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Elijah hob den Arm, und d‘Antonio kam herein und führte Snydr ab. Snydr hatte kein Wort mehr gesprochen. Elijah auch nicht.

D’Antonio kam zurück und sagte, „Ich bringe Sie nach draußen.“

Zusammen gingen sie dieselben Gänge zurück, die sie gekommen waren. Immer noch standen Türen offen, immer noch lagen Männer auf den Pritschen und saßen an Tischen. Der an der Wand gelehnt hatte, lag auf dem Boden und starrte gegen die Decke. Der vorher Liegestütz gemacht hatte, stand jetzt vor dem Fenster und machte Kniebeugen. Zu viel Energie. Oder zu viel Hass. Die Luft war immer noch heiß und stickig. Die Schlüssel in d’Antonios Hand schlugen wieder gegeneinander.

Draußen blieben sie stehen. Elijah lehnte sich gegen sein Auto und setzte den Hut auf. D’Antonio streckte ihr Gesicht in die Sonne und atmete tief ein.

„Auf der Herfahrt hat es noch geregnet“, sagte Elijah.

„Ja, hier auch heute Morgen, aber nur ein paar Tropfen. Wir brauchen Regen, dringend. Die Felder sind staubtrocken. Ich wohne auf dem Dorf. Die Bauern da sagen, die Getreideernte wird dieses Jahr eine Katastrophe. Ich esse ja kaum Getreide, aber trotzdem. Für die Bauern tuts mir leid.“ Sie guckte. „Ist die Karosserie nicht zu heiß zum dagegen Lehnen?“

Elijah schüttelte den Kopf. „Sagen Sie, Snydr, was hat der angestellt?“

„Das wissen Sie nicht?“

„Ich hatte keine Zeit für Erkundigungen. Kann aber nicht viel sein, Sie haben hier ja nur die Untersuchungshäftlinge und die weniger als zwei Jahre bekommen. Snydr hat gesagt, er bliebe nicht lange.“

„Da hat Snydr wohl Recht.“ Sie sagte, „Zechprellerei.“

„Zechprellerei? Snydr hat die Zeche geprellt?

„Hier mal ein Bier, da mal ne Currywurst, ne Pizza. Kennen Sie die Frittenbude hinter der Porta? Porta Nigra? Kennen Sie die Porta Nigra, das Trierer Wahrzeichen? Die ist von hier aus hinter-“

„Ich stamme aus Trier“, sagte Elijah, „ich kenne die Porta.“

„Ah ja? Also, die Frittenbude hinter der Porta, drei Mal hat er da Currywurst bestellt, drei Mal hat er nicht bezahlt. Ist nicht weggelaufen, sondern hat einfach nicht bezahlt und gewartet, bis seine Kollegen kamen. Ex-Kollegen. Genauso in mehreren Pizzerien. Wurde jedes Mal angezeigt, hat aber nicht damit aufgehört. Und die Post von der Staatsanwaltschaft hat er auch ignoriert. Kam schließlich vor den Kadi.“

„Aber trotzdem, wieso ist er dann hier? Der Richter hat ihn ermahnt und ihm eine Geldstrafe aufgebrummt und fertig.“

„Zweitausend Euro.“

Elijah nickte. Er verstand. „Die hat Snydr also auch nicht bezahlt?“

„Sonst wäre er nicht hier.“

„Wie lange wird er sitzen?“

„Jetzt noch fünfzig Tage.“ D’Antonio lachte und schüttelte den Kopf. „Hat eine Geldstrafe von zweitausend Euro bekommen, bezahlt die aber nicht und wählt stattdessen Ersatzfreiheitsstrafe. Verrückt, nicht? Der ist als Kommissariatsleiter in Pension gegangen, der bezahlt zweitausend Euro wie nix. Und‘n Bier und ne Currywurst und ne blöde Pizza sowieso. Geht aber stattdessen lieber in den Knast, wo garantiert ist, dass er auf Bekannte trifft.“

„Und der Amerikaner“, sagte Elijah, „dieser Marine. Nevada. Warum sitzt der hier und nicht bei seinen eigenen Leuten? Dafür haben die doch ihre Militärgefängnisse.“

„Als der hierher kam, war der kein Marine mehr. Schon lange nicht mehr. Ist ja mittlerweile auch schon älter. Hält sich aber immer noch für einen Marine, einmal Marine, immer Marine und so. War lange in Deutschland stationiert, hat wohl auch eine deutsche Mutter, deshalb spricht er unsere Sprache. Bei dem dreht sich das ganze Leben um Drogen. Vor allen Dingen Handel, weniger Konsum. Das auch, aber weniger. Hat dann in seiner Heimat mehrfach gesessen, zuletzt war er wieder in Freiheit, hat aber die Freiheit falsch genutzt und jemandem im Streit ein Auge rausgeschlagen und ihm anschließend das Genick gebrochen. Chicago, glaub ich, es ging jedenfalls wieder um Drogen. Wurde wegen Mordes per Haftbefehl gesucht, und weil ihm da drüben mit all den Vorstrafen jetzt hundert Jahre Knast winken, hat er sich dann nach hier abgesetzt. Ist dann aber in irgendeinem Puff in der Stadt in eine Schlägerei gekommen. Die Kollegen von der Polizei mussten anrücken und haben auf der Wache gemerkt, wer ihnen ins Netz gegangen ist. Pech. Der wird noch eine kleine Weile hier bleiben und dann ausgeliefert. Und irgendwann drüben in einem Gefängnis sterben.“

„Umso verwunderlicher, dass ihr jemanden wie Snydr mit seinen zweitausend Euro und fünfzig Tagen zu diesem genickbrechenden Nevada steckt, auf den hundert Jahre warten.“

„Wird bereits untersucht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Weiß der Teufel, wer das verbockt hat. Unsre Chefin ist so was von sauer darüber, die hat richtig getobt. Weil Nevada schon ein besonderer Problemfall ist, das wussten wir ja alle, und wir haben auch Platz, andere Zelle wär kein Problem gewesen. Der Blödmann, dem das durchgerutscht ist, der kriegt einen auf den Deckel.“

„Weshalb ist Nevada denn gerade hierher gekommen? Nach Trier, meine ich. Von Chicago nach Trier, nicht gerade eine vielbereiste Route. Hat er hier Verwandte oder Bekannte?“

„Kann ich nicht sagen. Also, weiß ich nicht. Aber er war mal oben in der Eifel stationiert, Spangdahlem. Vielleicht deshalb. Ich denke, er kannte die Gegend.“

„Für solche Leute wie den Nevada, da habt ihr doch hier besondere Räumlichkeiten.“

D’Antonio sah Elijah an. „Und?“

„Einzelzelle, Videoüberwachung.“

„Ausgefallen.“

„Die Videoüberwachung?“

Sie nickte. „Wird auch untersucht. Aber das ist nichts Besonderes. Technik, da gibts immer mal Probleme.“

„Lassen Sie mich raten: die Technik ist genau vor vierzehn Tagen ausgefallen. Als Snydr hierher kam, zu Nevada in die Zelle, wo er eigentlich nie hätte hinkommen dürfen.“

„Wir sagen Haftraum, nicht Zelle“, sagte sie und streckte ihr Gesicht wieder in die Sonne.

Elijah sagte, „Ich frage mich, ob das hier wirklich jemandem durchrutschen kann. Snydr zu diesem Genickbrecher Nevada. Was ich gerade gesehen habe, folgen Sie strikt den Regeln.“

Sie drehte den Kopf zu ihm und machte wieder diese Sache mit ihrer Augenbraue. „Was meinen Sie?“

Elijah wartete.

„Meinen Sie, dass jemand den Snydr absichtlich zu Nevada gesteckt hat?“

„Wäre das möglich?“

Sie überlegte. „Möglich ist alles“, sagte sie. „Aber dann müsste es einen Grund dafür geben.“

Elijah tippte an seinen Hut. „Ganz genau.“

Er stieg ein und startete den Motor.

D`Antonio klopfte gegen das Fenster.

Elijah drückte den Knopf, die Scheibe quietschte herunter.

„Was ich Sie fragen wollte, Leblanc. Warum tragen Sie den Hut?“

Elijah lächelte. „Weil er passt.“

Elijah musste Richtung Innenstadt, mied aber den westlichen Stadtteil und bog stattdessen rechts ab über die Brücke. Er warf einen Blick hinunter auf die Mosel. Der Fluss hatte sich tief in sein Bett zurückgezogen. D’Antonio hatte Recht, es wurde Zeit, dass es mal wieder regnete. Aber der Himmel über ihm war ohne Wolken.

Sein Telefon zeigte zwei entgangene Anrufe. Er hörte die Nachrichten ab, beide von Barbara. In der ersten sagte sie, er sollte sich dringend bei der Personalabteilung melden, wegen seiner neuen Einstufung, und es würde ihr leid tun wegen heute Morgen, dass sie so grantig war, ihr Rücken wieder, sie wüsste da nicht mehr weiter und ihr Arzt auch nicht. In der zweiten, zehn Minuten später, die Sache mit der Personalabteilung hätte sich erledigt, ob bei ihm denn alles in Ordnung wäre?

Barbara war eine Gute.

Sein bislang letzter Besuch in Trier war schon eine Weile her, aber das beklemmende Gefühl aus seiner Jugend war bereits zurück. Das Gefühl, möglichst schnell aus der Stadt verschwinden zu müssen.

Er ließ auch die anderen Fenster herunter und atmete tief die heiße Luft ein, bis es in seiner Lunge brannte.

Der Mann hielt so viel Abstand, dass er gerade noch das Kennzeichen lesen konnte.

Eine Berliner Nummer.

Ungewöhnlich. Was machte ein Cowboy aus Berlin in einer JVA in der Provinz? Bei einem Ex-Polizisten, der es ganz offensichtlich darauf angelegt hatte, dorthin zu kommen?

Der Mann fuhr langsamer und nahm sein Notizbuch hervor und schlug es auf. Blätterte, bis er den Namen fand und wählte die Nummer. Er plauderte ein wenig über alte Zeiten und bat um einen Gefallen. Dann las er das Kennzeichen vor.

Kaum zwei Kilometer später wurde er zurückgerufen. Hoppla, Brandner, in was bist du denn da verwickelt?

Wieso?

Das Kennzeichen, mein Freund, ist nicht registriert. Jede weitere Suche wird blockiert. Du weißt, was das heißt.

Der Mann mit Namen Brandner guckte auf den Geländewagen und sagte Danke und legte auf.

An der nächsten Kreuzung ließ er das Cabrio mit den zwei winkenden jungen Frauen einscheren und das Taxi auch noch und sogar noch den schwarzen Van eines Bestattungsinstituts.

Besser Abstand halten.

In der Entfernung war der silberglänzende Wagen immer noch gut zu sehen.

Seine Hand tastete nach dem Briefumschlag in der Konsole neben ihm. Weich, dick. Dreitausend Euro in bar.

Mann, in was bist du da verwickelt?

Layla

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