Читать книгу Mord im Chinagarten - Stefanie Wider-Groth - Страница 9
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In der Nacht vom Ostermontag auf den darauffolgenden Dienstag hatte es geschneit. Nicht ein bisschen, sondern richtig, so wie man sich eigentlich weiße Weihnachten vorstellte. Zugegeben, Ostern hatte früh gelegen in diesem Jahr, Ende März bereits, aber wenn schon den ganzen Winter über kein Flöckchen vom Himmel gefallen war, dann hätte es dieser hier nun auch nicht mehr bedurft. Fand zumindest Elke Bofinger, als sie am Dienstagabend von der Arbeit heimkehrte und sich frierend die mit weißen Mützchen bedeckten gelben Blüten der Forsythien vor der Haustür ansah. Hinter der Tür entledigte sie sich ihrer Schuhe und ihres Mantels und wollte gerade die Tasche mit den Einkäufen in die Küche tragen, als sie im Wohnzimmer Stimmen vernahm. Ihre Mutter hatte offenbar Besuch.
„An deiner Stelle würde ich mich gar nicht einmischen“, sagte sie gerade. „Die letzten zwanzig Jahre hat doch auch niemand etwas von ihm gehört.“
„Nicht ganz neunzehn Jahre, um genau zu sein“, antwortete die zweite Stimme. „Genau deshalb interessiert es mich doch. Denk mal, wenn das wahr wäre. Wir hätten all die Jahre etwas Falsches gedacht.“
„Und?“, fragte Elkes Mutter ungerührt. „Hätte es etwas geändert, wenn ihr was anderes gedacht hättet? Weg wäre er trotzdem gewesen.“
„Wer weiß, wer weiß? Dann wäre sicherlich einiges anders gekommen.“
Elke runzelte die Stirn und steckte den Kopf durch die Wohnzimmertür.
„Hallo Mama, hallo Tante Ruth.”
Zwei alte Augenpaare starrten sie für einen kurzen Moment überrascht an, dann lächelten die beiden Damen erfreut.
„Guten Abend, mein Kind“, sagte Tante Ruth. „Wir hatten dich gar nicht erwartet. Gut siehst du aus.“
„Ist heute nicht Dienstag?“ Rosemarie Bofinger wirkte ein wenig irritiert. „Dienstags hast du doch immer … dings …“
„Volkshochschule“, ergänzte Elke nickend. „Aber diese Woche sind Osterferien. Da fällt mein Kurs aus.“
„Du hast mir nichts davon gesagt.“
„Doch, Mama. Heute früh.“
„Wirklich? Ich kann mich gar nicht erinnern. Jedenfalls ist Tante Ruth jetzt da.“
„Das sehe ich. Worüber habt ihr gerade gesprochen?“
„Wir?“ Tante Ruth und Elkes Mutter wechselten einen schnellen Blick. „Ich sagte, dass Ostern schon lange nicht mehr so kalt war, oder?“
„Die Magnolien werden erfrieren“, bestätigte Rosemarie. „Und für die Tulpen sehe ich auch schwarz.“
„Die Tulpen sind noch nicht so weit wie die Magnolien, meine Liebe.“
„Das stimmt doch gar nicht“, warf Elke ärgerlich ein. „Ihr habt über etwas völlig anderes geredet. Über jemanden, der weg war.“
Wieder wurden Blicke gewechselt, Rosemarie stotterte etwas von „be…bestimmt verhört“ haben, Tante Ruth dagegen setzte ihr sonnigstes Großmutterlächeln auf.
„Meine Hortensien“, erklärte sie bestimmt. „Du weißt schon, die, die früher vor meinem Haus geblüht haben. Vor einigen Jahren verschwunden, weil Ostern so kalt war.“
„Wer’s glaubt, wird selig“, schnaubte Elke, ließ die Tür zum Wohnzimmer offen, ging in die gegenüberliegende Küche und spitzte die Ohren.
„Hatte sie nicht mal was mit ihm?“, hörte sie Tante Ruth tuscheln.
„Ich will nichts mehr davon hören“, antwortete ihre Mutter entschieden. „Trinkst du ein Glas Wein zum Essen oder soll ich uns Tee machen?“
Elke nahm ein Netz Zwiebeln aus ihrer Tasche und knallte es unsanft auf die betagte Arbeitsplatte. Sie machte sich Sorgen. Ziemlich große Sorgen sogar.
***
„Da bin ich wieder“, sagte Emmerich, der vom Hauptbahnhof ein Taxi genommen hatte, um rechtzeitig zurück zu sein. „Habt ihr schon angefangen, zu essen?“
„Noch nicht.“ Lutz hielt die Tür auf und ließ seinen Freund eintreten. „Aber Gabi ist schon da. Müsste gleich fertig sein, was möchtest du trinken?“
„Ich bleib beim Bier.“ Emmerich sog prüfend die Luft ein. „Wie riecht es denn hier?“
„Nach Fisch“, entgegnete Lutz und schnitt eine Grimasse, von der Emmerich annahm, dass es besser war, wenn Angelika sie nicht zu sehen bekam.
„Wieso Fisch? Ich dachte, es gibt Sauerbraten?“
„Mit Knödeln? Das wär’s gewesen, was?“ Lutz warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Küche und ging voraus ins Wohnzimmer, wo Emmerichs Gattin gerade eine Schüssel Salat auf dem Esstisch platzierte.
„Hast du es doch noch geschafft“, stellte sie erfreut fest und ließ sich einen Kuss auf die Wange drücken.
„Wenn ich gewusst hätte, dass es Fisch gibt …“
„Du magst doch Fisch.“ Gabi sah ihn erstaunt an.
„Schon. Ich dachte nur, ihr hättet über Sauerbraten gesprochen.“
„Nur weil wir darüber reden, müssen wir das ja noch lange nicht machen. Man redet schließlich über vieles.“ Gabi nahm Teller aus Angelikas Schrank und verteilte sie auf dem Tisch. „Hast du einen neuen Fall?“
„Weiß noch nicht.“
„Wie? Du musst doch wissen, ob …“
„Vielleicht war’s ein Suizid.“
„Kann man das nicht feststellen, heutzutage?“
„Sie haben der Leiche vor dem Exitus im Krankenhaus noch den Magen ausgepumpt. Der Pathologe …“
„Hasi, bitte. Wir essen gleich.“
„Du hast gefragt.“ Emmerich setzte sich auf seinen Stammplatz und ließ sich von Lutz ein Bier einschenken. Angelika brachte mit verschwitztem Gesicht eine dampfende Kasserolle herein.
„Pfannkuchen mit maritimer Füllung“, erklärte sie stolz. „Das Rezept war neulich bei Vincent Klink im Fernsehen. Ich hab’s ein bisschen modifiziert und noch ein Sößchen dazugemacht. Guten Appetit.“
„Dienstags sollte man eigentlich gar keinen Fisch kaufen“, grummelte Lutz an der Stirnseite des Tisches. „Fisch ist immer nur freitags frisch. Hab ich zumindest mal gehört.“
„Hör doch auf, du alter Brummbär.“ Angelika verteilte goldgelb gebratene Röllchen auf die Teller. „Das ist alles aus der Markthalle, da wird es wohl frisch sein. Teuer genug ist es schließlich.“
„Ich mein ja nur …“
Für einige Augenblicke kehrte Stille ein. Die Pfannkuchen, das musste Emmerich zugeben, schmeckten einschließlich ihrer Füllung und der dazugehörenden Soße schlichtweg hervorragend.
„Warum musstest du weg?“, fragte Angelika nach einer kleinen Weile.
„Sie haben eine Leiche mit ausgepumptem Magen“, erklärte Gabi und schob eine Gabel Salat in den Mund. „Momöglich Selbschmord.“
„Wie lange braucht so ein Essen, bis es durch den Magen ist?“ Angelika nahm sich den nächsten Pfannkuchen.
„Keine Ahnung. Es muss ja erst mal dorthin. Wie ist das, der Darm liegt dahinter, oder?“
„Liebe Mädels.“ An der Stirnseite des Tisches klirrte Besteck. „Wenn ihr wollt, dass ich diesen verdammten Fisch bei mir behalte, dann esst ihr jetzt und seid still.“
„Habt ihr denn gar keine Anhaltspunkte?“, fragte Gabi, als sie es sich einige Stunden später auf dem heimischen Sofa bequem machten. Durch die geschlossene Tür des Kinderzimmers, das Emmerichs immer noch so nannten, obwohl die Bewohnerin desselben mit ihren siebzehn Jahren natürlich längst kein Kind mehr war, drang leise Musik. Mohrle, der getigerte Kater der Familie, schnurrte hingebungsvoll auf Gabis Schoß. Im Fernsehen lief eine Talkshow.
„Tabletten und Alkohol“, murmelte Emmerich schläfrig. „Nichts Außergewöhnliches. Aber Zweigle hat’s wichtig.“
„Zweigle? Das ist der neue Pathologe?“
„So neu ist der auch nicht mehr.“
„Hat er nicht ein Buch geschrieben?“
„Hmmh.“ Emmerich schob sich ein Kissen in den Nacken. Gabi beäugte ihren Gatten misstrauisch.
„Schläfst du schon wieder? Lori liest das Buch gerade, sie sagt, er sei ein sehr gut aussehender Mann.“
„Wer?“
„Dr. Zweigle.“
„Na, ja.“
Loretta Lindemaier war eine der Freundinnen Gabis, denen Emmerich aus dem Weg ging. Es gab nicht viele von dieser Sorte und er fragte sich manchmal, was sie wohl an diesen drei oder vier Frauen fand. Loretta beispielsweise war eine spindeldürre, für Emmerichs Geschmack viel zu exaltierte Person, die sich trotz ihres Alters, das ungefähr dasselbe sein musste wie Gabis, die Haare tiefschwarz färbte und ständig Probleme mit Männern hatte. Aus Gründen, die Emmerich verborgen blieben, benötigte sie in diesen Angelegenheiten häufig Gabis Rat, nahm ihn sich aber, zumindest soweit er dies beurteilen konnte, nie zu Herzen.
„Was soll das heißen? Sieht er nun gut aus oder nicht?“, fragte Gabi, immer noch hellwach.
„Ich glaube, er ist ein ganz ordentlicher Pathologe“, wich Emmerich aus und gähnte.
„Du bist sauer, weil es keinen Sauerbraten gab?“
„Nein. Mir ist nur wurscht, wie Zweigle aussieht.“
„Du magst ihn nicht.“
„Geht so.“
„Dann“, sagte Gabi nachsichtig, „sieht er gut aus.“
„Möglich.“
„Und ihr wisst nicht, wer es ist?“
„Wer? Zweigle?“
„Der Tote!“
„Wir werden’s rausfinden.“ Emmerich fielen die Augen zu.