Читать книгу Faylinn - Hüterin der Türen (Band 1) - Auf Weave Mansion - Stefanie Worbs - Страница 5
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„Komm schon, Lia. Wir müssen los!“, rief ich meiner kleinen Schwester zu, denn sie trödelte noch im Bad herum. „Das schaffen wir nie in fünf Minuten.“ Ich konnte nur den Kopf schütteln. Nicht dass es schlimm gewesen wäre, wenn wir zu spät kamen. Aber auch die Professoren von Weave sahen es nicht gerne, wenn man in den angefangenen Unterricht platzte.
„Ich komm ja schon“, murrte sie und schleppte sich aus dem Bad. „Ich hab keine Lust auf Sport.“
„Dann guck eben nur zu. Wir müssen trotzdem los. Ich habe nämlich Lust auf Raum-Zeit“, sagte ich und zog auffordernd die Augenbrauen hoch.
Lust auf Schule war seltsam für mich, denn normalerweise konnte ich Lernen nicht ausstehen. Zumindest was die Otto Normal Schule angegangen war. Seit ich auf Weave war, hatte sich das schlagartig geändert. Was größtenteils daran lag, dass ich eben kein Bio oder Chemie mehr hatte. Mein Lieblingsfach war Magie. Dort lernten wir, wie wir unsere Kräfte einsetzen konnten. Heute nach Raum-Zeit würde ich eine Tripel-Stunde Magie haben. Einzel- oder Doppel-Stunden würden bei dem, was gefordert wurde, nicht ausreichen.
Endlich hatte Lia alles beisammen und wir machten uns auf den Weg. Die Turnhalle lag im hinteren Teil der Mansion und ihre Mitschüler waren schon fast alle umgezogen.
Ein Stöhnen drang an mein Ohr, also drehte ich mich zu Lia um. „Was ist denn?“, fragte ich, schon leicht genervt, denn den Anfang meiner Stunde würde ich jetzt definitiv verpassen.
„Ich hab meine Sporttasche vergessen“, gab sie zu, verdrehte aber selbst genervt die Augen. Ich musste grinsen. Ob Absicht oder nicht, sie schaffte es immer mich aufzuheitern.
„Dann geh eben so und sag deinem Lehrer Bescheid. Heute wird’s mal gehen.“
„Okay.“ Sie kam herüber und drückte mich kurz. „Viel Spaß bei Magie nachher“, grinste sie zu mir nach oben und ich wusste, dass sie auf Deaken anspielte. Sie mochte meinen Professor für Magie wirklich sehr. Er hatte sie damals immer in der Anstalt besucht und die beiden hatten einander ins Herz geschlossen.
„Ich werde ihm Grüße von dir bestellen“, grinste ich zurück und machte mich los. Sie lief an mir vorbei und in die Turnhalle. Ich seufzte und machte mich auf zu Raum-Zeit. Mein Weg war nicht allzu weit. Ich durchquerte den Indoor-Garten und trat auf den Fahrstuhl zu. Er verband alle vier Stockwerke und den Keller der Mansion oder besser die Klassenräume. Sicher, die Treppe hätte es auch getan, doch der Lift hielt genau in den Klassenzimmern.
Der Aufbau der Mansion war immer wieder faszinierend. Man betrat sie durch ein prachtvolles Eingangsportal. Große Durchgänge führten rechts in eine Bibliothek und links zu den Aufenthaltsräumen der Schüler. Von diesen ging es über weitere Treppen zu den privaten Zimmern. Von der Bibliothek aus führte eine Treppe zu den Büros und Zimmern der Professoren. Vom Portal gesehen geradeaus kam man zum Fahrstuhl und der Treppe, die sich etwas seitlich rechts neben dem Aufzug befand. Dahinter ging es durch den Indoor-Garten zur Turnhalle, der Küche mit Speisesaal und den Außenkampfplätzen. Diese wiederum grenzten an einen riesigen Garten, der, neben einem Heckenlabyrinth, auch einen kleinen Wald am hinteren Ende besaß.
Die Schüler munkelten immer, dass es im Wald Fabelwesen gäbe. Keiner war sich sicher. Das Einzige was ich wusste, war, dass dort Fenixe lebten. Kleine, diebischer Erdgeister. May hatte mir von ihnen erzählt. Aber gesehen hatte ich noch keinen. Überhaupt hatte ich noch keine Fabelwesen gesehen, außer Ava und Meryl. Ein bisschen wünschte ich mir schon, mal einem zu begegnen, doch große Hoffnungen machte ich mir nicht. Sie hielten sich von Menschen fern und ich war einer.
Im Garten fand sich auch ein mega großer Pool mit Bar und allem was dazugehörte und eine große Rasenfläche für Freizeitaktivitäten. Die Mansion hatte viele Angestellte, die sich um alles kümmerten, doch auch sie sah man nie, bis auf die Köche und die Bedienung im Speisesaal. Nicht mal den Gärtner oder den Poolboy. Schon seltsam.
Der Aufzug kam nun und die Türen glitten auf. Ich stieg ein und hielt meine Schlüsselkarte vor den Scanner, dann drückte ich die Vier für das Klassenzimmer von Raum-Zeit. Ohne so eine Schlüsselkarte konnte man den Fahrstuhl und bestimmte Türen nicht nutzen. Eine Sicherheit, denn ab und zu waren auch nichtmagische Leute hier. Und die mussten nichts von den fantastischen Räumen wissen. Die Türen glitten zu, doch kurz bevor sie sich ganz schlossen, schob sich eine Hand dazwischen und die Notbremse sprang an. Ich seufzte abermals.
Zu spät, zu spät, zu spät, ging es mir in einem Singsang durch den Kopf.
Deaken und ein mir unbekannter Mann stiegen ein. Das war komisch. Mittlerweile kannte ich alle Professoren oder Lehrkräfte und was sonst sollte der Fremde sein?
Er hatte ebenfalls eine Schlüsselkarte und hielt sie vor den Scanner, dann drückte er die Taste mit der Zwei. Mythen und Legenden. Deaken stellte sich nur neben mich. Kurz war ich verwirrt, weil er ja in die Kellerräume gehörte. Also nicht weil er dahin gehörte, sondern weil das Klassenzimmer für Magie dort war.
Er erklärte es, noch bevor ich fragen konnte. „Hallo Fay. Du hast Raum-Zeit? Ich komme mit.“
Ich nickte. „Ja. Heute kein Magie?“, fragte ich zurück und runzelte die Stirn.
„Doch. Aber ich muss vorher was mit Professor White klären.“
Ich nickte wieder. Der Fremde stieg in Mythen und Legenden aus, hob kurz die Hand Richtung Deaken, dann gingen die Türen wieder zu.
„Wer war das?“, wollte ich wissen und sah Deaken fragend an.
„Professor Zoel. Er ist euer neuer Lehrer für Mythen.“
„Was ist denn mit May?“, hakte ich nach, denn normalerweise hielt sie die Stunden ab.
„Sie ist im Moment etwas zu beschäftigt. Aber keine Sorge, sie macht weiter. Zoel übernimmt nur ein paar ihrer Stunden.“
„Ah ja. Schöne Grüße übrigens von Lia. Sie macht mich fertig mit ihrem Gerede über Magie. Es wird Zeit, dass sie es als Pflichtkurs bekommt.“ Ich stöhnte gespielt. Lia ging mir tierisch auf den Geist mit Magie. Nicht nur, weil sie Deaken so gern hatte, sondern auch, weil sie total verrückt danach war zu zaubern. Das wiederum war die größte Schmach für mich gewesen. Denn kurz nach unserer Ankunft hier war Lias Magie erwacht. Ja, meine kleine Schwester konnte zaubern. Sie konnte es hier in der Menschenwelt und ich nicht. So was Unfaires. Das erklärte jedoch, warum May und Deaken sich am Ende so sehr beeilt hatten, uns noch rechtzeitig aus der Anstalt zu bekommen.
Sie hatten gewusst, dass Lia Kräfte besaß und wollten um jeden Preis verhindern, dass sie erwachten, bevor Lia auf Weave Mansion war. Es war wirklich knapp gewesen. Normalerweise erwachte die Magie in Menschen ungefähr im Alter von acht oder neun Jahren. Lia war mit ihren zehn also schon drüber gewesen. Doch sie hatte sowieso bei allem die Ruhe weg, warum also nicht auch dabei?
Sie war das komplette Gegenteil von mir. Mir konnte nichts schnell genug gehen. Ausdauer? Pah!
Ein Fremdwort für mich. Außer beim Zeichnen. Das war das Einzige, was mich stundenlang beschäftigen konnte. Mit Zeit vergessen und allem ringsherum.
„Sie ist wirklich begabt.“, meinte Deaken und schaute auf die Anzeige der Stockwerke. „Vielleicht werde ich sie für einen Sprung vorschlagen.“
„Einen Sprung?“
„Sie könnte eine Klasse überspringen. Also nur für Magie. Sie würde in ihrer Stufe bleiben, es aber als Pflichtkurs bekommen.“
„Geht das denn?“
„Sicher. Gegen Ende der Lehrzeit hat fast kein Schüler mehr genau die Kurse, die er in dem Jahrgang haben sollte, in dem er ist. Einige hängen hinterher, andere sind vornweg. Wir versuchen, alle so individuell zu fördern, wie es geht.“
„Cool.“ Auch ich schaute nun auf die Anzeige. Eine Vier erschien und die Türen glitten auf. Deaken gab mir den Vortritt und ich betrat das Klassenzimmer für Raum-Zeit. Es raubte mir immer wieder den Atem. Alle Klassenräume hatten denselben Aufbau, waren aber unterschiedlich hergerichtet. Raum-Zeit war mit Abstand der Beeindruckendste.
Der Saal war rund und fiel zu einer Seite ab wie ein Miniamphitheater. Hinter dem Tisch, an dem der Professor seinen Platz hatte, war eine Leinwand angebracht. Die runden Wände daneben sahen aus, als wären sie aus Steinen gemauert, doch die waren nur als Dekoration an die Wand gebracht worden. Es waren echte Onyxe und Aventurine. Ihre Farben schimmerten zwischen nachtschwarz und wunderbar dunkelgrün. Einige Steine hatten goldene Sprenkel und sie alle glänzten leicht im Lichtschein.
Die beiden Dekowände zogen sich vielleicht zehn Fuß nach links und rechts, dann begannen Regalreihen mit unzähligen Büchern. Die Minibibliothek verlief ungefähr in sieben Fuß Höhe vom Boden aus in einer Art Galerie an den Wänden entlang und ein Mal herum. Sie wurde von einem hüfthohen Geländer vom Miniamphitheater getrennt und maß vielleicht drei Schritte von den Regalen zum Geländer. Zwei Treppen führten zum Professorenpult hinab. Eine links, eine rechts.
Der Fahrstuhl lag etwas weiter seitlich der Rechten. Ich ging auf sie zu, stieg vier Stufen runter und ließ mich auf einen Platz fallen. Dyllan saß auch in dieser Reihe, schenkte mir aber keine Beachtung. Er schaute abwesend zu Professor White und war offensichtlich mit den Gedanken woanders. Deaken lief zu seinem Kollegen und lenkte ihn kurz ab.
Ohara drehte sich zu mir nach oben und warf mir einen geringschätzig Blick zu. „Du hältst nicht viel von Pünktlichkeit, was?“, giftete sie und verengte die Augen. Was wollte die denn jetzt?
Sie kam selbst oft genug zu spät. Ich hob meine Hand und zeigte ihr symbolisch den Ring an meinem Mittelfinger, Handrücken zu ihr. Ihre Augen verengten sich noch mehr. In dem Moment kam Deaken wieder hoch und hielt bei mir an. Sein Blick glitt von Ohara zu mir. Meine Hand war schon wieder unten, also hatte er meine Geste zum Glück nicht gesehen.
„Fay, du machst heute nur eine Stunde Raum-Zeit. Komm dann runter zu Magie.“
„Öhm, okay“, brachte ich nur heraus. Nur eine Stunde Raum-Zeit, verdammt. Ich würde wieder Stoff nachholen müssen.
Er legte mir kurz eine Hand auf die Schulter und lächelte. Wieder glitt sein Blick zu Ohara, die mich anfunkelte, den Blick aber sein ließ, als sie seinen bemerkte. Sie wandte sich nach vorn und er ging.
Gerade waren die Aufzugtüren zugegangen, da wandte sie sich abermals um. „Du Flittchen!“, schoss sie leise zu mir, dann drehte sie sich zurück und ich konnte sehen, wie sie die Arme vor der Brust verschränkte und dumm tat. Bitte? Flittchen? Was? Wie war die denn drauf?
Ich meine, wir hatten uns noch nie gut verstanden, aber echt mal, wir hatten auch noch nie wirklich Kontakt. Hatte ich ja immerhin zu keinem von denen hier. Hüter unter sich halt.
„Was ist dein Problem“, fauchte ich und beugte mich zu ihr runter, damit nicht alle mithörten. Sie drehte sich wieder zu mir, in ihren Augen stand der pure Neid. Sie war neidisch? Auf mich? Warum?
„Ich seh doch, wie du dich Deaken an den Hals wirfst!“
Bitte was tat ich?
Mein Blick musste das auch gesagt haben, denn sie zischte weiter. „Jeder hier sieht das! Glaubst du etwa, das fällt nicht auf? Ständig hängst du ihm am Hemdsärmel!“
Oh ... mein ... Gott. Sah das wirklich so aus? Himmel, nein! Da war was komplett falsch rübergekommen! Okay, wir redeten ab und an, aber meist über Lia oder den Unterricht.
„Ich hänge ihm nirgendwo dran! Erzähl nicht so einen Scheiß!“
„Ach nein? Warum bist du dann ständig im Keller? Oder in der Bibliothek? Oder im Wintergarten? Du bist ständig da, wo er auch ist! Halt mich nicht für blöd, Waters!“
Ich konnte nicht mehr tun, als sie anzustarren, während sie meinen Blick festhielt, dann endlich schaffte ich es, zu verarbeiten, was sie eben gesagt hatte. „Ich bin im Keller, weil ich Extrastunden in Magie bekomme, das weiß jeder! Und ich lerne. Dazu braucht man Bücher und die stehen nun mal in der Bibliothek! Im Wintergarten bin ich, weil da das Licht am besten ist und nicht, weil er da rumhängt!“, fauchte ich zurück. Mir war auch ehrlich gesagt gar nicht aufgefallen, dass er da war. Warum auch? Ich ging da zum Zeichnen hin, nicht um mich außerhalb des Unterrichts mit meinen Professoren zu treffen.
„Ihr duzt euch!“, zischte sie eine weitere Anschuldigung.
Gut, das war eigentlich keine Anschuldigung. Es stimmte. Waren wir allein, duzten wir uns. Aber nur, weil wir uns auch privat kannten, durch die Anstalt und so. Außerdem war Deaken gerade mal Mitte 20 und fand es doof gesiezt zu werden.
„Und was wolltest du gestern im Professorenflügel?“, giftete sie weiter.
„Gott, stalkst du mich?“
„Was wolltest du da, Waters?“, fragte sie noch mal.
„Ich war bei Professorin Rivers. Sie hat mir ein paar Aufzeichnungen über meine Anders-Welt gegeben! Hörst du mal auf, mir was andichten zu wollen!“
Wieder funkelte Ohara mich nur böse an. Doch endlich schienen ihr die Anschuldigungen auszugehen. Ein letzter Blick und sie drehte sich wieder nach vorn. Ich ließ mich zurücksinken und schloss kurz genervt die Augen. Gott, die hatte Probleme.
„Sie hat recht“, kam es von der Seite und ich bemerkte erst jetzt, dass Dyllan aus seinen Gedanken aufgetaucht war. Er sah mich an, doch in seinen Zügen stand keine Abneigung oder Ähnliches. Ehrlich gesagt, war er meist recht teilnahmslos und neutral.
„Mit was denn?“, fauchte ich leise und warf ihm einen bösen Blick zu.
„Du bist immer da, wo auch er ist. Allerdings ist deine kleine Schwester schlimmer.“ Jetzt grinste er doch. Ich konnte nicht anders und musste ebenfalls lächeln. Lia war außerhalb der Schule tatsächlich ziemlich oft da, wo Deaken war. Sie hatte eben einen Narren an ihm gefressen.
„Ich hab echt keinen Plan, was ihr meint“, hielt ich fest und Dyllan schüttelte nur leicht amüsiert den Kopf. Dann richteten wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf Professor White. Kurze Zeit später stand er bei mir und riss mich aus meinem Kapitel über Zeitverschiebung. Wir sollten es lesen und uns Notizen für einen Vortrag machen.
„Faylinn.“
Ich schaute auf und sah die Aufforderung zum Gehen in seinem Blick. Ich nickte und packte meine Sachen zusammen. Ohara warf mir erneut einen fiesen Blick über die Schulter zu, als ich aufstand und zum Fahrstuhl ging. Ich ignorierte sie, war allerdings gespannt, was da noch draus werden würde. Nur gut war ich gegen Gerede immun. Ich hatte es auf meiner alten Schule lange genug aushalten müssen. Lass sie reden und sie werden verstummen war mein Motto geworden.
Ich hielt die Schlüsselkarte vor den Scanner und drückte die Taste für den Keller. Die Türen glitten zu und der Lift hinab.