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Sven ließ seine schwarze Yamaha vor Alex’ Haus ausrollen, nahm Sonnenbrille und Helm ab und fuhr sich durch die verschwitzten Haare. Wenigstens hatte er sich gegen die Lederhose und für seine alte, ausgeblichene Jeans entschieden, sonst wäre er vermutlich schon geschmolzen. Trotz der frühen Abendstunden lagen die Temperaturen deutlich über zwanzig Grad.

Ehe er klingeln konnte, wurde die Haustür geöffnet und Britta stand vor ihm. Sein Ärger über die ergebnislosen Ermittlungen verflog sofort.

»Bei dem Lärm kannst du dir das Klingeln sparen. Komm rein.«

Entschuldigend hob Sven die Schultern. »Der Auspuff. Erst reichte die Zeit nie und mittlerweile habe ich mich an den Sound gewöhnt. Ich hoffe, ich habe keins der Kinder geweckt.«

»Ach was. Wenn die schlafen, schlafen sie.«

Wenige Minuten später hatte er Alex begrüßt und Britta mit den geliehenen Motorradsachen geholfen. Als sich die Freundinnen verabschiedeten, als würden sie sich für Wochen trennen, verkniff er sich einen Kommentar, aber sein Gesichtsausdruck verriet ihn.

Alex blitzte ihn an. »Das verstehst du nicht, und jetzt sieh zu, dass ihr loskommt.«

»An mir soll es nicht liegen. Ich …«

Lächelnd fasste Britta nach seiner Hand. »Lass. Ihr könnt ein anderes Mal die Klingen wetzen. Wenn wir jetzt nicht losfahren, überlege ich es mir anders.«

»Und du bist wirklich sicher, dass das eine gute Idee ist?« Britta sah vom Motor zum Auspuff mit den Rostspuren und schließlich zu Sven. Dann deutete sie auf die Sitzbank. »Da soll ich mich draufsetzen?«

»Nun ja, stehen wäre ungünstig.« Er konnte ein Lachen nicht länger unterdrücken. »Nun komm schon, es wird dir gefallen. Nimm den Rucksack und dann hoch mit dir.«

»Vielleicht sollte ich lieber erst Alex und dann dich umbringen.«

Es musste sich um weibliche Logik handeln, dass ihre Freundin mitschuldig war, weil sie ihr Jacke und Helm lieh. »Hast du es dir überlegt?«

»Nein.« Sie kletterte auf die Sitzbank.

»Halt dich fest. Einfach jede Bewegung mitmachen. Keine Angst, wir kippen nicht um.«

Statt direkt in Ahrensburg auf die A1 zu fahren oder sich auf der B75 von Ampel zu Ampel zu quälen, wählte Sven eine längere, aber landschaftlich reizvollere Strecke. Die Straße von Ahrensburg nach Hammoor erinnerte an eine Allee. Abgeerntete Maisfelder erstreckten sich hinter den Bäumen, die den Straßenrand säumten. Britta folgte in den lang gezogenen Kurven automatisch jeder Bewegung der Maschine. Auch als Sven ausscherte, um einen penetrant stinkenden LKW zu überholen, blieb sie entspannt. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie viel ihm daran lag, dass sie seine Leidenschaft fürs Motorradfahren verstand und mit ihm teilte. Nach den erfolglosen Ermittlungen im Fall Kranz wurde der Tag deutlich besser.

Beim Kreuz Bargteheide fuhr er auf die A1. Innerhalb weniger Sekunden beschleunigte die Maschine auf über 140 km/h, und Britta schmiegte sich noch enger an ihn. Kurz vor der Abfahrt Pansdorf spürten sie die Nähe des Meeres. Die Luft war salziger und am Himmel kreisten erste Möwen.

Sven verließ die Autobahn und fuhr durch Scharbeutz, bis die Straße nach Timmendorf, die nur durch den Strand von der Ostsee getrennt wurde, vor ihnen lag. Auf dem Seitenstreifen, der gleichzeitig als Parkplatz diente, hielt Sven und deutete auf die tiefblaue, beinahe spiegelglatte Oberfläche. »Ziel erreicht.«

Britta stieg ab, musste sich aber an der Sitzbank festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Rasch klappte Sven den Seitenständer aus und hielt sie am Arm fest. »Alles in Ordnung mit dir?«

Unwillig winkte Britta ab und kämpfte mit dem Verschluss ihres Helms. »Natürlich, ich war nur nicht mehr dran gewöhnt, festen Boden unter den Füßen zu haben.«

Ihre geröteten Wangen und der zerzauste Pferdeschwanz brachten ihn zum Schmunzeln.

»Fürs erste Mal hast du dich gut gehalten.«

Unauffällig beobachtete er sie aus den Augenwinkeln und musste grinsen, als sie empört die Hände in die Taille stemmte.

»So schwer ist es nun auch nicht, auf so einem Ding zu sitzen. Hier, verstau das. Vielleicht hat dein Ding ja einen gut versteckten Kofferraum.«

Sie drückte ihm den Helm in die Hand und ging auf den Sandweg zu, der durch die mit Strandhafer bewachsenen Dünen ans Meer führte. Ding? Er musste ihr eindeutig Respekt vor seinem Motorrad beibringen. In Rekordzeit befestigte er die Helme am Motorrad und folgte ihr.

»Hey, warte gefälligst auf mich.« Als er sie erreicht hatte, legte er ihr einen Arm um die Schulter. »Eindeutig Fluchtgefahr.«

Abrupt blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. Ihr Gesicht landete an seiner Jacke und die Versuchung wurde übermächtig. Sanft strich er mit den Lippen über ihr Haar.

»Na komm, Mädchen, lass uns einfach den Abend genießen.«

»Mädchen? Du kommst vielleicht auf Ideen.« Aber wirklichen Widerspruch gegen das Kosewort konnte er ihrer Stimme nicht entnehmen, stattdessen stellte sie sich auf Zehenspitzen und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. Schweigend blickten sie aufs Meer.

Ein anderer Motorradfahrer tauschte die Badehose gegen eine Lederkluft und ging mit einem kurzen Gruß an ihnen vorbei.

»Kanntest du den?«

»Nein, aber Motorradfahrer grüßen sich nicht nur während der Fahrt, sondern auch sonst.«

»Ach, deshalb hast du denen während der Fahrt zugewunken.«

»Gewunken? Ich habe nur …« Lächelnd brach er ab, als er das Funkeln in Brittas Augen erkannte. »Ich glaube, statt Mädchen wäre Hexe treffender.«

Sein Handy meldete sich mit einem Vibrieren. Nach einem raschen Blick aufs Display verwies er den Kollegen an die Mailbox. Das konnte warten. Für Matthias hätte er eine Ausnahme gemacht – vielleicht.

Britta hatte ebenfalls ihr Handy aus der Lederjacke gezogen und steckte es sichtlich erleichtert wieder weg.

»Na, geht es auch kurz ohne dich?«

»Natürlich. Ich wollte nur … Schön blöd, oder? Jan ist bei Alex in guten Händen. Aber irgendwie kann man diese Muttergefühle nicht abschalten.«

»Ich weiß. Das ist schon in Ordnung.«

»Wieso verstehst du das so gut? Gehört ein Grundkurs in Babypflege und Mütterpsychologie mittlerweile zur Polizeiausbildung?«

Schweigen breitete sich aus, nur das gelegentliche Schreien der Möwen durchbrach die Stille. Dermaßen schnell hatte er das Thema nicht ansprechen wollen, aber er ahnte Brittas Befürchtungen.

Statt sofort zu antworten, breitete er seine Lederjacke im Sand aus. Britta nahm die Einladung sofort an und setzte sich dicht neben ihn.

Unsicher, wie weit er gehen sollte, spielte er mit einem herumliegenden Stück Holz. Es war zu früh, um über tiefer gehende Gefühle zu sprechen. Gut, er genoss ihre Gegenwart und fühlte sich von ihr angezogen, wenigstens das war sicher, zumal seine Jeans etliche Male eng und verdammt unbequem geworden war, als er sich vorgestellt hatte, mit ihr die Nacht zu verbringen – und zwar nicht auf der Couch.

Matthias Worte klangen ihm im Ohr. Er wäre ein Idiot, wenn er diese Chance leichtfertig vergab, und es war nur fair, wenn Britta von vorneherein wusste, mit wem sie sich einließ.

»Falls du befürchtest, ich würde dir eine Frau oder ein Kind verschweigen, liegst du falsch. Ich …«

Ein schrilles Kläffen unterbrach seinen Erklärungsversuch. Eine kleine Promenadenmischung jagte Möwen hinterher und stürmte an ihnen vorbei. Der Besitzer verstand seinen vernichtenden Blick richtig und rief den Hund zu sich, um ihn an die Leine zu nehmen.

»Sein Glück, der Köter wäre sonst in der Ostsee gelandet.«

»Das glaube ich dir nicht, du hättest dem niedlichen Kerl kein Hundehaar gekrümmt.«

Der Versuch, seinen grimmigen Blick aufrechtzuerhalten, scheiterte kläglich. »Das zeigt, wie wenig du mich kennst, den hätte ich zu Hunde-Frikassee verarbeitet. Apropos kennen. Also weiter im Text.«

»Du musst mir nichts erklären. Jedenfalls nicht heute. Ich mag nur keine Lügen. Davon hatte ich bei meinem Ex-Mann genug.«

»So was würde ich nicht tun. Aber ich finde es nur fair, wenn du deine Antworten bekommst. Ich kenne mich so gut mit Kindern aus, weil ich eine Tochter hatte. Jessie, sie ist nur dreizehn Monate alt geworden.«

Britta schnappte nach Luft. »Was ist passiert? Du musst aber nicht darüber reden.«

»Ist schon in Ordnung. Meine Frau war mit ihr auf dem Weg zum Kinderarzt. Sie hatte grün. Ein Mercedes fuhr ihrem Golf mit überhöhter Geschwindigkeit in die Seite. Sie hatten nicht die geringste Chance. Der Fahrer stand unter Alkohol- und Drogeneinfluss.«

Er war dankbar, dass Britta nichts sagte. Auf Mitleid konnte er verzichten.

»Der Fahrer war Geschäftsführer eines großen Autohauses und kam mit einer lächerlichen Bewährungsstrafe und einer Geldbuße davon. Einmaliger Ausrutscher, perfekter Leumund, treusorgender Familienvater, die richtigen Freunde und so weiter. Mein Leben war innerhalb von Sekunden zerstört, und er führte seins weiter, als ob nichts geschehen wäre.«

Obwohl er sich um einen sachlichen Ton bemühte, konnte Sven Wut und Bitterkeit nicht unterdrücken.

»Ich hätte am liebsten erst ihn und dann mich umgebracht. Aber Matthias war da und hat mir meine Waffe weggenommen. Das war wahrscheinlich das Beste, was er in dem Moment tun konnte. Damals habe ich das allerdings anders gesehen.« Seine Wut verflüchtigte sich, als er sich an die Beharrlichkeit seines Freundes erinnerte. »Ich konnte nicht einfach weitermachen, als ob nichts passiert wäre, sondern brauchte ein neues Ziel, eine neue Aufgabe, etwas, das mich am Leben erhielt. Ich war über fünf Jahre als verdeckter Ermittler im Einsatz und ziemlich erfolgreich. Darum geht es aber nicht, irgendwie will ich dir erklären, dass es neben meinem Job in den letzten Jahren nichts in meinem Leben gab. Deshalb musste wohl erst ein Fall wie der mit Kranz kommen, um mich mit dir zusammenzuführen. Aber ich weiß wirklich nicht, was ich dir bieten kann, selbst zu Matthias habe ich den Kontakt praktisch abgebrochen.«

Himmel, das klang, als ob sie am besten vor ihm fliehen sollte. Verlegen fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und stand auf. »Ich brauche dringend Bewegung.«

Bereitwillig ließ sich Britta hochziehen und legte wie selbstverständlich ihren Arm um seine Taille. Die Geste berührte ihn mehr als alle Worte.

Eng umschlungen gingen sie am Strand entlang. Unerwartet blieb sie stehen und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen.

»Ich hatte mir geschworen, dass mir die nächsten hundert Jahre kein Mann mehr zu nahe kommen wird, aber für dich gilt das nicht. Im Gegenteil, ich bin dem Typen, der auf Kranz geschossen hat, richtig dankbar. Nicht nur, weil der Mistkerl das verdient hat, sondern weil ich dich sonst nicht getroffen hätte. Aber dennoch würde ist sofort auf dich verzichten, wenn du stattdessen den Abend mit deiner Frau und deiner Tochter verbringen könntest.«

Als Antwort beugte sich Sven vor und küsste Britta auf den Mund. Als er sich zurückziehen wollte, umschlang sie seinen Hals und hielt ihn fest.

»Oh nein, so schnell lasse ich dich nicht wieder los«, murmelte sie, den Mund nur Millimeter von seinen Lippen entfernt.

Der Korridor war menschenleer, so dass Dirk ungehemmt gähnte. Lediglich im Büro der Chefbuchhalterin brannte Licht, ansonsten hatte sich um halb sieben morgens noch niemand an seinen Arbeitsplatz verirrt.

Nach seinen Recherchen am PC war an Schlaf nicht zu denken gewesen, und er hatte sich entschieden, schon zur Reederei zu fahren. Vielleicht konnte er früher Schluss machen und die letzten Sonnenstrahlen mit Alex und Tim auf der Terrasse genießen.

Vor einem Bild, das einen Tanker aus der Reedereiflotte im Suezkanal zeigte, blieb er stehen. Die wüstenähnliche Ufergegend erinnerte ihn an seine nächtlichen Stunden im Internet. Dank Alex’ Hilfe hatte er die Umsätze problemlos heruntergeladen, und ein Blick hatte gereicht, um seinen Verdacht zur Gewissheit werden zu lassen. Unterschlagungen waren eine Sache, aber der Gedanke an Al-Qaida als mögliche Hintermänner hatte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen.

Einige Klicks im Internet hatten gereicht, um seine Vorstellung von einer Handvoll fanatischer Extremisten mit Turbanen auf den Köpfen und Gewehren in der Hand zu korrigieren. Die Organisation war ein effizient und professionell geführtes Unternehmen. In letzter Zeit hatten sie unter finanziellen Engpässen gelitten, da einflussreiche Gönner auf Druck der Amerikaner ihre Unterstützung eingestellt hatten. Der bargeldlose Zahlungsverkehr wurde beinahe lückenlos überwacht und Bargeld half nur bedingt weiter, wenn millionenschwere Waffenlieferungen bezahlt oder die Logistik für Unterstützer bereitgehalten werden musste.

Dirk wusste nun zwar, mit wem er es zu tun hatte, aber die Vorstellung, dass er plötzlich mit Terroristen konfrontiert war, löste zwiespältige Gefühle in ihm aus.

Im Flur der Reederei würde er kaum eine Antwort auf seine Überlegungen finden. Er gähnt erneut und ging zu ihrem Büro.

Überrascht blieb er im Türrahmen stehen. Mark war bereits da und ging mit seinem Palm in der Hand im Büro umher.

»Besorgst du Kaffee?«

Was war das denn für eine Begrüßung? Den Blick auf den Palm gerichtet, legte Dirk die Notebooktasche auf den Schreibtisch und schloss mit Nachdruck die Tür.

Während der Kaffee viel zu langsam durch den Filter tropfte, dachte er über den amerikanischen Wirtschaftsprüfer nach. Es war Zeit, ein paar grundsätzliche Dinge zu klären.

Mit zwei Bechern Kaffee kehrte er in das Büro zurück. Mark saß jetzt auf seinem Platz und fragte E-Mails ab.

»Hast du nach Abhörvorrichtungen gesucht?«

»Ja, danke, dass du mitgespielt hast. Der Palm kann die elektronische Strahlung messen, die von einem solchen Gerät ausgehen würde. Es ist alles sauber. Woher kennst du dich damit aus?«

»Tue ich gar nicht, ich habe nur die Bücher von Clancy und Ludlum gelesen, aber nie gedacht, dass ich das jemals live und in Farbe erleben würde. Aber es passt schon, wenn ich an die letzte Nacht denke. Warum hast du das Ding nicht verschwinden lassen? Ich hätte auch jemand sein können, der deine Erklärung nicht so locker wegsteckt. Als Standardausstattung für Revisoren oder Wirtschaftsprüfer geht dein Kasten nicht unbedingt durch.«

Bei Dirks unverblümter Anspielung hoben sich Marks Mundwinkel. »Ich habe gesehen, wie du unten angekommen bist, und es ist hellhörig genug, dass ich dich ohne Schwierigkeiten an deinen Schritten erkenne. Wäre es jemand anders gewesen, hätte er den Palm nicht zu sehen bekommen.«

Eilige Schritte näherten sich dem Büro. »Holger ist das nicht, das höre sogar ich.«

Mark grinste. »Es sei denn, er hat sich heute für hochhackige Schuhe entschieden.«

Die Tür wurde aufgerissen und Carmen Schlichting, die Leiterin der Buchhaltung, stand vor ihnen. »Entschuldigung«, sie fuhr sich mit der Hand an den Mund. »Ich hatte gehofft, sie fangen nicht so früh an. Ich brauche unbedingt einen Ordner, der bei Ihnen ist.«

»Kein Problem. Wo brennt’s denn?« Dirk deutete auf das Sideboard, in dem sie die Firmenunterlagen aufbewahrten.

»Unsere Online-Banking-Software ist abgestürzt, aber ich brauche ganz schnell einen Kontostand. Den bekomme ich zum Glück auch direkt aus dem Internet.«

Schlichting griff sich den Ordner, der den Zugangscode enthielt, und wollte den Raum verlassen. Sie kam nicht weit. In der Tür stand der Geschäftsführer der Reederei, Jürgen Springer.

»Ich glaube nicht, dass sich die Herren für Ihre Probleme interessieren. Es wäre nett, wenn Sie mir endlich die erforderlichen Daten lieferten.«

»Sofort, Herr Springer. Es tut mir leid, wir hatten heute Morgen technische Probleme.«

»Frau Schlichting. Mich interessieren Lösungen, keine Probleme.« Springers Blick wurde unwesentlich freundlicher, als er Dirk und Mark mit einem flüchtigen Blick bedachte. »Meine Herren, einen schönen Tag.«

Als die beiden gegangen waren, atmete Dirk erleichtert auf.

»Cooler Spruch. ›Mich interessieren Lösungen, keine Probleme‹«, äffte er den Geschäftsführer nach. »Ich konnte den arroganten Affen noch nie ausstehen und das dürfte der Beweis gewesen sein, dass er knietief in dem ganzen Sumpf mit drinsteckt.«

»Nun ja, ich habe auch eine gewisse Abneigung gegen Typen mit Gelfrisuren, aber deshalb würdest du ihn wohl kaum verdächtigen. Was habt ihr gestern rausgefunden?«

Bevor Dirk antworten konnte, betrat Holger den Raum. »Was ist denn heute los? Die Damen in der Buchhaltung sehen aus wie sieben Tage Regen und die Chefin ist mir mit verheultem Gesicht entgegengekommen.«

»Ganz einfach, Springer will wissen, ob sein Geld eingetroffen ist. Anscheinend musste er einen Augenblick warten, weil irgendein Computerprogramm nicht läuft.«

Dirk lehnte sich zurück, genoss die gespannte Erwartung auf den Gesichtern seiner Kollegen und trank in aller Ruhe seinen Kaffee aus. Erst als Mark unverkennbar drohend die Augen zusammenkniff, reichte er ihm einen Ausdruck der Umsätze.

»Sieh es dir selbst an: Zweimal im Monat werden dem Konto 500.000 Euro gutgeschrieben. Jeweils am zehnten und am dreiundzwanzigsten, am nächsten Tag ist das Geld dann schon wieder weg. Das läuft seit mindestens sechs Monaten, weiter reicht die Umsatzanzeige leider nicht zurück. Ich finde, es passt zu diesem Kerl, dass er sich sicher genug fühlt, um die Kontoabfrage seinen Angestellten zu überlassen.«

Schweigen breitete sich aus. Mark studierte die Umsätze und Holger grübelte still vor sich hin. Er hatte sich schon gestern gegen ihr Vorhaben ausgesprochen, heute wirkte er geradezu ängstlich. Sein Blick huschte unsicher zwischen Dirk und Mark hin und her.

»Ihr wisst jetzt, dass eure Vermutung stimmt. Das muss reichen. Ich bin Wirtschaftsprüfer und kein Polizist. Wir haben genug in der Hand, um die Sache dem LKA zu überlassen und hier ganz schnell zu verschwinden.«

Holgers Hände zitterten. Der Unterschied zwischen ihm und Mark trat noch stärker als sonst hervor: Holger war klein und rundlich, dazu sichtlich nervös und verunsichert, Mark dagegen schlank, sportlich und reagierte kühl und gelassen auf die Entwicklung.

»Wir haben nicht genug, um vor Gericht zu bestehen, außerdem will ich herausfinden, wo das Geld hingeht. Aber ich verstehe dich. Danke für deine bisherige Hilfe, mach Schluss und genieß das frühe Wochenende.«

»Du willst ernsthaft weitermachen?«

»Ja, und das werde ich jetzt nicht mit dir diskutieren. ›Beweisen‹ ist eben nicht dasselbe wie ›glauben‹. Damit bringt man niemanden in den Knast.«

Holger sah ihn an, als würde er erwarten, dass Dirk seine Meinung änderte. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich hoffe, ihr wisst, was ihr da tut. Sagt nachher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.« Mit einem gemurmelten Abschiedsgruß verließ er den Raum.

»Du bleibst also.«

Mark wirkte kühl, keine Spur mehr von ihrem freundschaftlichen Miteinander.

»Ja.«

Holgers offensichtliche Angst hatte Dirk in seiner Entscheidung bestätigt. Er wollte die Geldquelle der Terroristen zum Versiegen bringen. Mit dem Risiko konnte er leben, und er war ehrlich genug, zuzugeben, dass er die Aufregung und die Spannung genoss.

»Dachte ich mir. Gut.« Ein kurzes Lächeln flog über Marks Gesicht.

Dirk lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Allerdings kann ich mich nicht entscheiden, was ich jetzt machen soll.«

»Wie meinst du das?«

»Eigentlich wollte ich herausbekommen, wo das Geld hingeht, das zweimal im Monat auftaucht und sofort wieder verschwindet, aber jetzt würde mich viel mehr interessieren, was du noch für Überraschungen auf Lager hast. Wenn mich deine Fachkenntnis nicht überzeugt hätte, würde ich bezweifeln, dass du überhaupt Wirtschaftsprüfer bist.«

Mark trank einen Schluck Kaffee. »Ich könnte dich dasselbe fragen. Die Tatsache, dass wir uns vielleicht mit der Al-Qaida anlegen, scheint dich nicht besonders zu beunruhigen. Eine ziemlich untypische Haltung für einen deutschen Wirtschaftsprüfer.«

Dirk hob seinen leeren Kaffeebecher zu einem stummen Gruß. »Aber erfolgreich, und darauf kommt es an, oder?

»Exakt. Also fang mit den Umsätzen an. Der Rest ergibt sich. Ich zapfe die Systeme hier und vielleicht auch die bei der Hamburger Bank an.«

»Vergiss die Bank, an deren Sicherheitssystemen kommst du nicht vorbei und musst es auch nicht. Alex hat da einen Termin und will sich das Konto ansehen.«

»Hoffentlich ist sie vorsichtig. Jemand dort muss mit drinstecken. Nicht, dass sie dem auf die Füße tritt.«

»Du hast recht, ihr Lieblingsverdächtiger ist ihr Ex-Chef. Aber was soll passieren? Sie ist nicht allein mit ihm, sondern bei einem Empfang mit etlichen Leuten.«

Doch Mark wirkte nicht beruhigt und auch Dirk fragte sich, ob das Ganze wirklich eine gute Idee war.

»Eins noch.«

»Was?«

»Eigentlich müsstest du doch besser informiert sein als ich, wenn es um Al-Qaida geht.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Mir haben gestern Nacht einige Artikel der New York Times und der BBC gereicht, um herauszufinden, dass Al-Qaida ein Problem hat, an Geld zu kommen. Wenn wir mit unserem Verdacht richtig liegen, sind die noch gefährlicher als sonst.«

Mark widersprach seiner Schlussfolgerung nicht, und Dirk wusste nicht, ob er seine Ehrlichkeit schätzen oder verfluchen sollte.

Fatale Bilanz

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