Читать книгу Falsches Spiel in Brodersby - Stefanie Ross - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеElisabeth Schönfeld, die von allen »Liz« genannt wurde, überflog die E-Mail ein zweites Mal und hatte nach wie vor keine Idee, wie sie mit der Bitte von Jo umgehen sollte. Manchmal könnte sie alle Männer erschießen. Und mit Jan und Jo würde sie beginnen. Erst glaubte der Bengel, sie würde nicht bemerken, dass er heimlich seine Lena geheiratet hatte, und nun zog Jo sie noch in seinen ureigenen Familienkonflikt rein. Hatte der Dösbaddel denn vergessen, dass Andrea für sie arbeitete? Er hätte es verdient, dass sie die Mail einfach an Andrea weiterleitete und auf das drohende Gewitter wartete!
Als hätte sie Andrea herbeigerufen, stürmte ihre einzige Mitarbeiterin in Liz’ Büro und hielt triumphierend einen Vertrag hoch. »Unterschrieben! Ohne zu handeln!«
Liz vergaß für einen Moment Jos Anfrage und starrte Andrea an. Der Resthof direkt an der Ostsee war in jeder Hinsicht renovierungsbedürftig und dennoch hatte der Hamburger Besitzer einen siebenstelligen Betrag gefordert – und anscheinend bekommen. Damit hatte sie nicht gerechnet und deswegen Andrea den Besichtigungstermin überlassen.
»Nicht im Ernst! Was hast du mit dem Kerl gemacht? Der ist doch nicht normal …«
»Finde ich auch, aber wollen wir uns deswegen wirklich beschweren? Unsere Courtage kann sich ja sehen lassen.« Andrea runzelte die Stirn und hockte sich auf die Schreibtischkante. »Andererseits gebe ich dir recht. Mir war der Typ total unsympathisch und ich verstehe nicht, dass er nicht versucht hat, den Preis zu drücken. Es war so, als wäre der Hof sein größter Herzenswunsch überhaupt. Aber mal ehrlich, da musst du mindestens eine halbe Million reinstecken und selbst dann …« Sie hob die Arme und ließ sie wieder fallen. »Das Grundstück ist zwar absolut abgelegen, aber durch die umliegenden Felder wird es richtig laut, wenn Ernte oder Düngezeit ist.«
Liz klappte ihr Notebook zu. »Egal, warum er den Hof gekauft hat. Wir gehen das jetzt feiern!« Sie tippte auf ihren Computer. »Außerdem kann ich dir da erklären, was gerade für ein Auftrag reingeschneit ist. Spätestens dann wirst du einen Drink brauchen …«
Sie liefen durch die Fußgängerzone zu der schmalen Gasse hinter der Kirche.
»Und hier ist Jan runtergefahren?«, überlegte Liz laut und betrachtete die ausgetretenen Treppenstufen, die zum Hafen führten.
»Hör bloß auf«, erwiderte Andrea. »Aber da fällt mir noch was zu unserem Verkauf ein …«
Eine ältere Dame kam ihnen entgegen und verhinderte, dass Andrea weitersprach. Sie grüßten freundlich und unterhielten sich kurz über das wechselhafte Wetter, ehe sie weitergingen.
Außerhalb der Saison waren nur wenige Restaurants und Kneipen am Hafen geöffnet. Liz und Andrea hatten jedoch herausgefunden, dass eine gutbürgerliche Kneipe auch hervorragende Cocktails anbot. An die rustikale Einrichtung, die überwiegend aus maritimer Deko bestand, hatten sie sich inzwischen gewöhnt. Jan und Jörg waren ebenfalls öfter hier, weil sie die riesigen Schnitzel schätzten, die kaum auf den Teller passten.
Andrea sah nachdenklich auf die Uhr.
Liz erriet ihre Überlegung und winkte ab. »Bis wir nach Hause fahren, ist die Wirkung des Alkohols verflogen und wir müssen das unbedingt ordentlich feiern.«
»Stimmt. Also das Übliche. Sonst soll Jörg uns eben abholen.«
Liz zeigte ihr das Daumen-hoch-Zeichen. »Sehr gute Idee. Ich habe ganz vergessen, dass er seinen alten Urlaub nimmt.«
Andrea bestellte zwei Aperol Spritz bei dem Kellner, der sie kannte. »Schalte bitte mal den Chefinmodus aus.«
Liz nickte bereitwillig. »Erledigt.«
»Gut. Denn du weißt, wie gerne ich mit dir und für dich arbeite. Es ist wirklich keine Beschwerde, aber trotzdem ein ziemlicher Albtraum, wenn der Mann Urlaub hat und die Frau nicht. Er langweilt sich …« Andrea seufzte übertrieben.
Liz lachte und dachte an ihren eigenen Lebensgefährten. Felix hatte Leberkrebs, allerdings die Prognose seiner Ärzte schon um Jahre übertroffen. Dennoch war seine Gesundheit ein ständiges Wechselbad. Mal war er fit wie ein gesunder Mann, dann wieder müde und depressiv. »Ich verstehe dich so gut. Es gibt Tage, da schmollt Felix regelrecht, wenn ich ins Büro fahre. Dabei nimmst du mir ja nun wirklich viel ab und ich komme mir vor, als würde ich Teilzeit arbeiten. Genau deswegen will ich auch …« Sie verstummte, da ihre Getränke serviert wurden. Erst nachdem sie sich zugeprostet hatten, nahm Liz das Thema wieder auf. »So, dann arbeiten wir mal die Punkte ab, wegen der wir hier sitzen. Du machst weit mehr als eine reine Assistenz, der heutige Verkauf ist der beste Beweis dafür und deswegen hast du dir einen Bonus verdient. Die Courtage von dem Resthof bekommst du.« Sie hob warnend eine Hand, als Andrea nach Luft schnappte. »Diskutier gar nicht erst mit mir. Wann immer es Felix schlecht geht, springst du klaglos ein und schmeißt den Laden alleine.«
»Das ist doch selbstverständlich. Außerdem sind wir …« Andrea schwieg sichtlich verlegen und traute sich offenbar nicht weiterzusprechen.
Impulsiv griff Liz nach ihrer Hand. »Ganz genau. Wir sind nicht nur Kollegen, sondern ich betrachte dich auch als Freundin.«
Andrea strahlte förmlich und Liz rief sich innerlich zur Ordnung. Sie sollte das wirklich öfter betonen, denn schließlich wusste sie, wie unsicher und verletzlich Andrea hinter ihrer toughen Fassade war. Ihr Mann Michael, der beste Freund von Jan, war in Afghanistan getötet worden. Als alleinerziehende Mutter eines Teenagers hatte sie es nicht leicht gehabt, sich unwissentlich auf unsaubere Geschäfte eingelassen und erst seit einigen Monaten in Brodersby ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Dass sie mit Jörg sogar einen neuen Mann gefunden hatte, der sie und ihre Tochter glücklich machte, war sozusagen das Sahnehäubchen.
Liz atmete tief durch. Wenn nicht jetzt, wann dann? »Gerade als Freundin möchte ich dir etwas sagen oder eher raten. Oder was auch immer. Eigentlich ist es eine Einmischung in dein Leben, aber ich finde, als Freundin darf ich das.«
Sichtlich irritiert blinzelte Andrea und pustete sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht. »Na, da bin ich ja mal gespannt …«
Liz wurde einen Moment abgelenkt, weil Scheinwerfer am Fenster vorbeihuschten. Sie würde sich nie daran gewöhnen, wie früh es in den Wintermonaten dunkel wurde. Der Wagen, der ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, rangierte nun rückwärts. Für einen Moment erkannte Liz einen Mann, der an dem Restaurant vorbeiging, stehen blieb und sie durch das Fenster hindurch direkt anblickte.
»Das glaube ich nicht«, sagte sie mehr zu sich selbst und stand auf. Sie wäre auch ohne Jacke nach draußen gegangen, um ihn zu begrüßen, doch da ging der Mann einfach auf den Wagen zu, als hätte er sie nicht bemerkt, was definitiv nicht der Fall war.
»Das wird ja immer verrückter.« Sie zwängte sich am Tisch vorbei, um aus dem Fenster zu sehen. Für einen Augenblick erhaschte sie noch einen Blick auf den Mann, der in den Wagen einstieg. Im schwachen Schein der Innenbeleuchtung erkannte sie nun auch den Fahrer. Das war Paul Winkler, der merkwürdige Kerl, der den viel zu teuren Resthof gekauft hatte.
Fassungslos starrte sie noch in die Dunkelheit, als der Wagen längst weg war.
»Ich brauche was Stärkeres«, murmelte sie.
Ihrem Stammkellner Bernie war ihre Erschütterung nicht verborgen geblieben. »Du bist ja ganz blass um die Nase. Ich bringe euch mal einen ordentlichen Schnaps aus unserem Geheimvorrat. Der geht aufs Haus.«
»Danke«, japste Liz, kehrte zurück zu ihrem Platz und ließ sich schwer auf ihren Stuhl fallen. »Das glaubst du mir alles nicht«, wiederholte sie.
»Lass mich das beurteilen, wenn ich weiß, worum es geht«, erwiderte Andrea besorgt.
»Da draußen stand Walter, der Vater von Jan. Und der ist in den Wagen von deinem Kunden gestiegen. Paul Winkler.«
Ausgerechnet in diesem Moment stand Bernie bereits wieder an ihrem Tisch und hatte Liz’ Erklärung mit angehört. »Der Fastgast im Trenchcoat ist der Vater von unserem Landarzt? Na, das ist ja mal ein Ding. Jemand namens Winkler hatte übrigens einen ruhigen Tisch für zwei Personen reserviert. Das hat sich wohl erledigt.«
Liz wunderte sich eine Sekunde, dass Bernie von »unserem« Landarzt sprach, dann fiel ihr ein, dass er in Brodersby wohnte.
Bernie stellte die beiden beschlagenen Gläser neben die Cocktails. »Das ist ein ganz feiner Obstbrand von Hinnark, den gibt’s nur für besondere Gäste.« Unaufgefordert setzte er sich an den Tisch. »Und nun erzähl mal. Was ist denn das mit Jan und seinem Vater?«
Liz würde ganz bestimmt nicht Jans Lebensgeschichte ausbreiten, aber da auch Andrea sie neugierig ansah, kam sie um eine gewisse Erklärung nicht herum. »Sie haben seit Jahren keinen Kontakt mehr. Ich weiß nicht einmal, ob Walter überhaupt weiß, dass sein Sohn in der Nähe praktiziert.«
Andrea hob ihr Glas. »Danke, Bernie. Auf die beste Kneipe in Kappeln. Und was diese vertrackte Vater-Sohn-Sache angeht, werden wir ja in den nächsten Tagen sehen, was da läuft. Ich dachte bis eben, dass Jans Eltern beide tot wären. Er hat nie über seinen alten Herrn gesprochen.«
Und das aus gutem Grund, doch das behielt Liz lieber für sich. Sie hob ihr Glas ebenfalls und stürzte den Obstbrand herunter. Leider half ihr auch der köstliche Alkohol nicht, eine logische Verbindung zwischen Paul Winkler und Walter Storm herzustellen. Und diese Unwissenheit war nichts gegen das schlechte Gefühl, das sie plötzlich befiel.
Da sie es nicht bei einem Cocktail belassen hatten, schlenderten Liz und Andrea gut eine Stunde später Richtung Klappbrücke, um sich dort von Jörg aufsammeln zu lassen.
»Wolltest du nicht noch was wegen eines neuen Auftrags mit mir besprechen?«, erkundigte sich Andrea plötzlich.
Liz musste erst überlegen, dann erinnerte sie sich an die E-Mail von Jo. »Stimmt. Das habe ich bei dem Durcheinander ganz vergessen.« Sie blieb stehen und sah auf die dunkle Wasseroberfläche der Schlei hinaus. Außer einem direkten Vorgehen fiel ihr nichts ein. »Du weißt ja, dass ich mich eigentlich nicht in dein Privatleben einmischen würde.« Das leise Schnauben von Andrea überhörte sie geflissentlich. »Also jedenfalls nicht mehr, als eine gute Freundin es eben tun muss. Warum zahlt ihr Miete für eine Wohnung, wenn ihr bei Jo und Helga viel mehr Platz für viel weniger Geld haben könntet?«
Andrea atmete tief durch. »Na, das nenne ich mal ein Thema.«
Sie schwieg einige Sekunden, und Liz befürchtete schon, dass sie zu weit gegangen war.
»Ich mag Jo und Helga«, fuhr Andrea schließlich fort. »Und das Gebäude ist groß genug, um sich nicht zu sehr auf die Pelle zu rücken. Und es wäre schöner für Jörg, wenn er immer sofort vor Ort ist, wenn die beiden Hilfe gebrauchen könnten. Gerade weil Jörg ja ab und zu in Kiel schläft und seine Wohnung dort wegen seines Jobs nicht aufgeben kann. Dafür ist die Entfernung mit gut fünfzig Minuten Fahrtzeit einfach zu groß.«
»Er hatte sich doch ein kleineres Apartment gesucht, oder?«, hakte Liz nach.
»Ja, er meinte, dass drei Zimmer Schwachsinn seien, wenn er ja sonst mit mir und Ida zusammenlebt. Ihm reicht ein Zimmer, weil das für ihn eine reine Übernachtungsmöglichkeit und ein Aufbewahrungsplatz ist.«
»Dann verstehe ich umso weniger, dass ihr nicht die Miete für die Wohnung in Brodersby spart.«
»Es geht mir nicht um jetzt, sondern um später. Was ist, wenn wir uns dort richtig gut einleben und Jo und Helga passiert was? Wir haben einfach nicht genug Geld, um die Erben auszubezahlen und …«
Liz konnte nicht anders, als laut loszulachen. Im Licht einer Laterne erkannte sie Andreas beleidigte Miene und beeilte sich, ihr den Heiterkeitsausbruch zu erklären. »Entschuldige bitte. Aber hast du mit Jörg mal darüber gesprochen?«
»Na sicher. Also nicht direkt. Eher so indirekt.« Sie hob die Schultern. »Eigentlich nicht. Er geht auch davon aus, dass Jos leibliche Kinder den Hof erben. Deswegen habe ich den Punkt nicht weiterverfolgt. Nur so witzig finde ich das nicht!«
»Ich schon!« Liz hielt Andrea ihr Smartphone hin, nachdem sie die E-Mail von Jo aufgerufen hatte. »Hier lies mal, was für einen Vertrag du morgen früh aufsetzen sollst.«
Andrea reichten wenige Sekunden. »Na, das ist ja ein Ding!«
»Jo«, bestätigte Liz auf typisch norddeutsche Art und brachte Andrea damit zum Lachen.
»So ein Mist, dass wir schon Jörg angerufen haben, jetzt würde ich dir gerne noch einen Prosecco ausgeben! Ida wird vor Freude an die Decke hüpfen …« Andrea lächelte flüchtig. »Hoffe ich jedenfalls, denn damit wird der Weg zu ihrem geliebten Jonas einen Tick weiter. Teenager sind mit ihren Prioritäten ja manchmal unberechenbar.«
»Den Prosecco holen wir morgen in der Mittagspause nach. Da vorne kommt dein Jörg schon.«
Liz hatte sich geirrt. Nicht Jörgs Passat stoppte neben ihnen, sondern Jans Audi.
Jörg ließ auf der Beifahrerseite das Fenster herunter. »Mögt ihr noch ein Glas trinken? Wir müssen noch rasch was im Polizeirevier erledigen.«
Liz und Andrea prusteten gleichzeitig los.
Jan und Jörg wechselten einen irritierten Blick. Beunruhigt durch Jans ernste Miene wurde Liz schnell wieder ernst. »Klar warten wir auf euch. Was ist denn passiert?«
»Ein Todesfall in Schönhagen. Wir müssen nur schnell das Protokoll unterschreiben, weil wir vor Notarzt und Polizei bei dem Mann gewesen sind. Eigentlich hätte das Zeit bis morgen gehabt, aber weil ich euch ja abholen sollte, wollten wir das gleich mit erledigen.«
Wieso musste Liz ausgerechnet jetzt an Paul Winkler und Jans Vater denken? Sie schüttelte den Kopf und nickte schnell, als Jan sie fragend ansah. »Fahrt ruhig los. Wir gehen zurück und trinken den Prosecco, den wir morgen trinken wollten.«
»Gibt’s denn was zu feiern?«, erkundigte sich Jörg.
Andrea strahlte ihn an. »Und ob. Einen überaus großzügigen Bonus und unseren bevorstehenden Umzug!«
Liz merkte Jörg an, dass er kein Wort verstand, doch das konnten sie später klären. Im Moment musste sie erst einmal verhindern, dass Andrea aus Versehen das Auftauchen von Walter Storm ansprach. Ehe sie sich nicht sicher war, dass er den Kontakt zu Jan suchen würde, wollte sie nicht, dass ihr Patenkind von der Anwesenheit erfuhr. Er hatte in der Vergangenheit genug unter dem kalten Verhalten seines Vaters gelitten.
***
Auf der Rückfahrt nach Brodersby schaffte Jan es, das Gespräch zwischen Andrea und Jörg auszublenden. Er freute sich mit den beiden, dass sie auf den Resthof ziehen und ihn irgendwann später übernehmen würden, doch da das geklärt war, beschäftigte ihn ein anderer Punkt viel mehr.
Der Polizist in Kappeln hatte bereits eine Rückmeldung aus der Rechtsmedizin erhalten. Der Mann, ein vierundzwanzigjähriger Russe, war tatsächlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an einer Phosphorvergiftung gestorben. Wie konnte das sein? Und wer hatte ihn zum Sterben vor dem Feuerwehrhaus abgelegt? Es wäre logisch, wenn es eine Verbindung zu dem verletzten Mädchen gab, das Bernstein und Phosphor verwechselt hatte. Aber wie sollte die aussehen? Wenigstens lenkten ihn die offenen Fragen ein wenig von seiner Sorge um Lena ab.
Erst nachdem er Jörg und Andrea bei Jo rausgelassen hatte, fiel ihm auf, dass seine Tante auffallend schweigsam war. So kannte er sie nicht – schon gar nicht, wenn sie mit einer Freundin den einen oder anderen Drink genommen hatte.
»Geht’s dir nicht gut? Oder ist was mit Felix?«, erkundigte er sich besorgt, während er zu dem Haus fuhr, in dem sie mit ihrem Lebensgefährten wohnte.
»Nee. Ich muss da nur über ein paar Dinge nachdenken, die nicht zusammenpassen. Dieser Resthof zwischen Brodersby und Damp hätte niemals für so viel Geld weggehen dürfen. Ich verstehe das nicht und glaube das erst, wenn der Notar den Vertrag mit seinem Siegel verziert hat.«
»Aber ihr habt trotzdem schon gefeiert?«
»Na klar, die Courtage ist fällig, da der Typ den Vorvertrag unterschrieben hat. Steht so eindeutig im Kleingedruckten.«
»Wie wäre es, wenn du dich einfach freust, dass du jemanden gefunden hast, der dumm genug ist, so viel Geld auszugeben?«
»Guter Vorschlag, der könnte fast von mir sein.«
Jan stoppte vor dem Gebäude und schaltete den Motor aus. »Ich komme kurz mit rein. Ich will noch mit Felix reden.«
»Über seine Chemo?«
Die Sorge war seiner Tante anzumerken. Nachdem Felix zunächst als austherapiert gegolten hatte, würden seine aktuellen Werte eine erneute Behandlung rechtfertigen. Felix hatte sich bisher nicht überwinden können, eine entsprechende Therapie zu beginnen, und auch Jan war sich nicht sicher, ob dies ein sinnvoller Weg für seinen Freund war.
»Nein. Da warte ich, bis er sich entschieden hat, und mische mich nicht ein. Jo hatte ihn gebeten, sich etwas anzusehen. Du weißt doch, wie viel Spaß ihm die Recherchen machen, wenn wir einer Sache auf der Spur sind.«
Über das Wagendach hinweg sah seine Tante ihn an. »Und das seid ihr?«
»Nicht so richtig, nur ein bisschen«, wiegelte er ab.
»Und ich dachte, du wirst etwas ruhiger, wo du bald Vater wirst.«
Obwohl sie nicht direkt vorwurfsvoll geklungen hatte, fühlte er sich angegriffen.
»Wir machen doch überhaupt nichts. Jedenfalls nicht mehr, als jeder interessierte Bewohner von Brodersby unternehmen würde. Ich möchte es eben wissen, wenn plötzlich das Risiko besteht, dass regelmäßig Phosphor am Strand zu finden ist. Falls du dich erinnerst, unser Haus liegt direkt an der Ostsee. Möchtest du, dass unser Kind am Strand damit in Berührung kommt?«
Jan fluchte innerlich, das hatte entschieden zu aggressiv geklungen. Wie hieß es noch? Wer sich verteidigte, klagte sich an … Verdammt. Jedes weitere Wort würde ihn nur tiefer reinreiten, sodass er sich einfach abwandte und zur Haustür ging.
Felix öffnete ihm und Rambo, die kleine Promenadenmischung seines Freundes, sprang kläffend an ihm hoch. Erst nach einigen Krauleinheiten beruhigte sich der Hund.
Felix sah ratlos zwischen Liz und Jan hin und her. »Habt ihr Stress?«
»Ja«, sagte Liz, während Jan »Nein« antwortete.
Über Felix’ verdutzte Miene musste Jan lachen und sein Ärger verflog. »Liz hat mich angemacht, weil wir angeblich schon wieder ermitteln – und das, obwohl Nachwuchs unterwegs ist.«
Mit Felix hatte Jan offen darüber geredet, dass er sich fragte, ob er ein guter Vater wäre, sodass sein Freund sofort verstand, warum er so empfindlich reagierte.
Felix winkte ab. »Das würde ja voraussetzen, dass es schon einen Anhaltspunkt für Ermittlungen geben würde, und der ist noch weit und breit nicht in Sicht. Nun setzt euch mal ins Wohnzimmer, dann halte ich euch einen kleinen Vortrag über Phosphor in der Ostsee.«
Liz hob den Kopf höher. »Das interessiert mich nicht. Ich drehe eine Runde mit den Hunden, während ihr euch wieder in Dinge einmischt, die euch nichts angehen.«
Dass Liz ihren weißen Pudelmischling Leila vom Kissen förmlich hochzerrte, verriet ihre Stimmung. Jan zog es vor abzuwarten, bis seine Tante und die Hunde verschwunden waren. Erst als die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, ließ er sich im Wohnzimmer in einen der gemütlichen Sessel sinken.
»Wenn ich nicht noch fahren müsste, wäre ich reif für einen Whisky«, sagte er und stöhnte übertrieben laut.
»Ach was, einer geht schon.«
»Na gut, ein kleiner«, gab Jan nach.
Felix schenkte ihm einen ordentlichen Schluck Talisker ein und blieb selbst bei seinem Kräutertee.
»Wie geht es dir?«, erkundigte sich Jan vorsichtig, da sein Freund diese Nachfragen nicht besonders schätzte.
»Ganz gut, wieder etwas müde. Ansonsten gibt’s keine Verbesserung, aber auch keine Verschlechterung.«
Die sich anbietende Frage nach der Chemotherapie verkniff sich Jan und erntete ein dankbares Lächeln.
»Danke, dass du nicht wegen der Chemo fragst. Die Antwort habe ich nämlich immer noch nicht.«
»Ich kann mich da nur wiederholen: Höre auf dein Bauchgefühl!«
»Mache ich. Und nun hörst du erst einmal zu. Es war ein Kinderspiel, an Informationen über Phosphor in der Ostsee zu kommen, weil es netterweise eine Website der Landesregierung gibt, auf der alle wesentlichen Informationen zusammengefasst sind. Und deshalb kann ich dir sagen, dass da was nicht stimmt. Bisher gab’s Funde in der Kieler Förde und oben bei Lütjenburg, immer nach einem ordentlichen Sturm. Die letzten Tage waren grau, aber windstill. Wie soll da der Mist gelöst und angespült werden? So funktioniert das nicht. Das ist mal sicher.«
Seufzend nippte Jan an seinem Whisky. Genau das hatte er vermutet, hätte jedoch auf eine Bestätigung verzichten können.
Felix sah ihn nachdenklich an. »Da ist ja noch der junge Mann. Jo hat mir alles erzählt. Wenn du mich fragst, war das einer der Taucher, die das Giftzeug bergen wollten. Dabei ist irgendetwas schiefgegangen, sodass er das Zeug eingeatmet hat. Und ein weiterer Teil hat sich gelöst und wurde angeschwemmt und …« Er breitete die Arme aus. »Keine Ahnung, warum jemand das tun sollte.«
Fantasie hatte Felix jedenfalls. Auch wenn die Schlussfolgerung logisch war, ergab sie keinen Sinn. Was wollte man mit den alten Kampfmitteln? Allein die sachgerechte Lagerung würde ein Problem werden.
»Du meinst, so’n bisschen was überlässt du Jörg und mir?«, fragte Jan grinsend nach.
»Genau. Das ist die ideale Ablenkung für dich. Ich merke doch, dass du von Tag zu Tag nervöser wirst. Und deshalb noch mal ganz deutlich: Es gibt so viele Geburten in Deutschland! Statistisch passiert nichts. Und du wirst ein toller Vater sein. Denk nur daran, wie Ida dich vergöttert. Also hör auf, dir so viele Gedanken zu machen.«
Jan verzichtete auf eine Erwiderung und prostete ihm stumm zu.