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Es war an diesem Morgen bereits Svens dritter Versuch, ein zähes und letztlich überflüssiges Telefonat zu beenden. Gedanklich beschäftigte er sich mit Kranz, während ein Kollege aus Cuxhaven ihm einen Vortrag zum Thema »Zuständigkeiten« hielt und das bei einem abgeschlossenen Fall.

Sven fuhr sich mit der Hand durch die Haare, obwohl er wusste, dass er damit jeden Ansatz einer ordentlichen Frisur zerstörte. Matthias zwinkerte ihm zu, und er musste schmunzeln. Einige Dinge änderten sich nie. Sein Freund hatte ihn schon früher oft wegen dieser Angewohnheit aufgezogen.

Während sich Matthias ihm gegenüber lässig auf einem der Besucherstühle räkelte, blickte sich Sandra neugierig um. Viel zu sehen gab es nicht. Keine Bilder, keine Fotos, keine persönlichen Gegenstände, genau so wollte er es haben, einfach nur ein nüchterner Arbeitsplatz im Behörden-Einheitslook. Der Raum bot ausreichend Platz für einige Wandschränke und zwei Stühle, die auf der anderen Seite des Schreibtisches standen. Einziger Farbfleck war eine halbvertrocknete Pflanze, die auf der Fensterbank ein jämmerliches Dasein fristete, von seinem Bürovorgänger stammte und bisher überraschenderweise überlebt hatte.

Sandra hatte schon erfahren, dass sie am gestrigen Tag nicht untätig gewesen waren, dies aber nach einem warnenden Blick von Matthias nicht kommentiert.

Endlich verabschiedete sich der Kollege. Mit Nachdruck legte Sven den Hörer auf und gratulierte sich zu seiner Geduld. »Ich dachte schon, der kommt nie zu einem Ende.«

»Manche Dinge ändern sich eben nie.« Matthias faltete die Hände vor seinem Bauch und sah aus wie ein Priester, der bereit war, einem Sünder die Beichte abzunehmen.

»Ich hoffe, dein Kommentar bezieht sich auf den Kollegen in Cuxhaven.«

»Ich dachte eher an deine rührende Rücksichtnahme auf Zuständigkeiten und Kompetenzen.«

»Sicher, Matthias. Ich werde den nächsten Täter höflich bitten, Wohnort und Ort des Verbrechens aufeinander abzustimmen, damit es keine Probleme in der Abstimmung der Länderbehörden gibt. Genug davon, kümmern wir uns um Kranz. Ich möchte, dass wir diesen Fall weiterhin zusammen bearbeiten. Vermutlich wollt ihr auch wissen, wer auf euch geschossen hat, oder? Der Polizeipräsident hat beschlossen, dass die weitere Untersuchung in meine Zuständigkeit fällt. Die Mordkommission ist raus, da die Techniker Matthias’ ersten Verdacht bestätigt haben und wir davon ausgehen, dass den Schüssen keine Tötungsabsicht zu Grunde lag.«

»Der Polizeipräsident? Meinst du nicht den Chef des LKA?«, hakte Sandra nach.

Sven hatte keineswegs vor, ihr seine Sonderstellung beim LKA umfassend zu erklären. Es war Zeit für einen kleinen Dämpfer, nachdem sie mitbekommen hatte, wie locker er und Matthias miteinander umgingen und er ihr das kollegiale »Du« angeboten hatte.

»Ich kenne den Unterschied zwischen dem Chef des LKA und dem Polizeipräsidenten. Ich hatte ja schon erwähnt, dass die ›Hamburger Bank‹ bereits in einem meiner anderen Fälle auftaucht. Obwohl ich da derzeit noch keine Verbindung sehe, macht es Sinn, dass bei mir die Fäden zusammenlaufen.« Er zog ein Schreiben aus dem Papierstapel und reichte es Matthias. »Das ist die Zustimmung eures Vorgesetzten zur befristeten Zusammenarbeit mit mir. Wenn ihr lieber zurück zur Trachtentruppe wollt, sagt das.«

Matthias wirkte zufrieden. »Von wegen Trachtentruppe, das habe ich dir gestern schon erklärt. Das meintest du also, mit ›bei Bedarf forderst du Personal an‹. Meinetwegen. Gerne. Ich freue mich darauf, mit meinem alten Partner zusammenzuarbeiten. Was ist mit dir, Sandra?«

Sandra nickte stumm, aber ihre Augen glänzten, und Sven musste sich ein Grinsen verkneifen. Er konnte sich ungefähr vorstellen, wie es war, mehr oder weniger direkt von der Polizeischule zu einem Sondereinsatz fürs LKA abkommandiert zu werden.

»Gut, dann wäre das geklärt. Die Jungs von der KTU haben einiges herausgefunden. Allerdings wirft das mehr neue Fragen auf, als dass es Antworten liefert.«

»Ich habe auch was.« Sandra zog ein Blatt Papier aus ihrer Tasche und sah Sven unsicher an. Erst als er auffordernd nickte, gewann sie ihre Selbstsicherheit zurück. »Die Staatsanwaltschaft muss Kranz schon im Visier gehabt haben. Es wurde eine Abfrage wegen eventueller Vorstrafen gemacht.«

Sven erkannte den Ausdruck einer Protokolldatei. »Geht daraus auch hervor, wer sich mit Kranz befasst hat?«

»Ja, Natascha Berg, Staatsanwältin. Allerdings macht das eingegebene Aktenzeichen keinen Sinn. Das steht nämlich für einen Fall von Schwarzfahrerei.«

»Langsam. Ich verstehe nicht mehr ganz, wer was warum gemacht hat und wo das Problem ist. Welches Aktenzeichen?« Ratlos starrte Matthias auf den Computerausdruck mit den für ihn kryptischen Daten.

»Ich war heute früh bei der Staatsanwaltschaft, um mich zu erkundigen, ob die schon mit Kranz zu tun hatten.«

»Und das erzählen sie dir einfach so?«

Plötzlich interessierte sich Sandra auffallend für den Ausblick aus dem vierten Stock des Polizeipräsidiums. »Ein Bekannter arbeitet in der Abteilung für Information und Kommunikation. Er hat für mich im Computer nachgesehen. Als Frau Berg die Abfrage über Kranz gemacht hat, musste sie angeben, für welchen Fall sie die Infos braucht, und das wird protokolliert, wegen Datenschutz und Datenmissbrauch und so. Aber das Aktenzeichen, das sie als Begründung durchgegeben hat, betrifft einen Asylbewerber aus Ghana, der beim Schwarzfahren erwischt worden ist. Das macht nun wirklich keinen Sinn.«

Während sich Matthias nachdenklich zurücklehnte, tat Sven die Sache mit einem Schulterzucken ab. »Von wegen Datenschutz: So ganz korrekt war die Anfrage bei deinem Bekannten auch nicht. Wahrscheinlich hatte Natascha keine Lust, das richtige Aktenzeichen zu suchen, und hat das erstbeste genommen, das ihr in die Finger fiel. Das habe ich auch schon gemacht. Aber nun verstehe ich ihre Mail. Sie hat mich nämlich gebeten, heute bei ihr vorbeizusehen.«

»Zu dritt macht der Klönschnack viel mehr Spaß. Um den Papierkram kann sich auch Sandra alleine kümmern.«

Matthias hoffnungsvoller Blick ließ Sven kalt. »Vergiss es.«

»Kennt ihr die Staatsanwältin schon länger?«

»Wir hatten schon miteinander zu tun«, wiegelte Sven ab, da Freundschaften zwischen Polizisten und Staatsanwälten eher ungewöhnlich waren und nicht von allen gerne gesehen wurden. Er stand auf. »So, Leute, ich verschwinde Richtung Staatsanwaltschaft. Den Bericht der Techniker könnt ihr euch selbst durchlesen, vor allem die Sache mit der Entfernung, aus der geschossen wurde, ist interessant. Grabt bitte weiter alles Mögliche und Unmögliche über Kranz aus. Aber vergesst nicht, bei Abfragen im Computer immer brav das richtige Aktenzeichen einzugeben.«

Trotz des klimatisierten Büros klebte das Hemd unangenehm feucht auf seinem Rücken. Joachim Kranz presste das Handy fester ans Ohr und wartete nervös auf eine Antwort.

»Sie sollen diese Nummer nur im Notfall anrufen.«

Er weigerte sich, sich von dem kalten Ton einschüchtern zu lassen. »Man hat auf mich geschossen. Das ist für mich ein Notfall.«

Ein kurzes Zögern am anderen Ende der Leitung. »Ich bezweifle, dass dieser Zwischenfall mit unserer geschäftlichen Vereinbarung zusammenhängt.«

»Und wenn doch?«

»Dann kappen wir alle losen Enden, die zu uns führen.«

Bei der leidenschaftslosen Ankündigung zitterte seine Hand, und Kranz beschloss, seine Vermutungen über das Motiv des Anschlages für sich zu behalten. Entschieden verdrängte er die Angst über die unausgesprochene Drohung und konzentrierte sich auf sein Ziel. Er musste seine Geschäftspartner dazu bringen, ihm zu helfen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

»Es kann nur um unsere Geschäfte gehen.« Das war eine glatte Lüge, aber das konnte sein Gesprächspartner nicht ahnen. Kranz zögerte den Bruchteil einer Sekunde. »Die letzte Person, die für uns zu einem Problem zu werden drohte, habe ich allein aus dem Weg geräumt. Jetzt könnte ich Ihre Unterstützung gebrauchen.«

Fehler, das hätte er besser nicht erwähnt. Statt Begeisterungsstürme wegen seiner Selbstständigkeit zu ernten, kühlte die Gesprächsatmosphäre weiter ab, sofern das überhaupt noch möglich war. Nervös nestelte Kranz an der Schreibtischunterlage aus Leder, während er auf die Reaktion wartete.

»Erklären Sie mir das. Ganz genau.«

Das Mobiltelefon drohte aus seinen feuchten Händen zu rutschen. Kurz erwog er, sich zu weigern. Er ahnte dumpf, dass seine nächsten Worte für eine ehemalige Mitarbeiterin nicht ohne Folgen bleiben würden. Dann siegten seine Angst und die Hoffnung, seine Partner für eigene Zwecke einspannen zu können.

Die Bürotür stand offen. Natascha Berg las konzentriert in einer Akte, ließ dabei einen Bleistift durch ihre Finger wandern und hatte die Füße auf dem Papierkorb abgelegt. Mit einem leichten Klopfen gegen den Türrahmen kündigte Sven seine Ankunft an.

»Komm rein.« Natascha deutete auf einen Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch stand, und setzte sich gerade hin.

»Störe ich? Du hattest keine genaue Zeit angegeben.«

»Schon in Ordnung. Lass es uns schnell erledigen.« Seufzend strich sie sich die rotbraunen Locken aus dem Gesicht. Den kühlen Blick aus ihren grünen Augen kannte Sven bisher nur aus dem Gerichtssaal, wenn sie Angeklagte ins Kreuzverhör nahm.

Vor dem Fenster kam die Sonne hinter einer Wolke hervor und tauchte den Raum in ein grelles Licht. Geblendet kniff Natascha mit einer gemurmelten Beschwerde die Augen zusammen.

Rasch durchquerte Sven das Büro und ließ das Rollo herunter. »Besser?«

»Ja, danke.«

In einem Versuch, die Stimmung zu lockern, wies Sven auf einige Fotos an der Wand, die dem Büro Farbe und Persönlichkeit verliehen. »Die drei kenne ich noch nicht. Von deiner Südafrika-Reise?«

»Ja. Nach fünf Monaten habe ich die Fotos doch noch sortiert. Die sind aus dem Krüger-Nationalpark und von der Küste.« Endlich zog ein Lächeln über ihr Gesicht. »Das Land ist genial.«

»Du kannst so viele Neue aufhängen, wie du willst, aber bitte lass ihn hängen.« Er zeigte auf das Bild eines einsamen Bisons, der mitten auf einer Straße im Yellowstone Nationalpark in der untergehenden Sonne stand. Natascha hatte schon häufiger amüsante Anekdoten von einer USA-Reise erzählt, die sie nach dem Ende ihres Studiums zusammen mit einer Freundin unternommen hatte.

»Damit wären wir beim Thema.«

Sie wollte mit ihm über einen Bison reden?

»Schließ bitte die Tür. Die Kollegen müssen nicht jedes Wort mitbekommen, wenn es um persönliche Dinge geht.«

Persönlich? Er erfüllte ihr den Wunsch und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen.

»Du interessierst dich also für Britta.«

Zunehmend besorgt suchte er im Gesicht der Staatsanwältin nach einer Erklärung für das absonderliche Verhalten, fand aber nur ein schelmisches Lächeln. »Ich kenne keine Britta. Ich bin wegen deiner Mail hier und weil ich mich bei der Gelegenheit nach einem Namen erkundigen wollte.«

»Dir geht es um Kranz, oder?« Mit einer für sie ungewohnt nervösen Handbewegung stieß Natascha ihr leeres Glas um, das daraufhin in seine Richtung rollte.

Das wurde immer verrückter. Er fing das Glas auf und beugte sich vor, um es auf den ursprünglichen Platz zu stellen. Mitten in der Bewegung verharrte er, als sein Blick auf das Foto fiel, das in einem schlichten, hellen Holzrahmen direkt neben dem Monitor stand.

»Das glaube ich nicht.«

Eine blonde Frau hielt ein lachendes Baby auf dem Arm. Schlagartig wurde ihm klar, warum sich die Staatsanwältin ungewohnt distanziert verhielt, und ihre Andeutungen bekamen einen Sinn.

»Das ist Alexandra Groß. Sie ist die Freundin, mit der du in Amerika warst.«

»Glückwunsch, Herr Kommissar. Damit hast du wieder einmal deine Kombinationsgabe bewiesen. Ich wäre zu gerne dabei gewesen, als ihr aufeinander losgegangen seid. Alex hat das Foto mit dem Bison gemacht hat, von dem du so schwärmst. Ihr Sohn Tim ist mein Patenkind und sie ist seit über dreißig Jahren meine beste Freundin. Genauer gesagt, seitdem sie meine Sandburg zerstört hat und ich ihr dafür einen Eimer Wasser über den Kopf gekippt habe.«

»Deine Abfrage wegen Kranz?«

»Keine offiziellen Ermittlungen, nur ein Freundschaftsdienst. Sie wollte wissen, ob etwas in Verbindung mit Betäubungsmitteln gegen ihn vorliegt, da sie in der Richtung einen vagen Verdacht hatte. Seine Akte ist sauber, aber nach ihren Schilderungen vermute ich, dass er regelmäßig Drogen konsumiert. Woher weißt du davon? Willst du jetzt wegen Datenmissbrauchs gegen mich ermitteln? «

»Quatsch.« Sven erinnerte sich, dass Matthias eine ähnliche Vermutung über einen möglichen Drogenkonsum geäußert hatte. »Auch wenn sie deine Freundin ist, kann ich nicht ausschließen, dass sie direkt oder indirekt für die Schüsse auf Kranz verantwortlich ist.«

Ein spöttisches Lächeln blitzte bei Natascha auf. Mist, er hatte vergessen, dass sie sich im Polizeijargon bestens auskannte.

»Du meinst, weil sie bisher eure einzige Tatverdächtige ist.«

»Wir stehen noch am Anfang der Ermittlungen.«

»Ich übersetze das gerne: Ihr habt keinen blassen Schimmer, was hinter dieser ganzen Geschichte steckt. Aber ich helfe dir gern. Selbst wenn Alex ein Gewehr oder entsprechende Kontakte zur Unterwelt hätte, würde so eine Tat nicht zu ihr passen. Auch wenn du es nicht gerade gerne hörst: Ihr seid euch vom Charakter her ziemlich ähnlich.« Nataschas Lächeln wurde boshaft. »Vermutlich bin ich deshalb mit euch beiden befreundet. Schüsse aus dem Hinterhalt kann ich mir bei keinem von euch vorstellen. Damit ist eure Liste der Tatverdächtigen meiner Meinung nach auf null zusammengeschrumpft und ich kann dir nur eins raten. Du solltest dich in Ruhe, also wirklich in Ruhe, mit Alex unterhalten. Ich streite nicht ab, dass sie allen Grund gehabt hätte, dem Typen eine zu knallen. Aber nicht so. Sie hätte das direkt von Angesicht zu Angesicht erledigt. Rede mit ihr, überzeuge dich selbst und dann kann sie dir helfen, den Tätern auf die Spur zu kommen. Sie kennt den Kerl sehr gut.«

»Meinetwegen, dann werde ich mich mit deiner Alex unterhalten und zwar in Ruhe.« Die letzten Worte betonte er überdeutlich.

»Wie wäre es heute am späten Nachmittag bei ihr? Vielleicht schaffe ich es auch vorbeizukommen und sorge dafür, dass ihr euch nicht gegenseitig die Köpfe einschlagt. Oder wenn es zu spät ist, verteile ich Pflaster. Außerdem könntest du Glück haben und Britta kommt auch.« Nataschas Augen glitzerten vor Vergnügen.

Sven spürte, dass sich seine Wangen langsam rot färbten. Bei Britta musste es sich um die Freundin von Alex Groß handeln. Trotz der Sticheleien war er froh, dass er nun den Namen der Frau kannte, die ihm seit mehr als vierundzwanzig Stunden nicht aus dem Kopf ging.

»Ihr spinnt alle ganz schön. Ich habe mit ihr keine drei Worte gewechselt.«

»Ja, aber laut einer glaubwürdigen Zeugenaussage hat es dabei heftig gefunkt. Interessiert es dich denn, dass sie einen Sohn hat, aber ihre Scheidung läuft?«

Fatale Bilanz

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