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Kapitel 6

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Wir fahren zurück zum Stadtpark, wo wir uns jeder zwei Eiskugeln besorgen und am See entlang schlendern. Mehrere Familien mit kleinen Kindern sind nun auch da und genießen das sonnige Wetter. Enten werden gefüttert, ein paar gelbe Tretboote fahren über die aalglatte Wasseroberfläche und weiter hinten wirft ein Angler seine Rute aus.

„Wann zeigst du es mir endlich?“, drängelt Carmen und hüpft neben mir aufgeregt auf und ab.

„Hier doch nicht! Wir müssen schon ein bisschen in den Wald hineingehen, ich werde es auf keinen Fall hier vor all den Leuten machen!“

„Würden sie es denn mitbekommen? Ist es auffällig, wenn du es machst?“

Ich lege den Kopf schief. „Es würde schon ein wenig Aufmerksamkeit erregen. Ich brauche nämlich die Elemente dafür, also Feuer, Erde, Wasser und Luft. Sowas fällt schon auf. Und du weißt doch sicher noch, wie Bill reagiert hat, als er mein Feuer gesehen hat! Sowas darf mir nicht noch einmal passieren!“

„Hör mir auf mit Bill! Wir hatten so einen schönen Tag und ein Ex pro Tag reicht völlig!“ Sie verdreht die Augen im Kopf und wir beide lachen. Dann wird sie wieder ernster. „Aber du musst mir glauben, ich wusste wirklich nicht, dass der Laden Markus´ Schwester gehört. Auch bei dem Namen bin ich nicht auf die Idee gekommen, dass dieses Esoterik-Hippie-Girl Lisa da etwas mit zu tun hat. Ehrlich nicht!“

„Esoterik-Hippie-Girl?“, wiederhole ich lachend und schüttle mit dem Kopf. „Aber ich mache dir keinen Vorwurf deswegen. Es war doch auch gar kein Problem. Wir sind Markus ja schnell wieder losgeworden.“

Carmen wirft den Kopf in den Nacken. „Oh ja, er hätte auch blind, taub und völlig ignorant sein müssen, um deine ablehnende Haltung ihm gegenüber zu übersehen!“

„War es so schlimm?“

Mit großen Augen nickt sie. „Oh ja, wirklich, Scarlett, es war nicht zu übersehen, dass du absolut keine Lust hattest, viele Worte mit Markus zu sprechen!“

Ich schüttle mit dem Kopf. „Nein, so war das gar nicht. Ich war nur überrascht und nicht auf ihn vorbereitet. Das ist alles.“

„Na klar, sicher!“, sagt sie und zieht die Augenbrauen hoch. „Man ist nie wirklich auf eine Begegnung mit dem Ex vorbereitet, aber so wie du heute aussiehst und wie er dich vorhin angesehen hat, wird er es gerade wahrscheinlich bitter bereuen, dass er sich während eurer Beziehung so rumgehurt hat!“ Sie schnippt mit den Fingern und betrachtet mich anerkennend von oben bis unten.

Grinsend lecke ich an meinem Eis. „Carmen, es ist mir wirklich völlig egal, ob er seine etlichen Seitensprünge nun bereut oder nicht. Ich habe Chris, und Markus vorhin zu sehen, hat mir nur nochmal klar gemacht, wieviel Glück ich doch mit Chris habe.“

Unter meinem Brustbein entsteht wieder dieses heiße Kribbeln, und die Sehnsucht nach meinem Gefährten flammt in mir auf, sodass ich unfreiwillig einen zittrigen Atemzug tue.

Carmen schiebt ihre Sonnenbrille ins Haar und sieht mich mit schiefgelegtem Kopf an. Dann greift sie in ihre Handtasche und zieht mein Handy daraus hervor, um es mir zu reichen. „Deinem sehnsüchtigen Blick nach zu urteilen, ist meine Arbeit hier getan.“

„Wie meinst du das?“, hake ich nach und nehme mein Telefon entgegen.

„Ich wollte nur, dass du mal ein bisschen Abstand bekommst und die Probleme zwischen dir und Chris für einen Moment vergisst. Denn erst mit genügend Abstand kann man solche kleinen Differenzen objektiv betrachten und sie als das erkennen, was sie sind: Kleine Differenzen, nicht mehr und nicht weniger.“

Ich lasse ihre Worte auf mich wirken und nicke schließlich.

„Siehst du, es ist alles halb so wild. Und wenn du heute Abend das Negligé trägst, dann hat er sowieso alles andere vergessen!“, sagt sie lachend und legt den Arm um mich.

In dem kleinen Waldstück am hinteren Ende des Sees finden wir einen kleinen Pfad, dem wir ein Stück hineinfolgen. Hier stehen hohe Buchen und Linden, aber auch ein paar breite Tannen und kniehohe Büsche, die einen guten Sichtschutz für das bieten, was ich Carmen gleich zeigen werde. Sie flucht, als sie sich an einem Brombeerbusch eine Laufmasche in ihre Strumpfhose zieht und schlingt den wallenden Rock ihres Kleides um ihre Oberschenkel. Dann endlich habe ich eine passende Stelle gefunden und setze mich im Schneidersitz auf den Waldboden.

Geschockt blickt Carmen auf mich herunter. „Soll ich mich etwa auch… Nein! Ich setze mich nicht auf diesen Boden! Da ist Dreck und Erde und Käfer! Igitt!“

„Alles gut, du kannst stehenbleiben und aufpassen, dass uns keiner sieht“, sage ich und sehe sofort die Beruhigung in ihrer Mimik. „Sei leise, und sag mir sofort, wenn sich jemand nähert, okay?“

„Okay“, flüstert sie aufgeregt und blickt das Waldstück ab. „Alles in Butter, du kannst anfangen!“

Ich nicke und schließe die Augen. Das Element Luft ist als erstes da und wirbelt wie ein aufgeregter, spielfreudiger Welpe durch das Dickicht des schmalen Waldstücks.

„Scheiße! Bist du das? Machst du den Wind, oder ist das ein Zufall?“

„Psst.“ Ich unterdrücke ein Grinsen und gebe mir Mühe, meine Konzentration beizubehalten.

Als nächstes verbinde ich mich mit der Erde und genieße das Gefühl, mit ihr eins zu werden. Dann falte ich die Hände, lasse das Element Feuer in meinen Handflächen entstehen und drücke sie mit aller Kraft zusammen. Ohne die Augen zu öffnen, weiß ich, dass meine Druidenmagie um mich herum Lianen wachsen lässt, die wie Schlangen über meine Beine kriechen. Auch die Schattenwesen sind nicht weit, ich höre ihr Wimmern und Jaulen ganz in meiner Nähe, genau wie das Klingeln der Elfen und den glockenklaren Singsang einiger weit entfernter Irrlichter. Ich wünschte, Carmen könnte sie hören, doch das bleibt leider nur mir, Chris und Hexenblütern vorbehalten.

„Scheiße, echt jetzt? Ist das normal? Deine Hände brennen, das weißt du hoffentlich, oder?“

„Ja, das weiß ich“, flüstere ich mit noch immer geschlossenen Augen. „Ich muss mich konzentrieren, Carmen.“

„´Tschuldigung. Ich bin ja schon still. Oh man…“

Meine gefalteten Hände kribbeln, als meine Blitze im Innern feuern und so viel Druck aufbauen, wie es mir nur eben möglich ist. Was sonst im Erdinneren vor Millionen von Jahren geschah, ahme ich mithilfe meiner Magie innerhalb weniger Sekunden nach, und das ohne allzu große Anstrengung. Es dauert nur einen kleinen Moment und ich fühle, wie ein kleiner eckiger Stein in meine Handkuhle rollt. Ich bedanke mich bei den Elementen und schicke sie wieder fort. Eine Schweißperle rinnt meine Schläfe entlang, ein winzig kleiner Tribut für die Erschaffung eines Rohdiamanten.

Ich öffne die Augen und schaue zu Carmen hoch. Ihre vollen Lippen formen ein lautloses O, als sie in die Hocke sackt und mich ungläubig ansieht.

„Das… Das war ja der Hammer! Dieser Wind, und dann wurde es heiß und kalt zugleich, und dann diese Blitze! Ich dachte erst, du verarscht mich, dass das irgendein Trick ist, aber es war keiner! Das war ja…. Unglaublich!“

Stolz öffne ich meine Hand und präsentiere meiner besten Freundin den Rohdiamanten, der gerade eben in meinen Händen durch meine eigene Magie entstanden ist.

Sie schaut auf meine Handfläche und nimmt den gläsern wirkenden Stein mit zwei Fingern heraus. „Was… Was ist das? Woher…“

„Du wolltest wissen, woher ich das ganze Geld habe. Das ist die Antwort.“

Ihr Blick gleitet vom Stein zu mir und wieder zum Stein. Sie hält ihn hoch in die Sonne und als glitzernde Regenbögen über ihr Gesicht schillern, lässt sie sich doch tatsächlich auf den Waldboden plumpsen und gibt ein beeindrucktes Keuchen von sich.

„Das ist… Das… Das ist ein Diamant, nicht wahr? Ein echter Diamant! Ungeschliffen natürlich, aber auf jeden Fall echt, das erkenne ja sogar ich!“

„Ja, ein Rohdiamant“, bestätige ich. „Ich habe sie beim Juwelier untersuchen und schätzen lassen. Sie sind so echt wie jeder andere Diamant auch, man kann keinen Unterschied erkennen. Ich habe jede Menge davon erschaffen und sie verkauft. Davon konnte ich Elviras Wohnung und das alte Reisebüro kaufen und es blieb noch genug übrig, dass wir gut davon leben können, auch wenn es mit dem Parapsychologenbüro mal nicht so gut laufen sollte.“

Noch immer schielt Carmen gegen die Sonne und dreht den Diamanten dabei in ihren Fingern, sodass wild tanzende Regenbogen unser kleines Plätzchen im Waldstück erhellen. „Das ist ja unglaublich, Scarlett. Ich meine, ich wusste ja von dem Feuer aus deinen Händen und wie praktisch das ist, um eine Lasagne wiederaufzuwärmen. Aber das hier ist eine ganz andere Hausnummer!“

„Ja, ich weiß. Es ist selbst für mich noch immer unglaublich.“

Sie senkt den Arm mit dem Stein, sieht mich mit Funkeln in den Augen an und legt ihre Beine zum Schneidersitz zurecht. „Was kannst du noch?“

Wie ein aufgeregtes Kind sitzt sie vor mir und ich muss lachen. „Was willst du sehen?“

„Alles!“, ruft sie aus, zuckt danach zusammen und sieht sich nach unerwünschten Zuschauern um. „Alles, ich will alles sehen! Zeig mir noch mehr!“

Ich lasse vor ihren Augen aus Efeuranken einen kleinen Korb mit Tragegriff entstehen, lasse Wasserkugeln aus dem moosigen Waldboden aufsteigen, forme winzige Feuerbälle, die ich wie brennende Murmeln auf meiner Handfläche kullern lasse und bringe die Erde unter uns zum Beben. Ich beschwöre das Element Luft und lasse Carmen darauf emporsteigen. Kichernd und giggelnd schwebt sie einen halben Meter über dem Boden, bevor ich sie sanft wieder absetze.

Erst als sich der Himmel zuzieht und es zu nieseln beginnt, treten wir unseren Rückweg an. Sie ist absolut fasziniert von meiner Magie und stellt mir hunderte Fragen. Ich versuche ihr zu erklären, wie Elfen aussehen, was Irrlichter tun, was die dunklen von den hellen Geistwesen unterscheidet und was der Unterschied zwischen Trollen und Gnomen ist. Es ist, als hätte ich die Tür zu einer neuen Welt für sie aufgestoßen, durch die sie zuvor immer nur mal einen kurzen Blick durchs Schlüsselloch gewagt hätte.

Während der Rückfahrt kullert der magisch kreierte Korb über die Rückbank und der Diamant liegt im Münzfach ihrer Mittelkonsole, während die Scheibenwischer auf höchster Stufe gegen den plötzlich auftretenden Regenschauer ankämpfen. Einen Moment lang denke ich, dass der Regen vielleicht meine Schuld ist, entweder wegen meiner Anrufung der Elemente vorhin, oder meiner Gefühlslage, doch letztendlich bin ich mir sicher, dass ich nichts mit dem Unwetter zu tun habe und es einfach nur ein Zufall ist.

„Könntest du auch das Wetter manipulieren? Ich meine, könntest du machen, dass es aufhört zu regnen? Ginge das? Ist das möglich?“, will sie wissen und formt ihre Augen zu Schlitzen, um durch die herunterfallenden Wassermassen zu blinzeln.

„Theoretisch schon, aber das habe ich noch nie gemacht. Allerdings passiert es wohl mal, dass ich aus Versehen Blitz und Donner am Himmel heraufbeschwöre, wenn ich wütend bin. Aber das bekomme ich so langsam in den Griff.“

„Echt? Also wenn es blitzt und donnert, dann warst du das?“

„Nicht jedes Mal! Aber manchmal schon.“

„Ist ja der Hammer!“, staunt sie und konzentriert sich weiter auf die Fahrt, sodass ich etwas Zeit habe, um Chris eine Nachricht zu schreiben.

Ein wenig verdutzt erkenne ich, dass er Carmens Nachricht zwar gelesen, aber nicht darauf reagiert hat. Ich schreibe ein paar kurze Zeilen und bitte Carmen, mich noch kurz beim Supermarkt abzusetzen, da ich noch ein paar Einkäufe erledigen möchte.

Nach dem Einkauf setzt sie mich mit meinen Einkaufstüten beladen am Waldrand ab, kurz vor der magischen Barriere, die alle menschlichen Besucher aussperrt. Ich danke ihr für die Ablenkung, die Ratschläge und den besonderen Tag und verabschiede mich.

Sobald ich die magische Grenze überschritten habe, fange ich an zu rennen, wie ich es nur dank meiner magischen Gene tun kann. Trotzdem bin ich klitschnass, als ich beim Haus ankomme. Ich trete durch die Haustür, stelle die nassen Taschen auf der Fußmatte ab und rufe nach Chris.

„Chris? Bist du da? Ich bin wieder zuhause!“, rufe ich und schäle mich aus meinen durchnässten Klamotten. „Chris! Wo bist du?“

Als ich keine Antwort erhalte, schaue ich auf mein Handy. Meine Nachricht von vorhin hat er noch nicht gelesen. Ich hoffe, dass er sie früh genug liest, damit meine ganze Arbeit nicht umsonst sein wird.

Nur in Unterwäsche bekleidet und mit meinen nassen Klamotten und den vollen Einkaufstüten beladen, stapfe ich die Treppe nach oben und springe kurz unter die Dusche, um mich aufzuwärmen. Danach schlüpfe ich in mein neues Unterwäscheset aus violetter Seide mit schwarzem Spitzenbesatz, ziehe die schwarze Jeggings und die senfgelbe Bluse an und steige in die neuen Stiefelletten, bevor ich wieder nach unten gehe und mich an die Arbeit mache.

Noch einmal schaue ich auf meinen Chatverlauf mit Chris.

Versöhnungsdinner, heute Abend, 18 Uhr in unserer Küche. Ich liebe dich!

Noch immer nicht gelesen.

Equinox

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