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Elijah saß auf seinem Stuhl. Darüber musste er nachdenken, und schnell. Gleich würden sie Snydr bringen.

Snydr kommt in die Zelle und tritt gegen das Bett. Ich bin gekommen, um dich zu töten, Amadeus.

Elijah hatte diesen Namen schon einmal gehört. Amadeus. Ein einziges Mal. In der Nacht vom 19. auf den 20. März 1983. In einem stinkigen Abwasserkanal nicht weit von dem Polizeipräsidium, in dem die Eheleute Hans und Ursula Zimmermann nur Stunden später das Verschwinden ihrer Tochter Astrid angezeigt haben. Layla.

Tschako hatte so zu jemandem gesagt.

Hallo, Amadeus.

Elijah wusste nicht, wer genau dieser Amadeus war. Damals nicht und heute nicht. Ein Dealer, hatte Tschako behauptet. Amadeus hatte hinten im Kanal gestanden, zehn, fünfzehn Meter von wo sie standen. Nur ein Schatten. Kein Kind und kein Jugendlicher, so viel hatte Elijah sehen können, sondern ein erwachsener Mann. Nicht besonders groß und definitiv nicht klein, vielleicht blond, weil die Strahlen von Tschakos Taschenlampe reflektierten. Blonde Haare reflektieren mehr als dunkle. Elijah hatte über Tschako hinweg geguckt und gefragt, Ist er das, der Dealer? Ja, hatte Tschako geflüstert. Dieser Amadeus hatte nichts gesagt. Kein Wort. So haben sie einen Moment gestanden, Elijah und Tschako, Moppe, Bulle hier und Amadeus dort.

Meinte Snydr diesen Amadeus, als er Nevada so nannte?

Vermutlich. Wie viele Erwachsene mit Namen Amadeus gab es schon in Trier im Jahr 1983? Gab es schon in Trier zu jeder Zeit? Gab es überhaupt auf der Welt? Elijah selbst kannte nur einen einzigen, und der stammte aus Salzburg und hatte vor langer Zeit Musik gemacht.

Und was wollte Snydr mit Amadeus? Hatte Amadeus mit der Akte zu tun, die Elijah sich angucken sollte? Mit dem Verschwinden von Layla? Amadeus war darin nicht vorgekommen.

Konnte auch nicht.

Das wusste Elijah genau.

„Der Leblanc schon wieder. Ging ja flott. Ich geb zu, heut hab ich nicht mehr mit dir gerechnet.“

D’Antonio führte Snydr zum Tisch. Snydr setzte sich auf den Stuhl vom Morgen, wo gerade noch Nevada gesessen hatte. Hose und Hemd waren immer noch zu groß, sein Hemd war immer noch verschwitzt, sein Gesicht immer noch genauso blau und geschwollen und genauso regungslos.

Aber Elijahs Gesicht war ebenfalls ohne jede Regung.

„Okay, Snydr, bevor wir hier weitermachen: Ich bin vorhin durch die Stadt spaziert. Unter anderem hinter der Porta vorbei, wo es seit Jahrzehnten eine Frittenbude gibt. Sie kennen die Bude, Sie haben dort drei Mal Currywurst bestellt und nicht bezahlt.“

Snydr sagte, „Und?“

„Currywurst mit Brötchen kostet da zwei Euro fünfzig.“

„Sie sehen gar nicht so aus, als ob Sie Currywurst essen, Leblanc.“

„Tue ich auch nicht. Aber ich kann lesen. Und das stand auf der Preistafel. Zwei Euro fünfzig für eine Currywurst mit Brötchen.“ Elijah sagte, „Ein pensionierter Kommissariatsleiter geht also wegen zwei Euro fünfzig Currywurst mit Brötchen und, was, zehn Euro Pizza ins Gefängnis. Warum?“

„Ich hab immer mit Pommes bestellt. Currywurst mit Pommes und Mayo. Kostet mehr. Zweisiebzig glaub ich, drei Euro, so was um den Dreh. Hier riecht es auch nach was zu essen. Aber mitgebracht hast du mir nichts, wie ich sehe. Das nächste Mal, bring mir was mit, Leblanc, okay? Halbes Hähnchen vielleicht oder ‘nen Döner.“

„Ja, wie Sie aussehen, können Sie was gebrauchen, Snydr, aber ein halbes Hähnchen reißt es bei Ihnen nicht raus. Ihre Klamotten hängen an Ihnen, als hätten Sie zwanzig Kilo abgenommen. Die Zeit hier drinnen bekommt Ihnen nicht so wirklich gut, oder? Schmeckt Ihnen das Essen nicht, oder schlägt Ihnen doch die Situation hier auf den Magen? Soll ich mal mit der Kantine reden? Oder mit dem Arzt?“

Keine Regung in Snydrs Gesicht und keine Antwort.

„Warum gehen Sie wegen Zechprellerei ins Gefängnis, Snydr?“

„Du hast also die Akte gelesen?“

„Sonst wäre ich nicht hier. Warum?“

Snydr schüttelte den Kopf. „Hör auf, Leblanc. Ein Polizist wie du, vom BKA und all das, Erfahrung beim FBI, fünf Jahre oder wie lange warst du da drüben – Musst du mir mal gelegentlich erzählen, Leblanc, wenn wir mit all dem hier fertig sind, kapier ich nämlich nicht, wie das gehen kann, fünf Jahre FBI für einen deutschen Bundeskriminalisten.“ Er sagte, „Wo war ich? Ja, jemand wie du hat das doch längst geschnallt. Längst.“

„Ich wills von Ihnen hören, Snydr. Oder es endet hier.“

Snydr kniff die Augen zusammen und ballte die Fäuste. „Dann wird meine Anwältin mein Schreiben der Staatsanwaltschaft überbringen. Heute noch. Und deine eigenen-“

„Darauf lasse ichs ankommen. Also hören Sie auf mit den Grimassen, Snydr. Mich interessieren Ihre Grimassen so wenig wie meine Sie interessieren.“

Elijah sah Snydr an.

Snydr sah Elijah an. Und blieb still.

Elijah stand auf.

„Bleib sitzen, Leblanc.“

Snydr schielte an Elijah vorbei auf d’Antonio, genau wie Nevada.

„Fertig?“, fragte d’Antonio.

„Leblanc, komm schon, bleib sitzen.“

Elijah ließ einen Atemzug verstreichen. Dann schüttelte er den Kopf, setzte sich und sah Snydr an.

„Na gut, Leblanc. Damit wir hier weiterkommen. Ich habe gedacht ...“ Snydr wischte sich mit beiden gefesselten Händen die Augen und über den Schädel und schielte wieder auf d’Antonio und flüsterte. „Nevada. Der Ami. Ich hab gedacht, er wäre Amadeus.“

„Und was wollten Sie von Amadeus?“

Wollen Sie von Amadeus, Leblanc. Ich will immer noch.“

„Und was wollen Sie von ihm?“

„Na, Sie haben mit Nevada gesprochen, oder?“

Elijah nickte.

„Dann haben Sie ihn auch dazu gebracht, zu erzählen, was passiert ist. Was ich gesagt hab. Dann wissen Sie, was ich von Nevada wollte.“

„Ich will, dass Sie es sagen, Snydr.“

„Warum? Was spielt das für eine Rolle? Sie wissen es, ich weiß es.“

„Sie wissen es, ich vermute es. Und Sie wollen etwas von mir. So sieht es aus.“

Snydr beugte sich näher an Elijah und sprach noch leiser. „Tragen Sie ein Mikro? Wollen Sie so aus der ganzen Sache rauskommen? Wird Ihnen nicht gelingen. Ich sitze hier fest. Noch fünfzig Tage. Hätte mir nichts ausgemacht, wenn Nevada Amadeus gewesen wäre. Trotz der echt beschissenen Küche, haben Sie völlig richtig erkannt, furchtbarer Fraß, hätte mir trotzdem nichts ausgemacht. Jetzt aber macht es mir etwas aus. Denn Amadeus läuft immer noch da draußen herum, wo er verdammt nochmal nicht hingehört, und ich kann nichts tun.“

„Ich trage kein Mikro, Snydr.“

Snydr nickte auf Elijahs Hut.

„Auch nicht im Hut, Snydr, meine Güte, gucken Sie halt nach.“

Snydr nahm Elijahs Hut und drehte und tastete.

„Ich wollte“ – er warf den Hut zurück auf den Tisch – „Nevada erschrecken.“

„Erschrecken? Reden Sie keinen Müll, Snydr. Wie haben Sie es eigentlich geschafft, zu Nevada in die Zelle zu kommen?“

„Die sagen hier Haftraum, nicht Zelle.“

„Wie haben Sie das geschafft?“

„Seien Sie nicht naiv, Leblanc, Sie wissen selbst, wie so etwas funktioniert.“ Snydr flüsterte wieder. „Ich war lange Polizist. Ich kenne viele Leute hier. Also, ich wollte ihn zum Sprechen bringen. Weil ich glaubte, er wäre Amadeus. Aber ich bin kein Mörder.“ Er schielte erneut auf d’Antonio. Von dort kam keine Reaktion.

„Und was hätten Sie gemacht, wenn er gesprochen hätte? Was hätten Sie danach mit ihm gemacht?“

Snydr sah an Elijah vorbei zum Fenster. „Nichts, natürlich.“

„Natürlich.“ Elijah flüsterte jetzt auch. „Also, Sie haben die Zeche geprellt, weil Sie eine Ersatzfreiheitsstrafe haben wollten.“

„Ich habe erfahren, dass Amadeus hier einsitzt. Nein, nicht Amadeus, sondern dass der Kerl, von dem ich nach fünfunddreißig Jahren Suche überzeugt war, felsenfest überzeugt war, dass er Amadeus ist, dass der hier einsitzt. Ich musste also hierher. Wegen Pillepalle ein paar Tage in den Knast zu gehen war die einfachste und schnellste Möglichkeit. Und die harmloseste für mich. Weniger als zwei Monate, das ist auszuhalten.“

„Und jetzt kommt die Preisfrage: Über was wollten Sie mit Amadeus sprechen?“

Wollen. Sie haben die Akte gelesen.“

„Ja. Aber die Akte umfasst nur die Ermittlungen der ersten vier Wochen. Ein Amadeus kommt da nicht vor.“

Snydr schüttelte müde den Kopf. „Sie enttäuschen mich, Leblanc.“

Elijah wartete.

„Das verschwundene Mädchen ... Astrid Zimmermann“, sagte Snydr und guckte erneut zu d’Antonio und rief, „Könnt ihr uns eigentlich mal allein lassen? Wir sind Polizisten, wir haben was zu besprechen. Vertraulich, verdammt nochmal.“

„Keine Chance, Snydr. Wir habens Ihnen gesagt.“

Elijah mischte sich nicht ein. Kein Sinn. Irgendetwas war geschehen, und d’Antonio würde sich an die Regeln halten.

„Astrid hat-“ Snydr schüttelte den Kopf. „Nein, Leblanc. Ich will Ihnen nicht sagen, was ich weiß und was ich noch erfahren hab in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten und welche Schlüsse ich gezogen habe. Ich brauche Ihren Sachverstand, Ihre Erfahrung. Unbeeinflusst. Deshalb habe ich Sie gebeten, die Akte anzuschauen. Ich muss herausfinden, wo ich einen Fehler gemacht habe. Ich muss. Verstehen Sie das? Also, was denken Sie? Ihr Eindruck?“

„Gebeten?“

„Ich muss herausfinden, wo ich einen Fehler gemacht habe, Leblanc.“

Snydr sah müde aus, dachte Elijah. Seine Arme lehnten schwer auf dem Tisch, sein Blick suchte wie ängstlich in Elijahs Gesicht. Von dem harten Hund, der Snydr noch am Morgen gewesen war, war nicht mehr viel übrig. Snydr war müde von den Tagen im Gefängnis und von achtundsechzig Jahren Leben, vor allem aber müde und verzweifelt, weil er immer noch nicht die Person gefunden hat, die für das Verschwinden von Astrid Zimmermann verantwortlich war. Nach dreieinhalb Jahrzehnten.

Elijah kannte das. Er konnte mitreden. Jeder Cop hat den einen Fall, der ihn nicht loslässt, sein ganzes Leben nicht, der ihn innerlich zerfrisst, weil er weiß, er hat einen Fehler gemacht, er muss einen Fehler gemacht haben, denn er hat den verdammten Kerl nicht erwischt. Elijah hatte selbst vor nicht langer Zeit einen solchen Fall gehabt. Amelie Bennett. Ihr Verschwinden hat er schließlich doch aufklären können, aber nach zu vielen Jahren und vor allem zu spät für Amelie. Für Snydr war Layla dieser Fall. Astrid. Und auch Elijah würde irgendwann wieder einen Fall bekommen. Vermutlich wieder mit dem Namen eines jungen Mädchens.

„Leblanc, reden Sie. Ihr Eindruck.“

Elijah hatte die Akte gelesen, zwei Mal, und war dann gegangen, ohne sich von der Anwältin zu verabschieden. Er hatte einen Spaziergang durch die Stadt gemacht. Planlos, ziellos, nur etwas Bewegung zum Nachdenken.

Irgendwann war er auch auf den Platz vor dem Dom gekommen und hatte nachgesehen. Das erste Mal seit dem Abend jenes Samstags im März 1983, als er mit Layla die Treppen hinunter gegangen war, sie sich den Stempel auf die Hand haben drücken lassen und sie getanzt haben, eng umschlungen zu I was made for loving you, baby, das erste Mal seitdem hatte er vor dem Haus gegenüber dem Dom gestanden. Wo 1983 das Tönnchen war, der Jugendclub mit Disco jeden Freitag und Samstag, heute gab es dort ein Bistro.

Seit jenem Abend hatte er Layla nicht gesehen und nichts von ihr gehört.

„Astrid Zimmermann“, sagte Elijah. „Nach dem, was Ihre ausgedünnte Akte hergibt, könnte sie drogensüchtig gewesen sein.“

Snydr nickte sofort. „Okay, okay, das denken wir auch. Woraus schließen Sie das?“

„Die Eltern haben von der Unzufriedenheit ihrer Tochter berichtet. Und sie wäre in jüngster Zeit launisch gewesen, gereizt und nervös.“

„Normal für eine Jugendliche, oder?“

„Von einer Panikattacke hatte ihr Vater erzählt, in einer völlig normalen Situation beim Besuch von Bekannten. Aus heiterem Himmel hätte Astrid Panik bekommen und sich kaum beruhigen lassen. Danach sei ihr übel geworden und sie hätte sich übergeben müssen. Und in den Wochen vor ihrem Verschwinden hätte sie stark an Gewicht verloren, mehr als fünf Kilo. Und Astrid war ohnehin sehr schmal.“

Snydr guckte und kniff wieder die Augen zusammen. „Davon steht nichts in der Akte.“

Ups.

Elijah setzte einen Gesichtsausdruck auf, von dem er glaubte, er wäre harmlos. „Wovon?“

„Dass sie sehr schmal war.“

„Schlank, so hat Frau Zimmermann zu Protokoll gegeben.“

„Aber nicht sehr schmal.“

„Ist dasselbe, oder?“

Snydr guckte immer noch. „Ungefähr.“ Er sagte, „Sie glauben also, Astrid war drogensüchtig, als sie verschwand?“

Der Gedanke war ihm bereits am frühen Morgen des 20. März 1983 gekommen. Nachdem er Laylas Notiz in seinem Kühlschrank gefunden hatte.

„Unzufrieden, launisch, gereizt, nervös. Starker Gewichtsverlust. Das sind alles Anzeichen einer Drogensucht. Nahezu klassisch.“

„Denke ich auch. Meine Kollegen ebenso. Jetzt Sie. Also, richtige Ausgangssituation, richtige Ausgangssituation, ja, richtige Ausgangssituation.“

Snydr ballte seine Hände und nickte schnell, mehrmals hintereinander. Aber nicht zu Elijah, an dem vorbei er aus dem Fenster schaute. Sondern zu sich selbst.

Elijah verstand, was in Snydr vor sich ging. Snydr brauchte diese Bestätigung. Die Bestätigung durch Elijah, den Polizisten des BKA, der den Fall nicht kannte und frisch darauf schaute und der ihm dann versicherte, Alles richtig gemacht. Snydr sog diese Bestätigung auf wie ein trockener Schwamm das Wasser aufsaugte. Wie ein erstickender Mensch, dem Tod näher als dem Leben, der plötzlich wieder Luft bekam, atmen konnte, einatmen, tief, tief einatmen.

Snydr richtete sich auf, streckte den Oberkörper, reckte den Hals. Sein Blick auf Elijah wurde selbstbewusster.

Richtige Ausgangssituation.

Das Problem war, Snydrs Ausgangssituation war falsch.

Elijah sagte, „Sie sind also damals davon ausgegangen, dass Astrid drogensüchtig war. Dann musste sich Astrid Drogen beschafft haben.“

Snydr nickte.

„Frage ist, woher. Von wem. Die Eltern wussten nichts. Sie haben Astrids Freund befragt. Tschako wusste laut Ihren Protokollen angeblich auch nichts.“

„Tschaikowsky nicht, Moppe nicht, Bulle und Messer auch nicht“, sagte Snydr und wischte sich wieder über den Schädel. „Den Helmut Tschaikowsky habe ich später noch einmal befragt, zweimal sogar, er war schließlich Astrids Freund. Aber weder wusste er, dass sie Drogen nahm, noch kannte er Amadeus.“

Elijah wusste, dass Tschako gelogen hatte. Aber er sagte nur, „Sie haben dann die Drogendealer verhört, die zu der Zeit Trier belieferten.“

„Von denen wollte ebenfalls keiner etwas gewusst haben“, sagte Snydr. „Sie habens ja gelesen. Kein einziger kannte Astrid.“

„Das sind notorische Lügner.“

„Klar, das sind sie. Aber wir haben denen dann das Leben richtig schwer gemacht. In Uniform, damit jeder es mitbekam, haben wir die aus den Discos rausgeholt und aus den Bordellen und dann ab aufs Revier. Nichts bei rumgekommen. Nichts. Das Mädchen kenne ich nicht. Wir haben denen geglaubt. Irgendwann mussten wir denen glauben, oder?“

„Danach haben Sie Ihre Taktik geändert. Anstelle der Dealer haben Sie nun die Junkies geschüttelt, so lange, bis einer von denen den Namen ausgespuckt hat. Und da hatten sie ihn. Ein anderer Dealer. Jemand, der neu in Trier war. Noch völlig unbekannt. Also, der Polizei völlig unbekannt und den anderen Dealern unbekannt, nicht den Kunden. Amadeus.“

Snydr guckte. „Davon steht nichts in der Akte“, sagte er wieder.

„Kann aber nicht anders sein“, sagte Elijah. „Amadeus war natürlich nicht sein richtiger Name. Deshalb haben Sie ihn auch nicht gefunden. Bis heute nicht.“

„Sie sind ja doch gut, Leblanc. Ich dachte schon, ich hätte mich in Ihnen getäuscht.“

„Das muss sehr aufwendig gewesen sein, den Namen herauszufinden.“

Snydr nickte. „War es.“ Er sagte, „Womit hat Amadeus gedealt?“

Nicht mit Heroin, dachte Elijah. Das würde nicht zu dem passen, was Laylas Eltern bei der Polizei angegeben haben.

„Alles, was man rauchen, schniefen und schlucken kann“, sagte Elijah.

Snydr nickte. „Warum? Warum nicht spritzen? Warum nicht Heroin?“

„Die Eltern waren sehr besorgt um Astrid. Sie kamen um neun Uhr am Sonntagmorgen ins Präsidium, völlig aufgelöst. Sie haben präzise beschrieben, was Astrid bei ihrem Verschwinden trug. Wer ihre Freunde waren und wo sie sich für gewöhnlich aufhielt, was ihnen ganz und gar nicht gefallen hat. Solche Eltern haben oft einen Kontrollzwang. Vermutlich haben sie regelmäßig das Zimmer ihrer Tochter durchsucht. Sie hätten es mitbekommen, wenn Astrid sich gespritzt hätte.“ Elijah sagte, „Wer war dieser Amadeus? Was haben Sie in all den Jahren herausgefunden?“

„Wer ist dieser Amadeus, Leblanc. Sie haben Probleme mit den Zeiten. Präsens.“ Snydr stand auf und wollte zum Fenster gehen, wurde aber von d’Antonio in scharfem Ton aufgefordert, sich wieder zu setzen.

Snydr setzte sich.

Amadeus, erzählte er, war 1983 zwischen Mitte und Ende Zwanzig, so haben die Junkies ihn beschrieben. Sein Gebiet war zunächst in Trier die linke Moselseite, später die gesamte Stadt. Im Laufe der Jahre aber fanden sie Kundschaft von Amadeus nicht nur in Trier, sondern bis weit in die Eifel, von Trier bis Daun, Prüm, Bleialf. Schneifel, kennen Sie, Leblanc, ja? Schneifel? Elijah nickte. Amadeus hätte sich dann mit den anderen Dealern verständigt und Trier aufgeteilt.

„Was haben Sie noch gefunden, Snydr? Wie haben die Kunden Kontakt zu Amadeus aufgenommen?“

„Überhaupt nicht. Konnten sie nicht. Sie hatten keine Adresse von Amadeus, keine Telefonnummer, nichts.“

„Wie hat er es gemacht?“

„Amadeus ist zu seinen Kunden gefahren, und zwar dann, wenn er es wollte.“

„Nicht sehr effektiv, aus seiner Sicht. Auch nicht aus Sicht seiner Kunden. Wer drogenabhängig ist, will dann Drogen, wenn die Wirkung der vorherigen Drogen nachlässt. Dann gehen sie zu ihren Dealern. Wenn der Dealer nicht da ist, was machen sie? Sie gehen zu anderen Dealern.“

„Stimmt. Aber Amadeus ist offensichtlich gut darin, diesen Zeitpunkt vorherzusehen. Er war fast immer, erzählten uns die Junkies, fast immer zum richtigen Zeitpunkt mit seiner Ware wieder da. Ganz ohne Mail und Mobiltelefon damals. Heute vermutlich mit.“

„Vermutlich?“

„Wir sind nicht sicher, wie er es heute macht.“

„Amadeus dealt immer noch, glauben Sie?“

„Davon gehen meine Kollegen fest aus. Ich auch.“

„Damals“, sagte Elijah. „Dann haben Sie also die Kunden damals observiert. Und trotzdem nie diesen Amadeus gefasst?“

„Wir haben ihn nie auch nur zu Gesicht bekommen. Geschweige mit ihm gesprochen.“

„Dann konnten Sie auch nie herausfinden, was Astrid konsumiert hat.“

Snydr schüttelte den Kopf.

„Dann war dieser Amadeus also sehr gut, oder Sie, Snydr, und ihre Kollegen waren grottenschlecht.“

„Mal nicht so überheblich, Leblanc. Wir sind hier zwar nur in Trier, aber wir sind keine Hinterwäldler. Okay? Wir haben alles richtig gemacht. Richtige Ausgangssituation, haben Sie selbst gesagt, und danach auch. Aber manchmal reicht das nicht. Und bei Amadeus reichte es bislang eben nicht.“ Snydr wischte mit beiden Händen durchs Gesicht, schrammte über die Klammerpflaster auf der rechten Gesichtshälfte und zuckte zusammen. Er betastete das Pflaster mit den Fingerkuppen. „Bislang. Eines Tages ... Seit 1983 gab es mehrfache Phasen, auch längere Phasen, da schien er aufgehört zu haben. Wie vom Erdboden verschluckt. Aber dann, plötzlich, war er wieder da. Was zu Nevada gepasst hat. War hier in der Eifel, dann weg in den USA, dann wieder hier, dann wieder weg. Und jetzt wieder hier.“

„Aber Nevada ist nicht Amadeus.“

„Danke für die Erinnerung.“

„Und was, glauben Sie, hat Amadeus mit dem Verschwinden von Astrid Zimmermann zu tun?“

„Amadeus hat Astrid Drogen verkauft, am Abend des 19. März oder in der Nacht vom 19. auf den 20. März 83. Irgendetwas ist schief gelaufen. Vielleicht hatte Astrid kein Geld und wollte in, na, sagen wir, Naturalien bezahlen. Sex. Aber Amadeus wollte nicht. Oder umgekehrt. Amadeus verlangte von Astrid, mit Sex zu bezahlen, aber Astrid wollte nicht. Haben wir ständig in der Szene. Was auch immer es war, irgendetwas ist schief gelaufen. Und Amadeus hat Astrid ermordet. Kein Zweifel.“ Snydr sagte, „Kannten Sie Astrid eigentlich gut?“

„Wieso fragen Sie das, Snydr?“

„Na ja, Astrid war Tschakos Freundin. Und Sie kannten Tschako. Sie waren zwar nicht in seiner Clique und Sie waren nicht sein Freund. Aber Sie kannten sich. Sie waren Nachbarn. Aus demselben Viertel. Also, kannten Sie Astrid gut?“

Elijah sagte, „Tschako hat sehr darauf geachtet, dass niemand Astrid zu nahe kam. Kaum jemand sprach mit ihr. Also, von den Kerlen. Die Mädels sprachen alle mit ihr.“

Da. Er hatte nicht gelogen.

„Ja“, Snydr nickte, „genau so haben wir das auch gehört.“

„Sie sagen also, Amadeus hat Astrid getötet, und danach hat sein Drogenimperium Fahrt aufgenommen bis hoch in die Schneifel.“

„Ja.“

„Das glauben Sie, Snydr?“

„Ja, Leblanc. Das glaube ich allerdings. Die Kollegen auch. Kein Zweifel.“

„Dann habe ich schlechte Nachrichten für Sie.“

„Ach ja? Was für schlechte Nachrichten, Leblanc.“

„Genau zwei. Erstens, Ihre Ausgangssituation war falsch. Völlig falsch. Sie und Ihre Kollegen haben von Anfang an falsch gedacht.“

Snydr richtete sich auf. „Was?“

„Und zweitens, Amadeus war kein Dealer. Zumindest nicht nach dem 20. März 1983.“

Was?

„Amadeus ist tot, Snydr. Ertrunken in einem stinkigen Abwasserkanal am frühen Morgen des 20. März 1983 und rausgespült in die eiskalte Mosel mit so viel Hochwasser, dass sie ihn nicht wieder hergegeben hat.“

Elijah hob den Arm.

Layla

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