Читать книгу Layla - Stephan Lake - Страница 10

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„Glückwunsch, Elijah, du bekommst also die Wohnung. Freut mich sehr, mein Junge, ehrlich. Die Frau Rommelfanger mag dich, wie es aussieht. Hab ich auch nicht anders erwartet. Enttäusche sie also nicht. Hat dir eben sogar das Bett frisch bezogen, das ist alles andere als selbstverständlich.“

Elijah nickte.

Adams‘ Worte hallten durch das Treppenhaus.

„Du musst nur mal deine Klamotten wechseln, so nass, wie die sind, die riechen.“

„Ich weiß.“

„Das sind jetzt deine.“ Adams hielt einen Bund mit drei Schlüsseln hoch. „Der hier ist für die Eingangstür unten, der dicke ist der Kellerschlüssel, und der hier ist für deine Haustür.“ Er hielt Elijah den Bund hin. „Du solltest deine Haustür jetzt absperren.“

Sie standen vor der Tür zu seiner Wohnung, seine Vermieterin war wieder das Geländer entlang nach unten gehumpelt zu ihrer eigenen Wohnung. Eine sehr nette Frau, die Frau Rommelfanger, sie hatte mit Elijah gesprochen, sich die Hände an der Kittelschürze abgewischt und sich dann gestreckt und ihm die Wange getätschelt und gesagt, Ja, der Junge kann hier wohnen.

Elijah lächelte. Du solltest deine Haustür jetzt absperren.

Er steckte den Schlüssel in die Tür und drehte zweimal nach rechts und zog den Schlüssel ab und steckte den Bund in die Hosentasche.

Es fühlte sich gut an. Sein eigener Haustürschlüssel zu seiner eigenen Wohnung.

Er hatte es geschafft.

Zwei Monate zuvor erst war er wieder einmal beim Jugendamt gewesen und hatte erstaunt geguckt, als er die Tür zu der Schneider aufmachte und einen Kerl auf ihrem Platz sitzen sah, kaum zehn Jahre älter als er selbst.

„Komm rein, keine Angst, komm.“

Elijah hatte gegrüßt und seinen Namen genannt und gefragt, wo denn die Frau Schneider wäre.

„Andere Abteilung. Ich bin jetzt für dich zuständig. Ich heiße Peter. Adams. Mach die Tür zu, Elijah. Ich hab schon von dir gehört.“

Adams hatte ihm dann erklärt, dass er ihm helfen wollte, er wüsste von seinen Eltern, von den Aufenthalten im Heim, und Elijah könnte Peter zu ihm sagen.

„Warum bist du denn heute hier?“

Elijah hatte sich gesetzt und gesagt, er würde ja jetzt bei seinen Eltern wohnen, aber er wollte wieder zurück ins Heim, bitte. Und er würde lieber weiter Herr Adams zu ihm sagen.

Adams hatte ihn angeguckt.

Adams hatte sich dann zwei Stunden mit ihm unterhalten, eine Stunde mehr als die Schneider in den vergangenen zwei Jahren.

Ja, und nun standen sie hier, und Elijah hielt den Schlüssel zu seiner eigenen kleinen Wohnung in der Hand.

„Verlier die Schlüssel nicht. Die nachzumachen, kostet viel Geld. Und keine Sache mehr wie neulich mit dem Moped. Hast du mich verstanden? Ohne Führerschein fahren, Moped nicht angemeldet, und ein Bier hattest du auch noch drin. Das mag für dich ein Scherz gewesen sein, aber so fangen Karrieren an. Lass dir das gesagt sein von mir, wie oft hab ich gesehen, dass Jungs so anfangen und dann kommen Schlägereien dazu und mehr Alkohol und Diebstahl, der erste Bruch und Raub, und dann gehts schnurstracks in die Gottbillstraße.“

Elijah war still.

„Die JVA ist in der Gottbillstraße, Elijah.“

„Das weiß ich, Herr Adams.“

„Weißt du auch, dass das hier deine Chance ist? Deine Riesen- und vielleicht deine einzige Chance auf ein anderes Leben? Du bist schlau, du bist fleißig, das sagen alle deine Lehrer, und ich weiß das auch. Und du bist ein guter Kerl, auch das weiß ich, sonst wären wir jetzt nämlich nicht hier. Du musst nur von deinem Viertel wegbleiben, deinen Freunden dort-“

„Ich habe keine Freunde dort, Herr Adams. Da sind ein paar Jungs, aber mit denen hab ich nicht viel zu tun.“

„Ihr werdet gelegentlich zusammen gesehen.“

„Zufall.“

„Dass ihr zusammen gesehen werdet? Mag sein, aber-“

„Nein, Zufall, wenn ich mit denen zusammen bin, Herr Adams. Wir laufen uns gelegentlich über den Weg, mehr nicht. Glauben Sie mir, ich würde das gerne vermeiden.“

„Das kannst du ab jetzt. Hierher kommen die nicht. Das ist ein gutes Viertel, weit genug von denen weg. Hast du noch einmal mit deinem Vater und deiner Mutter gesprochen?“

Elijah nickte. „Heute Morgen. Sie wissen Bescheid.“

Elijah war ins Wohnzimmer gegangen, wo sie beide in den Sesseln lagen, der Tisch voll mit Flaschen Bier und Apfelschnaps und klebrigen Rändern auf der Platte, die Aschenbecher quellten über. Die Luft war grau vom Zigarettenqualm, der Fernseher lief ohne Ton, ein Sexvideo auf dem neuen Videorekorder, und Elijah hatte sich vor den Fernseher gestellt und gesagt, dass er ausziehen würde. Seine Mutter hatte gelallt, warum er sich denn ausziehen wollte, was sollte das denn jetzt, das wäre doch unanständig, er wäre doch ein anständiger Junge. Er sagte, er würde aus der Wohnung ausziehen, er würde von hier wegziehen, und er würde jetzt gehen, jetzt. Gulli hatte dann geflucht und ihn beschimpft, wie er das immer tat, als Hurensohn und Nichtsnutz und Penner, aus dem nie etwas werden würde, und er würde sich noch umgucken. Dann hatte Gulli eine Flasche Bier nach ihm geworfen, aber Elijah machte einen Schritt zur Seite und die Flasche war gegen die Wand geknallt, ohne kaputt zu gehen. Die Mutter hatte die Arme nach Elijah ausgestreckt, aber er war stehen geblieben, da hatte sie angefangen zu weinen, still, in sich hinein, und dann die Beine angezogen und gerülpst und zu jammern angefangen, wie es ihre Art war. Sie wusste, dass Gulli das nicht mochte, dass es ihn aufbrachte, und Elijah wusste es auch, und es kam, wie es immer kam, Gulli schob sich aus dem Sessel, und Elijah sah erst jetzt, dass Gullis Hose offen stand und sein Schwanz herauslugte; Gulli sprang hinüber und riss der Mutter an den Haaren und knallte ihr erst eine, die sie mit den Armen abwehren konnte, dann noch eine, mit dem Handrücken, eine weit ausholende Bewegung, die sie mitten ins Gesicht traf. Gulli war dann getorkelt und auf sie gefallen.

Elijah war hin und hatte Gulli weggerissen und am Kragen festgehalten, auf Armeslänge, und ihn angesehen, ihn, dem der Hass aus den wässrigen Augen schoss und dem unten immer noch was aus der Hose rauslugte und der ihn anschrie, „Wat, du Penner, wat willste, hä? Du wirst dich noch umgucken.“ Elijah konnte die Spucke zwischen den gelben Zähnen sehen.

Elijah hatte ihm eine Ohrfeige verpasst, auch mit dem Handrücken, auch mitten ins Gesicht, und Gulli war mitsamt seinem Geifer und seinem Hass und seiner offenen Hose auf den Boden gerutscht und liegen geblieben.

Elijah hatte sich dann umgedreht, seine Tasche genommen mit allem, was er besaß, und war gegangen. Er konnte nicht mehr für seine Mutter tun.

Adams sagte, „Du hast mit beiden gesprochen?“

Elijah nickte. „Wir haben alles geklärt.“

„Das ist gut. Deine Eltern haben nicht mehr das Sorgerecht, das liegt jetzt beim Staat. Aber es ist immer besser, wenn die Eltern Bescheid wissen und einbezogen sind. Also“, sagte Adams dann, „du hast es gesehen, das Zimmer hat einen Schrank, ein Bett, eine Couch, du hast ein kleines Bad und sogar eine Spüle und zwei Herdplatten und den kleinen Ofen. Du kannst dir also Dosen aufwärmen und alles, Pizza. Das Amt zahlt die Miete direkt an deine Vermieterin, dreihundert Mark inklusive einem Abschlag für Heizung, Strom und Wasser. Der Abschlag ist nicht so üppig, sei also sparsam, okay? Dazu bekommst du das Kindergeld, das bislang an deine Eltern ging. Aber damit-“

„Das will ich nicht haben.“

„Was willst du nicht haben?“

„Das Kindergeld. Ich will nichts von denen.“

„Das Kindergeld, Elijah, gehört nicht deinen Eltern. Es gehört dir. Der Staat zahlt dieses Geld für die Kinder, nicht für die Eltern. Also, du bekommst das Kindergeld, aber das sind nur fünfzig Mark, und die reichen nicht. Du musst selbst etwas dazuverdienen. Wir haben so etwas noch nicht gemacht, einen Minderjährigen aus der Familie rausnehmen und ihn nicht wieder in ein Heim geben oder in eine Pflegefamilie, sondern ihm stattdessen eine eigene Wohnung finanzieren und ihn allein leben lassen. Du bist der Erste, Elijah. Eine Art Experiment. Ich hab mich dafür ins Zeug gelegt. Ich hab mich für dich stark gemacht.“

„Ich weiß, Herr Adams. Vielen Dank.“

„Deshalb sage ich das nicht, Elijah. Meine Chefs sind von der ganzen Sache nicht so überzeugt, die werden genau hingucken. Wir erwarten von dir, dass du etwas hinzuverdienst neben der Schule. Dreimal die Woche in dem Supermarkt, in dem wir vergangene Woche waren, der Leiter hat mich angerufen, du kannst Montagnachmittag anfangen. Jetzt am Montag, übermorgen. Ich gebe ihm deinen Stundenplan, er setzt dich nur ein, wenn du Zeit hast. Sollte er von dir verlangen, während der Unterrichtszeit in den Laden zu kommen, auch nur ein einziges Mal während der Unterrichtszeit, rufst du mich sofort an. Die Frau Rommelfanger lässt dich telefonieren, hast du ja eben gehört. Oder du kommst vorbei. Aber ich gehe nicht davon aus. Die freuen sich da auf deine Hilfe. Das ist ein schöner Laden, sauber und alles, ich geh da auch ab und an rein, da steht niemand davor rum und trinkt Alkohol oder so, raucht. Du musst natürlich alles machen, was anfällt, Regale einräumen, LKWs entladen, so was halt. Hinten im Laden ist auch eine Fleischtheke, die wird von der Metzgerei neben dem Markt beliefert, vielleicht musst du da auch mal helfen. Ansprüche kannst du keine stellen. Du darfst nur keinen Mist bauen, dann läuft das. Und dann natürlich Schule. Das ist das Wichtigste, Elijah. Kriegst du das beides hin, Supermarkt und Schule?“

Elijah hatte oft genug davon geträumt. Zur Schule gehen. Auf eigenen Füßen stehen und nach Hause kommen und niemand ist da, der betrunken ist, rumpöbelt, Streit sucht. Niemand.

Jetzt hielt er seinen eigenen Haustürschlüssel zu seiner eigenen Wohnung in der Hand.

Er sagte, „Ja, das krieg ich hin.“

„Ich glaube auch. Ja, ich habe ein gutes Gefühl bei dir. Aber enttäusch mich nicht, Elijah.“

„Werde ich nicht, Herr Adams.“

„Sag mal, das Mädchen, mit dem du vorhin gekommen bist, die jetzt da draußen wartet, ist das deine Freundin?“

Elijah dachte nach. Sie waren Arm in Arm durch die Stadt gegangen und hatten geredet. Layla von ihrer Schule, sie ging auf eine Mädchenrealschule, wie langweilig es da wäre ohne Jungs und nach dem Schuljahr, wenn die Noten stimmten, im Moment sähe es aber nicht so danach aus, dann würde sie vielleicht aufs Gymnasium wechseln, und sie hatte ihn angezwinkert, „Vielleicht auf deins“, und später dann irgendwas mit Menschen machen, Ärztin, wenns mit dem Gymnasium klappt, Krankenschwester, wenn nicht, jedenfalls nicht zur Verwaltung wie Vater und ganz bestimmt nicht Hausfrau wie Mutter.

Er hatte gesagt, er würde Polizist werden, aber nicht in Trier.

Am Woolworth vorbei hatte es aufgehört zu regnen, und irgendwann musste er den Schirm zumachen, weil es blöde aussah, sie waren die einzigen mit geöffnetem Schirm. Er hatte den Schirm also zugemacht, und sie nahm ihren Arm weg, ging ja nicht anders. Dann aber hatte sie mit einem Ruck seine Hand gegriffen und festgehalten und nicht mehr losgelassen.

„Ich weiß nicht“, sagte Elijah. „Vielleicht.“

Adams lachte. „Das solltest du aber wissen. Nettes Mädchen, hat ganz nett Guten Tag gesagt. Egal, deine Sache, ich rede dir da nicht rein. Wer alt genug für eine eigne Wohnung ist, ist auch alt genug für eine Freundin. Nur, wenn du sie mal mit hoch nehmen willst, klär das vorher mit der Frau Rommelfanger ab. Sie wird nichts dagegen haben, denke ich, trotzdem.“

Elijah nickte.

„Noch zwei Dinge. Das hier“ – Adams zog Geld aus seiner Hosentasche und gab es Elijah – „sind zweihundert Mark. Das ist das Kindergeld, das nicht mehr an deine Eltern ausgezahlt wurde und noch was obendrauf. Drei Monate. Damit wirst du über die Runden kommen, bis es neues Kindergeld gibt und der Supermarktleiter dir deinen ersten eigenen Verdienst ausbezahlt. Jetzt zweitens, und das ist wichtig. Auflage für dieses Experiment ist, ich komm regelmäßig zu dir und guck nach. Ob du dein Zimmer sauber hältst, ob es keinen Ärger mit den Nachbarn gibt, keinen Ärger mit der Frau Rommelfanger, solche Sachen. Sie ist ja schon älter und kann nicht mehr so gut, hast du ja gesehen. Vielleicht kannst du ihr ab und an mal helfen, Einkäufe erledigen, sie geht auch in deinen Supermarkt, vielleicht kannst du ihr mal die Sachen nach Hause tragen oder so. Ansonsten, keine Zigaretten und kein Alkohol in der Wohnung, das auch. Ich werde da sehr strikt sein.“ Weil er das Gefühl hatte, Adams würde darauf warten, nickte Elijah wieder. „Zu Anfang komm ich zwei oder drei Mal die Woche, unangekündigt versteht sich. Wenn alles klappt, wir werden sehen, dann komm ich vielleicht seltener. Und in die Schule gehe ich natürlich auch.“ Adams fasste ihn bei den Schultern und sah Elijah an. „Alles klar, mein Junge?“

„Alles klar, Herr Adams. Danke für Ihre Unterstützung, Herr Adams, wirklich, vielen Dank. Machen Sie sich keine Sorgen.“

Nur Stunden später war Elijah verantwortlich dafür, dass ein Mensch sein Leben verlor.

Layla

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