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5. Kapitel

Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz

Wie eine Seuche verbreitete sich mit einem Mal diese Raserei, welche der Menschheit keine Heimsuchung ersparen sollte.

Voltaire

Die Kreuzzüge werden oft als leidenschaftliches Blutbad dargestellt, was sie zum Teil auch waren. Ihre Bedeutung ging jedoch weit darüber hinaus: Sie wurden zum entscheidenden Dreh- und Angelpunkt zwischen Mittelalter und Renaissance. Ohne die Kreuzzüge hätte die monetäre Wiederbelebung Europas wahrscheinlich sehr viel länger gedauert.

Im Jahre 1095 rief Papst Urban II. frenetisch zur Befreiung Jerusalems von der moslemischen Herrschaft auf. »Gott will es«, rief die aufgeregte Menge, und jedes Dorf in Europa beteiligte sich an diesem Unternehmen, das in seiner Ausdehnung alle Rekorde seit dem Römischen Imperium brach. Millionen von Menschen waren aktive Teilnehmer an den Kreuzzügen, und weitere Millionen von Pilgern folgten ihnen.

Geopolitische Motive der Kreuzzüge

Zwar war diese Begeisterung echt, doch konnte eine derart große Bewegung unmöglich dem Zorn des Volkes entsprungen sein, gab es doch in jener Zeit kaum etwas, was das Volk mit der Regierung verband. Und schließlich herrschten die Moslems zu jener Zeit schon seit 400 Jahren über Palästina.

Voltaire hat die sich herausbildenden geopolitischen Hauptmotive der Kreuzzüge eingehend beleuchtet. Der erste Kreuzzug begann mit dem Ersuchen des byzantinischen Kaisers um Hilfe bei der Rückgewinnung der heiligen Stätten. Eines der Ziele war es, den militärischen Druck zu brechen, den die Seldschuken auf Byzanz ausübten und der die byzantinisch-moslemischen Beziehungen belastete.

Um diese Zeit war die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung aus Asien nach Europa gezogen. Der Ost-West-Handel über Spanien war überwiegend in ihrer Hand. Die westlichen Fürsten konnten ihre wirtschaftliche und militärische Stellung durch die Rückeroberung des Heiligen Landes und den Aufbau eigener, direkterer Handelsbeziehungen stärken. Die Judenpogrome in Europa, die von den ersten Kreuzfahrern bei ihrem Aufbruch zuerst in Köln und danach in Mainz verübt wurden, zeigen, dass die Beschränkung der jüdischen Macht auf mehreren Ebenen einer der Beweggründe für die Kreuzzüge war, auch wenn diese Vorfälle scheinbar spontaner Natur waren.

All diese und noch weitere große Ziele wurden in der Tat während der Kreuzzüge erreicht. Den Kreuzfahrern gelang es, die Moslems hundert Jahre lang von Jerusalem und für immer von Spanien fernzuhalten.[1] Das Mittelmeer wurde wieder für den allgemeinen christlichen Handelsverkehr geöffnet. Vor allem die Templerorden bauten Handelswege und dauerhafte Handelsverbindungen auf, und die Bedeutung der Juden im weltweiten Handel wurde nach der Aufnahme von direkten Handelsbeziehungen zwischen Christen und Moslems drastisch eingeschränkt. Damit wurden die Handelsverbindungen zwischen europäischen und ägyptischen Juden gekappt.1

Wer nun aber den religiösen »Idealismus« und die emotionale Motivation der Kreuzzüge beiseite lässt, der übersieht die enorme Anziehungskraft dieses gemeinsamen Aufbruchs, dieses Kampfes gegen das »Böse« zum Ruhme Gottes. Der Papst verwandelte das manchmal frustrierende Gebot »Du sollst nicht töten« in das oft befriedigendere »Du sollst das Böse vernichten«.

Der erste Kreuzzug

Ehrfurchtsvoll standen die Kreuzfahrer des ersten Kreuzzuges vor Konstantinopel. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Noch heute sind die Stadtmauern äußerst eindrucksvoll. Die verschiedenen Kreuzzugführer schworen Treueeide auf den byzantinischen Kaiser und erklärten sich bereit, ihm alle eroberten Gebiete zu überlassen – ein weiterer Beweis für dessen ungebrochene Vormachtstellung.

Nachdem genuesische Ingenieure eingetroffen waren und bewegliche Türme gebaut hatten, nahmen die Kreuzfahrer am 15. Juli 1099 auf wundersame Weise Jerusalem ein. Sie errichteten ein kirchliches Königreich unter der Herrschaft des als König eingesetzten Gottfried von Bouillon. Danach eroberten sie eine Stadt nach der anderen und begingen im Namen des Christentums zahllose Greueltaten.

»Mehr als einmal wurden die Einwohner grausam abgeschlachtet, nachdem man ihnen beim Verlassen der Stadt sicheres Geleit gegeben hatte. Ihre Leichen wurden verbrannt oder aufgeschnitten, um das Gold zu erbeuten, das sie angeblich geschluckt hatten.«2

Neu entdeckte Reichtümer

Die von den Kreuzfahrern eroberten Länder waren viel reicher an natürlichen Rohstoffen als der Westen Europas. Sie waren auch seit vielen Jahrhunderten die Umschlagplätze für Luxusgüter oder im Westen unbekannte Waren. Die Kreuzfahrer fanden Zivilisationen vor, die allen ihnen vertrauten Kulturen weit voraus waren.3 So wurden die Kreuzfahrer in Palästina wohlhabend: »Wer vorher nur ein paar Münzen hatte, der besitzt hier unzählbar viele Solidi.«4

In den christlichen Gebieten lebten insgesamt nur einige tausend Juden, denen das Recht auf Grundbesitz verweigert wurde. Der Handel mit den Moslems erforderte bestimmte monetäre Vorkehrungen. Während die Kreuzfahrer untereinander griechische und westliche Münzen verwendeten, mussten sie für den Handel mit den orientalischen Kaufleuten die Maße und Gewichte des eroberten Landes übernehmen und ein Zahlungsmittel finden, das diese anerkannten. So schuf man eine neue Münze, den Sarazenat oder Bezant bzw. den Denar von Tyrus. Auf diese Goldmünzen, die eine getreue Nachahmung des konventionellen Solidus darstellten, prägten die Moslems arabische Inskriptionen, in der Regel Texte aus dem Koran. Diese Geldstücke wurden von den Kreuzfahrern verwendet, bis Papst Innozenz IV. derlei »Frevel« verbot. Die Korantexte wurden fortan durch christliche Inschriften ersetzt, die man jedoch weiterhin in Arabisch schrieb, um den Umlauf der Münzen unter Moslems nicht zu behindern.5

Die Unterschiede zwischen christlichen und moslemischen Führern

Papst Urban II. stellte die Moslems äußerst negativ dar: »Der Türke stellt sich niemals dem offenen Nahkampf. Er hat giftige Pfeile, ist böse anstatt tapfer und tötet alle, die er angreift. Was immer er bewirkt, das schreibe ich dem Zufall zu, nicht seinem Mut.«6

Doch die Ritter erfuhren bald, dass man keine stärkeren, tapfereren oder fähigeren Krieger finden konnte als die Moslems. Auch die Sarazenen entwickelten eine gewisse Bewunderung für die Franken, und Nereddin bezeichnete die Franken gar als »die Tapfersten unter den Sterblichen«.7

Das Verhalten der Christen stand in schroffem Gegensatz zu dem der Moslems, vor allem des Sultans Saladin. Als Kurde in Tikrit geboren, hatte Saladin die Moslems im Kampf gegen die Kreuzfahrer geeint. Als er während der Belagerung Jaffas hörte, dass Richard I. Löwenherz in der Stadt war und kein Kampfpferd besaß, sandte er ihm ein prächtiges Ross. Während der Belagerung Akkos flehte eine christliche Frau im moslemischen Lager um die Freilassung ihres Kindes, das die Sarazenen verschleppt hatten. Ihr Schmerz ergriff Saladin und trieb ihm Tränen in die Augen. Er ließ das ganze Lager durchsuchen, bis man das kleine Mädchen fand.8

1183 eroberte Saladin Jerusalem zurück und ließ dabei Gnade vor Recht ergehen. Kein Christ hatte unter schlechter Behandlung zu leiden. Gegen ein Lösegeld durften die Bewohner die Stadt mit ihren Habseligkeiten verlassen. Einer von Saladins Emiren hielt eintausend Armenier als Lösegeld fest, doch die Christen verschwendeten keinen Gedanken an sie, sondern machten sich mit allen Schätzen davon, die sie tragen konnten. Daraufhin bat Saladins Bruder um ein Geschenk von tausend Menschen und ließ sie frei.

Der Kontrast zwischen diesen Vorgängen und der Einnahme Jerusalems im Jahre 1099 gewährt einen gewissen Einblick in die charakterlichen und zivilisatorischen Unterschiede zwischen den Führern Saladins und den Christen, die bei der Einnahme Jerusalems Abertausende Moslems abschlachteten und ihre Leichen auf vielen riesigen Scheiterhaufen verbrannten.9

Als Richard I. Löwenherz Akko einnahm, ließ er kaltblütig 2700 Moslems ermorden, weil das Lösegeld zu spät gezahlt wurde. »Die Vollstreckung fand ohne jede Verzögerung statt. Die Gefolgsleute des Königs führten seine Befehle unverzüglich mit dem größten Eifer aus und dankten der Gnade Gottes, die ihnen solche Vergeltungsschläge erlaubte.«10

Saladin gab seinem Sohn den folgenden Rat: »Mein Sohn, ich befehle Dich dem höchsten Gott, der Quelle aller Güte. Befolge seinen Willen, denn auf diesem Wege liegt der Frieden. Weise von Dir das Blutvergießen, vertraue nicht darauf, denn einmal vergossenes Blut trocknet nie mehr. Strebe danach, die Herzen Deiner Völker zu gewinnen, und wache über ihren Wohlstand, denn dazu wurdest Du von Gott und von mir berufen, dass Du das Wohlergehen Deiner Völker gewährleistest.«11

Begegnung mit den »Ungläubigen«

Die Kreuzfahrer kamen in direkten Kontakt mit den »Ungläubigen« – und fanden sie sympathisch. In Kleinasien wurde mancher Pilger aufgrund der guten Behandlung durch die Moslems vom christlichen Glauben abtrünnig. Das gemeine Volk war der Meinung, es sei nicht notwendig, Städte für die Kreuzzüge einzunehmen, weil die Türken besser und vertrauenswürdiger seien als die Christen, die kein Gottvertrauen und keine Achtung vor ihrem Nachbarn hatten.12 Diese Form der »Ketzerei« schoss überall entlang der Wege zum Heiligen Land aus dem Boden.

Integration der »Ungläubigen«

Die Kreuzfahrer waren in den von ihnen eroberten Städten immer eine kleine Minderheit. Nach einer Weile bemühten sie sich um das Wohlwollen der Einheimischen. Mit der Zeit gingen sie Mischehen mit den »Ungläubigen« ein, passten sich an die orientalische Lebensweise an und dachten nicht mehr so oft an ihre Heimat. Sogar die Herrschaft des Königs nahm orientalische Züge an: Man durfte nur mit gebeugten Knien an ihn herantreten.

Sowohl christliche Kreuzfahrer als auch moslemische Verteidiger strebten nach und nach überkonfessionelle Bündnisse zum Kampf gegen Glaubensgenossen an. Der Handel brachte sie zusammen. Die christlichen Seehäfen waren aktive Handelszentren. Christen liehen sich manchmal Geld von Moslems aus und schlossen mit ihnen Jagd verträge ab.13 Christliche Herrscher borgten sich von den moslemischen Herrschern oft deren hervorragende Ärzte.

Die Moslems hatten Teile des griechischen Kulturerbes und des römischen Rechtssystems besser bewahrt als der Westen. Das medizinische Wissen und andere Künste, in denen sich die Moslems besonders auszeichneten, riefen bei den Christen nicht nur Bewunderung, sondern auch den Wunsch hervor, etwas über ihre Geschichte und Religion zu erfahren. Trotz der falschen Berichte des Klerus über die Situation im Heiligen Land breitete sich der Ruhm Saladins des Großen über den ganzen Westen hinweg aus. Die Kreuzfahrer kamen auch mit den Ursprüngen des Judaismus und Christentums in engere Berührung, und manche von ihnen bekamen Zweifel an ihrem Glauben.

Der Aufstieg der Templer

Eines der bedeutenden Ergebnisse des ersten Kreuzzuges war die Gründung des Templerordens, der ursprünglich den Namen Arme Ritterschaft Christi vom Salomonischen Tempel trug. Zwischen 1114 und 1118 gegründet, widmete sich der Orden vorgeblich in erster Linie dem Schutz der Pilger im Heiligen Land. Die Fahne der furchtlosen Ritter war halb schwarz und halb weiß, was Tod für die Feinde und Hilfe für die Freunde bedeutete. Die Aufrichtigkeit dieser Zielsetzung wird jedoch heute in Frage gestellt. Baigent und Leigh meinen in ihrem provokativen Buch The Temple and the Lodge,14 es gebe Hinweise darauf, dass dieses erklärte Ziel nur eine Fassade war und dass die Ritter sehr viel ehrgeizigere und größere geopolitische Pläne verfolgten. Die Gründungsmitglieder des Ordens waren zu einflussreich, und der Orden breitete sich zu rasch aus, als dass man keinen Verdacht schöpfte. Es bestanden auch gewisse Verbindungen zum Zisterzienserorden, der einer der Hauptförderer des vierten Kreuzzuges wurde. Hugo von Payens, ein Ritter aus der Champagne, erwirkte im Jahre 1118 von König Balduin die Erlaubnis, sich mit einigen Genossen im Königspalast in Jerusalem niederzulassen. Er wurde der erste Großmeister der Templer, die sich dem Gedanken eines zugleich religiösen und militärischen Ordens verpflichteten.

Beim Konzil von Troyes 1128 erhielt der Orden von der Kirche die ersten Statuten. Danach gingen innerhalb nur eines Jahres Ländereien in Frankreich, Schottland, Spanien und Portugal in den Besitz des Ordens über. Innerhalb eines Jahrzehnts dehnte sich sein Landbesitz bis nach Italien, Österreich, Deutschland, Ungarn und Konstantinopel aus. 1131 hinterließ der König von Aragón dem Orden ein Drittel seiner Ländereien. Gegen 1150 hatte sich der Templerorden bereits als die mit Ausnahme des Papsttums weitaus reichste und einflussreichste Einrichtung des Christentums durchgesetzt.15 Dieser phänomenale Aufstieg lässt sich kaum allein durch den Pilgerschutz erklären, zumal es außer den Templern noch weitere Ritterorden gab, beispielsweise den Ritterlichen Orden Sankt Johannis vom Spital zu Jerusalem (Johanniter), der portugiesische Christusorden und der Deutsche Orden.

Der vierte Kreuzzug nach Konstantinopel

Byzanz hatte den dritten Kreuzzug vereitelt und war mit Saladin, der Jerusalem hielt, ein Bündnis eingegangen. Bestimmte Kräfte im Westen, darunter die Führung von Cluny, dem bedeutendsten religiösen Zentrum Frankreichs, sowie vor allem Angehörige des Zisterzienserordens schmiedeten nun gemeinsam ein Komplott gegen Byzanz. Unter dem Vorwand, dem byzantinischen Kaiser Isaak II. und seinem Sohn Alexios ihre bei einem Palastputsch verlorengegangene Macht zurückzugeben, sah der geheime Plan eine Umlenkung des vierten Kreuzzuges in einen Angriff auf Konstantinopel vor.16

Der europäische Adel brachte diesem Vorhaben wenig Begeisterung entgegen, bis ihm Papst Innozenz III. die Einführung einer Einkommenssteuer von 2,5 % androhte, falls er sich nicht doch noch dafür erwärmen könne.17 Die große Ritterschaft erfuhr nichts von dem Geheimplan; sie wurde nach und nach in die Täuschung hineinmanövriert.

Venedigs Flotte spielte dabei eine Schlüsselrolle. Eine Abordnung verhandelte mit dem Dogen Enrico Dandolo, der im Gegenzug für seine im voraus gegebene Zustimmung zu dem Unternehmen harte Bedingungen stellen konnte. Dandolo musste eingeweiht und als Unterstützer gewonnen werden. Da er früher von byzantinischen Beamten geblendet worden war, hatte er ohnehin noch eine alte Rechnung mit Byzanz zu begleichen.

Das Heer sammelte sich im Juni 1202 und stach in See. Es verbrachte den Winter in Zara, wo Dandolo unter Missachtung der päpstlichen Befehle die Armee zur Wiederherstellung der venezianischen Herrschaft über die Stadt benutzte. Kurze Zeit später wurde er deshalb exkommuniziert. Die meisten Ritter rechneten mit einer Überfahrt nach Ägypten, doch Venedig beabsichtigte nicht, seine Truppen in Alexandria, mit dem es nach wie vor Handelsbeziehungen unterhielt, landen zu lassen.

Als die Flotte im Frühjahr 1203 Korfu erreichte, traten die Gerüchte und Auseinandersetzungen um den möglichen Bestimmungsort der Mission offen zutage. Besonders die widerspenstigen Ritter mussten durch Versprechungen beschwichtigt werden. Nach der Umrundung des Peloponnes und Attikas ging die Flotte vor der Insel Euböa vor Anker, bevor sie das Ägäische Meer überquerte. Vorbei an der verlassenen Insel des heiligen Efstratios und der Insel Lemnos führte der Weg weiter über das auf dem Festland gelegene Troja nach Gallipoli und durch die Dardanellen zum Marmarameer, wo die Flotte schließlich an ihren Zielort gelangte: Konstantinopel.

Die »begehrteste Stadt der Welt«

Mit einer Ausdehnung von 90 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von fast einer Million war Konstantinopel die größte Stadt des Mittelalters. Es gab reichlich Wasser, öffentliche Parkanlagen, Straßenbeleuchtung und ein gutes Abwassersystem. Doch Byzantions Führung sowie seine Armee, Marine und seine Bewohner hatten sich ausgesprochen negativ entwickelt.

Allein das Auftauchen der Kreuzfahrerflotte im Jahre 1203 war Grund genug für den herrschenden Kaiser, über Nacht die Flucht zu ergreifen und Kaiser Isaak II. wieder einzusetzen. Als ihm sein Sohn Alexios berichtete, dass er einen Vertrag zur Abtretung der religiösen Vorherrschaft Byzantions an Rom geschlossen habe, protestierte Isaak jedoch heftig. Als die Byzantiner im Januar 1204 von dieser Vereinbarung erfuhren, ermordeten sie sowohl Vater als auch Sohn.

Am 9. April griffen die Kreuzfahrer die Byzantiner an und schlugen sie. Vom 13. bis zum 15. April wüteten die christlichen Invasoren in der größten christlichen Stadt der Welt. Wie die Wilden plünderten sie die Stadt. Reliquien – zum Beispiel die Gebeine der Heiligen, Teile des Kreuzes, Milch der Mutter Gottes – bewahrten sie auf; dagegen zerstörten sie großartige Kunstwerke: die bronzenen Wagenlenker im Hippodrom, die Romulus und Remus säugende Wölfin, Paris, der Venus den Apfel reicht, eine herrliche Statue der Helena von Troja, von Augustus in Auftrag gegebene Statuen; kurz, alle bedeutenden Kunstwerke, die in neun Jahrhunderten von den alten Tempeln nach Konstantinopel gebracht worden waren. Sie alle wurden zu Barren oder Münzen eingeschmolzen. Konstantinopels große Bibliothek hatte im Jahre 476 gebrannt. 1204 besaßen einige Kirchen und Klöster noch immer gute Sammlungen, vor allem das berühmte Studion-Kloster. Doch Tausende Manuskripte und Pergamente aus zahlreichen Privatbibliotheken fielen damals unwiederbringlich den Flammen zum Opfer.

Balduin von Flandern wurde zum Kaiser gekrönt, und Venedig beanspruchte die Kontrolle über das Patriarchat und die Kirchen. Die Beute wurde zusammengelegt und aufgeteilt. Alle Gedanken an Palästina lösten sich in Luft auf. Dandolo starb in Konstantinopel und wurde in der Hagia Sophia begraben.

Der Papst stimmte diesen religiösen und politischen Entscheidungen zu.

Die monetäre Bedeutung des vierten Kreuzzuges

Mit der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 wurde die seit Julius Cäsar in Europa vorherrschende monetäre Macht des Römisch-Byzantinischen Reiches offiziell beendet. Das Geldsystem der Cäsaren war am Ende. Dies ist eines der wesentlichsten monetären Ereignisse der Geschichte.

Um es noch einmal zu wiederholen: Die »geheime« Triebkraft hinter dem »geheiligten« Vorrecht der Goldmünzenprägung bestand ja darin, dass der Basileus bereitwillig zentral geprägte Goldsolidi gegen lokal geprägte Silbermünzen in einem Verhältnis von 12 : 1 umtauschte. Für dasselbe Silber erhielt er in Indien und anderen östlichen Gebieten Barrengold in bis zu doppeltem Wert.

Mit dem Ende des Byzantinischen Reiches ging auch die monetäre Kontrolle, über die vorher religiöse Institutionen verfügt hatten, in säkulare Hände über. Das vierte Laterankonzil verkündete zwar bald (1215) das Supremat des Papsttums über alle weltlichen Souveräne, doch konnte es sich nicht durchsetzen. So nahm Kaiser Friedrich II. das Vorrecht des Basileus für sich in Anspruch und prägte 1225 in Neapel Goldmünzen mit einem Feingehalt von 82 Gran. Die alte Weltordnung war zusammengebrochen.

Ihm taten es lokale Herrscher in ganz Europa gleich: 1225 wurde in Lyon eine Goldmünze mit einem Feingehalt von 54 Gran emittiert, 1250 in Frankreich unter Ludwig IX. eine weitere mit 63 Gran. In der Republik Florenz wurde seit 1252 der Goldflorin mit 56 Gran geprägt, in England unter Heinrich III. seit 1257 Goldmünzen mit 43 Gran. 1284 begann die Republik Venedig mit der Prägung des Golddukaten mit einem Feingehalt von 56 Gran. 1316 schließlich ließ Papst Johannes XXII. in Avignon Goldzechinen mit einem Feingehalt von 54 Gran prägen.

Die Kriegsbeute

Von Konstantinopel wurde eine riesige Beute nach Europa zurückgebracht. Ihr Wert wird in offiziellen Angaben unterschätzt, denn die Plünderer brachten nur einen Teil davon in den großen gemeinsamen Topf ein, der Silber im Wert von etwa 400 000 Mark Gewicht umfasste. Die Venezianer etwa sollen ihre Beute zum Großteil auf ihren Schiffen gelagert haben, anstatt sie mit der Beute der anderen zusammenzulegen. In den Kirchen wurden große Mengen Silber und Gold geplündert. Allein unter dem Altar der Hagia Sophia entdeckte man vierzig Fässer Gold.18 Jacobs schätzt, dass die Plünderung Konstantinopels mehr Edelmetall-Reichtum nach Europa brachte als der gesamte Handel der vorangegangenen Jahrhunderte.19

Die Rückkehr der erbeuteten Edelmetalle gab dem Leben in Europa einen wichtigen monetären Auftrieb und war vermutlich der Hauptgrund dafür, dass Europa letztendlich die magische Schwelle erreichte, d. h. über die entscheidende Geldmasse verfügte, die für das Funktionieren eines effektiveren, fortschrittlicheren Geldsystems erforderlich ist – die Geldmasse, die die Wiedereinführung des Nomisma ermöglichte.

Die monetäre Wiederbelebung Europas

Die gehorteten Münzen und Barren waren in Konstantinopel völlig nutzlos gewesen, denn zum einen war ihre Lagerung teuer, und zum anderen waren sie ein Magnet, ja eine Einladung für Eroberer. Der »immanente« Wert dieser Schätze war in der Tat sehr gering. In Europa fanden sie eine viel bessere Verwendung: in der Handelsstadt Venedig, als finanzieller Beitrag des Papstes zum Bau der großen europäischen Kathedralen, als Vermögen einzelner Kreuzfahrer und bei der Ausweitung der finanziellen Tätigkeiten der Tempelritter.

Die finanziellen Neuerungen der Templer

Während ihrer Zeit im Osten machten sich die Ritter des Templerordens schnell mit dem dortigen Geld- und Finanzwesen vertraut. Mit ihrem Wissen über Bank- und Kreditsysteme legten sie nach ihrer Rückkehr vom ersten Kreuzzug den Grundstein für die Entstehung des Bankwesens in Europa: »Historiker führen den Ursprung und die Entwicklung der wirtschaftlichen Institutionen im Westen in der Regel auf die jüdischen Geldverleiher und die großen italienischen Handelshäuser und Konsortien zurück. In Wirklichkeit jedoch waren die jüdischen Geldverleiher im Vergleich zu den Templern von untergeordneter Bedeutung. Die Templer waren nicht nur die Vorläufer der italienischen Handelshäuser, sondern sie führten auch die Mechanismen und Methoden ein, die von diesen Häusern später übernommen wurden. In der Tat kann die Entstehung des modernen Bankwesens dem Templerorden zugeschrieben werden. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht verwalteten die Templer einen Großteil, wenn nicht sogar den größten Teil des in Westeuropa vorhandenen Kapitals. Sie waren Pioniere auf dem Gebiet des allgemeinen Kreditwesens sowie der zweckgebundenen Kreditvergabe zugunsten der wirtschaftlichen Entwicklung.«20

Byzanz unterdrückte das Bankwesen, doch die Templer waren stark genug, um es trotzdem voranzutreiben. Nachdem 1204 der griechische Kaiser aus dem Weg geräumt war, hatten die Templer mehr Freiheit bei der Einführung und Entwicklung des Bankwesens in Europa.

Die Templer besaßen und verwalteten das Depositorium, das Teil der französischen Schatzkammer in Paris war. Sie trieben Steuern für die Krone ein und vergaben Darlehen an die französische und englische Krone. Um 1260–1266 verpfändete Heinrich III. die britischen Kronjuwelen an die Templer; Königin Eleanor brachte sie persönlich zur Pariser »Filiale« des Ordens.

Die Tempelritter wurden im Kreditgeschäft zu Konkurrenten der Juden; sie konnten gegenüber säumigen Schuldnern mit größerer Härte vorgehen und verlangten manchmal auch höhere Zinsen. Doch letztendlich handelten sie als Mitglieder der Gesellschaft und förderten so effektiv die wirtschaftliche Entwicklung. Wegen ihrer Korrektheit und Ehrlichkeit genossen sie zudem einen ausgezeichneten Ruf.

Die Templer wurden so populär, dass es schließlich »so gut wie kein Testament mehr ohne eine Erklärung zugunsten der Templer gab«, bemerkt C. G. Addison in The Knights Templar.21

Addison schätzte das aus dem Besitz von 9000 Gutshöfen oder Lordschaften resultierende Jahreseinkommen der Templer in Europa um 1300 auf etwa 6 Millionen Pfund Sterling. Gold machte etwa ein Drittel ihrer Einnahmen aus. Die Templer standen im allgemeinen über dem normalen Recht. Ihre Häuser waren geheiligte Orte. Sie waren von den meisten Steuern und Abgaben befreit und konnten normalerweise nicht vor Gericht gebracht werden.

Die Unterdrückung der Templer

Der Einfluss der Templer wurde offenbar zu groß, denn am Freitag, dem 12. Oktober 1306, ließ der französische König Philipp IV. alle französischen Templer verhaften. Mit geheimer und versiegelter Order ließ er sämtliche Untergliederungen des Ordens gleichzeitig durchsuchen. Zu jener Zeit gab es in Europa ungefähr 20 000 Templer, von denen 10 % schlagende Ritter waren. Bei der Razzia leisteten sie jedoch keinen Widerstand. Anschließend wurden sie über Jahre hinweg verhört, und viele von ihnen wurden gefoltert und ermordet. Diese blutigen Übergriffe verdeutlichen einen wichtigen monetären Grundsatz, den Finanzexperten manchmal übersehen: In Extremfällen steht politische Macht letztendlich über monetärer Macht.

Da alle Versuche, die Templer unter päpstliche Kontrolle zu bringen, scheiterten, löste Papst Klemens V. im Jahre 1312 auf Druck Philipps des Schönen den Orden auf und übergab seine Besitztümer an den Johanniterorden. Bei seiner von Philipp befohlenen öffentlichen Verbrennung prophezeite Jacques Bernard de Molay aus Burgund, der letzte Großmeister des Templerordens, vom Scheiterhaufen aus den Tod von Papst Klemens V. und König Philipp IV. innerhalb eines Jahres. Beide starben im darauffolgenden Jahr unter mysteriösen Umständen. Die überlebenden Templer gingen in den Untergrund.

Das Verschwinden des Templerschatzes

Kurz vor der groß angelegten Verhaftungsaktion im Jahre 1307 verließen die Pariser Tempelritter die Schatzkammer des Ordens mit zahlreichen Packpferden. Sie verluden ihre wertvolle Fracht auf die 18 Schiffe des Ordens und verschwanden spurlos. Nach heutigen Erkenntnissen fanden sie im schottischen Kilmarten Zuflucht. Der dortige Herrscher Bruce war vom Papst exkommuniziert worden. In der Schlacht von Bannockburn 1313 schlug Bruce dank der verdeckten Unterstützung der Templer überraschend die Engländer. Er begründete die Stuart-Dynastie, die Großbritannien bis 1688 regierte.

Der Umstand, dass die Templer in Schottland Zuflucht fanden, könnte erklären, warum später gerade dort zahlreiche Neuerungen im Bankwesen aufkamen und warum manche Finanzreformer wie William Paterson und John Law schottischer Herkunft waren. Sogar Adam Smith, der in einem schottischen Dorf von 1773 bis 1776 sein nationalökonomisches Hauptwerk Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Nationalreichtums verfasste, stellte fest, dass das schottische Bankwesen die Welt beherrsche.

Durch die Templer entstanden die Rittersagen vom »Heiligen Gral«, die als Vorbild für ritterliches Handeln galten. Die Themen dieser Sagen – ein schwacher Herrscher, ein verwüstetes Land und ein Ritter auf der Suche nach dem Heiligen Gral, der die Macht besitzt, alles wiedergutzumachen – stellen noch heute ein Musterschema für heldenhaftes Handeln dar.

Die Templer tauchten später in einigen Freimaurerlogen wieder auf. Sie wurden weiterhin vom Papst verfolgt. 1738 verbot Papst Klemens XII. die Freimaurerei mit seiner Bannbulle In Eminenti und exkommunizierte alle an der Bewegung teilnehmenden Katholiken. Dennoch verbreitete sich die Freimaurerei erfolgreich weiter. 1740 stellte eine weitere Papstbulle die Mitgliedschaft in Freimaurerlogen unter die Todesstrafe, allerdings ohne abschreckende Wirkung. Die Freimaurer sollten die weltweite Entwicklung stark beeinflussen.

Die Weltanschauung der Freimaurer fasste der Freimaurer Ramsay so zusammen: »Die Welt ist nichts anderes als eine riesige Republik, in der jede Nation eine Familie und jeder einzelne ein Kind ist.« Diese Sichtweise unterscheidet sich stark von der heutzutage weit verbreiteten Vorstellung von der einen Welt, in der die Nationen ohnmächtig sind und es nur noch international operierende Finanzinstitutionen, den IWF und Sklaven gibt. Die Tempelritter spielten im 13.Jahrhundert beim Zustandekommen der Magna Charta, Englands großer Urkunde über die Freiheiten, eine wichtige Rolle. Ihre Nachfolger, die Freimaurer, waren an der Französischen Revolution, an der Einigung Italiens und vor allem an der amerikanischen Revolution maßgeblich beteiligt. Benjamin Franklin war Amerikas berühmtester Freimaurer. Er war ab 1734 Großmeister von Pennsylvania. Von den 56 Unterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung waren mit Sicherheit 9 und vielleicht weitere 10 Freimaurer. Von den 74 Offizieren der Armee waren 33 Freimaurer, berichten Baigent und Leigh. Vor allem in den Logen haben sie das erhabene Ideal der Menschenrechte sowie die Vorstellung von der Perfektionierbarkeit der Gesellschaft kennengelernt.22

Viele der britischen Offiziere, denen sie im Kampf gegenüberstanden, waren ebenfalls Freimaurer. Ernst Troeltsch, der bedeutende Historiker der Reformation, ist der Auffassung, dass die Rechte des einzelnen ihren Ursprung in Amerika haben, wobei »der Einfluss der Literatur des Illuminismus unverkennbar ist«.

Offenbar gibt es in der weltweiten Freimaurerbewegung aber auch Untergliederungen, in denen einige Traditionen mit weniger erhabenen Idealen wurzeln.

[1] Zwischen 1233 und 1248 wurden Cordoba, Sevilla und Toledo von den Spaniern zurückerobert. Nur Granada blieb unter der Kontrolle der Moslems.

Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht

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