Читать книгу Mord im Chinagarten - Stefanie Wider-Groth - Страница 18

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„Verstärkung?“, wiederholte Frau Sonderbar Emmerichs Ansinnen mit einem Blick, der ihrem Namen alle Ehre machte und schien sich dabei zu amüsieren.

„Drücke ich mich womöglich schlecht aus?“, fragte Emmerich ungehalten. „Wir haben eine unbekannte Leiche mit zwei verschiedenen Identitäten, die möglicherweise Verbindung zur RAF hatte. Wir haben eine Tablettenschachtel ohne einen einzigen Fingerabdruck darauf, was für Selbstmörder doch zumindest ungewöhnlich sein dürfte. Würden Sie Handschuhe anziehen, bevor Sie sich eine letale Menge Schlafmittel einverleiben?“

„Selbstverständlich nicht“, entgegnete Frau Sonderbar ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich kann mir kaum vorstellen, jemals in eine derartige Situation zu geraten.“

„Nein“, knurrte Emmerich biestig. „Sie bestimmt nicht. Aber der Mann aus dem chinesischen Garten auch nicht. Und deshalb will ich Verstärkung.“

„Das wird schwierig werden. Die Kollegen sind doch alle in der Sonderkommission …“

„Herrschaftszeiten“, explodierte Emmerich, „was wollen die denn jetzt, die hohen Tiere von der Politik? Dass die Polizei ordentlich arbeitet oder dass sie kein Geld kostet?“

„Sie brauchen mich nicht anzubrüllen“, sagte Frau Sonderbar kühl. „Ich kann nichts für die geplanten Stelleneinsparungen.“

„Weiß ich doch.“ Emmerich öffnete die Tür zu seinem Büro. „Tut mir leid. Verbinden Sie mich mit dem Chef … äh … bitte.“ Er ging zu seinem Schreibtisch und rief sich innerlich zur Ordnung. Mit angemessener Vorsicht setzte er sich auf seinen alten Stuhl und stellte erfreut fest, dass dieser seinem Gewicht mit dem gewohnten, leisen Ächzen standhielt. Das Telefon klingelte.

„Emmerich hier“, sagte er höflich. „Ich bedaure, Sie während einer laufenden Soko mit meinem Anliegen …“

„Ich bin’s“, nuschelte Gabi etwas undeutlich. „Weißt du schon, wann du heute Abend nach Hause kommst?“

„Hör mal, Spatz, ich hab gerade überhaupt keine Zeit, gleich kommt ein Anruf vom Chef und …“

„Wann?“

„Weiß nicht. Kann später werden.“

„Vor acht?“

„Warum? Haben wir etwas vor?“

„Nicht, dass ich wüsste. Also nach acht?“

„Möglich. Wartet jedenfalls nicht mit dem Essen auf mich. Ich hatte ein wunderbares Schnitzel heute Mittag.“

„Du sollst nicht so fett essen. Bis nachher dann.“

„Hä?“, machte Emmerich in die tote Leitung hinein. Frauen, auch die seine, wussten gerne, wann man nach Hause kam. Männer konnten diesbezüglich oft keine präzisen Angaben machen. Nach Emmerichs Erfahrung war dieses Problem ungefähr so alt wie die Menschheit, weshalb er keinen weiteren Gedanken daran verschwendete. Umso mehr interessierte es ihn, was sich wohl vor acht Uhr in seinen heimischen vier Wänden abspielen mochte. Bevor er ins Grübeln geraten konnte, meldete sich das Telefon erneut.

„Was denn?“, ranzte Emmerich unwirsch in den Hörer und nahm instinktiv Haltung an. „Verzeihung, ich hatte gerade gar nicht mit Ihnen gerechnet.“

„Sie wollten doch mit mir sprechen“, sagte der Chef vorwurfsvoll mit einer Stimme, die erkennen ließ, dass er unter Druck stand. „Frau Sonderbar hat mir Ihre Situation bereits erklärt. Sind Sie sicher, dass Sie und Frenzel nicht noch ein paar Tage alleine klarkommen?“

„Völlig sicher. Aber wenn’s nicht geht mit der Verstärkung, ziehen wir eben das LKA hinzu.“

„Das LKA?“

„Unser Toter hatte möglicherweise Verbindungen zur RAF.“

„Hören Sie mal, Emmerich.“ Der Chef räusperte sich und schien nachzudenken. „Das muss ja nicht unbedingt gleich sein. Denken Sie nur an den bürokratischen Aufwand.“

„Daran denke ich ständig.“

„Sie hätten dann womöglich auch gar keine freie Hand mehr bei der Bearbeitung des Falles.“

„Ist mir vollkommen klar.“

„Und die Anhaltspunkte sind noch mehr als vage, oder?“

„Das ist richtig.“

Der Chef räusperte sich erneut. „Also sehen Sie, da halte ich es für viel zu früh … da muss man noch nicht … das LKA ist ja immerhin …“

„Sehe ich genauso, Chef“, unterbrach Emmerich seinen Vorgesetzten. „Nur … so kommen wir auch nicht weiter.“

„Was wäre also Ihr Vorschlag?“

Emmerich bedachte den etwas altmodischen Telefonapparat auf seinem nicht minder altmodischen Schreibtisch mit einem triumphierenden Lächeln.

„Wenn Sie mir vielleicht Frau Kerner zur Verfügung stellen könnten“, sagte er vorsichtig. „Natürlich nur, wenn sie nicht ganz und gar unabkömmlich ist. Schließlich hat sie ja in unserem Dezernat noch nicht so viel Erfahrung, da dachte ich mir …“

„Hauptkommissarin Kerner?“, wiederholte der Chef zurückhaltend. „Sie haben nicht ganz unrecht. Mal sehen, was ich tun kann.“

Emmerichs Lächeln verwandelte sich in ein zufriedenes Grinsen. Der Chef war in gewissen Dingen ein hoffnungsloser Fall. Seine Einstellung zu berufstätigen Frauen im Allgemeinen und zu solchen, die dabei auch noch eine Karriere anstrebten, im Besonderen war geprägt durch seine Kindheit im ländlichen Raum und konnte keinesfalls zeitgemäß genannt werden. Gleichstellungsbeauftragte verursachten ihm Bauchschmerzen, dass Polizistinnen im Streifendienst körperlichen Gefahren ausgesetzt werden durften, betrachtete er als einen Verfall moralischer Werte. Neuerdings machte ihm etwas namens „Gender Mainstreaming“ das Leben schwer, ein Begriff, der immer wieder durch Dienstanweisungen oder offizielle Verlautbarungen geisterte, mit dem bedauerlicherweise aber auch Emmerich nichts anzufangen wusste. Allenfalls, dass er vielleicht etwas mit Frauenförderung zu tun haben mochte. Unnötig zu sagen, dass der Chef in seinem tiefsten Inneren ein erzkonservativer Mensch war, der seinen Posten weniger seinen Fähigkeiten, als dem richtigen Parteibuch verdankte. Vermutete zumindest Emmerich und war damit nicht alleine. Hauptkommissarin Brigitte Kerner dagegen kannte er von einem seiner letzten Fälle, der ihr erster im Dezernat Tötungsdelikte gewesen war. Sie war eine intelligente junge Frau, die die richtigen Schlüsse zog, ohne sich darauf etwas einzubilden und damit mehr wert, als mancher männliche Wichtigtuer. Emmerich sah allerdings keinen Grund, dergleichen mit dem Chef zu diskutieren und sagte deshalb nur:

„Das wäre gut. Frau Kerner wird etwas lernen, Sie wissen schon … Gender Mainstreaming und so …“

„Natürlich, Emmerich.“ Der Chef klang nun geradezu angetan. „Eine sehr gute Idee, wenn ich es mir genau überlege. Schön, dass Sie so mitdenken. Das erwartet man ja heutzutage schon gar nicht mehr.“

„Freut mich, wenn ich Ihnen helfen kann“, sülzte Emmerich dienstbeflissen und war froh, dass der Chef sein Gesicht nicht sehen konnte. „Und die Kollegin schicken Sie dann zu mir?“

„Ich kümmere mich sofort darum.“

Emmerich legte auf und verharrte einen Moment reglos in stummer Bewunderung seiner selbst. Vielleicht hätte ich Psychologe werden sollen, dachte er, doch dann fiel ihm ein, dass seine manipulativen Fähigkeiten bereits bei der eigenen Familie zu versagen pflegten und er wischte den Gedanken wieder beiseite. Stattdessen ließ er sich von Frau Sonderbar das Fahndungsplakat aus dem Jahr 1989 geben und befestigte es neben der Fotografie des Toten aus der Pathologie an der Pinnwand in seinem Büro. Die Ähnlichkeit des jungen mit dem alten Gesicht war unübersehbar. Warum also Mister Ford?

„Unter falschem Namen abgestiegen“, überlegte Emmerich laut. „Oder er hat sich eine neue Identität zugelegt? Aber warum, wenn nichts Konkretes gegen ihn vorlag?“

Frau Sonderbar, die stehen geblieben war und die Bilder ebenfalls betrachtete, räusperte sich diskret.

„Ich habe mir erlaubt, ein bisschen zu recherchieren. Nur so, während der Mittagspause.“

„Ach ja?“ Emmerich zog die Brauen hoch und musterte seine Sekretärin erstaunt. Sie sah tatsächlich irgendwie anders aus, als er es gewohnt war, jugendlicher vielleicht oder auch farbenfroher. „Ganz ohne persönliche Hintergedanken, natürlich.“

„Selbstverständlich.“ Frau Sonderbar verschränkte die Arme über der Brust und machte ein andeutungsweise beleidigtes Gesicht. „Welche persönlichen Hintergedanken sollte ich denn Ihrer Ansicht nach all den Jahren noch hegen?“

„Man kann nie wissen. Was haben Sie herausgefunden?“

Frau Sonderbar deutete auf das Gesicht des Toten,

„Das kann eigentlich gar nicht Peter Nopper sein.“

„Warum nicht?“

„Weil er beim Stuttgarter Standesamt als verstorben geführt wird. Am 11. Februar 1998 in Daressalam.“

„Was soll das sein? Ein Trainingscamp für islamistische Terroristen mit Fortbildungsmöglichkeit für Kollegen aus Europa?“

Frau Sonderbar sah Emmerich über den Rand ihrer Brille hinweg mitleidig an.

„Daressalam“, erklärte sie in der Art einer Geografielehrerin, die die mangelnden Kenntnisse ihrer Schüler emotionslos betrachtet, „ist die Hauptstadt von Tansania. Das liegt in Ostafrika.“

„Tatsächlich? Die Sache wird ja immer besser.“ Emmerich kratzte sich am Kopf und sah ratlos drein. „Eine Leiche, die seit zehn Jahren tot ist? Also entweder ein Zombie oder vielleicht doch Mr. Ford aus Kalifornien, USA?“

Mirko Frenzel spähte durch die Tür und schwenkte Beweismitteltütchen in der Hand.

„Störe ich?“

„Aber nein, ich erwarte geradezu sehnsüchtig dein Erscheinen. Was ist mit dem Koffer?“

„Liegt bei der KTU.“

Emmerich gab in kurzen Worten die Ergebnisse von Frau Sonderbars Recherche wieder. Den Namen der ostafrikanischen Hauptstadt hatte er allerdings bereits wieder vergessen, was Frenzel aber nicht weiter zu stören schien.

„Zombie“, kicherte er stattdessen. „Das wäre ein hübscher Name für unsere kleine Ermittlungsgruppe.“

„Aber nur für den internen Gebrauch“, feixte Emmerich. „Wir wollen doch korrekt bleiben.“

Frau Sonderbar gab ein sonderbares Geräusch von sich und verließ den Raum.

„Nimm Platz“, sagte Emmerich und wies auf einen der beiden Besucherstühle. „Bald haben wir Verstärkung. Frau Kerner wird kommen.“

„Gitti? Wie hast du das hingekriegt?“

„Ich kann’s halt gut mit dem Chef.“

„Werd ich nie begreifen.“ Frenzel setzte sich und legte die Tütchen auf Emmerichs Schreibtisch.

„Musst du auch nicht. Bis du so weit bist, ist der Chef im Ruhestand. Zeig mir lieber, was du hast.“

„Da wäre zuerst einmal der Pass“, sagte Frenzel und schob eines der Tütchen über den Tisch. „Nicht anfassen, es sind massenhaft Abdrücke darauf.“

„Von Zollbeamten aus aller Welt vermutlich.“ Emmerich nahm das Reisedokument, das aufgeschlagen in seiner Plastikhülle steckte, in Augenschein. „Ist er echt?“

„Ich habe veranlasst, dass jemand das bei den Amis überprüfen lässt. Kann aber dauern.“

„Hm“, machte Emmerich. „Das Ding wurde vor drei Jahren ausgestellt. Der Mann auf dem Passbild sieht unserem Zombie nicht besonders ähnlich und hat kurze, graue Haare. Das Alter könnte stimmen.“

„Passbilder sind meistens besch … euert und Haare können wachsen.“

„Sind Stempel im Pass? Vielleicht welche aus … na … Afrika?“

„Nein. Mr. Ford reiste bevorzugt zwischen den Staaten und Good Old Germany.“

„Schön. Was noch?“

„Der Pass lag oben auf im Koffer. Unter einer Tageszeitung aus San Francisco vom Samstag vor Ostern. Ansonsten waren Kleider drin, Wäsche und Schuhe. Die KTU untersucht das Zeug. Außerdem dies hier.“

Zwei weitere Tütchen wanderten über den Schreibtisch.

„Se coming of Satan“, las Emmerich mit schwerem Akzent. „A … Alischter Graulei. Schpells änd Schpiezes. Was soll das sein?“

„Traktate.“ Frenzel lehnte sich zurück. „Aber nicht von der Kirche. Passt eher zu Zombies. Alister Crowley galt als bedeutender Satanist.“

„Schwachsinn.“ Emmerich schob die Tütchen zur Seite. „Das hilft uns kaum weiter. Sie haben schon komische Ideen da drüben, hinter dem großen Teich.“

„Teufelsanbeter gibt es auch bei uns in Europa. Und ein bisschen abenteuerlich ausgesehen hat er ja, unser Mann.“

„Weiter.“

„Den ersten Bericht bekommen wir noch heute. Aber ich weiß schon, was drin steht. Die Kleider des Toten sind sozusagen frisch aus der Reinigung. Gebraucht und abgetragen, aber jungfräulich sauber. Keinerlei verwertbare Spuren darauf.“

„Das gibt’s doch nicht.“ Emmerich stand auf und ging zur Pinnwand. „Sorgfältig gekleidete Selbstmörder lasse ich mir ja noch gefallen, auch wenn’s makaber ist. Aber Mordopfer? Die sich vorher extra noch was Frisches anziehen? Hoffentlich ist das nicht irgendwas Rituelles. Satansjünger opfert sich nach Reinigungszeremonie, ich sehe schon die Schlagzeilen.“

„Was also sollen wir tun?“

„Wir haben noch zwei Anlaufstellen. Einmal die Reinigungsfirma vom Hotel Sieber. Vielleicht lässt sich herausfinden, wer das Zimmer des Mister Ford geputzt und geräumt hat.“

Frenzel warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

„Die sitzen irgendwo in Filderstadt, wenn ich mich nicht irre. Wenn wir da heute noch etwas erreichen wollen, müssen wir jetzt los. Wer ist die zweite?“

„Na, diese Tante von dem Nopper, ich hab die Adresse aufgeschrieben, wo hab ich sie nur?“ Emmerich fingerte suchend in den Taschen seines Cordsamtjacketts herum.

„Entweder oder“, sagte Frenzel. „Du musst dich entscheiden.“

„Hier.“ Emmerich förderte einen Zettel zutage. „Wenn die Kerner endlich aufkreuzen würde, könntest du alleine nach Filderstadt fahren. Dort müssen sie ja sicherlich erst Dienstpläne wälzen, bevor wir jemanden befragen können.“

„Tja …“ Frenzel zog die Achseln hoch. „Sollen wir eine Münze werfen?“

„Huhu“, machte es an der Tür. Ein Kopf mit langen, dunklen Haaren schob sich herein, das dazugehörige Gesicht lächelte Emmerich strahlend an. „Das ist aber nett, dass Sie mich aus der Sonderkommission herausgelotst haben.“

Mord im Chinagarten

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