Читать книгу Die doppelte Palme - Stefanie Wagner - Страница 16
Kapitel 4 Najima
ОглавлениеUnannehmlich war die Reise, lang und voller Gefahren.
Es hieß widrige Wetterverhältnisse zu überstehen und man lief ständig Gefahr, von Räubern beraubt oder von Landesherren angehalten und um Geleit- und Wegegeld erleichtert zu werden. Übernachtungen waren oftmals kein Vergnügen, denn auf dem Land gab es nur wenige Herbergen und auch die Gasthäuser in den Städten ließen zuweilen einfachsten Komfort und Sauberkeit vermissen. Selbst die Strecke, die sie mit dem Schiff zurücklegten, war nicht einfach.
Doch Ilanah und ihre Ritter trotzten den Bedrängnissen und im Laufe der Tage, Wochen und Monate entwickelte sich eine neu intensivierte Freundschaft zwischen den Rittern und ihr. Dennoch: nie vergaßen Linhardt und Gunnar den Standesunterschied. Denn obwohl Ilanah nur ein Bastard des Königs war, war sie dem Prinzen doch stets eine Schwester gewesen und somit ehrenvoll zu behandeln.
Die drei Alemannen sahen viele Wandlungen während dieser Reise. Landschaften und Menschen veränderten sich: war es gestern noch bewaldetes Land, sah man heute nur noch grasbewachsene Hügel; waren noch vor ein paar Tagen die Menschen blass, wurden sie langsam aber stetig dunkelhäutiger. Die Haare wurden immer dunkler – bis sie schließlich schwarz waren. Ja, sogar die Tiere veränderten ihr Aussehen: Schafe wurden wolliger und das Fell bunter, sogar die Hörner verdrehten sich und wirkten wie gedrechselt – Kühe waren fast nicht wiederzuerkennen: sie waren größer und stämmiger und die Hörner waren von schier unermesslicher Länge.
Schließlich wurden auch Linhardt und Gunnar vom Fieber des Morgenlandes ergriffen, angesteckt durch die Vorfreude und Überzeugung Ilanahs, dort das Paradies zu finden. Und so war es letztlich eine anstrengende und doch auch schöne Zeit, denn je näher sie den Grenzbergen des muselmanischen Landes kamen, desto aufgeregter waren die Gemüter und desto freudiger die Laune.
Und nach Wochen und Monaten einer, so schien es Ilanah, unendlich langen Reise, erreichten sie schließlich Persien. Hinter der Grenze fanden sie nach nur kurzer Suche eine Schänke, deren angenehmer Komfort und Behaglichkeit zum Verweilen einlud. Der Gastraum war zwar klein, doch ungewohnt und eindrucksvoll in seiner Einrichtung und der unglaublichen Farbenpracht. Ringsum an den Wänden waren gemauerte, weiß getünchte Bänke angebracht, auf denen bunt bezogene weiche Kissen lagen. Davor standen kleine runde Tische, die so niedrig waren, dass man die Teller voller Speisen in die Hand nehmen und sich zurücklehnen musste, um entspannt essen zu können. Im Raum war es angenehm warm und ein leichter Hauch eines exotischen, die Sinne betörenden Duftes durchzog die Luft.
Als die drei Reisenden, zu dieser Tageszeit die einzigen Gäste der Schänke, gesättigt waren und sich gemütlich auf den Bänken räkelten, sprach Linhardt Ilanah an:
„Stefania, wir hörten, dass sich im Morgenland alle Frauen „bedeckt“ halten, wenn sie sich außerhalb ihres Hauses befinden. Dies ist wohl Ausdruck der Unterordnung unter den Mann, wie es der Koran, das heilige Buch dieses Landes, verlangt. Wir halten es daher für das Beste, eine der Töchter des Wirts herbei zurufen, damit sie Euch zeigt, wie eine Frau sich angemessen und unauffällig verhält und sich in der Öffentlichkeit kleidet. Dies scheint die einzige Möglichkeit weiterzureisen und unbehelligt unserer Wege ziehen zu können, ohne dass ein Muselmann Euch unzüchtig ansieht und sich womöglich an Euch vergehen will“.
Ilanah, die bereits wusste, dass das Morgenland voll von wunderlichen und befremdlichen Dingen war, und die nach all der Zeit noch immer ihr Versprechen Gunnar gegenüber im Herzen trug, nie wieder unbedacht zu handeln, schenkte Linhardt Glauben. „Dann will ich mich Eurem Wunsch fügen, Linhardt. Ich glaube ebenfalls, dass es besser ist, wenn ich keine Aufmerksamkeit errege mit meiner hellen Haut und den blonden Haaren“. Und so ließ sie es zu, dass Linhardt mit dem Wirt in Verhandlungen trat.
Schon nach kurzer Zeit näherte sich eine junge Frau – jünger noch als Ilanah – in Begleitung des Wirtes dem Tisch der Reisenden.
„Mein Name ist Najima, ich bin die Tochter des Besitzers dieses Hauses“, sagte sie ernst. Sie betrachtete Ilanah mit argwöhnischen Blicken, stets wanderten die Augen zurück zu den langen dunkelblonden Haaren, während Ilanah sie gleichsam musterte. Najima war zierlich gebaut, jedoch ein wenig größer als Ilanah. Sie hatte große, dunkle Augen und man sah, dass sie wohl gerne lachte, denn um den Mund herum waren kleine Fältchen eingegraben und ein Blitzen war in den Augen auszumachen. Aber mehr vermochte Ilanah nicht zu erkennen, denn Najima trug einen weiten und langen Überwurf, fast einem Kleid gleich, aus dunklem, weichfallenden Stoff und ein Kopftuch, welches die Haare nahezu vollständig bedeckte. Beides war aus sehr feinem, leichtem Stoff gefertigt und wirkte, als seien sie aus Seide.
„Ich weiß nicht so recht, was Ihr von mir wünscht, edle Dame“, sagte Najima und blickte dabei mal zu Ilanah und dann wieder zu Boden. Es hatte den Anschein, dass sie die Männer gar nicht wahrnahm. Oder durfte sie keinem Manne ins Gesicht sehen, so es nicht ihr eigener Ehegatte oder ein Familienangehöriger war?
Ilanah antwortete: „Ich bin fremd in Eurem Land und habe noch einen weiten Weg vor mir. Ich reise nur mit diesen beiden Herren und ob meines Aussehens, das mich auf den ersten Blick als Fremde ausweist, benötige ich Euren Rat. Was tragen die Frauen Eures Landes und welches Verhalten wird von ihnen erwartet? Ich bitte Euch um Eure Hilfe, Najima“.
Doch diese schüttelte nur stumm den Kopf und drehte sich von Ilanah fort. Es war offensichtlich, dass sie weder mit Ilanah reden wollte noch zu helfen wünschte. Gleichwohl konnte Najimas Vater sie schließlich mit viel Geduld und gutem Zureden davon überzeugen, Ilanah mit ihrem Rat zur Seite zu stehen. Letztlich bedeutete dies ja auch, dass diese merkwürdige Reisegruppe noch etwas länger im Gasthaus verweilen und gutes Geld dafür bezahlen würde.
So begaben sich die beiden Frauen in die Stube hinter dem Schankraum und zu ihrer großen Freude stellte Ilanah fest, dass nicht viel Veränderung vonnöten war, war doch auch im Abendland stets die Haut der Frauen von Stoffen bedeckt – auch wenn Najima die Kleidung Ilanahs offenkundig für seltsam befand.
Während der folgenden Stunden kamen die jungen Frauen sich näher, fanden einander angenehm und hatten beide so viel Freude, dass sie anfingen, sich wie echte Freundinnen zu behandeln und ließen sich fortan bei ihrem Vornamen nennen. Najima war begeistert, dass Ilanah einen orientalischen Namen trug und so berichtete Ilanah von dem Grund ihrer Reise.
Als Ilanah letztlich von Mayjidahs Abschiedsgeschenk erzählte und den grünen Schleier aus ihrem Reisegepäck hervorzog, breitete sich auf Najimas Gesicht erst ein Lächeln und dann ein Grinsen aus.
„Ihr habt ja einen Schleier!“, rief sie entzückt, „Und dazu noch einen so schönen! Seht doch nur, wie fein sein Stoff ist. Er scheint aus reinster Seide zu sein!“ Sie entriss Ilanah das Tuch und begann, damit herumzulaufen.
Dabei wand sie den Schleier um ihr Gesicht, zog ihn wieder fort, warf ihn sich über den Kopf, bedeckte Mund und Nase und zog ihn abermals fort. Sie bedeckte sich die Schultern mit dem Schleier und schließlich schlang sie sich ihn um die Hüfte und tanzte – ganz in der Art, die Ilanah von Mayjidah lernte - um Ilanah herum. Mit einem Male riss sie ihn wieder von der Hüfte und dann wirbelte Najima den Schleier um ihren Kopf, drehte sich gar dabei – wie es schien, in entgegengesetzter Richtung zum Schleier –, holte den Schleier nach vorne, wand ihn vor ihrem Körper, wirbelte und schwang ihn, dass es schien, als bewege er sich wie Wellen auf dem Meer. Dann hob sie den Schleier vor Körper und Arme, so dass das Tuch ihr Gesicht umfloss und Najima wie eine römische Göttin aussah.
Unvermittelt warf Najima das Tuch fort – sie warf es auf einen in der Nähe stehenden Stuhl - ohne mit dem Tanzen aufzuhören. Und mit dem Verlust des Schleiers ging auch die Unbeschwertheit verloren. Der Tanz wurde ernsthafter, tiefer und ausdrucksvoller. Najimas Bewegungen wurden langsamer, geradezu sinnlich, als habe der Schleier auch die Energie mit sich genommen. Ilanah wurde neugierig. Sie hatte den Eindruck, einem Theaterstück auf dem Markt beizuwohnen: der Schleier schien in Persien das zu sein, was in Deutschland die Maske eines Schaustellers war. Es war, als verkörpere der Schleier eine Verspieltheit, geradezu eine gewisse Hemmungslosigkeit der Tänzerin, da sie ja ob der Verschleierung unerkannt und geheimnisvoll bliebe. Und so fand zum ersten Mal seit der Abreise Mayjidahs aus dem Abendland der Schleier seine vorherbestimmte Verwendung.
„Ilanah, was wisst Ihr über die Verwendung des Schleiers, außer, dass er ein wunderbares Beiwerk zum Tanze ist?“, fragte Najima. Ilanah sah sie ernst an und erwiderte: „Der Schleier war ein Geschenk Mayjidahs zu unserem Abschied. Ich erhielt keinerlei Erklärung und nahm an, er habe nur für den Tanz eine, mir jedoch unbekannte, Bedeutung, gleichwohl sah ich hierzulande schon Frauen, die sich mit Tüchern den Kopf bedeckten, den Oberkörper gar. Es scheint mir daher, als habe er die gleiche Aufgabe wie unsere Kopftücher und Hauben, die zum Schutz der Haare vor Verschmutzung dienen und als Zeichen des Respekts, wenn wir hochrangigen Herren gegenübertreten oder in die Kirche gehen und zu unserem Gotte beten. Auch dienen sie sicherlich als Schmuck bei Feierlichkeiten wie der Geburt eines Kindes oder auf Hochzeiten. Und auch bei Beerdigungen werden sie in meinem Land getragen“.
Najima klatschte in die Hände und rief: „Ihr seid wahrlich eine gute Beobachterin. Denn tatsächlich dient der Schleier als Ausdruck des Respekts. Doch nicht nur Allah, unserem Gott, treten wir Frauen verschleiert gegenüber. Er ist gleichermaßen auch Zeichen von Anstand und Reichtum. Eine Frau, die ihr Haar bedeckt, steht unter dem Schutze ihres Ehemannes oder eines anderen männlichen Oberhauptes der Familie und dies gilt gleichermaßen als Schutz vor allen anderen Männern. Denn jeder Mann hat Respekt vor dem Anstand einer Frau und dem Besitz eines anderen Mannes. Auch heißt es in unserem Land, dass die Frau ihren schönsten Schmuck verhüllen solle und der schönste Schmuck einer Frau ist ihr Haar“.