Читать книгу Phönix Band 2 - Stefanie Worbs - Страница 7
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Tyree
Unendliche Erleichterung durchflutet mich, als plötzlich Myra vor mir steht. Ohne ein Wort nimmt sie mich in den Arm und hält mich dann einfach fest. Ich klammere mich an sie und vergrabe meine Finger in ihrer Jacke, damit sie nicht wieder geht.
Ein Strom aus Tränen läuft mir über die Wangen, doch kein Laut entringt sich meiner Kehle. Myra ist hier. Ich bin nicht mehr allein.
„Tyree, Kleines. Was haben sie nur mit dir gemacht?“, höre ich ihre Stimme und die Vertrautheit, lässt mich noch mehr weinen. „Beruhige dich, mein Kind. Alles wird gut.“
Es ist gar nicht so leicht, sich zu beruhigen, wenn man seit einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder Licht sieht. Es dauert lange, bis ich es schaffe, die Zwergenfrau loszulassen.
Sie sieht mir prüfend ins Gesicht. „Wie geht es dir?“
Ich kann nichts sagen, weil ich dann gleich wieder weinen würde, also schüttle ich nur den Kopf.
„Oh, Tyree.“ Und wieder liege ich in ihren Armen. Das tut so unendlich gut, dass ich sie am liebsten nie wieder loslassen will. Doch wieder schiebt sie sich von mir und kniet sich dann hin. „Kleines. Deine Freunde haben Zeez und mich geholt. Sie haben uns erzählt, was passiert ist und dass du Hilfe brauchst.“ Ihr Blick huscht kurz über mich, dann spricht sie weiter. „Du musst dich waschen und neue Sachen anziehen. Wollen wir das tun?“
Kurz überlege ich, weil ich mich dazu bewegen muss und das tut noch immer weh, aber sie hat recht. Und ich weiß ja, dass ich bei ihr nichts zu befürchten habe, also nicke ich.
„Sehr gut. Dann komm, ich helfe dir.“
Doch ich habe so lange gesessen, dass meine Beine mich nicht tragen. Unter Stöhnen und Schmerzen sacke ich zurück. Myra ist nicht stark genug, um mir hoch zu helfen, also bleibe ich, wo ich bin. Ihr Blick ruht kurz auf mir, dann fragt sie: „Wir brauchen jetzt wohl beide Hilfe. Ist es okay, wenn ich welche hole?“
Wen will sie denn holen?
Sie deutet meinen Blick und meint: „Draußen ist eine junge Elfenfrau. Darf ich sie fragen?“
Sie meint Cara. Ich will das nicht und schüttle den Kopf.
Sicher sieht man die Angst in meinen Augen, denn Myra meint: „Kleines, bitte. Ich möchte dir helfen, aber ich schaffe es nicht allein. Ich verspreche dir, dich nicht allein mit ihr zu lassen. Ich bleibe die ganze Zeit hier und Zeez ist in einer Sekunde da, wenn ich ihn rufe.“
Als könnte ein Zwerg von Zeez’ Größe sich gegen einen Elfen behaupten. Selbst wenn es sich dabei um eine Elfenfrau handelt. Aber Cara hat mir nichts getan und Myra hat versprochen, mich nicht allein mit ihr zu lassen. Ohne Cara kann ich nicht laufen. Auch wenn ich das eigentlich gar nicht will. Lange schweige ich, weil ich nicht weiß, was ich tun soll.
„Tyree?“ Myra sucht meinen Blick und hält ihn dann fest. „Du brauchst Hilfe. Du bist krank und dein Körper schafft das nicht allein. Lass mich dir helfen, damit es dir besser geht. Bitte.“
„Mir geht’s gut“, lüge ich und spreche das erste Mal seit Tagen. Meine Stimme ist leise und rau und versagt schließlich.
„Geht es nicht. Sieh dich doch an, Kind. Hast du vergessen, wo du bist? Glaubst du, du kannst dir so selbst helfen, wenn du musst?“ Wie sie das sagt, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Muss ich das denn? Wird er wieder kommen?
Natürlich wird er das. Er hat mich zweimal bekommen. Warum nicht ein drittes Mal?
Ich habe zweimal versagt. Konnte mich beide Male nicht gegen ihn wehren, obwohl ich körperlich bei guter Verfassung war. Was nützt es also, gesund zu werden, wenn dann ein Elf kommt und es wieder zunichtemacht?
Ich senke den Blick. „Mir geht’s gut“, wiederhole ich und höre sie seufzen.
„Was er mit dir gemacht hat, ist nicht gutzumachen. Niemand, der das selbst nicht erlebt hat, kann dich jetzt verstehen. Niemand wird dir helfen können, wenn du es nicht zulässt. Deine Freunde da draußen, weißt du, was sie getan haben?“
Ich schüttle leicht den Kopf.
„Sie haben den ganzen Tag nach jemandem gesucht, der in der Lage ist, dir zu helfen, weil sie es selbst nicht können. Weil du sie nicht lässt. Ich will dir keine Vorwürfe machen, denn was passiert ist, ist schrecklich und dich trifft keinerlei Schuld. Aber willst du jetzt aufgeben? Willst du ihn gewinnen lassen? Willst du, dass er seinen Triumph über dich feiern kann?“
Wieder herrscht eine ganze Weile Schweigen, bis ihre Worte schließlich gänzlich bei mir ankommen. Ich schaue auf und runzle die Stirn. Seinen Triumph über mich? Wie meint sie das?
Myra fährt fort, als sie merkt, dass ich wieder zuhöre: „Er hat dich gedemütigt, verletzt und beschmutzt. Er hatte die Kontrolle, weil er stärker ist. Aber Kleines, er ist es nur körperlich. Du bist es geistig. Ich weiß das. Ich kenne dich. Du trotzt jeder Gefahr und bist stolz und stark und ich weiß, dass du dich niemals unterkriegen lässt. Du wirst doch jetzt nicht aufgeben und so einen Mistkerl gewinnen lassen?“
„Ich bin nur ein Mensch.“
„Nicht nur. Du bist ein starkes Mädchen und du bist eine Kämpferin. Gib dem Schicksal nicht, was es will. Hole dir, was du willst.“
„Was will ich denn? Und wie soll ich es bekommen? Die sind Elfen. Die bringen mich um.“ Meine Augen brennen, weil die Angst in mir hochsteigt.
Wieder sieht Myra mich eindringlich an. „Stimmt, sie sind Elfen. Aber keiner bringt dich um. Im Gegenteil. Du hast da draußen Freunde aus diesem Volk, die dir helfen wollen, zu überleben. Sie werden dich verteidigen. Sie werden für dich und mit dir kämpfen. Du musst sie nur lassen. Und was willst du? Hm? Überleg mal.“
Ich kann sie nur verständnislos anstarren.
„Willst du diesem Mistkerl nicht zeigen, dass er keine Macht über dich hat? Willst du nicht, dass er bestraft wird?“
„Er hat das mit mir gemacht. Ich hatte keine Chance. Er ist ein Elf. Die werden nicht bestraft.“
„Warum denkst du das?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Auch sie haben ein Rechtssystem, Ty. Hat Enyo es dir erklärt?“
Hat er. Aber nicht viel. „Er hat nur gesagt, dass ich ihm gehöre und dass es bestraft wird, wenn mir einer was antut.“
„Da hast du es doch“, sagt sie und lehnt sich zurück. „Auch sie kommen nicht ungeschoren davon.“
„Aber ich bin doch nur ein Mensch.“ Wieder brennen meine Augen, doch ich kann die Tränen zurückhalten.
„Hör auf, das so zu sagen. Ja, du bist ein Mensch und hast genauso das Recht auf Vergeltung.“
Ich stoße die Luft aus. „In einem Haus voller Elfen?“, frage ich ungläubig und nun löst sich doch eine der Tränen.
Myra wischt sie mit sanften Fingern weg. „Dass du Enyo gehörst“, sie setzt es in imaginäre Anführungszeichen, „gibt dir Schutz. Du bist sein. Wer dich ohne seine Erlaubnis anfasst oder dir schadet, muss mit einer Strafe rechnen. Und glaube mir, in deinem Fall fällt die nicht gering aus.“
„Was machen sie denn?“, will ich wissen.
Sie hebt kurz die Schultern. „Das kommt ganz auf den Richter an.“
„Und wer ist der Richter?“
„Ristan.“
Erneut stoße ich unecht lachend die Luft aus. „Einer meiner besten Freunde“, sage ich ironisch und schüttle dann den Kopf. Ich werde hier keine Gerechtigkeit erfahren.
„Tyree?“ Sie hebt mein Kinn an und sieht mir fest in die Augen. „Gib nicht auf. Das wäre falsch. Kämpfe, solange du kannst, und gibt ihnen nicht die Genugtuung, gewonnen zu haben. Sie sind nicht die höchste Vollendung und du bist mindesten so viel wert wie zehn von ihnen.“
Das sehen die anders, aber das kann ich ihr nicht sagen. Sie wird weiter argumentieren. Ich muss fast lächeln. Myra ist eine starke Konkurrenz, was das Debattieren angeht.
„Wie sieht’s aus. Wollen wir dich baden?“, fragt sie nun und ich nicke. Sie gibt ja eh nicht auf und sauber sein oder nicht, ändert nichts. „Darf ich die Elfe holen?“, fragt sie wieder, aber leiser. Wieder nicke ich, sie steht auf und geht. Mein Blick fällt auf die Scherben vor mir und hält sich daran fest.
Sie liegen da schon eine ganze Weile und ich hatte sie auch schon ein paar Mal in der Hand. Aber ich bin feige und hab es nicht geschafft, sie über die Stelle am Handgelenk zu ziehen, die mein Leben beenden würde. Ich bin schwach. Ich schaffe es nicht mal, mich selbst zu töten.
Cara kommt und wirft mir immer wieder prüfende Blicke zu, während sie mit Myra alles für ein Bad vorbereitet. Sie hält Abstand, weil ich jedes Mal zucke, wenn sie mir zu nahekommt. Die beiden legen Sachen raus und stellen Dinge bereit. Ich kriege das alles nur am Rande mit, denn mein Blick, bleibt bei den Scherben, unweit vor mir.
Ein Schnitt würde reichen und ich hätte gar keine Probleme mehr. Myras Worte schweben mir im Kopf herum. Er würde gewinnen. Aber hat er das nicht schon?
Er hat mich bekommen. Hat sich das von mir genommen, was ich nicht bereit war herzugeben. Er hat mich verletzt und bereitet mir praktisch jetzt noch Schmerzen. Er könnte es jederzeit wieder tun.
Wenn ich ihn wieder lasse. Aber ich habe mich doch gewehrt! Es hat nichts genutzt. Er war viel stärker als ich. Er ist ein Elf und ich bin nur ein Mensch. Was kann ich schon tun?
Eine Scherbe nehmen und es beenden. Aber sie liegen da schon so lange und ich schaffe nicht mal das. Ich bin schwach. Ich bin feige. Ich bin nur ein Mensch.
Cara kommt und kniet vor mir nieder. Sie legt eine Hand über die Scherbe und unterbricht so mein Starren. Erschrocken fährt mein Kopf hoch und ich lasse sie nicht aus den Augen, während ich mich weiter in die Ecke drücke, in der ich schon die ganze Zeit sitze. Ich sehe Mitgefühl und Sorge in ihrem Blick.
„Darf ich dir aufhelfen?“, fragt sie und wartet geduldig mein Schweigen ab.
Sie wird mich anfassen. Ich schüttle, ohne es zu wollen, den Kopf.
„Schaffst du es allein?“
Nein, das schaffe ich nicht. Ich senke den Blick.
„Lass mich dir helfen, Ty. Bitte.“ Wieder wartet sie geduldig, bis ich endlich nicke. Ich muss mich zwingen, nicht zu zucken, als sie nach mir greift und mich vorsichtig hochzieht. Dann stehe ich und hänge doch halb auf ihr, als sie mich ins Bad bringt.
Das Wasser ist angenehm, doch den Schnitt und die Brandrose spüre ich trotzdem. Genau wie die Blicke der beiden Frauen, als sie helfen, mich zu waschen. Nach dem Bad sitze ich auf dem Rand der Wanne, während Cara meine Wunden versorgt und Myra sich um meine Haare und alles andere kümmert.
Ich fühle mich tatsächlich besser, jetzt wo ich sauber bin und kein Blut mehr an mir klebt. Auch das Gefühl, von innen beschmutzt worden zu sein, lässt langsam nach. Aber die Erinnerung lässt es immer wieder hochkommen.
Kurze Zeit später bin ich wieder angezogen und Cara hilft mir ins Bett. Sie haben schon zeitig alles aufgeräumt und neu gemacht. Nur hat das Bett nun keinen Himmel mehr. Auf der Kante sitzend, reicht mir Ens kleine Schwester den Saft, denn ich die letzten Tage hätte nehmen sollen, aber nicht genommen habe. Meine Krankheit spüre ich dadurch wieder mehr, doch das lenkt mich von den anderen Schmerzen ab, an die ich nicht denken will.
Jetzt nehme ich ihn doch, wehre aber die Salbe ab. Kein Delirium! Cara zieht die Decke über mich und Myra stellt den Tee vom Tablett am Fenster auf den Nachttisch. Keiner hat in der ganzen Zeit etwas gesagt und nun gehen sie und lassen mich wieder allein. Ich weiß, dass Myra hierbleiben wird. Sie will nicht nach Hause gehen, doch sie möchte mir Ruhe geben.
So allein im stillen Zimmer und im Bett, dass viel bequemer ist, als die Ecke, werde ich schlagartig müde und mein Körper holt sich die Erholung, die ich ihm so lange verwehrt habe.