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Kapitel 4

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Carmen kann mich überreden, dieses Mal zu einem echten Frisör zu gehen, anstatt meine Haare bei ihr Zuhause im Bad zu färben. Auch wenn ich behaupte, dass meine Probleme mit Chris nicht so gravierend sind, dass sie nach einer Typveränderung schreien, argumentiert Carmen mit dem Zustand meiner spröden Spitzen und den ausgewaschenen roten Strähnen.

„Da muss ein Profi ran, Scarlett. Außerdem kann man auch ohne Beziehungsprobleme ab und zu mal zum Frisör gehen!“, sagt sie und wirft eine meiner trockenen Haarsträhnen hinter meine Schulter. „Aber vorher gehen wir frühstücken und lassen uns die Nägel machen! Und ein neues Outfit würde dir auch nicht schaden! Wir frühstücken am besten bei dem kleinen Bistro am Stadtpark, da soll es super Bagels mit Lachs geben, habe ich gehört.“

Ich schaue auf meine Armbanduhr und ziehe mein Handy aus der Handtasche hervor. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich so viel Zeit habe“, gebe ich zu und öffne mein Mail-Programm, um zu sehen, ob Jason mich bereits versucht hat zu kontaktieren. „Und ich sollte Chris vielleicht besser schreiben, dass ich hier bin und erst gegen Mittag nach Hause komme. Ich habe die Druiden zwar alle abgearbeitet, aber es hieß, dass nochmal so viele von weiter weg unterwegs sind.“

„Scarlett…“, unterbricht Carmen mich, doch ich bin noch so in Gedanken, dass ich es gar nicht richtig mitbekomme.

„Außerdem hat seit Tagen keiner den Anrufbeantworter im Parapsychologen-Büro abgehört. Es könnte sein, dass wir massig neue Fälle haben, von denen wir noch gar nichts wissen. Und eigentlich wollte ich heute noch zu Daniel Stahl, unseren Kontaktmann bei der Polizei. Er muss irgendwie die Fahndung nach Enya einstellen, denn…“

„Scarlett!“, zischt sie ein weiteres Mal meinen Namen und ich verstumme endlich. Als ich sie fragend ansehe, hält sie mir ihre offene Hand hin. „Gib mir dein Handy!“

„Was?“

„Gib mir dein Handy!“

„Wieso? Was willst du damit?“, frage ich und reiche es ihr blauäugig.

Sie nimmt es entgegen und öffnet die Nachrichten-App. „Du wirst dir heute einen Tag freinehmen. Anordnung von Doktor Carmen!“

„Moment, nein! Das geht nicht!“

„Oh doch!“, entgegnet sie und dreht sich mit meinem Handy von mir weg. „Auch paradoxische Mitternachtshexen dürfen sich mal einen Tag freinehmen!“

„Paradoxische was?“, wiederhole ich lachend.

Sie macht eine abwinkende Handbewegung und tippt auf meinem Telefon herum. „Ich schreibe Chris eine Nachricht, damit er sich keine Sorgen macht… Hallo Chris, hier ist Carmen. Scarlett braucht eine kleine Auszeit und wird den Tag heute mit mir verbringen. Ich werde gut auf sie achten und sie dir später wiederbringen. Bis dahin ist sie allerdings nicht zu erreichen, da ich das Telefon nun ausschalten werde. Mit freundlichen Grüßen, Carmen.“

„Nein, das tust du nicht“, sage ich kopfschüttelnd und versuche ihr mein Handy aus der Hand zu nehmen. „Ich habe echt jede Menge zu tun! Außerdem wollte ich noch ins Büro und endlich mit Jason über den Hexenladen sprechen. Er wartet schon eine Ewigkeit darauf!“

„Gesendet!“, verkündet sie und tippt mit der Spitze ihres Zeigefingers auf den Bildschirm. „So, und nun schalte ich es aus und du bekommst es erst in ein paar Stunden zurück.“

Ich stemme die Fäuste in die Hüften und funkle sie böse an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

Sie imitiert meine Haltung. „Oh doch, das ist mein voller Ernst!“, entgegnet sie streng, doch dann lockert sie ihre Haltung wieder. „Scarlett, ich meine es doch nur gut. Ich erkenne dich beinahe nicht wieder! Du bist überarbeitet, das ist ganz offensichtlich. Wann hattest du das letzte Mal einen freien Tag? Sag schon!“

Ich verziehe den Mund und meide ihren Blick. „Keine Ahnung, ich führe kein Buch darüber.“

„Du kannst dich noch nicht einmal daran erinnern! So lange ist das her! Wann durftest du zuletzt einfach nur Mensch sein? Immerhin bist du doch noch menschlich, oder nicht? Und als Mensch hat man doch auch Bedürfnisse! Als Frau sowieso! Ich meine, wann warst du das letzte Mal shoppen? Oder bei der Maniküre? Oder einfach nur im Einkaufscentrum, so wie wir es früher immer gemacht haben?“

Es fällt mir schwer, bei ihren Worten meine protestierende Haltung noch aufrecht zu erhalten. Ich weiß, dass sie Recht hat. Seitdem Elvira damals verschwunden war und ich dahinterkam, dass sie gar kein Reisebüro führt, hat sich mein Leben von Grund auf verändert. Alles dreht sich nur noch um Magie, Übernatürliches und Paranormales. Der ganz normale Alltag bleibt dabei auf der Strecke.

„Du hast ja Recht“, seufze ich ergebend und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Carmen springt in die Höhe. „Juhu! Also gehörst du heute endlich mal wieder ganz allein nur mir!“ Sie hakt sich bei mir unter und zieht mich mit sich in ihr Schlafzimmer. „Zu allererst gehen wir Frühstücken und danach zum Frisör. Dann zur Maniküre und Pediküre, und wenn das erledigt ist, kaufen wir dir neue Schuhe! Richtige Damenschuhe, und nicht diese Bergsteigerstiefel, die du neuerdings immer trägst.“ Sie rümpft die Nase und deutet auf meine Schuhe, während sie sich von ihrem Bademantel und Negligé befreit.

„Das sind hohe Sneakers, Carmen!“, berichtige ich sie lachend, doch sie schüttelt nur mit dem Kopf.

„Und dann kleiden wir dich neu ein, das haben wir schon viel zu lange nicht mehr gemacht. Du trägst ja immer nur noch schwarz. Ich meine, okay, Schwarz ist edel und geht immer, aber es gibt doch auch schickere Sachen, Scarlett, als immer nur Jeans und T-Shirt, oder meinst du nicht?“

Sie reißt die Türen ihres Kleiderschrankes auf und fährt mit den Fingern über die unzähligen Bügel, an denen dutzend Kleider, Blusen und Röcke in Pastellfarben hängen.

„Ich weiß nicht. Diese Hosen sind praktisch, ich kann in den Taschen ´ne Menge unterbringen und muss nicht immer eine Handtasche mit mir herumschleppen.“

Sie winkt ab, zieht ein hellblaues Kleidchen mit violetten Blüten darauf hervor und hält es an ihre perfekt geformte Silhouette. „Du kannst deine Hosentaschen ja behalten, meine Güte! Aber ich bestehe darauf, dass die Bergsteigerstiefel ausgetauscht werden! Ich weiß sowieso nicht, wie du es bei den Temperaturen in diesen Dingern aushältst!“

Ich zucke grinsend mit den Schultern, da jeder Einspruch eh zwecklos wäre. Wenn Carmen sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht sie es auch durch, ganz besonders, wenn es dabei um Schuhe geht.

Sie schlüpft in das Kleid und lässt sich von mir den Reißverschluss am Rücken zumachen. Nach einer Katzenwäsche ist sie auch schon fertig und sieht dabei besser aus als ich, wenn ich Stunden damit zugebracht habe, um mich zurechtzumachen. Sie zieht passende Schuhe zum Kleid aus ihrem mannshohen Schuhregal und schüttet den Inhalt ihrer kleinen Handtasche in ein anderes Exemplar, das perfekt zu den Schuhen passt. Ton in Ton aufeinander abgestimmt besieht sie sich ihre Fingernägel und saugt scharf die Luft ein.

Clementine Peach passt so gar nicht zu diesem Kleid“, schimpft sie und verzieht den Mund. „Zum Glück gehen wir gleich zu Pietro und lassen uns die Nägel machen!“

Grinsend gehe ich hinter ihr her und ziehe ihre Wohnungstür hinter uns zu.

Das Bistro, in das sie mich schleppt, verfügt über ein paar Tische im schattigen Außenbereich. Wir setzen uns unter die sicherlich hundert Jahre alte Kastanie und blicken auf den See im Stadtpark hinaus. In dieser Kulisse wirkt Carmen wie ein lebendig gewordenes Gemälde. Obwohl ich sie schon so lange kenne, muss ich doch immer wieder ihre Schönheit bemerken. Ihr blondes Haar hat durch den nächtlichen Dutt nun breite Wellen, die von einer sanften Brise über ihre Schultern geweht werden. Auf ihrer zarten Stubsnase trägt sie eine perfekt sitzende Sonnenbrille, die vollen Lippen leuchten in einem kühlen Pink und ihr Makeup bringt ihre hohen Wangenknochen zum Strahlen.

Wir bestellen das größte Frühstück, das angeboten wird und dazu eine ganze Kanne frischen Kaffee. Ich lehne mich zurück und schaue auf den See hinaus, auf dem zwei weiße Schwäne und mehrere Entenpärchen ihre morgendlichen Runden drehen. Ein paar Jogger trotten an uns vorbei und nicken uns zu, wobei sie Carmen solange anstarren, dass sie fast vom Weg abkommen und ins Stolpern geraten. Doch Carmen scheint sie gar nicht zu bemerken. Sie erzählt mir von ihren Bemühungen, einen neuen Job zu finden, nun da sie nicht mehr für Bill arbeitet. Sie war schon bei mehreren Bewerbungsgesprächen, doch sie würde am liebsten für eine Frau arbeiten und nicht mehr für einen Mann.

„Weißt du, ich will ja gar nicht sagen, dass jeder männliche Chef sich früher oder später in mich verlieben wird, aber es könnte halt passieren. Chef und Sekretärin verbringen so viel Zeit miteinander, da kommt man sich irgendwann zwangsläufig näher. Und das will ich einfach nicht nochmal erleben, verstehst du?“

Ich nicke und nippe an meinem Kaffee. Es tut irgendwie gut, ihr einfach zuzuhören und mich zur Abwechslung mal mit den Problemen eines anderen zu beschäftigen, anstatt immer nur mit meinen eigenen. „Aber es gibt doch bestimmt auch männliche Chefs, die ihren Ehefrauen treu sind, oder etwa nicht?“

Sie zieht die Sonnenbrille herunter und sieht mich über dessen Rand an. „Sicher gibt es die. Ganz bestimmt sogar. Es ist ja nicht jeder Mann ein fremdgehender Schweinehund. Aber das weiß ich halt im Vorfeld nicht. Und ich will es wirklich nicht darauf ankommen lassen. Ich habe aus der Sache mit Bill gelernt. Verheiratete Männer sind für mich jetzt tabu, genauso wie Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz. Sowas funktioniert einfach nicht.“

Sie erzählt mir, bei welchen Firmen sie sich bereits beworben hat und wie die Bewerbungsgespräche im Einzelnen liefen. Dabei wird mir wieder bewusst, wie froh ich bin, dass ich sowas nicht mehr tun muss. Ich habe diese Bewerbungsgespräche gehasst! Meistens hatte man sich innerhalb der ersten Sekunde bereits ein Bild von mir gemacht, welches ich dann in den folgenden fünfzehn Minuten zu revidieren versuchte, was meistens nicht funktionierte, weshalb es hauptsächlich Absagen hagelte.

Bei Carmen ist das jedoch anders. Wenn sie einen Raum betritt, sei es das Büro ihres Chefs oder einfach nur einen Supermarkt, dann nimmt sie diesen Raum völlig ein. Ihre Präsenz strahlt wie ein heller Stern und alle drehen sich zu ihr um. Sie geht mit einer gewissen Einstellung zum Bewerbungsgespräch, die den Chefs schnell klarmacht, wer hier eigentlich auf dem Prüfstand steht. Zurecht ist sie von ihren Fähigkeiten überzeugt, ohne dabei arrogant oder überheblich zu wirken. Sie sucht sich ihre Arbeitsstelle aus und beendet die meisten Bewerbungsgespräche mit dem Satz: „Sie hören dann von mir.“

Nachdem wir unser Frühstück restlos vertilgt haben, laufen wir Arm in Arm durch den Stadtpark bis rüber zum Einkaufszentrum auf der anderen Seite. Zwischen den umliegenden Bäumen, am Fuße der Büsche und am Seeufer lauern Schatten, die neugierig wimmernd auf uns zukriechen. Ich gebe mein Bestes, mir vor Carmen nichts anmerken zu lassen. Wenn sie sehen würde, was ich sehe, wäre sie mit Sicherheit schon schreiend davongelaufen. Am liebsten würde ich die Schattenwesen verscheuchen, ihnen zurufen, dass sie sich verpissen sollen! Doch ich tue es nicht, da mir bewusst ist, wie ich damit auf Außenstehende wirken würde. Schreie niemals Dinge an, die andere nicht sehen! Eine der ersten und wichtigsten Regeln, wenn man es mit der magischen Welt zu tun hat.

Während des Laufens fällt mir auf, dass einige Schattenwesen sich an Menschen geheftet haben. Da ist zum Beispiel eine Joggerin, die offenbar gar nicht bemerkt, dass ein Schatten sich wie ein Blutegel an ihren Knöchel geheftet hat. Sie joggt unbeirrt weiter und grüßt freundlich, als sie uns passiert. Ich sehe ihr nach und der Schatten scheint mich ebenfalls bemerkt zu haben. Doch im Gegensatz zu den anderen, kriecht er nicht auf mich zu, sondern bleibt am Bein der Joggerin kleben.

„Alles klar?“, will Carmen wissen und zupft an meinem Ärmel. „Kennst du die Frau, oder warum schaust du ihr so hinterher?“

Rasch wende ich den Blick wieder ab. „Ich… Ähm. Nein, ich kenne sie nicht.“

Carmen kichert. „Und warum guckst du ihr dann so hinterher?“

Ich schlucke und suche rasch nach einer Ausrede, die so weit wie möglich von der Wahrheit entfernt ist. „Ihre Haare! Mir gefielen ihre Haare!“

Wir bleiben abrupt stehen und drehen uns um. Beinahe ängstlich schaue ich der Joggerin nach und lenke meinen Blick zum ersten Mal auf ihre Frisur. Erleichtert atme ich auf.

„Das ist perfekt!“, ruft Carmen aus und deutet auf die Frau. „Immer noch lang, aber luftiger und schön durchgestuft! Und was ist mit der Farbe? Willst du auch diesen Aubergine-Ton? Er würde gut zu deinen Augen passen, soviel ist klar!“

Ich nicke einfach nur. Alles ist besser als dieses rausgewachsene, halb verwaschene Irgendwas, das ich jetzt auf meinem Kopf trage.

Equinox

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