Читать книгу Fatale Bilanz - Stefanie Ross - Страница 9

4

Оглавление

Sven folgte Nataschas Empfehlung und fuhr über die A1 nach Ahrensburg. Der Weg über die B75 war zwar kürzer, hätte ihn aber durch Wandsbek und Meiendorf geführt und durch die zahlreichen Ampeln letztlich wesentlich länger gedauert. Ein Schild kündigte die Ausfahrt Ahrensburg an und Sven verzog den Mund. Die Bezeichnung war reichlich geschmeichelt, denn die Innenstadt lag gut acht Kilometer von der Autobahn entfernt, aber die direkt an der Autobahn gelegene Gemeinde Siek war als offizieller Namensgeber anscheinend nicht erwünscht gewesen. Dank der L224, die in einem großen Bogen an Großhansdorf und dem Stadtteil Hagen vorbeiführte, war Ahrensburg in wenigen Minuten zu erreichen.

Alex Groß wohnte südlich von der Innenstadt, so dass es ihm erspart blieb, das Stadtgebiet durchqueren zu müssen. Viele Hamburg-Pendler hatten sich für Ahrensburg als Wohnort entschieden, da sowohl die Autobahn als auch die S- und U-Bahnstationen schnell zu erreichen waren.

Ehe die Umgehungsstraße in den Ostring überging, bog Sven in die Mannhagener Straße ein. Nach wenigen Metern verließ er die Hauptstraße. Alte Villen säumten den Straßenrand. Natascha hatte erwähnt, dass Britta in einem dieser Häuser eine Wohnung gemietet hatte. Irgendwie erschien ihm die Umgebung passend für sie, während er sich Alexandra Groß kaum in einem derartigen Haus vorstellen konnte. Das Navigationsgerät forderte ihn ein letztes Mal zum Abbiegen auf und verkündete dann, er habe sein Ziel erreicht. Blieb nur noch die Suche nach der richtigen Hausnummer. Die Wohnstraße mit den weitläufigen Grundstücken und Häusern, die erst in den letzten zehn Jahren entstanden waren, passte schon eher zum Bild, das er sich bisher von Alex Groß gemacht hatte.

Der CD-Player wechselte zu »Highway to hell« von AC/DC. Sven drehte die Lautstärke höher, das Stück beschrieb seine Situation treffend. Er konnte sich ungefähr vorstellen, wie die Begegnung mit der temperamentvollen Freundin der Staatsanwältin ausgehen würde, aber der Anreiz, Britta wiederzusehen, war Grund genug gewesen, Nataschas Vorschlag anzunehmen. Mangels Alternativen parkte er vor der Doppelgarage, die zu dem weißgeklinkerten Haus gehörte. Zugegeben, die Hölle hatte er sich anders vorgestellt.

Wütendes Protestgebrüll gefolgt von einem fantasievollen Fluch beantwortete sein Klingeln.

Einen Augenblick später stand Alex vor ihm, auf dem Arm ihren schluchzenden Sohn, dessen Hose und Pulli durchnässt waren.

»Kommen Sie rein, geradeaus geht’s ins Wohnzimmer. Ich bin gleich bei Ihnen.«

»Kann ich helfen?«

Sven merkte selbst, dass sein Angebot halbherzig klang.

»Wenn ich nicht weiterkomme, schreie ich um Hilfe. Handschellen könnten vielleicht ganz nützlich sein.«

Alex verschwand über die Treppe in den ersten Stock. Der Flur ging in einen offenen Raum über, der links neben der Treppe als Garderobe und rechts als Essecke genutzt wurde. Gerahmte Fotos an den Wänden und eine Kommode mit einem bunten Durcheinander aus Schlüsseln, Handys und anderen Alltagsdingen sorgten dafür, dass der Raum trotz seiner Größe gemütlich wirkte. Neugierig betrachtete er die Bilder. Auf einem waren zwei Motorräder vor einem skandinavischen Fjord, auf einem anderen standen die gleichen Maschinen vor einer spanischen Küstenlandschaft. Die Tür zum Nachbarraum war nur angelehnt. Die Küche war ebenfalls geräumig, aber nicht übermäßig ordentlich.

Als die Geräusche aus dem ersten Stock leiser wurden, beendete er seine eigenmächtige Besichtigungstour und ging ins Wohnzimmer. Von außen war nicht zu sehen gewesen, wie groß das Haus war – kein Vergleich zur Enge seiner Zwei-Zimmerwohnung. Die Einrichtung erinnerte ihn an die Vergangenheit und an ein Reihenhaus, das mehr als ein Platz zum Schlafen gewesen war.

Allerdings entsprachen weder die Möbel noch die technischen Spielereien seiner Gehaltsklasse. Überdimensionierte Lautsprecher, ein Plasmafernseher mit riesigem Bildschirm und die Anlage stammten eindeutig aus dem höheren Preissegment. Eine stattliche Anzahl selbst gebrannter CDs fiel ihm auf, aber das betraf nicht seinen Zuständigkeitsbereich und bei ihm zu Hause sah es ähnlich aus. Er hielt die Hülle einer Dire-Straits-CD in der Hand, als Alex mit Tim auf dem Arm zurückkehrte.

»Hören Sie auch so gerne die alten Sachen? Dann können Sie sich mit meinem Mann zusammentun.«

Anscheinend wurde keine Antwort von ihm erwartet, denn Alex hatte sich bereits umgedreht und setzte ihren Sohn auf den Teppich.

»So, das wäre geschafft und wir haben zumindest kurzfristig unsere Ruhe. Tut mir leid, aber der kleine Terrorist hat sich ein Wasserglas vom Tisch geangelt und sich den Inhalt über die Hose geschüttet. Und dann klingelten Sie.« Alex lächelte verlegen. »Aber deshalb sind Sie ja nicht hier. Nehmen Sie doch Platz. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Mineralwasser oder lieber Kaffee?«

»Kaffee ist nicht nötig.« Sven konnte nicht widerstehen, sie zu ärgern. »Wasser wäre nett, aber bitte nicht über Kopf oder Hose schütten.«

»Hey, Sie haben ja sogar Humor. Sie sehen aber aus, als ob Sie einen Kaffee vertragen können. Also, ich brauche einen. Ich bin sofort zurück.«

Wieso fragte sie ihn überhaupt, wenn ihre Entscheidung schon feststand? Ehe er protestieren konnte, war sie verschwunden.

Nach wenigen Minuten kehrte sie zurück und verteilte Gläser mit Mineralwasser, Kaffeebecher und einen Teller mit Keksen auf dem Couchtisch. »Britta müsste jeden Moment auftauchen. Sie will die beiden Mini-Monster bändigen, bis wir alles geklärt haben. Und danach gehört sie ganz Ihnen und ich kümmere mich um die Jungs.«

Sven kommentierte die freche Anspielung nicht. »Kein Problem, mich stört Ihr Sohn nicht. Schließlich ist das keine offizielle Vernehmung.«

»Also stehe ich nicht mehr im Verdacht, etwas mit den Schüssen auf Kranz zu tun zu haben?«

Die Gelegenheit zur Revanche würde er nicht ungenutzt lassen. »Das habe ich nicht gesagt.«

Sichtlich entsetzt schnappte sie nach Luft. »Aber ich habe doch …« Sie stutzte und lächelte. »Das war fies, fast wäre ich darauf reingefallen.«

»Ich würde sagen, ausgleichende Gerechtigkeit. Besonders nett war die Bemerkung über Ihre Freundin auch nicht.«

Alex nickte. Das freimütige Eingeständnis passte zu ihr.

»Natascha deutete an, dass Sie Hintergrundinformationen über Kranz hätten.«

»Ich weiß nicht, ob Ihnen das weiterhilft, aber wir versuchen es. Soll ich Ihnen nicht zunächst die Sache von gestern erklären?«

»Nicht nötig, den Teil können wir überspringen. Großeinkauf in der Nähe und neugierig, wo der ungeliebte Ex-Chef wohnt. Habe ich noch einen Punkt vergessen? Ach ja, fehlender Respekt vor Gesetzeshütern.«

Seufzend drehte Alex den Kaffeebecher in ihrer Hand. »Da war Natascha ja fleißig. Lassen Sie uns lieber über Kranz sprechen.«

»Sicher, sobald Sie mir verraten haben, ob Sie immer einfach wegfahren, wenn sich jemand mit einem Polizeiausweis mit ihnen unterhalten will.«

»Ich … das war nur. Das hatte nichts mit Ihrem Job tun. Außerdem muss ich nicht mit Ihnen reden, solange Sie keine Vorladung haben. So, und mehr sage ich dazu nicht.«

»Weil ich Sie so auf jeden Fall aufsuchen musste und es nicht auf ein, zwei Fragen auf der Straße hinausläuft?«

Die plötzliche Röte auf Alex’ Wangen bestätigte seinen Verdacht. Matthias war nicht der Einzige, der mit kupplerischen Gedanken unterwegs war.

Ein freches Grinsen blitzte auf. »Hat doch funktioniert, oder? Aber zum Thema: Ich weiß nicht, wie gut Sie sich in Betriebswirtschaft auskennen. Ich möchte Sie nicht mit Details langweilen, aber einiges ist schon wichtig, um die Position von Kranz in der Hamburger Bank zu verstehen.«

Bereitwillig ging Sven auf den Themenwechsel ein. »Die Grundlagen kenne ich, aber für Spezialfragen holen wir uns meistens externe Experten.«

»Na dafür haben Sie diesmal mich.«

Mittlerweile genoss er das Gespräch mit Alex, die nicht an fehlendem Selbstbewusstsein litt, und signalisierte ihr, fortzufahren.

»Gut, also, das interne Rechnungswesen der Bank zeigt, wie profitabel ein Unternehmensbereich ist. Also, ob sich das Privatkundengeschäft überhaupt lohnt, oder wie viel die Firmenkunden bringen. Das wird Controlling genannt. Das externe Rechnungswesen ist langweiliger, da sind Form und Umfang gesetzlich vorgeschrieben und es wird die Bank als Ganzes in Zahlen dargestellt. Allerdings sind das die Zahlen, die die Öffentlichkeit erfährt, die sollten also schon vernünftig aussehen.«

Sie hätte Lehrerin werden sollen, Sven verkniff sich ein Schmunzeln.

»Und was hat das mit Kranz zu tun?«

Mit einer ruckartigen Bewegung warf sie ihre Haare zurück und ihre tiefblauen Augen blitzten vor Erregung oder Ärger, anscheinend wurde es spannend. »Alles. Kranz hat meinen alten Chef in den Vorruhestand gejagt und Unsummen in Software fürs Controlling investiert, obwohl die Bank eigentlich für solche Spielereien viel zu klein ist und unsere vorigen Infos reichten. Da sind Millionen einfach so verschwendet worden.«

»Das ist aber noch kein Verbrechen.«

Energisch schüttelte Alex den Kopf. »Darüber könnte man streiten, wenn ich an seine Methoden denke. Finden Sie es normal, wenn jemand innerhalb von gerade mal elf Jahren von der Nachwuchsführungskraft zum designierten Vorstandsmitglied einer alteingesessenen Privatbank aufsteigt? Das dauert sonst Jahrzehnte.«

Angesichts Alex’ heftiger Reaktion schüttelte Sven vorsichtshalber stumm den Kopf.

»Ich verrate Ihnen den Trick. Er hat einfach die richtige Frau geheiratet. Laura Kranz ist zwar wahnsinnig nett und passt eigentlich gar nicht zu ihm, aber sie hat den richtigen hanseatischen Background und ist sogar irgendwie mit dem Gründer der Bank verwandt. So wurde Kranz dann eben mein direkter Vorgesetzter.«

»Das war bestimmt kein Vergnügen für Sie.«

»Ach, die Zusammenarbeit ging so, aber persönlich sind wir uns keinen Zentimeter näher gekommen. Ich habe ihm nie verziehen, wie er meinen alten Chef behandelt hat. Deshalb erzähle ich Ihnen das auch. Ich möchte, dass Sie einen Eindruck davon bekommen, was für ein Typ er ist.« Alex stellte ihren Kaffeebecher so heftig auf den Tisch, dass Sven besorgt das Keramik nach Rissen absuchte. »Und es wird noch besser. Wenn er will, kann er unglaublich charmant sein, aber wenn etwas nicht nach seinem Kopf läuft, zeigt er sein wahres Gesicht. Er hat mich immer an einen Januskopf erinnert, mit diesen zwei unterschiedlichen Gesichtern.«

Alex sah nicht aus, als ob sie in der Stimmung für Nachhilfe in römischer Mythologie wäre, so dass er sich den Hinweis verkniff, dass sich die angesprochene Zwiespältigkeit von Janus darauf bezog, dass er in die Vergangenheit und die Zukunft blicken konnte.

»Ich dachte, wir wären einigermaßen miteinander ausgekommen, aber nach Tims Geburt hat er verhindert, dass ich meinen alten Job zurückbekomme. Die Einzelheiten erspare ich Ihnen, aber deshalb war ich auch so sauer, dass ich gestern … na, Sie wissen schon.«

»Und wie sieht es mit seinem Privatleben aus?«

»Solange Sie von mir keine objektive Beurteilung erwarten, kann ich Ihnen alles erzählen, was ich über ihn weiß.«

»Ihre Meinung über ihn ist mir schon klar geworden. Erzählen Sie mir einfach, was Ihnen zu Ihrem Ex-Chef einfällt. Ich kann das schon einordnen« Alex zögerte und stieg damit in Svens Achtung.

»Na gut, seine Frau hatten wir schon. Er hat zwei Kinder.« Wieder blitzte ihr freches Grinsen auf. »Und ein Reihenhaus, wie ich seit gestern weiß. Ich hätte das nicht erwartet, da er sonst enormen Wert auf Statussymbole legt. Ich habe schon zu Britta gesagt, dass bei seinem Gehalt ein freistehendes Einfamilienhaus drin sein müsste. Ich meine, er benutzt sonst auch die teuersten Kugelschreiber, hat handgenähte Schuhe und so ein Zeug. Trotz der Kinder ist er kein Familienmensch, sondern nutzt am Wochenende jede Chance, um in der Zeitung zu erscheinen. Stellt sich als Wohltäter und so was dar. Natürlich spielt er Golf, aber ich muss auch zugeben, dass er viel und lange arbeitet. Ich habe keine Ahnung, wann da noch Zeit für die Kinder bleibt. Das Launische hatte ich ja schon erwähnt. Um ehrlich zu sein …« Erneut zögerte Alex, trank den Kaffee aus und drehte den leeren Becher in der Hand. »Ich habe mich gefragt, ob er Drogen nimmt, spielsüchtig ist oder sonst was. Dadurch, dass ich fürs Rechnungswesen zuständig war, kannte ich die Personaldaten und weiß, dass er ziemlich hohe Schulden hatte. Ich …«

Sturmklingeln, gefolgt von lautem Klopfen schnitten ihr das Wort ab. Tim fuhr erschrocken zusammen und der Gesichtsausdruck des Kindes ließ ein Brüllkonzert erahnen.

»Welcher Idiot ist das denn?« Alex sprang auf, nahm den Jungen auf den Arm und eilte zur Haustür.

Sven folgte ihr. Als Alex die Tür aufriss, stand dort Britta, ein weinendes Kind auf dem Arm. Neben seinem BMW fuhr ein schwarzer Golf mit quietschenden Reifen los und verfehlte dabei einen umgekippten Kinderwagen nur knapp.

Da Britta und das Kind unversehrt schienen, stand seine Entscheidung fest. Bis er seine Jacke mit dem Autoschlüssel aus dem Wohnzimmer geholt hätte, wäre der Golf endgültig verschwunden. Sven sprintete los. Mit einem Sprung wich er einem Spaziergänger mit Dackel aus. Als er das Ende der Wohnstraße erreicht hatte, sah er den Golf. Ein Müllwagen hatte den Fahrer zum Halten gezwungen. Sven beschleunigte das Tempo, aber der Flüchtige bemerkte ihn. Der Wagen scherte aus der Reihe der wartenden Fahrzeuge aus und überholte ohne Rücksicht auf den Gegenverkehr. Die Hände zu Fäusten geballt, blickte Sven ihm nach, konnte aber nur noch erkennen, dass er an der nächsten Kreuzung Richtung Autobahn abbog.

Außer dem Kennzeichen und einem flüchtigen Blick auf zwei Männer mit dunklen Haaren hatte er nichts erreicht.

»Scheiße!«

Er zog sein Handy aus der Hosentasche, aber die blinkende Akkuanzeige schien ihn zu verhöhnen. Es reichte noch, um die Fahndung nach dem Golf zu veranlassen, ehe ein dezentes Piepen das baldige Ende der Funktionen ankündigte. Er hätte sich Zeit lassen können, stattdessen lief er zu Alex’ Haus zurück. Das Fahrgestell des Kinderwagens war verbogen, der Stoff des Verdecks heruntergerissen. Bilder aus der Vergangenheit brachen über ihn herein. Ein schwerbeschädigter Kindersitz. Ein total zerstörter Wagen … Nicht noch einmal. Er richtete den Kinderwagen auf.

Die Haustür war nur angelehnt. Sven schloss sie leise hinter sich, obwohl er sie am liebsten zugeknallt hätte.

Im Wohnzimmer knabberten die Kinder an Schokoladenkeksen, die vermutlich schneller als jeder mütterliche Trost die Tränen zum Versiegen gebracht hatten. Alex saß auf der Couch und hielt ihre Freundin im Arm, die immer noch zitterte. Als sie ihn sah, stand sie auf und kam auf ihn zu.

»Wer waren die Kerle? Hast du sie erkannt?« Ihre Hand fuhr zum Mund. »Entschuldigung, ich wollte nicht …«

Sven winkte ab. »Wir können uns ruhig duzen. Ich habe das Kennzeichen und eine grobe Personenbeschreibung. Vielleicht haben wir Glück und die Kollegen erwischen sie auf der A1. Meine Chancen zu Fuß gegen den Golf waren nicht so besonders.« Seine Bemerkung erzielte den gewünschten Erfolg, Britta lächelte flüchtig. »Einiges kann ich mir nach dem Anblick des Kinderwagens denken, aber ich brauche Details. Was ist passiert?« Dank der rechtwinkligen Couch saß er so dicht neben Britta, dass sich ihre Knie berührten, er sie aber gleichzeitig auch direkt ansehen konnte. Seine Frage vertrieb die letzten Anzeichen von Angst, und Wut blitzte in ihren Augen auf.

»Erst haben sie mir nur den Weg versperrt und dann …« Ihre Stimme brach, aber dann räusperte sie sich. »Der Größere von ihnen hat Jan aus dem Kinderwagen gerissen. Er hat natürlich sofort losgeheult.« Ihre Mundwinkel hoben sich leicht nach oben. »Jan meine ich. Nicht der Kerl.«

Ihr Humor nötigte Sven Bewunderung ab, aber er bekam kein Wort heraus.

»Der andere hat mich von hinten festgehalten. Und dann hat der Große den Kinderwagen umgekippt und dagegen getreten.« Brittas Blick huschte zu Alex. »Der andere Typ hat meinen Kopf an den Haaren zurückgezogen und gesagt, dass ich die Bank vergessen soll, sonst dürfte ich beim nächsten Mal zusehen, was sie mit meinem Sohn machen.«

Alex wurde kreidebleich. »Die Bank. Kranz.«

Die Schlussfolgerung lag nahe, obwohl Sven keine direkte Verbindung sah. Die Schüsse und der Angriff auf Britta trugen völlig unterschiedliche Handschriften.

»Darüber denken wir später nach, Alex.« Sein Blick kehrte zu den roten Malen auf Brittas Oberarmen zurück, aber er kämpfte die Wut nieder, dass der Kerl sie dort angefasst hatte. »Wie sahen die beiden … Angreifer aus?« Im letzten Moment vermied er eine zutreffendere Bezeichnung.

»Beide hatten dunkle Haare, fast schwarz. Dem Großen fielen sie bis in den Nacken, der andere hatte sie ganz kurz, nur ein paar Millimeter. Sie trugen dunkle Sonnenbrillen. Aber es ging alles so schnell. Ich weiß nicht einmal, was sie anhatten. Jeans glaube ich.«

»Das ist ganz normal, du hast schon mehr Informationen geliefert als viele Zeugen, die ich erlebt habe. Was meinst du mit ›groß‹?«

»Der Kleinere war so groß wie ich und kompakt, nicht dick, sondern eher wie einer dieser Bodybuildertypen. Der Große hatte ungefähr deine Größe, war aber ganz schmal. Du hättest bestimmt keine Probleme, mit ihm fertig zu werden.«

»Das wäre mir ein Vergnügen.«

Svens Handy klingelte, aber der Akku verabschiedete sich, ehe er die Verbindung herstellen konnte. Wortlos reichte Alex ihm das Mobilteil ihres eigenen Telefons.

Der Kollege in der Leitstelle betete die Fakten betont sachlich herunter, doch Svens Blick irrte automatisch zu Britta, und er malte sich aus, was ihr hätte passieren können.

Die neugierigen Mienen von Alex und Britta sprachen eine deutliche Sprache, und es machte keinen Sinn, ihnen Dinge zu verheimlichen, die sie am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren würden. Es passte zu Alex, dass sie nicht wartete, bis er von sich aus anfing.

»Die haben uns verwechselt, oder? Die wollten nichts von Britta, sondern von mir. Deshalb der Spruch mit der Bank.«

»Das vermute ich auch. Hast du eine Idee, was die meinten?«

Alex erwiderte seinen prüfenden Blick offen. »Nein, nicht die Geringste. Ich überlege schon die ganze Zeit, was das bedeuten soll, aber ich weiß es nicht. Ehrlich.«

»Vielleicht ist es eine Sache, die dir unwichtig erscheint. Allerdings glaube ich, dass mehr dahintersteckt, als wir im Moment ahnen. Die Kerle haben den Golf auf dem Autobahnparkplatz bei Stapelfeld stehen gelassen und in Brand gesetzt. Ein älterer Herr hat dort gerade Pause gemacht. Sie haben ihn niedergeschlagen und die Flucht mit seinem Wagen fortgesetzt. Die Kollegen von der Autobahnpolizei waren wenige Augenblicke nach der Tat vor Ort, aber leider weiß niemand, was für ein Fahrzeug der Mann gefahren hat. Seine Papiere haben die Verbrecher natürlich mitgehen lassen. Eine weitere Fahndung wird daher nichts bringen.«

Alex runzelte die Stirn. »Und der Mann? Kann der nicht …?«

»Leider nicht, der ist noch am Tatort an den Folgen seiner Kopfverletzung gestorben.«

»So schnell? Das Ganze ist doch erst ein paar Minuten her.«

Ihre Kombinationsgabe war beeindruckend. »Die wussten genau, was sie taten. Das waren keine Amateure.«

Bei Alex überwog eindeutig Wut, während Britta trotz ihres Ärgers immer noch etwas Verletzliches ausstrahlte, das Svens Beschützerinstinkt weckte. »Bevor wir nicht wissen, worum es geht, sollte sich keine von euch alleine an Orten aufhalten, die gefährlich sein könnten.«

»Bei mir ist das kein Problem, zu Hause bin ich sicher. Außerdem wollte Natascha noch vorbeikommen und ich kann Dirk anrufen, dass er gefälligst ausnahmsweise pünktlich nach Hause kommen soll.« Ratlos schaute sie ihre Freundin an. »Aber was machen wir mit dir? Willst du mit Jan heute hier schlafen? Ich finde es nicht gut, wenn du nach dem Schock alleine bist.«

»Danke für die Einladung, aber ich muss noch mindestens eine Stunde am PC arbeiten, und so schnell lasse ich mich nicht aus meiner Wohnung vertreiben. Mir passiert schon nichts und schon gar nicht, wenn sie uns verwechselt haben.«

Alex sah aus, als ob sie ihrer Freundin zustimmen wollte, aber dann schüttelte sie heftig den Kopf.

»Und wer garantiert uns, dass das nicht wieder vorkommt? Wenn du nicht hier schlafen willst, muss eben jemand bei dir übernachten.«

Das Ganze war so durchsichtig, dass Sven sich ein Lachen nur mit Mühe verkneifen konnte. Betont ernst nickte er. »Hervorragende Idee. Ich melde mich freiwillig.«

Empört blickte Britta ihn an. »Moment, vergiss das, ich kenne dich überhaupt nicht, und du kannst dich nicht einfach bei mir einladen.«

»Das würde ich auch nie tun. Ich schlage dir einen Kompromiss vor. Ich bringe euch nach Hause, und dann sehen wir weiter. Ehe du heute Nacht die ganze Zeit wach liegst und bei jedem Geräusch zusammenzuckst, solltest du über einen Übernachtungsgast nachdenken.«

Alex unterbrach ihre ruhelose Wanderung durchs Zimmer und stützte beide Hände auf den niedrigen Wohnzimmertisch. »Ich finde, Sven hat recht. Nimm sein Angebot an.«

Brittas Blick glitt von Sven zu Jan, dann wieder zu Alex, schließlich nickte sie. »Na gut, aber wenn überhaupt, dann schläfst du auf der Couch im Wohnzimmer. Dass das klar ist!«

»Einverstanden.« Es gelang ihm nicht, sein Grinsen zu verbergen. Dass sie glaubte, das Selbstverständliche betonen zu müssen, sprach für sich.

Fatale Bilanz

Подняться наверх