Читать книгу Equinox - Stefanie Purle - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеDer gesamte Vormittag geht für unser Beauty-Programm drauf, das nach Carmens Aussage die offizielle Behandlung gegen Liebeskummer jeglicher Art ist. Sie hat zwar gerade keine Beziehung und auch keinen Liebeskummer mehr, aber sie zieht ihr Programm trotzdem vorbeugend durch. Ich denke zwar jede Minute an Chris, aber ich muss zugeben, dass es mir unendlich guttut, mich einfach nur mal mit so banalen Fragen zu beschäftigen wie „Welcher Nagellack passt am besten zu meiner neuen Haarfarbe?“ Es ist eine Wohltat, einfach nur etwas für mich zu tun, was zur Abwechslung mal keine Katastrophen in der magischen Welt nach sich zieht. So profane Dinge wie Haareschneiden, Nägel lackieren und eine Gesichtsmaske aufgetragen zu bekommen, sind keine Zeitverschwendung, auch wenn die meisten in meiner Branche das wahrscheinlich denken mögen. Ich bin immer noch ein Mensch und vor allem eine Frau. Ich will Zeit mit meiner besten Freundin verbringen, mich um unwichtige Dinge kümmern und an ihrem rein menschlichen Leben teilhaben. Wie sehr mir das in der letzten Zeit gefehlt hat, merke ich erst jetzt.
Mit frisch gefärbten und kürzeren Haaren, dazu passend lackierten Finger- und Zehennägeln in „Aubergine Passion“ und einer Gesichtshaut, die noch nie zuvor so porentief rein war, fühle ich mich richtig frisch, erholt und von Kopf bis Fuß verwöhnt.
„Du siehst fantastisch aus!“, sagt Carmen zum wiederholten Male und fuchtelt mit ihren Fingern in meinem Haar herum. „In der Sonne kommt die Farbe so richtig gut zur Geltung! Und die Länge ist perfekt! Du kannst noch immer einen Zopf machen, aber wenn du die Haare offen trägst, wirken sie jetzt viel lebendiger.“ Sie nimmt eine meiner Strähnen, hält sie zwischen ihren Fingern und zieht die Stirn kraus. „Aber ich verstehe nicht, warum diese weißen Strähnen überhaupt keine Farbe annehmen. Wie ist das möglich? Sie haben doch wirklich alles versucht!“
Ich zucke mit den Schultern. „Ist doch nicht so schlimm. Ich mag die weißen Strähnen.“
Einen Moment mustert sie mich, dann kommt sie einen Schritt näher und flüstert. „Das hat was mit deiner Arbeit zu tun, oder? War es nicht so?“
„Hmm-Hmm“, murmle ich nickend. „Wenn man ein dunkles Wesen tötet, bekommt man diese Strähnen.“
Sie tritt zurück und schlägt die Hand vor den Mund. Ihre Fingernägel haben nun denselben Blauton wie ihr Kleid. „Bei Chris auch? Und bei Elvira?“
Mit einem Grinsen auf den Lippen nicke ich. „Daher kommen diese weißen Strähnen“, gebe ich stolz zu und muss an Chris´ von weißen Haaren durchzogene Mähne denken, sowie an den grau-melierten Bob meiner Tante.
„Oh man, oh man… Dann pass aber bitte auf, dass ich niemals so ein dunkles Wesen auf dem Gewissen habe, okay?“
„Das sollte dich im Ernstfall aber nicht davon abhalten, ein dunkles Wesen zu töten, sollte es dir nach dem Leben trachten!“, bemerke ich lachend.
Sie hebt die Hände und schüttelt mit dem Kopf. „Nein, das mach ich nicht! Dafür habe ich ja schließlich dich! Weißt du außerdem, wie schrecklich ich mit weißen Haaren aussehen würde? Nein, das kommt absolut nicht in Frage!“
Lachend suchen wir uns einen Platz beim chinesischen Restaurant im Einkaufszentrum und bestellen etwas von der Mittagskarte, bevor wir weiter zu Carmens letztem Punkt auf der Tagesordnung kommen: Mir ein neues Outfit zu besorgen.
Sie schwört auf den neuen Laden, der im oberen Stockwerk letzte Woche seine Neueröffnung gefeiert hat. Angeblich führen sie auch Kleidung in Übergrößen und haben eine besonders gute Auswahl an feiner Unterwäsche und Seidenhemdchen. Laut Carmen zieht eine Frau von Welt im Bett niemals etwas mit Baumwollanteil an, außer sie ist über neunzig und Single!
„Wir kaufen dir ein verführerisches Seidenhemdchen mit dem du Chris heute Nacht zu Kreuze kriechen lässt“, sagt sie, greift nach meiner Hand und zerrt mich lachend auf die Rolltreppe. „Wenn er dich dann darin sieht, wird er nie wieder von deiner Seite weichen und schon gar nicht wutschnaubend in den Wald rennen! Er wird sich mit Herzchen in den Augen auf dich werfen und zur Entschuldigung deine Füße küssen!“
Ich lasse mich von Carmens Enthusiasmus anstecken und fühle mich in unsere Schulzeit zurückversetzt, wo wir regelmäßig dieses Einkaufszentrum unsicher gemacht haben. Für kurze Momente gelingt es mir sogar, die lauernden Schatten zu ignorieren und einfach nur Ich zu sein.
Der neue Laden im Obergeschoss namens Melisa ist einer von diesen hippen Designerläden, die wahnsinnig teure Sachen führen, die fast alle so unglaublich schön sind, dass ich mich kaum entscheiden kann. Und Carmen hatte recht, es gibt sogar einen großen Bereich, in dem Sachen in Übergrößen angeboten werden. Aufgeregt springt sie von einem Ständer zum nächsten und schiebt klackernd die Bügel daran hin und her.
Was von allen anderen Kunden jedoch unbemerkt bleibt, ist die bleierne Schwere, die in der Luft liegt und die Finsternis, die sich hier über alles gelegt hat. Auch die unzähligen Lampen und die bunten Klamotten und Dekorationen können darüber nicht hinwegtäuschen, dass das Böse in den Ecken lauert. Für mich fühlt es sich an, als würde ich beobachtet werden: Ein leises Kribbeln im Nacken, das die Urinstinkte kitzelt. Die feinen Härchen auf meinen Armen stellen sich auf und ich schaue mich suchend nach der unsichtbaren Bedrohung um.
„Hier, schau mal!“ Carmen nimmt eine smaragdgrüne Seidenbluse herunter und hält sie vor meine Brust. „Die Farbe passt super zu deinen neuen Haaren. Und dazu dann noch eine Skinny Jeans in schwarz und diese Schuhe in dem cognacfarbenen Leder! Oh, und dieses Tuch hier! Das wäre der Hammer!“
Sie stapelt die Kleidung auf meinen Armen und schiebt mich zur Umkleidekabine. Ich bin ebenso überrumpelt wie froh über ihre Beratung, da mir durchaus bewusst ist, dass mein Modegeschmack zu wünschen übriglässt. Ich ziehe mich normalerweise zweckmäßig an und neuerdings vorzugshalber in schwarz, da ich mich so in der Dunkelheit besser tarnen kann. Aber diese edlen Stoffe in diesen schönen Farben gefallen mir und ich denke, ich kann ruhig mal etwas Neues wagen. Außerdem lenkt ihre Shoppingberatung mich an meinem ersten freien Tag seit langem von dem unguten Gefühl ab, das mich bereits beim Betreten des Ladens befiel.
Carmen bringt mir immer wieder neue Teile in die Umkleidekabine und eines ist schöner als das andere. Schlussendlich entscheide ich mich für eine senfgelbe Seidenbluse mit smaragdgrünem Blattmuster, eine schwarze Jeggings und halbhohe Stiefelletten aus dunkelgrünem Samt.
„Das passt perfekt!“, sagt Carmen und strahlt übers ganze Gesicht. „Du siehst fantastisch aus!“
Es macht fast den Eindruck, dass es ihr noch mehr Freude bereitet als mir, mich neu einzukleiden.
„Dem kann ich nur zustimmen“, sagt eine dunkle Männerstimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt.
Ich drehe mich zu der Stimme um und zucke unwillkürlich zusammen. „Markus“, hauche ich und höre mich dabei zu Tode erschrocken an. Dabei hatte ich nur nicht damit gerechnet, ihn hier und heute zu sehen.
„Scarlett“, flötet er meinen Namen und lässt seine perlweißen Zähne aufblitzen. „Lange nicht gesehen. Du siehst umwerfend aus. Wie geht es dir?“
Ich schlucke und tausche einen vielsagenden Blick mit Carmen aus. Seit unserer Trennung vor rund zwei Jahren habe ich Markus nicht mehr wiedergesehen und weiß irgendwie nicht so recht, was ich zu ihm sagen soll. Mir geht’s gut, ich bin jetzt halb Hexe, halb Druidin und die Reinkarnation einer Urhexe, seit neustem. Außerdem bin ich mit einem Mannwolf liiert, aber der ist jetzt vielleicht ein Werwolf, weil ich einen Zauber angewendet habe, der uns von den Toten auferstehen ließ. Ach, und die Narbe auf meiner Wange, die du gerade krampfhaft versuchst nicht anzustarren – nicht sonderlich erfolgreich, nebenbei bemerkt – stammt von meinem Vater, als er versuchte mich zu töten. Aber ansonsten ist alles beim Alten. Und bei dir? Was macht die Arbeit?
Carmen, die meinen stillen Hilferuf offensichtlich telepathisch empfangen hat, tritt an meine Seite und legt den Arm um meine Taille. „Das sieht man doch wohl, es geht ihr blendend! Besser denn je!“
Ich nicke und gebe mir Mühe, nicht allzu dümmlich zu grinsen. „Ja, genau. Das stimmt.“
„Das freut mich zu hören“, sagt er noch immer lächelnd und steckt die Hände in die Hosentaschen seiner maßgeschneiderten, dunkelblauen Anzughose. „Ich finde es toll, dass ihr den Laden meiner Schwester unterstützt. Sie hatte ein wenig Bammel vor der Eröffnung, aber ich habe ihr versichert, dass es selbst in unserem kleinen Ort genügend Frauen mit Stil gibt, die solch exquisite Ware zu schätzen wissen.“ Er unterbricht sich selbst für ein kehliges Lachen. „Und wie man sieht, habe ich Recht behalten.“
„Das ist der Laden deiner Schwester?“, hakt Carmen ungläubig nach und schenkt mir danach einen entschuldigenden Blick. „Das wusste ich gar nicht.“
„Ja, ja. Sie hat ihn zusammen mit ihrer Partnerin eröffnet. Ich wollte eigentlich zusammen mit ihr zu Mittag essen, doch sie hat leider zu viel zu tun und keine Zeit für eine Pause, was zwar bedauerlich, aber irgendwie ja auch ein Segen ist, da das bedeutet, dass die Geschäfte gut laufen, nicht wahr?“
Er lacht und Carmen und ich stimmen aus reiner Höflichkeit mit ein.
„Ich wusste gar nicht, dass deine Schwester sich so für Mode interessiert“, spreche ich meine Verwunderung laut aus, da sie in meiner Erinnerung eher der Typ vegane Feministin, Umweltaktivistin und Esoterikerin war.
Meine Bemerkung scheint ihn ein wenig aus dem Konzept zu bringen, denn er senkt den Blick und kratzt sich mit einem schiefen Grinsen am Kopf. „Ja, sie hatte damals so eine spezielle Phase, aber die ist nun vorbei. Sie hat zwar immer noch ihre Prinzipien, aber seitdem sie mit Melanie zusammen ist, ist es nicht mehr ganz so extrem.“
„Daher auch der Name! Melisa, Melanie und Lisa!“, erkennt Carmen. „Ist ja süß!“
Wieder wirkt Markus ein wenig verlegen und zuckt mit den Schultern. „Ja, genau. Sie schweben halt noch immer auf Wolke Sieben, die beiden.“
Sein Blick bohrt sich in meinen als wollte er mir irgendetwas sagen. Ein unangenehmes Gefühl überkommt mich und ich schaue auf meine Füße, die noch immer in den grünen Samtstiefeletten stecken. „Ich sollte mich wohl besser wieder umziehen und die Sachen bezahlen, schätze ich“, versuche ich dieses gezwungene Gespräch zu beenden und nicke Markus mit einem schmalen Lächeln zu.
„Ja, natürlich, ich wollte euch auch gar nicht bei eurem Shoppingtrip stören, aber ich musste dich einfach ansprechen, Scarlett“, sagt er und streckt die Hand nach mir aus, doch da verschwinde ich schon hinter dem Vorhang der Kabine.
„Kein Problem, man sieht sich!“, rufe ich aus dem Inneren heraus und schlage kopfschüttelnd die Hände vor mein Gesicht.
Ich höre, wie Carmen resigniert seufzt und sich von Markus verabschiedet, der offensichtlich gehofft hatte, mit ihr noch ein wenig Schwatzen zu können, doch sie lässt ihn eiskalt abblitzen.
Rasch schlüpfe ich wieder in meine eigenen Klamotten und trage die Sachen, die ich kaufen möchte auf meinem Unterarm hinaus.
„Was war das denn, Scarlett?“, zischt Carmen, die vor der Kabine auf mich gewartet hat. „Was war denn gerade los mit dir?“
Ich winke ab und gebe ihr zu verstehen, dass ich jetzt nicht darüber reden will.
Wir bezahlen und verlassen mit mehreren Tüten beladen das Einkaufszentrum. Erst als wir im Wagen sitzen und die Einkäufe im Kofferraum von Carmens Auto verstaut haben, spreche ich die Situation mit Markus wieder an.
„Weißt du, es ist irgendwie schwer für mich, Menschen aus meiner Vergangenheit wiederzusehen. Ich weiß nie, was ich sagen soll, wenn sie mich fragen, was ich in den letzten Wochen und Monaten erlebt habe. Schließlich kann ich ihnen ja nicht die Wahrheit sagen, denn dann würden sie mich für verrückt erklären!“
Carmen presst die Lippen zusammen und zieht die Augenbrauen hoch. „Warum sagst du nicht einfach, dass du den Laden deiner Tante übernommen hast und es fantastisch bei dir läuft, weswegen du auch in solchen Designerläden einkaufen kannst als gäbe es kein Morgen!“ Sie wirft die Hände in die Luft, soweit das im Inneren ihres Wagens möglich ist. „Außerdem bist du seit über einem Jahr in einer festen Beziehung und ihr wohnt sogar zusammen! Das könntest du erzählen! Die Einzelheiten gehen doch niemanden etwas an!“
Ich seufze und starre auf die Betonwand der Tiefgarage. „Dann würde Markus jetzt denken, dass ich ein Reisebüro führe, was ich definitiv nicht tue! Und dass man im Reisebüro nicht so viel verdient, dass man sich ständig diese teuren Designerklamotten leisten kann, sollte auch jedem klar sein.“
„Wen interessierts?! Das geht doch niemandem etwas an, wie du an wieviel Geld auch immer gekommen bist!“ Einen Moment hält sie inne und sieht mich so lange von der Seite an, bis ich ihren Blick erwidere. „Aber jetzt mal im Ernst, du verdienst offenbar als Parapsychologin verdammt gut, oder?“
Sie deutet mit dem Daumen auf den Kofferraum, wo Klamotten im vierstelligen Wert lagern.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Von meinem Gehalt als Parapsychologin habe ich das nicht bezahlt. Aber wenn du willst, dann kann ich dir zeigen, wie ich an das Geld gekommen bin.“