wölfischen Gestalt wird er mich wittern können. Wahrscheinlich hockt er gerade jetzt hinter einem Baum, wittert mich und sieht mir aus der Ferne zu, wie ich Richtung Landstraße renne. Hier und da begegne ich kleinen Gruppen von Druiden, die mich aber in Ruhe lassen, da sie ja bekommen haben, weswegen sie hierher gepilgert sind.
Als ich endlich den äußeren Waldrand erreicht habe, entschleunige ich meine Schritte und komme wieder zu Atem. Die kühle Luft tut mir gut und hilft mir dabei, meine Gedanken etwas zu klären.
So habe ich mir meine Rückkehr von der Insel nicht vorgestellt. Wie hatte ich mich doch danach gesehnt, endlich wieder in Chris´ Armen zu liegen, doch er bombardiert mich mit Vorwürfen und behauptet, ich wäre vor ihm geflüchtet, weil seine Wolfgestalt zu wölfisch ist! Selbst jetzt, wo ich darüber nachdenke, gebe ich ein prustendes Lachen von mir. Als ob mich seine Wolfsgestalt abschrecken würde! Ich habe es schon mit Dämonen, Wendigos und Sirenen aufgenommen, da macht mir so ein Wolf doch keine Angst! Außerdem hatte mein Besuch auf der Insel im Wandschrank nichts mit ihm zu tun, sondern einfach nur damit, dass ich die ganzen Druiden für uns schnell wieder loswerden wollte, damit wir unser Zuhause wieder für uns haben! Ich habe es auf mich genommen, von ihm einige Wochen getrennt zu sein, damit er nicht von mir getrennt sein muss! Alles was ich tat, tat ich für uns! Wie kann er mir dann unterstellen, ich sei vor ihm geflüchtet oder ich würde ihn nicht so sehr lieben, wie eine wölfische Gefährtin es tun würde! Außerdem war er doch derjenige, der zuerst das Weite gesucht hat! Er hat sich verwandelt und in den Wald verpisst, genau wie er es gerade eben schon wieder getan hat!
Ich stecke vorsichtshalber die Hände in meine Hosentaschen und umfasse die Bergkristalle, um meine kleinen, züngelnden Wutblitze unter Kontrolle zu bekommen. Dass alle paar Meter dunkle Schatten meinen Weg kreuzen, hilft mir nicht wirklich dabei, mich zu entspannen. Sie tauchten auf, sobald ich unseren Wald verlassen hatte, und je weiter ich laufe, umso mehr werden es. Ich versuche sie auszublenden, so wie Kitty es mir gezeigt hat. Ich brauche ein wenig, doch dann schaffe ich es, nicht auf jedes dunkle Zucken im Augenwinkel zu reagieren.
Als ich endlich die Straße erreicht habe, in der Carmens Wohnung liegt, habe ich mich wieder etwas beruhigt und durch einen gesummten Ohrwurm auch schon seit Minuten keine Schatten mehr Jaulen hören. Die Sonne lugt schon über dem weit entfernten Horizont empor und färbt den östlichen Himmel orange, als ich nach meinem Handy greife und Carmens Nummer wähle.
Es klingelt mehrere Male, während ich unter ihrem Balkon stehe und nach oben schaue. Dann endlich geht Licht an und im nächsten Moment nimmt sie ab.
„Ja?“
„Hey Carmen, ich bin´s, Scarlett.“
Das Rascheln von Bettwäsche ist zu hören, dann ein Seufzen. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“
„Es ist kurz vor fünf. Ich stehe vor deiner Haustür. Lässt du mich rein?“
„Warte… Was? Was ist passiert? Hast du Stress mit Chris? Nein, oder? Oder doch?“
„Lass mich bitte rein, dann erzähle ich dir alles.“
Wenige Minuten später öffnet sie die Haustür und tritt mir in einem rosafarbenen Seidenbademantel entgegen. Selbst jetzt, wo sie gerade eben aufgestanden ist, sieht sie perfekt aus. Ihre zarten Wangen sind leicht gerötet, das lange blonde Haar ist zu einem unordentlichen Dutt oben auf ihrem Kopf gebunden und aus ihrem Dekolletee lugt weiße Spitzenwäsche hervor.
„Ach du liebe Güte, Scarlett!“, begrüßt sie mich und mustert mich aus großen Augen von oben bis unten. „Komm rein, um Himmels Willen. Rein mit dir!“
Sie wirft die Haustür hinter mir zu und scheucht mich die Treppe hoch, als befürchte sie, einer ihrer Nachbarn könnte mich sehen.
„So, nun erzähl, was ist passiert?“, fragt sie, sobald wir ihre Wohnung erreicht haben. „Ich schmeiße erstmal die Kaffeemaschine für uns an, ich brauche jetzt dringend einen Kaffee. Also, was ist passiert?“
Ich folge ihr in den Küchenbereich und lehne mich mit der Hüfte gegen die weiße Arbeitsfläche. Jetzt, wo ich bei ihr bin, weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist so viel passiert, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben! Ich bin gestorben, wiederauferstanden, habe meine Mutter verloren, weil ich nie geboren wurde, bin zum Paradoxon und somit zur Mitternacht geworden und habe mich mit meinem Gefährten gestritten, weil der denkt, ich würde ihn als Wolf nicht so sehr lieben wie als Mannwolf.
„Oh man, wo fange ich bloß an“, seufze ich und reibe meine Stirn.
„Setz dich erstmal hin“, sagt sie und schiebt mich weiter ins Wohnzimmer, wo sie mich auf ihre graue Couch platziert. „Fang ganz am Anfang an. Was ist passiert, wann ist es passiert und wer war alles dabei? Ich will alles wissen, von Anfang an!“
Ich nehme meine Tasche von meiner Schulter und stelle sie auf den Fußboden, während Carmen eine Duftkerze nach der anderen auf dem gläsernen Couchtisch anmacht.
„Habe ich dir schon von der Organisation namens Libelle erzählt?“, hake ich nach und beginne dann zu erzählen. Ich lasse nichts aus, weder die Ghula noch den Inviolabilem-Zauber und den Grund, warum ich ihn überhaupt angewandt habe. Ich erzähle ihr von Ebraxas Zaballa, der Liberalen Elite Legion und was mein Vater damit zu tun hatte. Als ich bei dem Punkt angelangt bin, an dem der Leiter der Libelle mich und Chris tötet, wirkt Carmens Gesicht wie vor Schock versteinert.
„Ihr seid… gestorben? So richtig gestorben? Ihr wart tot, im Sinne von tot?“
Ich presse die Lippen zusammen und nicke. „Ja, mausetot, mit Sarg und allem Drum und Dran.“
Sie stellt ihre Kaffeetasse ab und rückt näher an mich heran. „Und wieso hat mir keiner Bescheid gesagt? Hast du mich denn nicht als Notfallkontakt irgendwo eingetragen? Ich meine, man hätte mir doch Bescheid sagen müssen, ich bin immerhin deine längste und engste Freundin!“
„Ehrlich gesagt, bin ich froh darüber, dass man dich nicht kontaktiert hat. Unser Team hat die Polizei um Diskretion gebeten, doch Elviras ehemaliger Kontaktmann von der Polizei hat es irgendwie doch erfahren und sie informiert.“
„Oh nein!“ Carmen schlägt die Hände vors Gesicht. „Nein, oh man! Das muss ein Schock für Elvira gewesen sein, ich mag es mir gar nicht vorstellen!“
„Eben. Und genau deshalb bin ich froh darüber, dass man dich nicht informiert hat. Es reichte schon, dass Elvira das erleben musste. Außerdem waren wir ja nicht wirklich tot, oder zumindest nicht für lange Zeit.“
Sie nimmt ihre Hände wieder runter und schaut mich aus traurigen Augen an. „Wie ist es, tot zu sein? Gibt es sowas wie einen Himmel? Hast du sowas erlebt? Oder kannst du dich an nichts mehr erinnern?“
Für einen kurzen Moment denke ich an die sieben Hexenseelen im Limbus, doch ich verbiete mir den Gedanken daran sofort wieder. Ich darf und werde nicht über sie sprechen, ihr Friede soll nicht gestört werden. „Da durch meinen Zauber klar war, dass wir wieder zurückkehren, war ich weder im Himmel, noch in der Hölle. Ich war in so einer Art Zwischenwelt.“
„Hattest du Schmerzen? Konntest du die Schusswunde noch spüren? Oder waren alle Schmerzen weg?“
„Ich hatte keine Schmerzen mehr. Das Sterben an sich war sowieso nicht schlimm. Es wurde erst schlimm, als meine Seele wieder in meinen Körper zurückging und ich in einem Sarg wach wurde!“
Carmen quiekt und zuckt zurück. „Nicht dein Ernst! In einem Sarg? Du bist im Sarg wieder aufgewacht?“
Ich erzähle ihr von meiner Panik und wie ich mich aus der Holzkiste wieder befreien konnte. Dass ich danach Chris aus seinem Sarg geholt habe, ein Auto kurzschloss und mit ihm zusammen durch das Portal zu Robertas Schloss floh, wo vier Heilerinnen ihn mit Räucherungen zu wecken versuchten, aber leider vergeblich. „Und dann hat Ebraxas Zaballa ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt und ich wusste, dass ich mich entweder für immer verstecken muss, oder aber selbst mit meinem Kopf zu ihm gehe.“
Carmen legt den Kopf schief und zieht die Oberlippe kraus. „Häh? Was? Wie soll das denn funktionieren? Das geht doch gar nicht!“
„Doch, das geht“, antworte ich stolz. „Zuerst habe ich ein Double von mir erschaffen, eine Art Klon meiner selbst, allerdings ohne Seele. Das hat Darius dann geköpft und ich bin in den Körper von Randolf, Robertas Werwolf-Liebhaber geschlüpft und habe Zaballa meinen Kopf gebracht.“
„Moment, Moment! Warte mal!“, unterbricht Carmen mich. „Roberta hat einen Werwolf als Liebhaber? Und Darius hat kein Problem damit? Und was sagst du da, Darius hat dich geköpft?“
Ihr verwirrter Gesichtsausdruck bringt mich zum Schmunzeln. „Ja, hat sie. Und nein, Darius hat kein Problem damit. Und ja, er hat mein Double geköpft.“
Ihr Mund klappt auf und zu, dann schüttelt sie mit dem Kopf. „Das ist die verrückteste Geschichte, die ich je gehört habe, soviel ist sicher! Und dann hast du Randolfs Körper benutzt? Wie geht das denn?“
So oberflächlich und einfach wie möglich versuche ich ihr zu erklären, wie meine Seele von Randolfs Seele Huckepack genommen wurde und wir den Kopf meines Doubles beim Leiter der Libelle abgegeben haben und als Belohnung die Dschinn-Lampe erhielten.
„Eine Dschinn-Lampe? So wie bei Aladin? Mit drei freien Wünschen und so weiter?“
Ihre begeisterte Miene erlischt, als ich ihr erkläre, was es mit Dschinns in Wirklichkeit auf sich hat. Ich erzähle ihr, wie meine Tarnung aufflog, als Blitze aus Randolfs Händen schossen und wir danach in den Kerker gesperrt wurden, wo ich meine Mutter gesehen habe und nur mit der Hilfe eines Druiden wieder herauskam.
„Deine Mutter war da? Aber sie ist doch bei Elvira? Wie kann sie dann im Kerker dieser komischen Libelle gewesen sein? Hast du sie denn befreien können?“
„Nein, als ich frei war, hatten sich die Zellen verschoben und ich konnte sie nicht wiederfinden. Also habe ich einem Gefangenen meinen gebastelten Schlüssel gegeben und bin wieder nach oben, wo ich über einen Funkspruch mitbekommen habe, dass ein Belger-Wolf unbefugt die Libelle betreten hat.“
„Was?“, kreischt sie und reißt die Augen auf. „Chris war wieder wach und hat nach dir gesucht?“
Ich nicke. „Ja, er wollte mir zur Hilfe eilen. Er war stinksauer, dass ich in die Libelle zurückgekehrt bin. Doch sie haben ihn geschnappt, bevor er mich finden konnte. Zaballa hatte ihn gefesselt seinen Mitgliedern vorgeführt und angekündigt, ihn hinzurichten.“
„Also dieser Zaballa, der regt mich so langsam richtig auf, Scarlett“, presst sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ballt ihre Hände zu Fäusten.
„Ich musste irgendwie dazwischengehen und verhindern, dass er Chris hinrichtet. Ich konnte ja nicht einfach tatenlos zusehen! Doch dann erkannten sie Randolf und zwangen mich in die Knie. Ich sollte ebenfalls hingerichtet werden. Also sah ich nur noch eine Möglichkeit, wie ich uns da wieder rausholen konnte, ohne den ganzen Laden mitsamt all seiner Mitglieder in die Luft zu sprengen.“
„Und was war das? Wie hast du es gemacht?“
„Ich habe den Dschinn gerufen und mir gewünscht, mein Vater hätte niemals Kontakt mit der Libelle aufgenommen.“
Sie zieht eine Seite ihrer Oberlippe hoch und sieht mich perplex an. „Hä, was? Was hat dein Vater jetzt damit zu tun?“
„Durch seine Einmischung wurde aus der Libelle erst diese Organisation, die magische Wesen manipuliert, unterdrückt und ausbeutet. Ohne meinen Vater wäre sie das geblieben, was sie war: Ein Ort, an dem magische Wesen und Menschen, die von der magischen Welt wissen, Zuflucht finden können.“
Sie braucht ein wenig, um all die neuen Informationen zu verdauen, doch dann nickt sie schließlich. „Okay, verstanden, denke ich. Und was ist dann passiert?“
Ich erzähle ihr den Rest, wie Ebraxas seine Magie zurückbekam, die Kerker plötzlich verschwunden waren und wir zurück in Robertas Schloss gingen, wo sie meine Seele wieder von Randolfs Körper getrennt hat und der plötzlich Druiden-Kräfte besaß.
„Weil deine Seele in seinem Körper war? Deswegen hatte er plötzlich diese Kräfte?“
„Ja, genau. Aber sie waren nicht von Dauer. Kurze Zeit später kam Darius und erzählte mir, dass er die Kräfte wieder verloren hatte, da er ein Werwolf ist und sie nicht für ihn gedacht sind. Es hatte wohl etwas mit meinem Wunsch zu tun, wie ich jetzt weiß. Denn mein Wunsch hat mich erst zu einem Paradoxon werden lassen, und nur als Paradoxon kann ich meine Kräfte an Druiden weitergeben.“
„Paradoxon? Was soll das denn sein?“
Nun ist der Moment gekommen, an dem ich ihr erzählen muss, dass mein Wunsch dazu geführt hat, dass ich eigentlich nie geboren worden bin. Meine Mutter und mein Vater haben sich nie näherkennengelernt, weil die Libelle dazwischen ging. Und somit kam es nie zu meiner Empfängnis.
Carmen ist sprachlos, was wirklich äußerst selten vorkommt. Ihr Blick wechselt von Ungläubigkeit, zu Mitleid und weiter zu Trauer, aber sie ist nicht in der Lage, ein Wort zu sagen.
„Ich war bei ihr, doch sie erinnert sich nicht mehr an mich. Wir haben ihr gesagt, wer ich bin, doch in ihrer Vergangenheit hat sie nie ein Kind zur Welt gebracht“, sage ich, schlucke den Kloß in meinem Hals herunter und zwinge mich zu einem Lächeln. „Aber das ist gut, denn somit hat sie auch nicht zehn Jahre im Wachkoma verbracht. Sie ist glücklich, sie lacht viel, hat Freunde, eine Aufgabe und ist sogar verheiratet.“
„Verheiratet? Mit wem denn?“
Ich räuspere mich. „Mit dem Leiter der Libelle, Ebraxas Zaballa.“