Читать книгу Phönix Band 2 - Stefanie Worbs - Страница 8

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Enyo

Es ist irgendwann kurz vor Sonnenaufgang, als mich ein Geräusch weckt. Der Himmel draußen wird schon heller, doch es ist noch mindestens eine Stunde hin, bis es Tag wird. Mein Blick fliegt vom Fenster zur offenen Tür. Tyree ist nicht mehr im Bett.

Alarmiert springe ich auf und kurz wird mir schwarz vor Augen. Doch schon stehe ich in ihrem Zimmer und schaue mich um. Ich entdecke mein Mädchen am Fenster in der Ecke, in der sie schon die letzten Tage verbracht hat. Ihr Kopf lehnt an der Scheibe, die Beine hat sie angezogen, die Arme darum geschlungen.

Sie zittert. Ich zwinge mich, langsam rüberzugehen, damit sie Zeit hat, mich zu registrieren. Eine minimale Augenbewegung, die ich nur als Spiegelbild im Fensterglas sehe, verrät mir, dass sie mich bemerkt hat. Ich sinke an der Wand ihr gegenüber in den Schneidersitz und mustere sie.

Sie sieht nicht viel erholter aus als gestern, doch ihre Sachen sind sauber und endlich ist das Blut verschwunden. Es hat mich jedes Mal eine Menge Kraft gekostet, deswegen nicht auszuticken. Denn es hat mich immer wieder daran erinnert, was passiert ist und dass ich es nicht verhindert habe.

Eine kleine Weile herrscht Stille, bis ich sie vorsichtig breche. „Ty?“

Ihr Kopf dreht sich, bleibt aber an die Scheibe gelehnt, während sie mich anschaut. Sie sagt nichts.

„Wie geht es dir heute?“, will ich wissen und frage es, das erste Mal seit Tagen.

„Gut.“

Sie hat geantwortet, zu meinem Erstaunen. Doch sie hat gelogen, was mich nicht erstaunt. „Hast du Hunger?“, frage ich weiter, weil sie wirklich dringend was essen sollte.

„Nein.“ Das war sicher keine Lüge, denn sie senkt den Blick, als würde es ihr leidtun.

„Kann ich dir was anderes bringen? Tee oder Milch?“

Sie schüttelt den Kopf.

„Ty, lass mich dir helfen“, bitte ich sie, obwohl ich sie gar nicht dahingehend ansprechen wollte.

„Das kannst du nicht“, kommt die erwartete Antwort.

„Ich will es versuchen.“

„Wie denn?“ Ihre Stimme ist leise und angeschlagen. Die blauen Flecken am Hals werden aber schon heller, fällt mir auf.

„Sag mir, wer es war“, bitte ich sie so leise, dass es mich wundert, dass sie es überhaupt verstanden hat.

„Niemand“, haucht sie nur.

Wieder herrscht eine Weile Stille, die ich erneut breche, obwohl ich noch gar nicht weiß, was ich überhaupt sagen kann. Jetzt, wo sie endlich spricht, will ich einfach ihre Stimme hören. „Kleine ... sag mir, was er gemacht hat.“ Sofort schlage ich mich mental selbst vor den Kopf. Ich Idiot! Warum sage ich ausgerechnet das?! Es ist logisch, dass sie nicht drüber reden will! Ich Volltrottel!

Schweigen schlägt mir entgegen, doch ihr Blick ruht auf mir, als ich meinen zu ihr hebe. Sie sieht mich an, als überlege sie, ob ich das gerade ernsthaft von ihr gefordert habe.

„Entschuldige, ich ...“

„Er hat mich genommen“, unterbricht sie mich. „Wie er wollte.“ Ihr Blick geht zurück nach draußen. „Er hat mich geschlagen und mit seinem Schwert verletzt. Er hat gelacht und mich beleidigt. Er hat mir gezeigt, dass er stärker ist und ich ihm nichts anhaben kann. Er hat sich genommen, was er wollte. Zweimal.“

Eine Träne rollt ihr über die Wange und ich muss mich davon abhalten, aufzustehen und sie wegzuwischen.

„Er hat mir gedroht. Und sie haben ... keine Ahnung, was sie gemacht haben.“

„Sie?“ Mehrere?! Mein Mädchen schweigt. „Tyree?! Sie?!“

Sie regt sich nicht, doch ihre Augen schlagen für einen Moment nieder. Das ist meine Bestätigung.

„Wie viele?“, kann ich nur entsetzt fragen.

„Wie viele was?“ Jetzt habe ich ihre Augen wieder auf mir ruhen.

„Wie viele waren es.“

Sie hebt kurz die Schultern. „Keine Ahnung. Mit ihm? Drei? Vier?“

Mein Herz beginnt zu rasen. „Haben sie ... alle ...?“

Sie schüttelt den Kopf und ich sehe die Wahrheit in ihrem Blick.

„Was haben die anderen getan?“, will ich weiter wissen.

Wieder hebt sie die Schultern. „Ich weiß nicht.“

„Warst du bewusstlos?“ Ein bisschen hoffe ich es, denn dann hat sie nicht alles mitbekommen.

Doch wieder schüttelt sie den Kopf. „Nein.“

„Was haben sie gemacht?“ Mein Herz rast vor Wut, Frust und Verzweiflung, weil es ihr so schlecht geht.

„Keine Ahnung, En! Woher soll ich das wissen?! Ich kenne mich mit euren barbarischen Foltermethoden nicht aus!“, geht sie mich unerwartet an. „Sie haben mich irgendwohin gezerrt und mich auf so einen komischen Stuhl gesetzt! Sie haben ... etwas ... in mich gepackt und kein Plan, was die da gemacht haben! Es hat ein Mal kurz sehr wehgetan. Mehr hab ich nicht gemerkt. Dann haben sie mich zurückgebracht und sind verschwunden. Genug Informationen?! Oder willst du noch wissen, wo er mich angefasst hat? Hier und hier!“ Ihre Stimme wird immer erstickter. Sie deutet auf ihre Brust und ihre Seiten. „Er hat mich gewürgt und er hat mich geschlagen!“ Sie deutet auf ihren Hals und auf ihr linkes Augen, das noch immer einen Bluterguss hat.

Ihr Blick ist wütend und ihre Aura schickt ihren Zorn und den Schmerz ungehemmt zu mir. „Er hat mich Hexe und Mensch und Hure genannt!“ Ihr Augen glänzen, weil sich Tränen darin sammeln. „Er hat gesagt, wenn ich ihn verrate, kommt er wieder!“ Ich schlucke, doch sie spricht schon weiter. „Er ist gekommen, obwohl ich nichts gesagt habe! Er kommt wieder, En.“

Der letzte Satz kommt so leise und so verzweifelt, dass mir die Luft wegbleibt. Wieder rollt eine Träne über ihre Wange und diesmal kann ich mich nicht zurückhalten und bin so schnell bei ihr, dass sie voller Panik erschreckt und sich gegen die Wand drückt. In ihren Augen steht nackte Angst und sie atmet schwer, als ich mit meinem Gesicht kurz vor ihrem stoppe.

„Er kommt nicht wieder!“, knurre ich. „Niemals mehr! Keiner kommt dir mehr zu nahe! Keiner!“ Ich zwinge mich zur Ruhe, weil ich ihr definitiv Angst mache und das will ich natürlich keinesfalls. Kurz senke ich den Blick, hebe ihn aber gleich wieder. Sie zittert am ganzen Leib. Vorsichtig hebe ich eine Hand und streiche so sachte über ihre Wange und die Tränenspur, dass ich es selbst kaum spüre. „Ich passe auf“, verspreche ich ihr mit ganzem Herzen und hoffe, sie glaubt mir.

„Bitte geh weg“, haucht sie, noch immer voller Schrecken und ich rücke ab. Ihre Augen bleiben weit aufgerissen und sie schiebt sich an der Wand hoch.

„Tut mir leid. Ich ...“ , beginne ich, doch sie drückt sich schon weiter an der Wand entlang. Ich senke den Blick und Ty verschwindet im Bad.

Ich totaler Vollidiot!

Sie bleibt lange in dem kleinen Raum und ich lausche auf das, was sie tut. Nur tut sie nichts. Dann kommt Bent mit Myra ins Zimmer. Ich nicke nur Richtung Bad und die Zwergin verschwindet ebenfalls dort.

„Kommst du mit zum Frühstück? Myra bleibt hier“, erklärt mein Bruder.

„Ja“, ringe ich mich durch. „Ich bin gleich da. Ich muss nur noch schnell was machen.“

Im Esszimmer sind alle versammelt und Ristan wirft mir einen grimmigen Blick zu, als ich reinkomme und mich setze. Fraya schaut mich gar nicht erst an, dafür hat Cara ein Lächeln für mich.

„Guten Morgen, Enyo“, begrüßt Ristan mich und auch das klingt weniger freundlich.

„Guten Morgen, Ristan“, gebe ich ihm zurück, schaue ihn aber nicht an.

„Wie geht es Tyree?“, will er wissen und spielt mit dem Henkel seiner Kaffeetasse.

„Ich denke, es wird besser.“

Er brummt missmutig. „Was wollen die Zwerge hier? Gewährst du denen jetzt auch Asyl?“

„Nein. Sie helfen Ty.“

„Warum?“

„Weil sie Hilfe braucht!“, knurre ich und merke, wie meine Schwäche aufsteigt. „Es ist nicht ganz so leicht, jemanden zu finden, dem sie noch vertraut!“ Mein kurzer Blick für ihn ist zornig.

„Wir haben Heiler“, gibt er nur an.

„Das sind alles Elfen. Mal davon abgesehen, hat sich keiner gefunden, der seine Dienste zur Verfügung stellen wollte.“

„Du hättest mich fragen können. Ich hätte es anordnen können.“

Diesmal fixiere ich meinen Bruder und Regenten mit verengten Augen. „Als wüsstest du nicht, dass Ty keinen von uns an sich ranlässt, nachdem was passiert ist!“

„Das ist ja nicht mein Problem.“

„Du scheinheiliger Bastard!“ Ich stehe schon, als Bents Hand sich um meinen Arm schließt und er mich zurück auf meinen Stuhl drückt.

„Bleibt ruhig, En. Denk an Ty. Es hilft ihr nicht, wenn du austickst.“

Meine Kaffeetasse bekommt einen Schlag mit dem Handrücken und fliegt über den Tisch. Auf der anderen Seite fällt sie runter und zerbricht unter lautem Klirren am Boden. „Pff!“, stoße ich aus und lasse mich wieder auf meinen Stuhl fallen.

„Die Zwerge gehen. Heute noch!“, befiehlt Ristan und nimmt nun einen Schluck von seinem Kaffee.

„Wir brauchen sie hier!“

„Wir sind kein Hotel, Enyo! Die Zwerge verschwinden!“

„Aber Ty ...“

„Ist mir scheißegal!“ Seine Tasse knallt auf den Tisch und der Inhalt verteilt sich darum. „So ein Aufstand für einen Menschen! Ich glaube, es hakt bei dir! Was denkst du denn, was das werden soll?!“

„Jemand hat sie vergewaltigt und verprügelt! Sie haben sie gefoltert oder was auch immer mit ihr angestellt! Und du fragst mich allen Ernstes, was das werden soll?! Sie gehört mir, Ristan! Sie ist mein Mädchen und irgendwer hat sich an ihr vergangen! Sie ist meine!“

„Und du behandelst sie, als wäre sie etwas wert! Ist sie es denn?! Redet sie wieder mit dir?! Ist sie eine Hexe?! Ist sie eine Aleárth?! Ich kann’s mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Sie ist mager, schwach und krank. Was ist an der so toll?! Können wir sie gebrauchen?! Wenn nicht, lass sie endlich sterben und such dir eine Neue! Du investierst viel zu viel Energie in sie, statt dich um deine Pflichten zu kümmern!“

„Eine meiner Pflichten ist es, mein Eigentum zu schützen!“

„Aber nicht dieses Eigentum!“ Seine Stimme ist laut und sicher hört uns jeder im Anwesen. „Sie ist nur ein Mensch, Enyo! Gib sie auf! Wenn sie dir so wichtig ist, erlöse sie doch und bring sie um! Es gibt noch genug Frauen da draußen! Warum sie?!“, fragt er aufgebracht und an seinem Tonfall höre ich, dass er von meinen Gefühlen für sie weiß.

„Weil ich sie liebe, Ristan!“, spreche ich aus, was er sicher nicht hören will. Niemand scheint mehr zu atmen, während mein Bruder und ich uns nur anstarren. Weil er nichts sagt, rede ich weiter. „Ich werde rausfinden, wer das mit ihr gemacht hat! Und ich werde denjenigen dafür zahlen lassen! Und es ist mir scheißegal, dass es ein Elf war und dass sie ein Mensch ist! Sie ist mein Mädchen und niemand hat das Recht sie anzufassen, außer mir!“

Wieder kommt keine Reaktion von ihm. Ich stehe auf und wende mich ab. An der Tür drehe ich mich doch noch mal zurück und sehe alle Blicke entweder auf Ristan oder auf mich gerichtet. „Und die Zwerge bleiben“, erkläre ich, wieder vollkommen ruhig. „Mindestens solange, wie Tyree sie braucht.“ Dann verlasse ich das Esszimmer und mache mich auf den Weg zurück in meine Räume.

Auch wenn Bay noch immer mit den Wölfen Wache hält, will ich Ty so wenig wie möglich allein lassen.

Phönix Band 2

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