Читать книгу Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht - Stephen Zarlenga - Страница 9

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4. Kapitel

Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Die jahrhundertelang fortschreitende Zersetzung des Rechts- und Geldsystems bewirkte in einem Kreislauf wechselseitiger Steigerung einen allmählichen gesellschaftlichen Zerfall. Der Wiederaufbau der Systeme sollte einige weitere Jahrhunderte beanspruchen, in deren Verlauf mehrere Versuche stattfanden, warenwertgebundene Geldsysteme wiederzubeleben. Diese sind allerdings in vieler Hinsicht eher mit einer fortgeschrittenen Form des Tauschhandels als mit wirklichen Geldsystemen zu vergleichen.

Die Einführung solcher Warengeldsysteme erfordert gewaltige Anstrengungen bei der Suche nach Edelmetallen und ihrer Förderung, Veredelung und Prägung. Es kostet außerdem viel Energie, das Geld über Jahrzehnte vor den Angriffen von Münzfälschern, Metallexporteuren und normaler Abnutzung zu bewahren.

Diese hohen Belastungen heben in der Regel die aus solchen Geldsystemen zu ziehenden Vorteile auf, so dass die Menschen wirtschaftlich auf der Stelle treten, besonders angesichts der geringen Mittel, die den Gesellschaften in jenen dunkelsten Tagen Europas zur Verfügung standen. Geldsysteme auf der Grundlage von Edelmetallen konnten zunächst nur etabliert werden, wenn entweder die Metalle durch Eroberungen oder Plünderungen beschafft wurden oder wenn genügend Sklaven zur Arbeit in den Minen gefangengenommen wurden.[1]

Deshalb stellt die Schaffung eines autonomen Geldsystems auf der Grundlage eines funktionierenden Rechtsstaates für eine Gesellschaft einen enormen Vorteil und nicht einfach nur einen graduellen Unterschied dar, denn es führt zu einem völlig anderen Ergebnis. Diese entscheidende Schwelle wurde in Europa jedoch erst im 13. und 14. Jahrhundert erreicht.

Die Wiederbelebung des Münzsystems im Norden durch Karl den Großen: ein »trügerisches Licht«[2]

Karl der Große (742–814) unternahm einen frühen Versuch, das Geldsystem wieder aufzubauen. Die Einführung einer neuen Währung und die Wiedereinführung von Maßen und Gewichten im Westen, aus denen sich Pfund, Schilling und Pfennig entwickelten, werden oft als sein Verdienst angesehen. Bei genauerer Betrachtung ist das System Karls des Großen aber nur eine Wiederaufnahme bestimmter römischer Münzprägetraditionen.

Pfund, Schilling und Pfennig

Die aus Livres, Sols und Denaren[3] bestehende karolingische Münzordnung war dem römischen Codex Theodosianus zufolge mindestens seit 418 in Kraft.1 Dieses »Zahlgeld« diente dazu, verschiedene im Laufe der Zeit eingeführte römische Münzsysteme zu einem einheitlichen System zusammenzufassen und dadurch den relativen Wert der einzelnen Münzen zu verstehen. Eine Alternative hierzu wäre eine kostspielige Neuprägung gewesen. Dabei wären auch die Prägungen auf den alten Münzen zum Gedenken an die zahlreichen historischen Monumente und Ereignisse dem Schmelztiegel zum Opfer gefallen.

Eroberung und Sklaverei

Das Reich Karls des Großen gründete sich auf militärische Eroberungszüge und die Versklavung der unterworfenen Völker, vor allem der Sachsen. Dieses riesige Sklavenheer setzte Karl der Große zur Wiederaufnahme oder Intensivierung der Edelmetallproduktion, hauptsächlich von Silber in Chemnitz, Kremitz und Rauthensberg, ein. Diejenigen Gefangenen, die sich nicht in den Minen zu Tode schuften mussten, wurden über jüdische oder venezianische Sklavenhändler an Moslems verkauft.

Der Silberpfennig

Ein Jahrhundert bevor Karl der Große an die Macht kam, wurde nach dem Vorbild des Triens, einer kleinen byzantinischen Goldmünze, die Prägung kleinerer Mengen von Silbermünzen wiederaufgenommen. Die Münzausgabe erfolgte manchmal durch religiöse Organe, wie zum Beispiel den Bischof von Lyon oder die Abteien St-Martin von Tours und St-Denis bei Paris. Diese Silberwährung war hauptsächlich in dem schmalen Streifen zwischen der Provence im Süden und dem heutigen Belgien im Norden verbreitet.

Karl der Große gründete in Dorestad, Aachen, Bonn, Köln, Maastricht und Namur neue Münzstätten, um Pfennige zu prägen. Eine Zeitlang erwog er, sämtliche Münzen in seiner Palastmünzstätte in Aachen, heute ein idyllischer deutscher Kurort nahe der belgischen Grenze, herstellen zu lassen. Im Laufe der Zeit aber besaß er Prägestätten weit im Süden, zum Beispiel in Pisa und Rom.

Seine zentralisierte Kontrolle offenbart sich in der Einheitlichkeit des Münzsystems. Trotzdem lassen Hinweise auf die Begleichung der Steuerschuld durch Dienstleistungen und Waren anstelle von Münzen den Schluss zu, dass Münzgeld weiterhin ein knappes Gut war.2

Der machtpolitische Balanceakt Karls des Großen

Als Folge der moslemischen Revolte von 630 verlor das Römisch-Byzantinische Reich zunächst die afrikanischen Provinzen und später auch Spanien. Die Moslems übernahmen die Kontrolle über den bedeutenden Ost-West-Handel. In den Jahren 726–754 spaltete sich der Bischof von Rom von der byzantinischen Vorherrschaft ab. Einer der Auslöser für die Trennung war der im Jahre 730 von Kaiser Leo III. im sogenannten »Bilderstreit« erteilte Befehl, alle Bilder aus den Kirchen zu entfernen.

Diese beiden Faktoren und die große Entfernung bescherten Karl dem Großen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit von Byzanz. Durch komplexes machtpolitisches Taktieren zwischen Rom, den Moslems und Konstantinopel steigerte er seine Autonomie. Mit militärischer Macht hielt er Byzanz in Schach, und die moslemische Bedrohung wehrte er ab, indem er mit Harun Ar Raschid, dem Emir der Moslems in Spanien, gute Beziehungen unterhielt. Sein Verhältnis zum Papst in Rom scheint jedoch in Anbetracht etlicher Versuche, die historischen Fakten zu verfälschen, komplexerer Natur gewesen zu sein.[4]

Mit der sogenannten Donatio Constantini (der konstantinischen Schenkung) – einem gefälschten Dokument, nach dem Konstantin der Große angeblich dem Bischof von Rom im 4. Jahrhundert den Thron über den Westen übertragen hatte – erhob der Papst den Anspruch, der religiöse Herrscher über den Westen zu sein. Der Rückgriff auf eine Fälschung anstelle einer offenen Unabhängigkeitserklärung unterstreicht die gewaltige Macht, die der Basileus, Gottes »Vertreter« auf Erden, nach wie vor über den Westen hatte. Der Papst hingegen überließ Karl dem Großen immer mehr Rechte, die er in früheren Zeiten dem byzantinischen Kaiser hatte zugestehen müssen. Diese Entwicklung wurde von Papst Hadrian I., der mit Karl einen Freundschaftsbund geschlossen hatte, systematisch gefördert. Nach Ansicht Del Mars gab Hadrian im Jahre 772 als Vasall Karls des Großen in dessen Namen Münzen aus.3

Nachdem Karl der Große am 25. Dezember 800 von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt worden war und nachdem Byzanz an seinem Anspruch auf die Kaiserwürde festhielt, standen sich zwei christliche Kaiser gegenüber. Erst als Karl auf den Titel Imperator Romanorum, den noch immer der Basileus für sich beanspruchte, verzichtete und auf den unverfänglicheren Titel Romanum gubernans imperium auswich, kam es zur Versöhnung.

War der Basileus damals noch die dominierende Macht im Westen?

Das Wissen über die Kontrolle des Geldwesens erlaubt Rückschlüsse auf die Souveränität; deshalb ist einer der interessanten Aspekte des Geldsystems Karls des Großen der Einblick, den es in seine Beziehungen zu Rom und Byzanz gewährt. Nach Del Mar erhielten die merowingischen Franken die Erlaubnis, Goldmünzen mit byzantinischer Kennzeichnung zu prägen. Im Laufe der Jahrhunderte prägten sie allerdings immer mehr Münzen ohne byzantinische Motive. Karl der Große setzte dieses Münzsystem mit einem Silber-Gold-Wertverhältnis von etwa 10 : 1 fort. Um 803 schloss er mit dem byzantinischen Kaiser Nikephoros I. den verlorengegangenen Vertrag von Seltz: »Er schloss mit ihnen einen in höchstem Maße verbindlichen Vertrag, der möglichst keine Differenzen mehr zwischen ihnen zuließ.«4

In dieser Zeit hob Karl der Große das Gewicht seiner Silberwährung an, um es dem byzantinischen Silber-Gold-Wertverhältnis von 12 : 1 anzugleichen. Die neuen Pfennige wogen 17,5 Gran Silber, jeweils 12 Pfennige bildeten einen byzantinischen Goldschilling mit einem Goldgehalt von 17,5 Gran, woraus sich ein Wertverhältnis von 12 : 1 ergab. Im übrigen hatte Karl der Große offenbar die Prägung von Goldmünzen eingestellt. Damit, so Del Mar, hatte er wohl die im Vertrag von Seltz festgeschriebene religiöse Vormachtstellung des Basileus anerkannt.5

Peter Spufford deutet in seinen jüngeren Analysen an, dass Ludwig der Fromme, der Nachfolger Karls des Großen, bis etwa 818 wieder Goldmünzen prägte.6

Wahrscheinlich erlangte Karl der Große keine vollständige Unabhängigkeit von Byzanz, jedenfalls dann nicht, wenn man diese am Vorrecht der Goldmünzenprägung misst, einem der wesentlichen Souveränitätsmerkmale der damaligen Zeit. Die Macht von Byzanz war zwar begrenzt, aber im Westen vermutlich nach wie vor von Bedeutung.

Die monetären Verhältnisse verschlechterten sich schon bald nach dem Tode Karls des Großen erneut. Die Silberproduktion in den Minen erschöpfte sich, und dem karolingischen Reich fehlte es an Eroberungen und Sklaven. Im Norden wurden Silbermünzen erst wieder ab 990 für kurze Zeit geprägt, nachdem man im Harzgebirge Silbervorkommen entdeckt hatte.

Der Mechanismus der unterschiedlichen Wertverhältnisse belastet das Geldsystem Karls des Großen

Der alte Mechanismus der unterschiedlichen Silber-Gold-Wertverhältnisse in Ost und West übte weiterhin Druck auf die ohnehin schon schwierige monetäre Situation unter Karl dem Großen und seinen Nachfolgern aus. In den meisten Jahrhunderten floss Silber weiter nach Osten ab, so dass immer mehr europäisches Silbergeld in Indien landete.

Sonnenaufgang über dem Mittelmeer: Der Aufstieg von Venedig

Venedig erkannte sich selbst als eine wunderbare, geheimnisvolle Schöpfung, in der noch etwas anderes als Menschenwitz von jeher wirksam gewesen.

Jacob Burckhardt7

Während der Mechanismus der unterschiedlichen Wertverhältnisse Karl den Großen benachteiligte, gelang es Venedig, diesen Mechanismus zu seinem Vorteil zu nutzen und sich dadurch zwischen 800 und 1500 eine wirtschaftliche Vormachtstellung im Westen aufzubauen. Damit legte Venedig den Grundstein für die Wiederbelebung des Westens.

Venedigs einzigartige Ursprünge

Die Abstammung der Venezianer ist nach wie vor ungeklärt. Vielleicht waren sie Migranten von der Südküste des Schwarzen Meeres. Berühmt für ihr Können in der Seefahrt und im Handel, vollziehen die venezianischen Stadtväter noch heute das uralte feierliche Ritual der »Seehochzeit«, bei dem jedes Jahr ein goldener Ring ins Wasser geworfen wird. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts fielen die Westgoten unter Alarich in Italien ein und plünderten es. Wahrscheinlich flüchtete damals ein Teil der Bevölkerung vom venezianischen Festland in die Lagunen. Fischfang und Salzherstellung bildeten die ökonomische Grundlage der nun entstehenden Stadt. 697 wurde Venedig eine Republik mit einer Verfassung, die 500 Jahre lang gelten sollte. Frederick Chapin Lane bezeichnet Venedig als die »erste kapitalistische Gesellschaft«.

Das Inferno der »Völkerwanderung« hob die Unterschiede innerhalb der venezianischen Gesellschaft auf: Jeder musste von vorne anfangen. Deshalb gründete sich die Aristokratie mehr auf die Fähigkeiten des einzelnen als auf Vererbung. Diese Aristokratie gab sich eine demokratische Form und handelte nach dem Grundsatz der Zusammenarbeit zum Wohle der Republik. Ein ausgleichender Faktor war Venedigs bewaffnete Bürgerschaft. Auf ihren Schiffen wurden zahlreiche freie Männer als Ruderer gebraucht. Ein Großteil von ihnen wurde zur Verteidigung mit Pfeil und Bogen bewaffnet.

Die Grundeinheit des Handels bildeten staatlich regulierte Familienpartnerschaften. Später, als sich Kapital ansammelte, verbreitete sich in Venedig eine von den Moslems entlehnte Partnerschaftsform, bei welcher der aktive Teilhaber zur See fuhr und der passive Teilhaber zu Hause blieb (die sogenannte Colleganza). Während die Gewinne geteilt wurden, waren die Verluste von dem passiven Teilhaber alleine zu tragen.

Der Indienhandel durch den ägyptischen Kanal von Arsinoe

Rom wickelte seinen Handel mit dem Orient sowohl über Land als auch über den Persischen Golf durch den vielleicht schon unter Pharao Ramses II. gebauten Kanal bei Suez (Arsinoe) ab. Da sich der Kanal immer wieder mit Schwemmsand füllte, wurde er mehrmals geschlossen und wieder geöffnet, bevor 639 unter dem Kalifen Omar Ägypten erobert und mit der Reinigung des Kanals begonnen wurde, den die Moslems nun volle hundert Jahre nutzen sollten.

Im frühen 8. Jahrhundert, als die Einwohnerzahl Italiens ihren absoluten Tiefststand erreicht hatte, setzte sich Venedig über das byzantinische Verbot hinweg und begann, mit den Moslems Handel zu treiben. Die Gewinne aus diesen Geschäften waren immens: pro Lieferung mehrere hundert Prozent. Venedig sicherte sich seinen Anteil am niedrigen asiatischen Gold-Silber-Wertverhältnis in Indien durch den Handel mit den Moslems in Alexandria. Mit diesem Handel begann auch die Kapitalansammlung Venedigs.

Venedig nutzte den Mechanismus der in Ost und West unterschiedlichen Wertverhältnisse aus

Zwei Kräfte bewirkten, dass Venedig aufgebaut und der Grundstein für die Wiederbelebung Europas gelegt wurde. Die erste Kraft war der Kanal, der den Warentransport zwischen Ost und West wesentlich sicherer und einfacher machte. Die zweite Kraft war das östliche Wertverhältnis von 7 : 1, das den Venezianern um bis zu einhundert Prozent über dem Geschäftswert liegende Wechselkursgewinne bescherte.

Die Bedeutung dieses zusätzlichen Auftriebs sollte nicht unterschätzt werden, denn derjenige Staat, der den Handel mit den unterschiedlichen Wertverhältnissen beherrschte, beherrschte in der Regel auch den Westen.

Die Kraft, die jahrhundertelang Europas Silberwährungen belastete, brachte nun Venedig direkte Vorteile. Dabei sollte man den autonomen Charakter des Unterschiedes im Gold-Silber-Wertverhältnis zwischen Ost und West nicht vergessen.

Aus dem Osten wurden Gewürze, vor allem Pfeffer, Seidenstoffe, Goldgewebe, Parfüme, Arzneimittel und Gold nach Europa eingeführt. Die Venezianer verkauften diese Waren im Inland in Pavia, das zu Südeuropas Haupthandelszentrum wurde. Im Gegenzug exportierte Venedig Sklaven, Holz, Eisen und Silber.

Die venezianische Flotte

Der Handel mit Indien führte zum Ausbau der venezianischen Flotte. Für die Zukunft Venedigs spielte diese Flotte eine Schlüsselrolle, da sie sowohl für Kriege als auch für den Handel eingesetzt werden konnte. So betont auch Del Mar: »In Venedigs Handel mit Alexandria tauchen seit dem Altertum erstmals wieder Segelschiffe auf.«

Im Jahre 1104 gründete Venedig das »Arsenal«, Europas größte Schiffswerft und gleichzeitig das bis dahin größte Industrieunternehmen. Dort wurden immer größere Schiffe gebaut. Um 1300 konnte jedes Schiff 140 Tonnen unter Deck befördern.8 Von dieser Flotte, die den überwiegenden Teil des Handelsverkehrs zwischen Europa und Byzanz abwickelte, wurde Byzanz mit der Zeit abhängig.

Die venezianischen Schiffe segelten zu bestimmten Zeiten in Flottenverbänden zu gemeinsamen Zielen und legten somit Beförderungskosten und -risiken zusammen. Diese festgelegten Segeltermine bildeten in Europa saisonale Handels- und Finanzzyklen.

Venedigs Bemühungen um kirchliche Eigenständigkeit

Der venezianische Doge war ursprünglich ein von Byzanz bestellter und bezahlter politischer Beamter, der aber lokal gewählt wurde. In religiöser Hinsicht versuchte der Basileus, Venedig dem Patriarchen von Aquila zu unterwerfen. Venedig brauchte triftige Gründe, damit es seine eigenen religiösen Einrichtungen behalten konnte, und fand sie in dem in Alexandria beigesetzten Leichnam des heiligen Markus. Der Legende nach raubten zwei venezianische Kaufleute die Gebeine 892 während einer Handelsreise und schmuggelten sie, verborgen unter gepökeltem Schweinefleisch, das die Moslems nicht anrührten, nach Hause.

Weil die Reliquien des heiligen Markus Pilgerscharen anzogen, erkannte Byzanz Venedig bald als religiöses Zentrum an. Von diesem Erfolg beflügelt, sammelte Venedig weiterhin durch seine ganze Geschichte hindurch Knochen von Heiligen, unter ihnen der heilige Stefan, der heilige Theodor, der heilige Donatius, der heilige Isidor und sogar der heilige Nikolaus.

Die unentschlossenen Kreuzfahrer

Das Heer des ersten Kreuzzuges wurde im Jahre 1095 aufgestellt, um von Konstantinopel aus Jerusalem von den Moslems zurückzuerobern. Venedig hielt sich zunächst aus diesem Kriegszug heraus und bemühte sich weiterhin um gute Beziehungen zu seinen Handelspartnern in Alexandria. Vom Erfolg des Kreuzzuges überrascht, entschied sich Venedig aber später doch noch zur Teilnahme, weil es sich von einem siegreichen Ausgang die Gründung eines Landweges nach Osten erhoffte, der den alten Weg durch den ägyptischen Kanal hinfällig machen würde.

Angriff auf Konstantinopel

Während der Kreuzzüge brach Venedig die Handelsverbindung zu Alexandria ab und begann statt dessen, mit dem Osten auf dem Palmyra-Landweg über Antiochia und Tyrus Handel zu treiben. Diese Strecke konnte jedoch nicht aufrechterhalten werden, so dass sich Venedigs Osthandel schließlich auf »die Gewinne aus einer Fabrik beschränkte, die es in Konstantinopel führen durfte, und solange sich diese unsichere Basis nicht zum Besseren entwickelte, war Venedig der ernsten Gefahr ausgesetzt, den Handel ganz und gar zu verlieren«.9 Der Handel war für Venedig so bedeutend, dass 20 000 seiner 60 000 Einwohner in Byzanz lebten.

Als die Venezianier 1204 erfuhren, dass Byzanz mit Genua verhandelte, um Venedig als Haupthandelspartner zu ersetzen, schlossen sie sich dem Vorhaben an, den vierten Kreuzzug in einen Angriff auf Konstantinopel umzulenken. Für diesen Angriff war die venezianische Flotte unentbehrlich. Als Bezahlung erhielt Venedig 85 000 Mark im voraus sowie zusätzlich die Hälfte der Beute und die Hälfte der eroberten Gebiete. Der geheime Osthandel, der wertvoller war als alles andere, wurde jedoch mit keinem Wort erwähnt. Im Frühjahr 1203 stachen 20 000 »Kreuzfahrer« in See und gingen in Konstantinopel vor Anker.

Venedigs Anteil an der Beute betrug 900 000 Silbermark (1 Mark = 8 Unzen) und umfangreiche neue Territorien (zu schweigen von den Häuptern des heiligen Abdon oder den Armknochen des heiligen Sergius und den Füßen des heiligen Georg).

Venedigs Geldsysteme

Venedig hatte sich lange damit begnügt, die Währungen seiner Handelspartner zu verwenden. Dazu zählte das byzantinische Geldsystem – denn Venedig war Byzanz unterworfen und musste Tributzahlungen leisten –, aber auch das moslemische Gold- und Silbermünzgeld und die fränkische Silberwährung. Venezianische Händler führten über ihre internationalen Gewinne und Verluste, die sie in Gold berechneten, auf der Grundlage einzelner Unternehmungen Buch.

Venedig prägte erstmals eigene Münzen zwischen 1172 und 1178, einige Jahre nach der Erschließung reicher Silberminen im sächsischen Freiberg. Der Doge Zianni prägte Denare mit einem Silbergehalt von einem Zehntel Gran, wobei 240 Denare dem Wert eines römischen Pfunds (librum) entsprachen. Außerdem gab er den Mezzodenar aus, eine Kupfermünze mit fünfprozentigem Silberanteil. Silber wurde für alle staatlichen Transaktionen und für den lokalen Handel verwendet. Gold konnte Venedig allerdings nicht prägen, da dies das Vorrecht des Basileus war.

Der Silbergrosso

Byzanz wurde im Jahre 1204 unter die Siegermächte aufgeteilt. Alsbald prägte der blinde Doge Enrico Dandolo, der im Alter von 90 Jahren den Angriff angeführt hatte, mit dem venezianischen Beuteanteil den Silbergrosso. Er hatte einen Silbergehalt von 2,141 Gramm bzw. einen Feingehalt von 96,5 % und wurde bald die gängigste aller größeren Silbermünzen in Europa.

Um der Abnutzung der bereits umlaufenden Denare Rechnung zu tragen, prägte Venedig den Grosso mit einem Gewicht, das 2 % unter dem Vergleichswert des Denars lag. Das sollte den parallelen Umlauf der Münzen sicherstellen. Deshalb lag das Verhältnis zwischen tatsächlichem und gesetzlichem Silbergehalt beim Grosso nicht höher als beim Denar.

Diese Maßnahme verdeutlicht zwei wesentliche Punkte:

Zum einen war dies eine sehr ausgeklügelte Methode, um einer der Gefahren zu begegnen, denen Edelmetallwährungen ausgesetzt waren: der Auslese oder Hortung von Münzen mit höherem Edelmetallgehalt gegenüber gesetzlich gleichrangigen, aber leichteren Münzen. Es war also ein Mittel zur Bekämpfung genau desjenigen Phänomens, das erst 300 Jahre später als Greshamsches Gesetz beschrieben wurde.[5]

Zum anderen wird an der Tatsache, dass die Denare nur 2 % unter ihrem Gewicht lagen, deutlich, dass Venedig kein Problem mit dem Beschneiden der Münzen (d. h. mit dem »Abzwacken« der Ränder) hatte. In England kursierten zur gleichen Zeit Silbermünzen, deren Gewicht um 50 % reduziert war! Englands Geldsystem wurde durch mehrmalige Münzverrufung ruiniert. Historische Beispiele für die Funktionsweise des Greshamschen Gesetzes entstanden in der Regel durch die von Kaufleuten praktizierten illegalen Münzverschlechterungen.

Venedigs Politik der Münzprägung

Venedigs Münzstätte war im Besitz der Republik. Es wurden angemessene Prägegebühren von etwa 8 % erhoben, und sämtliche Gewinne gehörten der Republik. Die Münzstätte wurde von offiziellen Bediensteten verwaltet, deren kurze Amtszeit die Möglichkeit einer sofortigen Wiederernennung ausschloss.Venedig übertrug das Prägerecht vorzugsweise nicht an Einzelpersonen, sondern an Ausschüsse. Für Berichte über Unregelmäßigkeiten wurden sogar finanzielle Belohnungen ausgesetzt.

Mit dem Zerfall des Reiches musste auch Venedigs Geldsystem lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Daher wurden scharfe Maßnahmen zu seinem Schutz vor ausländischen Eingriffen getroffen. Ab 1250 mussten beispielsweise alle nach Venedig eingeführten Gold- oder Silberbarren staatlich registriert werden, bevor sie verkauft werden konnten. Die Ausfuhr von Barren- oder Münzgeld war nur Venezianern gestattet.10

Das flexible Wertverhältnis

Byzanz war mächtig genug, um viele Jahrhunderte lang ein offizielles Silber-Gold-Wertverhältnis von 12 : 1 beizubehalten, das allerdings nicht für sämtliche Transaktionen im ganzen Reich Gültigkeit besaß. Als das Reich zerfiel, machten sich jedoch bald erste Schwankungen im Wertverhältnis bemerkbar. Zwischen 1250 und 1360, so schildert Lane, stieg das Wertverhältnis in Venedig von 8,5 : 1 auf 14,2 : 1 und fiel danach wieder auf 9,6 : 1.11 Venedig versuchte nur selten, ein einmal festgelegtes Wertverhältnis durch das Gesetz aufrechtzuerhalten. Seine Händlermentalität bewahrte es davor, in diese Falle zu gehen. Das Wertverhältnis blieb daher in Venedig meist flexibel, und Kaufleute durften daraus Gewinne erzielen, solange dies nicht auf Kosten der Republik geschah.

Byzanz war in der Lage, jegliche Angriffe auf sein offiziell festgelegtes Wertverhältnis durch Zollbestimmungen, gesetzliche Schritte im Inland und vor allem durch das heilige Vorrecht der Münzprägung abzuwehren. Die Aushöhlung des Wertverhältnisses durch die »Kräfte des freien Marktes« würden einen Steinblock von der Größe des Römisch-Byzantinischen Reiches mit seinen umfangreichen Reserven vielleicht erst nach Jahrhunderten erschüttern, und eine solche Zeitspanne ist für Spekulanten wenig attraktiv.

Die kleineren republikanischen Stadtstaaten Venedig, Genua und Florenz boten dagegen ein ganz anderes Bild. Florenz versuchte im Jahre 1279, ein gesetzliches Wertverhältnis von 10 : 1 einzuführen. Dieser Schritt stellte sich als Fehler heraus, denn er hatte zur Folge, dass zunächst der Marktwert von Gold sank. Dies wiederum bedeutete, dass der Silberflorin eingeschmolzen und mit Gewinn verkauft werden konnte, da der Marktwert von Barrensilber über dem offiziellen Wert des Silbermünzgelds lag. Daraufhin stieg der Goldwert wieder an, was dazu führte, dass nun Goldmünzen dem Schmelztiegel zum Opfer fielen, weil der Marktwert von Gold höher als der Wert von Goldmünzen war. Danach fiel der Goldwert wieder ab und so weiter. Florenz schuf daher das feste Wertverhältnis schnell wieder ab und etablierte an seiner Stelle zwei getrennte Währungen – eine aus Gold, eine aus Silber – mit einem schwankenden Wertverhältnis zueinander.

Venedigs Goldwährung

1284 prägte Venedig unter dem Dogen Giovanni Dandolo seine erste Goldmünze, den Dukaten. Er wog 56 Gran und sollte die Tradition des Solidus fortführen. Anfangs wiederholte Venedig den Fehler von Florenz, indem es versuchte, ein festes gesetzliches Wertverhältnis von 10,7 : 1 (1 Golddukat zu 40 Silbersoldi) einzuführen, kam aber von diesem Vorhaben 1296 gezwungenermaßen wieder ab.

Wie die Entscheidung über das flexible Wertverhältnis zeigt, ist es für eine relativ schwache gesetzliche Macht unsinnig, ein starres Ziel vorzugeben, wenn sie im Kampf gegen starke Handelsmächte bestehen will. Venedig nahm diesen Kampf auf, indem es gerade kein leicht erreichbares Ziel vorgab. Bimetallische Währungen einzelner Staaten waren beinahe schon immer anfällig für die spekulativen Angriffe gebündelter Handelsinteressen. Venedig entwickelte mindestens vier voneinander getrennte Zahlgeldsysteme: je zwei auf der Basis von Gold und Silber. Im Jahre 1400 wurde Venedigs Geldwesen auf zwei Währungen aus Gold und Silber reduziert. »Bei so vielen verschiedenen Zahlgeldsystemen, die einmal an diese, einmal an jene Münzen geknüpft waren, ist es für heutige Betrachter der alten venezianischen Schriften oft schwierig zu erkennen, welches (System) […] in einem bestimmten Dokument gemeint ist. Selbst die Venezianer, die diese Geldsysteme damals jeden Tag anwendeten, hatten wohl ihre Schwierigkeiten damit.«12

Ausschluss der Juden

Venedig verfolgte ebenso wie andere italienische Republiken eine rigorose Politik des Judenausschlusses. Lane zufolge kam Venedig mit jüdischen Geldverleihern erstmals im Jahre 1250 in Berührung. Bis zum 16. Jahrhundert erhielten Juden kein ständiges Wohnrecht in Venedig. Wie Cecil Roth in Venice and the Jews bemerkt, mussten Juden in Venedig ab 1394 eine Zeitlang gelbe Kopfbedeckungen tragen.13

Im Hinblick auf Wucher gingen die Venezianer davon aus, dass man nur dann das Recht hatte, von einem Handelsvertrag zurückzutreten, wenn man mit mehreren Risiken konfrontiert war und der Ausgang der Angelegenheit ungewiss war. Diese allgemeine Haltung gegenüber dem Wucher förderte den Kapitalzufluss in den Handel und hemmte den Geldverleih in den Pfandhäusern. Sie stimmte damit mit der moslemischen Sichtweise überein und nahm die Meinung der christlichen Scholastik vorweg.

Der Münzbetrug trifft Venedig

Jahrhundertelang waren die venezianischen Kaufleute und Händler ihrer Mentalität nach so rechtschaffen, dass sie keine Versuche unternahmen, das Geldsystem zu verderben. Die von Gemeinsinn zeugende geldpolitische Zusammenarbeit in der venezianischen Republik funktionierte lange Zeit hervorragend – bis zur Tiepolo-Querini-Verschwörung von 1292–1302, deren Ziel es war, die erbrechtliche Definition der venezianischen Führungsschicht in der Verfassung festzuschreiben.

Wenig später kamen in Venedig erstmalig einige Formen des Münzbetrugs auf. In einem ersten Schritt konzentrierten sich die Münzmeister zunächst auf die Prägung der offiziellen Silberwährung, des Piccoli (Pfennig), indem sie zwischen 1317 und 1318 so viele Münzen wie möglich prägten und den Silbergehalt laufend senkten. Lane beziffert ihre Zahl auf mindestens 200 000 pro Monat.14

Als dann 1321 die Kontrolle über Venedigs Münzstätte auf die Quarantia (den Rat der Vierzig) übergegangen war, wurden Regierungs- und Zollbehörden in einem zweiten Schritt angewiesen, grundsätzlich kein Piccoli-Geld mehr anzunehmen, sondern nur noch die andere offizielle Silberwährung, den Grosso. Gold- und Silberbarren wurden ebenfalls nicht mehr akzeptiert, außer als Sicherheit oder Garantie für die Bezahlung mit Grossi.

Dieses Vorgehen schränkte Venedigs Geldversorgung drastisch ein und steigerte die Nachfrage nach Grossi sowie deren Wert, da sämtliche Zahlungen in Grossi geleistet werden mussten. Davon profitierten all jene, die im Besitz der Grossi waren, sowie Kaufleute, denen Grossi geschuldet wurden. Es war eine Verkleinerung der Geldmenge, die wahrscheinlich von denjenigen eingefädelt wurde, die daraus Gewinn zogen.

Venedigs Geldsystem geriet 1327 erneut unter internen Beschuss, als Bankiers angesichts der bevorstehenden Wiederbelebung der Handelsbeziehungen mit Ägypten und der daraus zu erwartenden großen Goldmengen das Recht beanspruchten, ihre Kunden, die bei ihnen Silber hinterlegt hatten, mit dem, wie sie hofften, wieder billigeren Gold auszuzahlen. Um ihre Silberschulden leichter abzahlen zu können, setzten sie 1328 ein Gesetz durch, mit dem das Gold-Silber-Wertverhältnis auf 14,2 : 1 (1 Dukat zu 24 Grossi) festgelegt wurde und damit den höchsten Stand seit über 50 Jahren erreichte.

Doch ihre Rechnung ging nicht auf. Die Überbewertung des Goldpreises verdrängte Silber aus dem Geldumlauf und führte zu einem massiven Abfluss von Silber nach Konstantinopel. Um 1335 war der Grosso in Venedig kein geläufiges Zahlungsmittel mehr. Der Handel mit Indien begann erst 1345, nachdem der Zufluss von Gold das Wertverhältnis auf 9 : 1 gedrückt hatte. 1343 wurde Andrea Dandolo zum Dogen gewählt, damit er Venedigs Geldprobleme löse, denn schließlich verdankte Venedig Andreas Vorfahren Enrico und Giovanni Dandolo einige seiner frühen geldpolitischen Erfolge.

Venedig stört die monetäre Erholung in Europa

Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts sank allgemein der Goldwert im Verhältnis zum Silber. Die Ursache hierfür war eine historische Entwicklung, die Lane als »Wendepunkt« in der europäischen Geldgeschichte bezeichnet: die Wiederaufnahme der seit den Kreuzzügen unterbrochenen venezianisch-ägyptischen Handelsbeziehungen im Jahre 1345. Dieser Zeitpunkt stand vermutlich in Zusammenhang mit der Unterdrückung der Templer im Jahre 1307 und dem Zusammenbruch der umfassenden, während der Kreuzzüge aufgebauten Handelsbeziehungen zwischen dem Templerorden und der Levante.

Einmal mehr konnte Venedig seine Machtposition in Europa behaupten, weil es in der Lage war, sich zum östlichen Gold-Silber-Wertverhältnis und dem Gewürzhandel einen gewinnträchtigen Zugang zu verschaffen. Hatte der frühere Handel den Zufluss von Gold nach Europa im Austausch gegen Sklaven und andere Rohstoffe sichergestellt, so beabsichtigte Venedig nun in erster Linie den Abfluss von Silber nach Osten im Austausch gegen Gold und Gewürze. Venedig tat also genau das, was das Römisch-Byzantinische Reich jahrhundertelang vorgemacht hatte: Es zerstörte das europäische Silbergeldsystem, indem es Silber nach Indien exportierte.

Venedig wandte sich an die ägyptische Regierung, um eine Absenkung der Zölle für seine Silberlieferungen nach Ägypten zu erreichen, »da dies für unsere Situation äußerst wichtig ist und wir viel mehr an einer Senkung des Zolls für Silber als für alle anderen Waren interessiert sind«.15 Die Zölle auf Silber wurden wunschgemäß von 10 auf 2 % gesenkt. Lane betont, dass Silbermünzen in Ägypten keine weite Verbreitung fanden und dass das meiste dorthin gesandte Silber weiter ostwärts nach Indien floss. Kurz nachdem dieser Handel begonnen hatte, strömte Gold nach Italien, und um 1360–1370 fiel das Wertverhältnis in Venedig und Florenz auf 9,6 : 1.

Ab diesem Zeitpunkt, so ist bei Spufford zu lesen, taucht Gold erstmals in größeren Mengen in Nordeuropa auf.

Venedig führte riesige Silbermengen nach Asien aus: 13 200 000 Silbergrossi jährlich, also etwa 20 000 Tonnen. Europas Silbergeldbestand war bald erschöpft. Am Ende des 14. Jahrhunderts hatte die Silberknappheit ein bedrohliches Ausmaß erreicht.16 Die monetäre Krise eskalierte in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Die meisten Münzstätten in Europa, bis auf die Londoner Münzstätte im Norden, waren geschlossen. Allmählich wurden wieder einige neue Münzstätten eröffnet, was zur Entschärfung der Krise beitrug. Ab 1503 musste Venedig, dessen Führung nicht länger über die selbst verschuldeten monetären Probleme hinwegsehen konnte, seine Vormachtstellung im Osthandel aufgeben.

Venedig führt vorsichtig Nominalgeld ein

Während der Belagerung von Tyrus im Jahre 1122 ging dem Dogen Michiel das Geld zur Bezahlung seiner Soldaten aus. Deshalb bezahlte er sie mit Geld aus geprägtem Leder, das bei der Rückkehr der Flotte nach Venedig wieder eingelöst wurde. Dieses vorübergehende Ledergeld wurde aber nicht institutionalisiert. Es war nie für den allgemeinen Umlauf bestimmt und wurde stets schnell eingelöst.

Die Erfahrung, dass auch Leder als Geld dienen konnte, geriet bei diesen Handelsexperten nicht in Vergessenheit, doch erst 1353 wurde in Venedig mit der Prägung des Tornesello unter Andrea Dandolo Nominalgeld eingeführt. Der Tornesello war für den Umlauf in den ausländischen Gebieten Venedigs, darunter das heutige Griechenland, Bulgarien, Rumänien und ehemalige Jugoslawien, vorgesehen.

Die Tornesello-Münzen bestanden aus einer Kupfer-Silber-Mischung. Ihr gesetzlicher Wert überstieg den Wert ihres Silbergehalts um das Doppelte. Allein die Prägekosten machten schon ein Viertel des Münzwerts aus. Bedenkt man, dass der Wert der römischen Numeri mindestens viermal über ihrem Materialwert lag, entfernte sich Venedig daher nicht allzu weit vom Metallgehaltwert.

Der Tornesello wurde in Umlauf gebracht, indem er als Zahlungsmittel für Staatsausgaben wie Befestigungsanlagen, Flottenausrüstung, Besatzungsbesoldung usw. verwendet wurde. Der Erfolg dieser Einführung war zufriedenstellend, denn solange der Tornesello nur in der benötigten Menge geprägt wurde, konnte er aufgrund seines Seltenheitswerts mit seinem gesetzlichen Wert zirkulieren. Das änderte sich allerdings nach 1390, als er in großen Mengen (etwa 4,5 Millionen Tonnen jährlich) in Umlauf gebracht wurde und so für Jahrzehnte seinen Seltenheits- und Gebrauchswert verlor.17 Als sich venezianische Territorialbeamte beschwerten, weil sie mit Torneselli bezahlt wurden, wurde ihnen eine Zeitlang ein Rabatt von 20 % eingeräumt.

Obwohl die Torneselli in Venedig selbst nicht im Umlauf waren, brachte Venedig 1379 einen neuen, überbewerteten Silbergrosso heraus, der außer einem zusätzlich aufgeprägten Stern fast identisch mit dem alten Silbergrosso war. Sein gesetzlicher Wert war jedoch doppelt so hoch wie der des alten Grosso.

So erzielten die Venezianer Gewinne aus einem autonomen Geldsystem. Vielleicht hielten sie sich nicht für mächtig genug, um eine allgemeine Akzeptanz von vier- oder fünffach überbewerteten Münzen zu erreichen – eine Maßnahme, die dem Geldsystem und der Gesellschaft von Venedig enorme Vorteile verschafft hätte.

Ab etwa 1450 kamen in Venedig Prägemaschinen in Gebrauch. Schaffte ein Münzarbeiter bisher 40 bis 50 Münzen pro Tag, so konnten nun in derselben Zeit Tausende hergestellt werden.

Die venezianischen Imprestidi: eine Form der Staatsfinanzierung

In Venedig entwickelte sich das Bankwesen aus einer finanziellen Notlage heraus, denn die Teilnahme Venedigs an den ersten drei Kreuzzügen hatte sämtliche Staatsfinanzen verschlungen. Einmal lieh der Doge Michiel während einer Finanzkrise Geld von einigen reichen Kaufleuten aus und zahlte es später zurück. 1173 war die Staatskasse wieder leer. Der Doge Ziani führte deshalb eine von allen Haushalten verbindlich zu leistende Anleihe im Wert von 1 % des gesamten Haushaltsbesitzes ein. Diese als Imprestidi bezeichneten Zwangsanleihen wurden mit 4 % verzinst. Zwar wurden über die Anleihen keine Bescheinigungen ausgestellt, aber sie wurden bei der Imprestidi-Behörde eingetragen und waren übertragbar.

Diese Behörde, die Camera degli imprestidi, war jedoch keine Bank, denn man konnte weder Geld einzahlen noch aufnehmen. Um ein Guthaben zu übertragen, mussten sich beide Parteien persönlich bei der Behörde einfinden. Nach 1262 galten diese Anleihen nicht mehr als befristet, sondern wurden in die konsolidierten »Monte Vecchio«-Staatsanleihen umgewandelt. Danach überschritt die Summe der Gelder, die durch neue Abgaben – die »Monte Nuovo«-Staatsanleihen – eingetrieben wurden, die Höhe der Rückzahlungen.

Die Höhe der von jedem Bürger zu leistenden Anleihe errechnete sich aus dem sogenannten Estimo, einer individuellen Schätzung seiner Vermögenswerte. Der Prozentsatz dieses als Anleihe zu entrichtenden Estimo erhöhte sich von bescheidenen 3,87 % zwischen 1287 und 1291 auf stattliche 62 % in den Jahren 1380/81. Nach Lanes Schätzungen entwickelte sich Venedigs Imprestidi-Schuld im Laufe der Jahre wie folgt:

1255: 15 0001413: 23 Millionen
1353: 3,1 Millionen1438: 16,5 Millionen
1393: 12,5 Millionen1521: 21,5 Millionen
1402: 9,5 Millionen1620: Null
(in Lire a Grossi)18

Da diese Imprestidi umgebucht werden konnten, wurden sie unter Kaufleuten zu einem Zahlungsmittel und damit zu einer sehr begrenzten Form von Geld, obschon sie für diese Verwendung weder bestimmt noch gesetzlich legitimiert waren. Man kann daher behaupten, dass die Imprestidi-Anleihe eines der ersten Beispiele für die – allerdings ungewollte – Monetisierung der Staatsschulden im Westen ist. Dabei wurde die verfügbare Geldmenge durch die Summe der vorhandenen Imprestidi-Anleihen potentiell vergrößert.

Das Fehlen einer Staatsbank in Venedig war kein Zufall, sondern Absicht. Bereits im 14. Jahrhundert wurde die Gründung einer Depositenbank diskutiert, aber schließlich abgelehnt. Es gab darüber hinaus Vorschläge, zur Übertragung der Imprestidi-Anleihen Schecks zu verwenden und dadurch die Imprestidi zu einem geldähnlicheren Zahlungsmittel zu machen, aber Venedig entschied sich auch gegen diese praktische Maßnahme.

Im Jahre 1587 wurde die Camera degli imprestidi schließlich in eine Depositen- oder Girobank umgewandelt. Sie war Europas erste Depositenbank und fand 1609 in der Amsterdamer Girobank eine erfolgreiche Nachfolgerin. Die Aufgabe einer Girobank besteht darin, Einlagen entgegenzunehmen und Überweisungen von den Konten ihrer Deponenten auf andere Konten derselben Bank vorzunehmen. Die Vergabe von Darlehen war nicht Bestandteil ihres Auftrages. Girobanken galten als sehr sicher. Trotzdem wurde Venedigs Girobank um 1600 infolge der seit Beginn des 16. Jahrhunderts andauernden Finanzkrisen zahlungsunfähig.

Seit dem 13. Jahrhundert gab es in Venedig zwar auch einige ortsansässige Privatbanken, aber gegen 1500 waren mit Ausnahme einiger kleinerer alle bankrott gegangen. Einer der Gründe hierfür war, dass viele der wohlhabenden Venezianer zur Erfüllung der Imprestidi-Forderungen gezwungenermaßen hohe Beträge von ihren Bankkonten abhoben und dadurch den Zusammenbruch der Banken provozierten. Mitte des 15. Jahrhunderts sorgte indes Venedig selbst durch seinen Silberhandel mit dem Osten für den Verfall des Geld- und Bankenwesens in ganz Europa und brachte damit die Mehrheit der europäischen Staaten gegen sich auf.

Venedigs Abstieg

In diesem Zeitraum deutete sich bereits Venedigs Machtverlust und der Aufstieg Portugals und Antwerpens an. 1503 wurde mit der Heimkehr der ersten portugiesischen Schiffsladungen die Kaproute nach Indien eröffnet. Dies war das Ende der venezianischen Herrschaft über den Ost-West-Handel und über den Mechanismus der Wertverhältnisse. In den Anfangsjahren importierte die portugiesische Flotte jährlich 2,3 Millionen Pfund Gewürze, hauptsächlich Pfeffer. Diese Waren wurden aus dem Handel, den Venedig mit Alexandria unterhielt, abgezweigt, und dieser ging infolgedessen zunächst um 75 % zurück.

Das Jahr 1500 steht außerdem auch für das Ende des hundertjährigen Kampfes gegen den Bankkredit, der in Nordeuropa von der Hanse und den Herzögen von Burgund geführt wurde. Dieser Kampf hatte in Nordeuropa zu zahlreichen Bankenschließungen geführt, deren Auswirkungen auch in Venedig deutlich zu spüren waren (vgl. 7. Kapitel).

Ab 1500 begann der langsame, aber stetige Abstieg Venedigs und seiner Flotte. Die Spezialität der venezianischen Schiffbauer waren große und teure, etwa 43 Meter lange und 7 Meter breite Galeeren mit flachem Kiel gewesen. Doch durch revolutionäre Verbesserungen in der Segelproduktion sowie vor allem durch die Ausrüstung mit runden Kielen wurden die Segelschiffe schneller und einfacher zu steuern. Die Erfindung der Kanonen machte den Sicherheitsvorteil der großen Galeeren zunichte. Als gegen 1606 noch ein schwerer Eichenholzmangel hinzukam, musste Venedig die Hälfte seiner Schiffsflotte in ausländischen Werften bauen lassen, während die Seeherrschaft immer mehr auf Holland überging.

[1] Plünderungen und Eroberungszüge blieben noch bis weit in das 17. und 18. Jahrhundert hinein die Grundlage für monetäre Edelmetallsysteme. Moderne Geldsysteme aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die als Edelmetallsysteme gelten, gründeten sich oft mehr auf Betrug als auf Gewalt, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

[2] Mit diesem Ausdruck beschreibt Peter Spufford die monetäre Entwicklung zur Zeit Karls des Großen. Spuffords 1988 erschienenes Buch Money and its use in medieval Europe gab das erste umfassende Bild der Metall- und Geldströme im Mittelalter.

[3] Livres = Pfund, Sols = Schilling und Denaren = Pfennig. (A. d. Ü.)

[4] »Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, dass der gesamte Strom der Geschichte von Klerikern verfälscht wurde […] Jeder Historiker ist auf diese Verzerrungen gestoßen und hat sie entweder unerschrocken oder zaghaft verurteilt. Und doch gibt es immer wieder neue Generationen unbelesener Menschen, denen man diese Entdeckungen und Verurteilungen stets von neuem darlegen und wiederholen muss.« (Del Mar, Middle Ages, 204)

[5] Die Regel, dass schlechtes Geld gutes Geld verdrängt.

Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht

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