Читать книгу Phönix Band 2 - Stefanie Worbs - Страница 6
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Wir stehen in der Bahn und ich weiß, dass es Bent genauso ergeht wie mir. Sein Griff um die Haltestange ist so fest, dass seine Fingerknöchel weiß werden. Auch ich muss den Drang herunterkämpfen, einfach aus diesem Abteil zu stürmen, um an die Luft zu gelangen.
Elfen sind einfach keine Untergrundbewohner. Andererseits halten wir uns heute nur kurz hier auf und es ist für Ty. Das werden wir schaffen.
„Erkennst du jemanden?“, höre ich Bent, das gefühlt tausendste Mal fragen.
„Nein.“ Wie auch? Die halten alle so viel Abstand und viele steigen sofort wieder aus, wenn sie sehen, dass wir hier sind. Dass wir keine Waffen tragen und auch sonst eher wie zwei Häufchen Elend aussehen, tut dem keinen Abbruch.
„Wie lange müssen wir hier noch mitfahren, En?“ Bent klingt wie ein Junge, der endlich ankommen will, weil ihm schlecht ist.
„Was weiß ich denn!“, fahre ich ihn an und die letzten beiden mutigen Menschen im Abteil drängen sich weiter von uns weg. Der Zug hält und sie sind so schnell draußen, dass man meinen könnte, ein Gummiband hätte sie rausgezogen.
Resigniert lasse ich mich auf einen Sitz fallen und vergrabe das Gesicht in den Händen. „Verdammter Scheißdreck.“
„Können wir jetzt auch aussteigen?“, fragt Bent gerade, da schließen sich die Türen und er seufzt. „Können wir dann bitte die Nächste nehmen?“
„Mhh“, raune ich nur, lasse die Hände aber, wo sie sind. Das kann doch alles nicht wahr sein. Wir werden niemanden finden, der uns hilft. Allein deshalb, weil wir Elfen sind und einen Menschen brauchen. Welcher Mensch würde das auch freiwillig tun?
Ich gehe stark davon aus, dass selbst die Alte nein gesagt hätte.
Zehn Minuten später hält der Zug erneut. Ich brauche einen Moment, stehe dann aber frustriert auf und folge meinen Bruder aus dem Abteil. Doch kaum bin ich draußen, laufe ich in ihn hinein. Da steht er und schaut auf etwas zu seinen Füßen hinab. Ich spähe an ihm vorbei, um zu sehen, um was es sich handelt und erkenne, dass es nicht etwas, sondern jemand ist.
Ein Zwerg, der ihm gerade mal bis kurz übers Knie reicht, steht vor ihm. Die Arme vor der Brust verschränkt, fixiert er Bent mit zornigem Blick. Ich trete an die Seite meines Bruders und mustere den Gnom.
„Gott, bist du klein“, rutscht es mir raus und Bent stößt erheitert die Luft aus.
Der wütende Blick des Zwerges trifft mich. „Was wollt ihr hier?!“, fragt er gereizt und schaut nun zwischen uns hin und her. „Was glaubt ihr, gibt euch das Recht, mit meinem Zug zu fahren?!“
Bent zieht die Augenbrauen hoch und sagt: „Ich wusste nicht, dass es uns verboten ist.“
„Ist es auch nicht“, feixe ich. „Der Kleine ist nur stinkig, weil wir seine Fahrgäste vergrault haben.“
„Halts Maul, Elf!“, spuckt er mir vor die Füße. „Ihr habt hier unten nichts verloren! Verschwindet!“
„Ey, bleib mal ruhig, Kleiner“, versucht Bent ihn zu beruhigen und macht eine nach unten drückende Geste, die komm runter bedeuten soll.
„Wir sind ja schon weg“, baue ich mich ein und packe den Arm meines Bruders, um ihn zur Treppe zu ziehen. „Es wird schon dunkel. Ich war den ganzen Tag nicht bei Ty.“
„Ty? Tyree?“, kommt es von hinter uns und der Zwerg starrt uns mit offenem Mund an, als wir uns ihm abermals zuwenden.
„Kennst du sie?“, will Bent sofort wissen und sein Blick fliegt kurz zu mir.
„Natürlich kenne ich sie! Sie lebt?“, sagt und fragt der Zwerg zeitgleich.
„Ja. Bei uns“, erklärt Bent und klingt verwirrt.
Ich drängle mich an ihm vorbei und stehe schon wieder vor dem Zwerg. „Du kennst sie auch!“, halte ich fest. „Oh allen Göttern sei dank!“ Ich sinke auf die Knie und bin jetzt fast auf Augenhöhe mit ihm. „Bitte komm mit uns und hilf ihr!“, höre ich mich selbst flehen.
Die Augen des Zwergs werden noch größer, dann schaut er zu Bent. „Was habt ihr mit ihr gemacht?“
„Nicht wir“, antwortet mein Bruder. „Aber sie braucht dringend Hilfe und wir kommen nicht an sie ran. Wir suchen schon den ganzen Tag jemanden, dem sie vertrauen würde.“
„Wo ist sie?“, fragt der kleine Mann und klingt entschlossen.
„Bei uns. Im Anwesen.“
Wieder wird sein Gesicht finster. „Ihr habt sie verschleppt!“
„Nein. Wir wollten ihr helfen. En wollte das. Aber jetzt ist was passiert und auch er kann nichts für sie tun. Würdest du uns helfen, ihr zu helfen?“
Für einen Moment taxiert er Bent nur, dann endlich sagt er: „Natürlich helfe ich ihr.“ Wobei er betont, dass er Ty hilft, nicht uns.
„Danke“, kann ich nur flüstern, weil die Erleichterung mich einfängt. Wir haben jemanden gefunden, der helfen kann und will. Dem Himmel sei dank!
Der Zwerg, Zeez, ist der Zugführer und da alle seine Gäste sowieso weg sind, lässt er sein Gefährt für heute und für Tyree stehen. Nachdem wir ihm kurz erklärt haben, was genau passiert ist, drängt er jedoch darauf, auch seine Frau mitzunehmen. Sie hat, eben als Frau, wohl einen besseren Draht zu Ty.
Es ist schon dunkel, als wir endlich wieder im Anwesen sind. Dadurch kommen wir aber ungesehen bis in meine Räume. Myra, Zeez’ Frau, eilt sofort in Tys Zimmer und verschließt die Tür hinter sich. Selbst wenn ich wollte, würde ich nicht reinkommen, ohne die Tür zu zerschlagen, denn die Zwergin hat den Schlüssel mitgenommen und von innen verriegelt. So bleibt uns anderen nichts weiter übrig, als zu warten.
Cara hat nichts zu berichten, was mir schon klar war. Was sollte sich auch ändern, in nicht mal 12 Stunden. Also hocken wir alle schweigend in meinem Zimmer verteilt und warten darauf, dass sich bei Ty was tut.
Nach einer kleinen Ewigkeit geht die Tür wieder auf und Myra winkt Cara wortlos zu sich. Meine kleine Schwester steht auf und verschwindet ebenfalls im Zimmer. Wieder wird die Tür verriegelt und diesmal bleibt sie noch länger zu.
„Ich will da rein!“, höre ich mich nach einer weiteren Ewigkeit knurren.
„Bald“, kommt es beruhigend von Bent.
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie dich noch an sich ran lässt, Elf“, brummt Zeez. „Ihr habt ihr das angetan!“
„Ich wollte ihr helfen!“
„Das hast du aber nicht!“ Er steht auf und kommt auf mich zu. „Du hast sie hierher gebracht und den Hunden zum Fraß vorgeworfen, du arroganter Vollpfosten! Nicht einen Gedanken hast du daran verschwendet, dass es ihr schaden könnte!“
„Ich hab sie vor dem Tod bewahrt!“
„Du hast sie quasi umgebracht!“
Stille. Darauf kann ich nichts erwidern, denn er hat recht. Sicher wollte ich ihr helfen und sicher habe ich das bis zu einem gewissen Punkt getan und dann habe ich aufgehört. Ich habe sie allein in der Bibliothek sitzen lassen. Ich hätte sie genauso gut auch mit zum Training nehmen können. Aber ich habe sie allein gelassen. In diesem Haus. Ich hätte es ahnen müssen.
Meine Augen beginnen zu brennen und ich wende kurz den Blick ab. „Es tut mir leid“, flüstere ich. Mein Blick trifft Zeez wieder und ich sehe seinen milde werden.
„Immerhin hilfst du ihr jetzt.“
„Ich tue gar nichts. Ich kann nicht! Sie will nicht, dass ich ihr helfe.“
Seine Hand legt sich auf meinen Unterarm und er drückt erstaunlich fest zu. „Du hast ihr geholfen, weil du uns gesucht hast.“
Ich nicke nur, kann die Aufmunterung aber nicht wirklich annehmen.
Irgendwann mitten in der Nacht geht die Tür endlich wieder auf und die Frauen kommen raus. Sofort bin ich bei den beiden und sehe Cara erleichtert lächeln.
„Sie schläft. Wir konnten sie baden und umziehen und ihre Wunde versorgen. Sie hat was von dem Saft genommen. Aber ich habe die Salbe weggelassen“, erklärt sie und ich nicke.
„Danke“, hauche ich und schaue dann Myra an. Abermals sinke ich auf die Knie und senke den Kopf. „Danke.“
Ihre kleine Hand legt sich auf meine Schulter. „Gib ihr Zeit“, meint die Zwergin und ich sehe Mitgefühl in ihrem Blick, als ich aufschaue. „Sie hat viel durchgemacht. Dränge sie nicht.“
„Werde ich nicht. Kann ich rein?“
Sie lächelt amüsiert. „Bleib besser erst mal hier.“ Sie wirft einen Blick zur Tür und sieht dann wieder mich an. Ihr Ausdruck wird nachdenklich. „Ich weiß nicht, was besser ist. Wenn sie allein ist oder wenn jemand auf sie aufpasst.“
An ihrem Tonfall merke ich, dass etwas nicht stimmt. „Was ist los?“, will ich wissen und schaue zu Cara auf.
Sie antwortet unsicher: „Ty wollte ... sie hat ... Gott, En. Ich kann’s verstehen.“
„Was?“, hauche ich nur und jetzt steht auch Bent auf und kommt rüber.
„Der Teller mit dem Essen war zerbrochen und die Scherben ...“
Ich schnelle hoch und fasse meine Schwester an den Armen, doch wieder berührt Myra mich sanft.
„Enyo. Alles gut. Sie hat nichts getan“, erklärt sie.
„Was wollte sie tun“, frage ich, obwohl ich die Antwort kenne.
Cara senkt den Blick und sagt: „Ich glaube, sie wollte sich die Arme aufschneiden.“ Mein Herz beginnt schmerzhaft schnell zu rasen. „Sie hat’s nicht getan, En. Der Teller war zerbrochen und bei ihr lagen Scherben. Eine davon hat sie die ganze Zeit angestarrt, bis wir sie endlich überreden konnten, mit ins Bad zu kommen. Ich hab alles weggeräumt, womit sie sich verletzen könnte“, fügt sie an und sieht mir eindringlich in die Augen. „Ich glaube auch, wir konnten sie etwas aus ihrer Abwesenheit holen.“
„Sobald sie wach ist, sollte sie essen und vor allem mehr trinken“, erklärt Myra wieder. „Sie ist dehydriert und ihr Körper braucht Energie, um sich zu erholen.“
Ich nicke ihr zu und lasse Cara los. „Danke“, kommt es mir abermals leise über die Lippen.
„Bitte kommt mit runter und esst mit uns“, lädt Bent die Zwerge ein, die annehmend die Köpfe senken. „En?“, fragt er, doch ich verneine.
„Ich bleibe hier.“
„Alles klar.“
Als alle mein Zimmer verlassen haben, ist es fast gespenstisch still. Mein Blick fällt auf Tys Tür, dann beschließe ich, sie zu öffnen. Ich werde aber in meinem Zimmer bleiben, damit sie nicht wieder erschreckt und Angst bekommt, wenn sie aufwacht. So leise wie möglich aber laut genug, damit sie mich hören würde, wäre sie wach, öffne ich die Tür.
Da liegt mein Mädchen. Endlich wieder im Bett und nicht mehr voll Blut. Sie hat die Augen zu und atmet gleichmäßig und ruhig. Für einen Moment betrachte ich sie, dann gehe ich zurück zu meinem Bett und sinke davor auf den Boden. An das Fußende gelehnt, kann ich nur noch eine minimale Erhebung, unter ihrer Decke ausmachen, doch das reicht mir.
Sie schläft, das ist gut. Und wenn sie aufwacht, wird sie sicher auch wieder essen.