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3. Kapitel

Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

Es gab keinen »Untergang des Römischen Imperiums«.

Hilaire Belloc

Unserer Interpretation des Niedergangs des Römischen Imperiums, insbesondere Westroms, liegen zwei sehr alte und wichtige, aber wenig bekannte monetäre Mechanismen zugrunde, die für das Verständnis monetärer Vorgänge die Bedeutung von Regeln haben, die man unbedingt kennen muss.

Erste Regel: Das »heilige« Vorrecht der Goldmünzenprägung

Über zwölf Jahrhunderte lang war die Goldprägung das ausschließliche Vorrecht des obersten Souveräns, danach war sie dreihundert Jahre lang ein vom römischen Kaiser als Pontifex maximus mit Argusaugen bewachtes Privileg. Im Osten blieb dieses Vorrecht des Imperators bzw. des Basileus beinahe weitere neunhundert Jahre in Kraft.

Den äußerst seltenen Versuchen, diese Macht zu untergraben, wurde mit Tod und Krieg begegnet. Einen solchen Versuch unternahm der Moslemführer Abd al-Malik mit der Prägung von Goldmünzen. Er hatte mit dem byzantinisch-römischen Kaiser Justinian einen Friedensvertrag geschlossen, wonach er jährlich tausend Goldmünzen, die er mit römischem Emblem prägen durfte, an Byzanz zahlen musste. Im Jahre 695 gab er dann Goldmünzen aus, auf denen sein Selbstbildnis samt Schwert und die Worte »Abd al-Malik – Diener Gottes« eingeprägt waren. Mit diesen Münzen versuchte er nun, den Tribut an Justinian zu zahlen.1

Obwohl dieses neue Münzgeld in bezug auf Gewicht und Reinheit dem römischen gleichwertig war, erkannten Justinians Generäle so fort die Bedeutung dieses Aktes und erklärten Abd al-Malik den Krieg, noch bevor Justinian von dem Vorfall unterrichtet wurde.

Dieser Vorgang liefert plausible Argumente für einen institutionellen bzw. gesetzlichen Ursprung des Geldes. Theodor Mommsen schreibt in seiner Römischen Geschichte, die Goldprägung sei in den Provinzen nicht erlaubt gewesen,2 und Lenormant weist darauf hin, dass viele Jahrhunderte lang weder die dem Basileus direkt oder indirekt untergeordneten Provinzen noch die mehr oder minder unabhängigen, an das Imperium angrenzenden Staaten den Versuch unternahmen, Goldmünzen zu prägen.3

Hingegen durften lokale Herrscher Silbermünzen nach dem von Julius Cäsar eingeführten römischen Wertverhältnis von 12 : 1 prägen.[1] Del Mar zufolge blieb dieses Wertverhältnis bis 1204 in Kraft.4

Nicht einmal die Päpste wagten es nach ihrer Abspaltung vom Oströmischen Reich unter Stephan II. (752–757), Goldmünzen zu prägen. Dies änderte sich erst im Jahre 1204, als das Byzantinische Reich im vierten Kreuzzug erobert wurde. Von diesem Zeitpunkt an prägten lokale Herrscher überall in Europa Goldmünzen:

Europäische Goldmünzen nach dem Ende des Römischen Reiches

ZeitpunktOrtHerrscherBezeichnung der MünzeGewicht
1225NeapelFriedrich II.Aureus81–82 Gran
1225LyonAlfonsoDukat54 Gran
1250ParisLudwig IX.Ag’nel63 Gran
1252FlorenzRepublikFlorin56 Gran
1257EnglandHeinrich III.Penny43 Gran
1284VenedigRepublikDukat56 Gran
1316AvignonPapstSequin54 Gran
Johannes XXII.

Zweite Regel: Die unterschiedlichen Gold-Silber-Wertverhältnisse in Ost- und Westrom

Für europäisches Silber erhielt man in Indien lange Zeit fast doppelt so viel Gold als in Europa. Der Grund dafür war folgender Mechanismus: Das Gold-Silber-Verhältnis im Westen wurde auf hohem Niveau gehalten. (Es schwankte im Laufe der Jahrtausende zwischen 1 : 9 und 1 : 16.) Das Wertverhältnis in Indien und Asien dagegen blieb auf niedrigem Niveau stehen (in der Regel bei 1 : 6 oder 1 : 7).

Über Tausende von Jahren bedeutete diese Regel eine immense Machtquelle für diejenigen, die sie kannten. Der Landweg in den Nahen Osten stellte die Verknüpfung zwischen Ost- und Westhandel dar. Wer immer dieses Gebiet beherrschte, beherrschte auch den Handel. Teile der römischen Oberschicht konnten auf diese Weise ihren Einfluss erheblich ausbauen, bis Rom von innen heraus auseinanderbrach. Die Gewinne, die Venedig aus dem Mechanismus zog, waren eine Ursache der Renaissancebewegung. Jüdische Kaufleute, die ihre Aktivitäten von Asien nach Europa verlegten, bedienten sich seiner stillschweigend während Jahrhunderten. Kurz und gut, dieser Mechanismus war eine der wesentlichen Triebkräfte des modernen Kapitalismus.

Westliche Kaufleute bekamen also beim Eintausch von Silber im Osten 100 % mehr Gold als im Westen. Auch umgekehrt war das Geschäft lukrativ: Östliche Kaufleute bekamen im Westen für ihr Gold 100 % mehr Silber. War die Kontrolle zwischen Ost und West aufgeteilt, so wurde der Handel wahrscheinlich in einem Verhältnis von 9 : 1 abgewickelt, so dass jede Seite vom Austausch profitierte.

Die Existenz und Bedeutung dieser Zweiteilung ist weitgehend unbekannt und wird in Fachkreisen nur von wenigen, etwa von William Jacobs5 und Alexander Del Mar6, erörtert.

Bereits Alexander der Große hatte diesen Mechanismus kontrolliert, als er Kleinasien, Ägypten und Teile von Indien eroberte. Mit seinem vorzeitigen Tod ging die Macht über den Mechanismus auf Ptolemäus über, einen seiner Berater und Begründer der ptolemäischen Herrscherdynastie. Die Steuerung des Mechanismus von Ägypten aus erforderte ein hohes Maß an Abschottung von den Nachbarländern.

Der Historiker Rostovtzeff hat mindestens die Folgen dieses Mechanismus für die Politik der Ptolemäer bemerkt. Er schreibt nämlich in seinem Buch Social and economic History of the hellenistic World,7 diese hätten von Anfang an ihre eigene Geldpolitik verfolgt, ohne Rücksicht auf das monetäre Geschehen in der übrigen Welt. Aus unbekannten, wahrscheinlich wirtschaftlichen Gründen hätten sie sich und ihr Königreich von der übrigen hellenistischen Welt abgespalten. Offenbar war es, so Rostovtzeff, eine allgemein anerkannte Tatsache, dass die Ptolemäer aus dem arabischen Karawanenhandel riesige Goldgewinne erzielten. Die Griechen hätten ihre ptolemäischen Importe ohne Zweifel in erstklassigem Silber bezahlt, das die Ptolemäer so dringend benötigten. Ferner betont Rostovtzeff, dass der Silberwert im Ägypten des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. von einer schweren Inflation betroffen war. Dieser Effekt äußerte sich im Abzug von Silber nach Osten.

Da die Händler Preisunterschiede an verschiedenen Märkten ausnutzten oder die Gold-Silber-Zweiteilung in die Werte anderer Rohstoffe umsetzten, unterlagen auch sie einer gewissen Kontrolle. Die Ptolemäer setzten wirkungsvolle Zollschranken für Waren ein, die ihnen nach Rostovtzeff zu offiziell festgelegten Preisen verkauft werden mussten. Was geschah aber, wenn ein Händler Waren nach Indien transportierte und mit Gold zurückkehrte, vermutlich mit doppelt so viel Gold, als die Waren in Ägypten wert waren? Diese importierten ausländischen Münzen wurden eingeschmolzen und durch Neuprägungen ersetzt – natürlich im ptolemäisch-westlichen Wertverhältnis von 12,5 : 1.

Mit der Eroberung von Ägypten im Jahre 48 v. Chr. und der Ablösung der Ptolemäer-Herrschaft brachte Rom diesen entscheidenden asiatischen Handel vollständig in seine Gewalt. Hundert Jahre später schrieb Plinius, dass jedes Jahr 100 Millionen Silbersesterzen im Wert von einer Million Goldaurei von Rom nach Indien und China ausgeführt würden. Plinius war Statthalter in Spanien und hatte die Aufgabe, die Staatseinkünfte zu verwalten. Die strenge Geheimhaltung, welcher die Regel der unterschiedlichen Wertverhältnisse unterlag, wird auch daran deutlich, dass Plinius trotz seines Amtes mit der Funktionsweise des Mechanismus offenbar nicht vertraut war, denn er konnte nicht verstehen, warum seine Landsleute »immer Silber und niemals Gold von den eroberten Nationen verlangten«.8

Die Zweiteilung hält Jahrtausende an

Dieses zweigeteilte Wertverhältnis wurde über Tausende von Jahren beibehalten. Noch im Jahre 1625 setzte Japan das Verhältnis auf 6 : 1 fest, ohne sich darüber im klaren zu sein, dass es in Europa viel höher war (damals bei 15 : 1). So waren portugiesische Händler zwischen 1565 und 1625 in der Lage, Japan um ein Drittel seines Goldes, d. h. etwa 250 Tonnen, zu erleichtern. John Locke wies darauf hin, daß die britische Ostindische Kompanie diese Zweiteilung bis weit in das 18.Jahrhundert hinein zu ihrem Vorteil nutzte und damit dem englischen Silbergeldsystem schadete. Locke nennt den Mechanismus »eine zerstörerische Seuche, die den soliden Wohlstand des (britischen) Weltreichs im indischen Ozean versenkt«.9

Die Frage, wie ein solcher Mechanismus überhaupt zustande kommen und so lange Zeit fortbestehen konnte, versuchte Alexander Del Mar zu beantworten: Die Kontrolle über Geld und Handel musste, damit sie aufrechterhalten werden konnte, in starken Händen gelegen haben. Doch in wessen Händen? Im Osten waren es die Priester von Brahma oder Buddha und im Westen die Priester von (der Reihe nach) Cyrus, Darius, Tiglath, Nebu Nazaru, Osiris, Alexander, Ptolemäus und der Cäsaren.

Betrügerische Geldsysteme tragen meist tief in ihrem Innersten etwas Geheimnisvolles, und so war es auch im Falle des byzantinischen Systems. Wenn wir die beiden altertümlichen Regeln miteinander verknüpfen, erkennen wir die »geheime« Triebkraft hinter dem »heiligen« Vorrecht der Goldmünzenprägung: Der byzantinische Herrscher war bereit, zentral geprägte Goldsolidi gegen lokal geprägte Silbermünzen in einem Verhältnis von 12 : 1 umzutauschen. Für dasselbe Silber erhielt er in Indien und anderen östlichen Gebieten Barrengold in bis zu doppeltem Wert. Jede Störung dieses Mechanismus traf die Machtposition des Basileus an der Wurzel.

Der Untergang des Römischen Reiches bleibt eine der größten Fragen der Geschichte

Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire (1776–1778) war lange Zeit eines der herausragenden Werke über den Zerfall des Römischen Reiches. Doch heute wird diese Analyse und sogar ihr Titel in Frage gestellt: Der Geistliche, Historiker und Ökonom Hilaire Belloc behauptet dezidiert, sogar der Begriff »Untergang« sei rhetorisch und falsch.10 In diesem Kapitel werden die drei wichtigsten »Untergangsthesen« sowie (bei den Thesen a und b) ihre »Gegenthesen« vorgestellt und wird abschließend der Versuch einer monetären Erklärung für den »Untergang des Römischen Reichs« gemacht.

a) Schuldzuweisungen an das Christentum

Belloc wehrte sich dagegen, dass immer die Kirche für den »Untergang« Roms verantwortlich gemacht werde. Dabei sei doch gerade sie es gewesen, die rettete, was noch zu retten war. Belloc reagiert mit seinen Thesen auf Gibbons Behauptung,11 das Christentum trage wegen seines Jenseitsglaubens, der als großes Ziel der Religion das Glück in einem zukünftigen Leben definiere, einen Großteil der Schuld[2]. Dem ist folgende Feststellung entgegenzuhalten: Als Konstantin der Große im Jahre 324 die Alleinherrschaft im Byzantinischen Reich erlangte und das Christentum mit Erlassen zu fördern begann, hatte Byzanz wahrscheinlich mehr Einfluss auf das Christentum als die Kirche auf Byzanz. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass es Konstantin war, der im sogenannten Arianischen Streit, in dem es um die Gottheit Christi ging, eine Einigung erzwang.12

b) Schuldzuweisungen an die Barbaren

Als einer der ersten widersprach Del Mar Gibbons Behauptung, Rom sei von einer Flut von Barbaren überschwemmt worden. Die Eroberung des Reiches durch Barbaren sei vielmehr eine Erfindung der Mönche gewesen, um die Ignoranz und den Schaden, den ihre heidnischen Vorfahren angerichtet hatten, irgendwie zu erklären.13

Die Vorstellung, dass Rom nach wiederholten Angriffen von germanischen Stämmen geschlagen wurde, hat Henri Pirenne in seinem 1936 erschienenen Klassiker Mahomet et Charlemagne widerlegt. Er meint, dass für eine »Überflutung« einfach nicht genügend »Invasoren« vorhanden waren, da wahrscheinlich nur etwa 40 000 Westgoten, von denen nur 8000 Krieger waren, die Donau überquert hätten. Für die römische Armee sei das wohl kein ernstzunehmendes Problem gewesen. Obwohl die Ostgoten vorübergehend durch Italien tobten, brach nach Pirenne die alte imperiale Wirtschaftsstruktur nicht auseinander.14 Del Mar, der bereits 20 Jahre früher zu diesem Schluss gekommen war, wies ferner darauf hin, dass das Landpachtsystem und die Grundstücksverwaltung überlebten und nach wie vor florierten. Der riesige Landbesitz der Kirche wurde von zahlenden Pächtern verwaltet. Bei diesen Besitztümern handelte es sich um autarke Einheiten, die ausgedehnte, manchmal nicht aneinandergrenzende Grundstücke umfassten.15

c) Schuldzuweisungen an die Moslems

Henri Pirenne führt den allmählichen Niedergang Roms vor allem auf den spektakulären Aufstieg der Moslems zurück. Tatsächlich dehnte sich der moslemische Machtbereich blitzschnell aus. Mohammed wurde 570 geboren und starb 630. Bereits um 638 unterwarfen seine Nachfolger Syrien und eroberten Jerusalem, Aleppo und Antiochia mit einer Truppenstärke von anfangs 120 000 Mann. Um 651 eroberten sie Ägypten und fielen in Persien ein. 655 zerstörten sie die byzantinische Flotte in Lykien. Gegen 709 hatten sie ganz Nordafrika erobert. 711 fielen sie in Spanien ein, besetzten drei Jahre lang die gesamte Halbinsel und regierten sie von Damaskus aus. Sie beherrschten ein Gebiet, das von Indien bis zum Atlantik reichte.

Pirenne stellt die These auf, dass die Moslems Roms Wirtschaftsleben, das die germanischen Invasoren unversehrt gelassen hatten, ruinierten. Ab der Mitte des 7. Jahrhunderts war die Schiffahrt zwischen den moslemischen Häfen im Ägäischen Meer und den christlich gebliebenen Gebieten unmöglich. Die einzigen, die immer noch am Handel beteiligt waren, waren die Juden. Sie waren überall in großer Anzahl präsent und wurden von den Arabern weder vertrieben noch niedergemetzelt.16

Eine monetäre Sicht des Untergangs von Rom

Unter dem strengen, von Kaiser Konstantin im Juli 325 eingeführten Goldsolidussystem wurden Münzverschlechterungen nicht hingenommen. Vielleicht aufgrund eines religiösen Motivs wurde die Vorstellung von Geld als Ware sehr ernst genommen. Wann immer dies in der Moderne der Fall war, bedeutete es Unglück – damals war es die Mutter allen Unglücks.

Kaiser Konstantin höchstpersönlich befahl die Todesstrafe für Münzfälscher und den Scheiterhaufen für offizielle Münzpräger, die sich einer Verfälschung bei der Münzprägung schuldig machten, »denn das Verbrechen desjenigen, der es in seinem öffentlichen Amt begeht, wiegt schwerer«.17

Geldwechsler, die gefälschte Solidi entgegennahmen und dies nicht sofort meldeten, wurden ausgepeitscht, kahlgeschoren und ins Exil geschickt. Goldschmiede benötigten eine Arbeitslizenz und durften Gold nur in ihren Werkstätten (nicht aber zu Hause) bearbeiten. Sie durften nur bis zu einem Pfund Barrengold auf einmal einkaufen. Diese Vorschriften hatten ihre Wirkung: Der Goldsolidus, der bei seiner Einführung unter Konstantin 70 Gran (68 Gran Reingehalt) wog, stand nach leichten Schwankungen im Jahre 1025 immer noch bei 68 Gran.

Dabei nahmen zu jener Zeit die Metallbestände immer mehr ab. In seinem 1831 erschienenen Klassiker The precious metals konstatiert William Jacobs, dass für den Zeitraum von 480 bis 670 oder 680 jede Suche nach Aufzeichnungen über eine Fortsetzung der Münzprägung ohne Ergebnis blieb.18 In jüngerer Zeit hat Peter Spufford nach intensiven Recherchen festgestellt, dass während knapp eines Jahrhunderts im Westen keine Silbermünzen geprägt wurden.19

Jacobs schätzt den allein durch Abnutzung verursachten Abbau der Metallbestände auf etwa ein Drittel des gesamten Münzgewichts innerhalb von einhundert Jahren. Da das Gewicht des Solidus mit 65–68 Gran sehr stabil ist, würde ein Rückgang der Goldbestände eine geringere Anzahl von Münzen bedeuten, was im Laufe mehrerer Jahrhunderte eine Deflation verursacht haben könnte. Darin wiederum könnte eine der Hauptursachen für den Niedergang Roms liegen.

Solidi werden in zahlreichen literarischen Aufzeichnungen erwähnt, zum Beispiel auch in der Topographia Christiana des Cosmas Indicopleustes (Cosmas, des Indienfahrers) (vermutlich zwischen 535 und 547): »Ein weiteres Kennzeichen der römischen Macht liegt darin, dass der Nomisma das Geld ist, mit dem alle Nationen Handel treiben und das überall, vom einen Ende der Erde bis zum anderen, angenommen wird.«20

(Solche Hinweise und große Münzfunde veranlassten Pirenne, die Knappheit der Edelmetalle zu bezweifeln. Seiner Ansicht und Kenntnis nach besaßen die merowingischen [fränkischen] Könige, die Kirche und Privatpersonen so viel Gold, dass man in der damaligen Zeit mit Sicherheit von beträchtlichen Goldbeständen im Westen ausgehen kann, obwohl es dort keine Goldminen gab. Pirenne zweifelt nicht daran, dass ein sehr reger Geldumlauf herrschte.21 Letztere Aussage ist allerdings eine sehr subjektive Einschätzung, für die Pirenne keine wirklichen Beweise anführt. Nach Ansicht späterer Historiker hat Pirenne die Wirtschaftsaktivität der Merowinger überbewertet.22)

Die Konzentration des Reichtums

Historiker haben den Zusammenhang zwischen der Abnahme der Edelmetallbestände und dem Einfluss folgender drei Faktoren bis heute nicht erkannt. Der wichtigste dieser Faktoren ist die drastische Vermögenskonzentration bei der Kirche sowie bei einigen wenigen Privatpersonen. Ein Großteil der Ländereien in Privatbesitz wurde der Kirche vermacht. Die Kirche besaß schließlich ein Drittel bis die Hälfte aller angehäuften Ländereien und Vermögenswerte des Reiches, einschließlich der vorhandenen Münzen. Diese Vermögenskonzentration in Verbindung mit dem Reichtum einiger weniger einzelner rief möglicherweise einen mit großer Münzgeldknappheit vergleichbaren Effekt hervor. Es stellt sich daher nicht in erster Linie die Frage, wieviel Geld vorhanden war, sondern vielmehr, wie es verteilt und für den Handel verfügbar gemacht wurde.

Die Vermögens- und Machtkonzentration im Reich nahm immer mehr zu, bis sie hinter den bis dreißig Meter dicken Stadtmauern der wohlhabenden Befestigungsstadt Konstantinopel ihren Höhepunkt erreichte. Wahrscheinlich fügte diese Konzentration dem Rest des Reiches, besonders dem Westen, eine schwere, jahrhundertelange deflationäre Krise zu. Handel und Industrie kamen zum Stillstand. Große Segelschiffe verschwanden. Künste und Wissenschaften verschwanden – sogar die Kunst der Zementherstellung geriet in Vergessenheit.

Das Fehlen einer gesetzlich verankerten monetären Macht im Westen beeinträchtigte die Rechtsstaatlichkeit. Der Verfall des Rechtsstaats beeinträchtigte wiederum die monetäre Macht, und so setzte sich der Kreislauf fort.

Geld hatte nicht die Funktion einer gesetzlichen Einrichtung. Die westliche Verwaltung konnte nicht einmal verhindern, dass die Stadt Rom vorübergehend von feindlichen Truppen besetzt wurde. Dies war der Anfang einer endlosen Krise, die erst mit dem einsetzenden Ende der Deflation im ausgehenden 8. Jahrhundert überwunden wurde.

Das Zusammenspiel mit den beiden anderen entscheidenden Faktoren, den bereits beschriebenen alten Geldregeln, führte zu einer weiteren Verschlechterung des Geldsystems, da der potentielle Nutzen eines primitiv am Warenwert orientierten Geldsystems aufgehoben oder zumindest abgeschwächt wurde. Nur der Basileus durfte Goldmünzen prägen. Lokale Prinzen mussten sich auf die Silberprägung beschränken. Es wurde jedoch kein neues Silber gewonnen, und das vorhandene Silbergeld wanderte nach Osten ab, wo man dafür zweimal soviel Gold erhielt wie im Westen.

Diese historisch dokumentierten Hinweise auf Vermögenskonzentration, Einstellung der Edelmetallförderung, Münzschwund durch normale Abnutzung und tendenzielle Abwanderung der Edelmetalle – vor allem Silber – nach Osten sind zusammen genommen ein stichhaltiges Argument für die These, dass die Unterversorgung mit umlaufendem Geld einer der Hauptfaktoren (oder der Hauptfaktor) beim Untergang des Römischen Reiches war.

Hinter dieser Geldknappheit steht letztendlich ein kolossaler Trugschluss der Geldtheorie, dem heute noch manche Ideologen erliegen: der Irrglaube, dass Geld eine Ware oder ein Wirtschaftsgut sei.

Aus dem byzantinischen System lässt sich noch eine weitere Lehre ziehen: Geldwertstabilität kann auch übertrieben werden und sollte daher nie mit ideologischer Verbissenheit angestrebt werden.

Der moslemische Angriff auf das »monetäre Rückgrat« des Reiches

Dieses Hintergrundwissen erlaubt nun ein besseres Verständnis der vom Kalifen Abd al-Malik eingeführten Münzprägung. Pirennes Beschuldigung der Moslems war teilweise berechtigt, aber aus einem andern Grund. Richtig erfasst hat die Natur des moslemischen Angriffs erst Del Mar.

Die moslemische Münzprägung war zunächst eine Nachahmung der Geldsysteme der eroberten Länder. Anfangs bestand das moslemische Silbergeld aus den Münzen des persischen Reiches. Goldmünzen wurden in Damaskus unter byzantinischer Aufsicht mit römischem Stempel geprägt – ein Zeichen für die eingeschränkte Souveränität der Moslems.

Das änderte sich mit der Münzprägung von Abd al-Malik. Sein Golddinar wog 65 Gran und kam mit einem Feingehalt von 98 % sehr nahe an den Besant[3] heran. Gewiss war es von Abd al-Malik etwas vermessen, Münzen zu prägen, auf denen er selbst mit dem Schwert fuchtelnd abgebildet war. Die eigentliche Gefahr für den Basileus war aber das Silber-Gold-Wertverhältnis. Denn Abd al-Malik prägte seine silbernen Dirhems[4] mit 43 Gran und einem Feingehalt von 96 %, und da das Wertverhältnis von Dirhem zu Dinar 10 : 1 betrug, etablierte er damit eine neue Silber-Gold-Relation von etwa 6,5 : 1.

Das bedeutete, dass man für Silbermünzen beinahe doppelt so viele moslemische Goldmünzen als byzantinische Goldmünzen mit gleichem Gewicht bekam. Der Basileus versuchte freilich, derartige Geldgeschäfte für sich zu behalten und nötigenfalls auf dem Landweg nach Indien abzuwickeln. Byzanz stellte alsbald die Prägung von Silbermünzen für seine Untertanen ein und untersagte jeglichen Handel mit den Moslems.

Verwirrung um das moslemische Wertverhältnis

Del Mar beschrieb das moslemische Geldsystem erstmals im Jahre 1895. Seine Darstellung blieb jedoch unbeachtet, vielleicht weil eine Auseinandersetzung damit eine Neubewertung der »klassischen« monetären Theorien von Adam Smith unumgänglich gemacht hätte.

Das Problem rührt daher, dass die Moslems bei ihren Eroberungen Gold im Gewicht von 5 Millionen Mark und Silber im Gewicht von 100 Millionen Mark beschlagnahmten. Diese Tatsache verleitete namhafte Ökonomen zu der Annahme, die Moslems hätten das im Überfluss vorhandene Silber gegenüber dem Gold abgewertet: »Alle unsere historischen Kenntnisse deuten darauf hin, dass sich das Wertverhältnis in beträchtlichem Masse zugunsten von Gold verändert haben muss.«23

Offensichtlichere Hinweise auf das Wertverhältnis werden dagegen außer acht gelassen: Die arabischen Autoren reiten endlos auf der Tatsache herum, dass das Gewichtsverhältnis vom (Gold-)Dinar zum (Silber-)Dirhem 10 : 7 entsprach; und der Koran gibt das Wertverhältnis der Silberzu den Goldmünzen mit 10 : 1 an: »Das Gesetz des Propheten erhebt den Zehnten auf den Besitz von Edelmetallen in Höhe von […] 200 Silber-Dirhems oder 20 Gold-Dinaren.«

Daraus ergibt sich ein Gold-Silber-Verhältnis von 7 : 1.

Statt dessen berufen sich besagte Ökonomen auf Einzelaussagen in dubiosen Quellen und kommen so zu einem Dinar-Dirhem-Verhältnis von 1 : 20, was ein Silber-Gold-Verhältnis von 14 : 1 ergibt. Es ist indes nicht das erste Mal, dass Adam Smith’ ungeprüfte Annahmen zu geldgeschichtlichen Fehlinterpretationen geführt haben.

Das Verständnis des Wertverhältnisses bringt Adam Smith’ Theoriengebäude zum Einsturz

Die Zweiteilung im Wertverhältnis steht in krassem Widerspruch zu den von Adam Smith und der klassischen Ökonomie aufgestellten Theorien über den Gold- und Silberwert, der ihrer Ansicht nach von den Produktionskosten dieser Edelmetalle sowie ihrer verfügbaren Menge bestimmt wird.

Historische Studien zeigen, dass Nationen und Reiche die Gold-Silber-Wertverhältnisse tatsächlich auf der Grundlage der vorhandenen Mengen festsetzten. Dabei hielten sie sich allerdings gerade nicht an die Gesetze des »freien Marktes«. Ganz im Gegenteil: Bei der Festlegung des Wertverhältnisses setzte eine starke Nation stets den Wert des am reichlichsten vorhandenen Metalles herauf!

Als beispielsweise Cäsar an die Macht kam, nahmen die Goldbestände aus neu eroberten Provinzen zu. Er setzte den Goldwert von 9 : 1 auf 12 : 1 herauf.

Nachdem das moslemische Reich zwanzigmal mehr Silber als Gold erbeutet hatte, setzten die Moslems das Wertverhältnis auf etwa 7 : 1 fest und erhöhten damit den relativen Wert des in größerer Menge vorhandenen Silbers. Diese Höherbewertung von Silber war für die Moslems durchaus sinnvoll, da sie so viel davon besaßen. Ein großes Angebot ist keine Garantie für niedrige Preise, wenn der Herrscher über die Festsetzung der Preise verfügt. Die Moslems wussten, dass niemand die wirtschaftliche oder militärische Macht besaß, um ihr Wertverhältnis außer Kraft zu setzen.

Viel später, zwischen 1493 und 1690, erbeutete Spanien in Amerika 1230 Tonnen Gold und 60 440 Tonnen Silber. Diese immensen Mengen stellten alle bis dahin vorhandenen Bestände in den Schatten. Obwohl das Mengenverhältnis Silber zu Gold etwa 49 : 1 betrug, setzten die Spanier das Wertverhältnis auf 13,3 : 1 im Jahre 1546 und auf 14–15 : 1 im 17. Jahrhundert fest. Sie hielten den Wert des reichlich vorhandenen Silbers also stets auf einem hohen Niveau. Bei der Festlegung des Gold-Silber-Wertverhältnisses waren daher in erster Linie die gesetzlichen Vorschriften und die Macht der dominierenden währungsgebenden Nation ausschlaggebend.

Die aristotelische Geldtradition der Moslems

Der Prophet Mohammed war in seiner Jugend Kaufmann gewesen und kannte sich daher auf dem Gebiet des Handels aus. Höchstpersönlich lehrte er seine Anhänger das gesetzliche und symbolische Wesen des Geldes, eine Tatsache von größter Bedeutung für monetäre Reformen in heutiger Zeit. Er brachte seinen Anhängern bei, »überbewertete« Kupfermünzen genauso als eine Währung zu betrachten wie Gold- und Silbermünzen.24 Deshalb stehen diese monetären Vorstellungen der Moslems ganz in der aristotelischen Geldtradition. Durch ihre Eroberungszüge fielen Mohammeds Anhänger allerdings gezwungenermaßen bald wieder auf Edelmetallsysteme zurück.

Bis zum 13. Jahrhundert wurden Goldmünzen nur von den Moslems und den Byzantinern in größerer Anzahl und annähernd identischer Form geprägt. Moslemische Münzen wurden in großen Mengen auf dem gesamten europäischen Festland sowie in England und Skandinavien gefunden.

Spanische Gold- und Silberminen wurden von den Moslems mit Sklavenarbeit ausgebeutet. Die moslemische Besetzung von Spanien eröffnete der jüdischen Wanderungsbewegung von Asien nach Europa einen Korridor, der Henri Pirenne zufolge die einzige überlebende Wirtschaftsverbindung zwischen Islam und Christentum und damit auch zwischen Ost und West darstellte.25

Es gab jedoch noch eine weitere, entscheidende Ost-West-Verbindung: Venedig.

[1] Del Mar zeigte, dass die Forscher, die aus dem Codex Theodosianus ein Verhältnis von 14,4 : 1 nachweisen wollten, die libra als Gewicht (anstatt als Zahlgeld) missverstanden.

[2] Ähnlich wie Gibbon argumentiert Frazer

[3] Name des byzantinischen Solidus im Westen. (A. d. Ü.)

[4] Die Untereinheit des Gold-Dinars. (A. d. Ü.)

Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht

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