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Einführung

Die Historiker werden nur dann wertvolle Dienste leisten, wenn sie die Kernfrage der Geschichte beantworten können: Was ist Macht?

Leo Tolstoi

Das Bedürfnis nach Wissen über monetäre Zusammenhänge wächst

Kurz vor Anbruch des dritten nachchristlichen Jahrtausends führen uns mehrere weltumspannende Entwicklungen die Notwendigkeit vor Augen, unseren Blick für monetäre Begriffe zu schärfen. Die Bildung der Europäischen Gemeinschaft stellt eine der bedeutendsten geopolitischen Entwicklungen in der Geschichte Europas der vergangenen Jahrhunderte dar. In ihrer Tragweite mit der ursprünglichen Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbar, wird sie das Weltgeschehen wohl bis weit in die Zukunft hinein beeinflussen.

Diese neue politische Wirklichkeit besteht zu einem Großteil aus der Verschmelzung der nationalen europäischen Währungen zu einer einheitlichen Währung, dem Euro. Mit der allmählichen Vollendung dieser Reform wächst die Skepsis vieler Europäer gegenüber monetären Entwicklungen, die sich auf ihre wirtschaftliche Zukunft auswirken werden.

Die enorme Bedeutung monetärer Macht

Obwohl man im allgemeinen lieber die politischen und wirtschaftlichen Aspekte der Europäischen Union diskutiert, zeigt die Geschichte, dass der monetäre Bereich für die Gestaltung der Europäischen Gemeinschaft von größerer, wenn nicht sogar von entscheidender Bedeutung ist.

Die Macht in einer Gesellschaft wird überwiegend von ihrem Geld- und Bankensystem ausgeübt. Während die Wahlen von Ministerpräsidenten und Volksvertretern im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, werden die wirklich wesentlichen gesellschaftlichen Fragen – etwa ob allgemeine wirtschaftliche Gerechtigkeit herrscht oder ob einzelne Gruppen besondere Privilegien erhalten – oft leise hinter den Kulissen entschieden, und zwar mittels der Strukturen des monetären Systems einer Gesellschaft.

Diese monetären Beschlüsse werden sich sehr unmittelbar auf das tägliche Leben der EU-Bürger auswirken, unmittelbarer als die Beschlüsse des Europäischen Parlaments, des Ministerrats oder des Europäischen Gerichtshofs. Durch monetäre Beschlüsse wird festgelegt, auf welche Art und Weise Geld in der Gemeinschaft verfügbar gemacht wird, was wiederum den Grad der Beschäftigung bzw. der Arbeitslosigkeit, die Höhe der Einkommen, Investitionen, Zinssätze und viele weitere Faktoren bestimmt.

Mit einem Wort, die monetären Institutionen werden in der Lage sein, der Europäischen Gemeinschaft entweder großen Nutzen zu bringen oder aber Schaden zuzufügen, je nach ihrer Struktur und Umsetzung. Das Bewusstsein der Bürger für diesen Sachverhalt kann die Struktur und die Führung dieser Institutionen beeinflussen. Da das langfristige Arbeiten einer Institution häufig von ihrer Anfangsentwicklung bestimmt wird, sollte dieses Bewusstsein die Europäische Währungsunion im Idealfall bereits in ihrer Aufbauphase mitgestalten und beeinflussen. Doch selbst wenn sich dieses monetäre Bewusstsein erst allmählich herausbilden sollte, kann es seine Wirkung immer noch zu einem späteren Zeitpunkt entfalten, falls die Währungsunion ins Stocken geraten und eine Reform ihrer Strukturen erforderlich werden sollte.

In diesem Buch wird die These aufgestellt, dass die Ausübung der monetären Macht das Hauptmotiv gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ist und dass diese Macht durch undurchsichtige oder gar falsche Theorien über das Wesen des Geldes ausgeübt wird. Eine falsche Definition des Geldbegriffs hat häufig dazu geführt, dass bestimmte Gruppen oder Personen die Macht über das Geldwesen einer Gesellschaft und damit auch über die Gesellschaft selbst ausüben konnten. Anhand einer historischen Beschreibung dieser monetären Machtausübung sollen diese Geldbegriffe klar erläutert und in ihrer Bedeutung offengelegt werden. Damit kann hoffentlich ein Beitrag zur Entmystifizierung des Geldes geleistet werden.

Das Haupthindernis: die Mystifizierung des Geldes

Gerade weil monetäre Systeme sich so hervorragend zur Ausübung von Macht eignen, schützen diejenigen, die diese Systeme beherrschen, in der Regel ihre daraus resultierenden Privilegien durch Verhüllung und Verfälschung monetärer Begriffe. Durch diese Tatsache wird das Verständnis von Geld erheblich erschwert.

Diese seit Jahrhunderten angewandte Begriffsvernebelung hat zum Verlust zahlreicher grundlegender Kenntnisse der Geldlehre geführt, so wie etwa auch verschiedene Künste und Wissenschaften im »finsteren Mittelalter« verlorengingen.

Die Geschichte des Geldes ist unbekannt

Die Mystifizierung des Geldes war vor allem wegen der von den Ökonomen hauptsächlich angewandten Untersuchungsmethode so erfolgreich. Von Adam Smith bis zur Wiener Schule der Nationalökonomie wurde zu viel Wert auf theoretisches Denken und logisches Argumentieren statt auf direkte Beobachtung gelegt. Außerdem wurden moralische Erwägungen aus den Theorien möglichst herausgehalten. So schrieb vor etwa einem Jahrhundert der berühmte Geldhistoriker Alexander Del Mar: »Politische Ökonomen machen sich in der Regel nicht die Mühe, die Geschichte des Geldes zu erforschen, ist es doch viel einfacher, sie sich vorzustellen und dann aus diesem imaginären Wissen Prinzipien abzuleiten.«1

Diese abwertende Haltung der empirischen Forschung gegenüber prägt auch das einflussreiche Standardwerk der Wiener Schule, Ludwig von Mises Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel (1912), wie etwa das folgende Zitat zeigt: »Die einfache Umschreibung der volkswirtschaftlichen Funktion des Geldes, dass es ein den Austausch von Gütern und Dienstleistungen vermittelndes Verkehrsgut sei, konnte all jene nicht befriedigen, welche in der Wissenschaft nicht so sehr die Tiefe der Erkenntnis als die Fülle von Material suchen. MancherForscher meinte, dass der hervorragenden Stellung des Geldes im Wirtschaftsleben nicht genügend Rechnung getragen sei, wenn man ihm lediglich die Tauschmittelfunktion zuerkenne, und glaubte erst durch Aufzählung eines halben Dutzend weiterer ›Funktionen‹ die Bedeutung des Geldes voll gewürdigt zu haben. Eine recht naive Auffassung: […]«2

Diese Methode ist für die Mathematik, nicht aber für die Ökonomie sinnvoll. Von Mises greift sogar die geschichtliche Forschung an, indem er von einem ihrer Vertreter sagt, er sei der Auffassung gewesen, man könne das Nachdenken über wirtschaftliche Probleme durch Veröffentlichung historischer Dokumente ersetzen. Überhaupt geht von Mises mit den Kritikern seiner monetären Ansichten nicht zimperlich um. So schadete er dem Ruf des berühmten Wissenschaftlers, Erfinders und amerikanischen Revolutionsführers Benjamin Franklin, indem er ihn postum beschuldigte, sich nur deshalb für Papiergeld eingesetzt zu haben, weil er Drucker war und daher vom neuen Papiergeld profitiert habe.

Das Wissen über die Geschichte des Geldes ist von entscheidender Bedeutung, da die Auswirkungen eines monetären Systems manchmal erst nach Generationen sichtbar werden. Indem manche Ökonomen über historische Studien hinwegsehen oder sie sogar ins Lächerliche ziehen, bringen sie sich selbst um den Beitrag der Geschichte zu ihrer wissenschaftlichen Arbeit und damit auch um den Nutzen, der daraus zu ziehen wäre. Nicht zufällig entstanden die meisten Leittheorien dieser Schulen als denkerische Konstruktionen, bevor ihre Stärken und Schwächen sich an der Wirklichkeit bewähren mussten.

Monetäres Denken wurde zensiert

Die Suche nach den Ursprüngen des Geldes wird weiter dadurch erschwert, dass die Geschichte des Geldes stark zensiert wurde. So lesen wir beispielsweise in der Athener Verfassung, wie damals der Müll gesammelt wurde, suchen aber vergeblich nach Informationen über das staatliche Münzsystem. So erfährt man nichts über den für das Finanzwesen verantworlichen »Minister«3, und über Solons Einführung eines Münzsystems in Attika gibt es keine Aufzeichnungen.4 Solons Geldreformen lassen sich deshalb nicht vollständig rekonstruieren. Die Geschichte des römischen Geldwesens ist zwar besser, aber keineswegs vollständig dokumentiert.

Monetäre Daten werden oft falsch interpretiert

Ein weiteres Hindernis besteht darin, dass Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts dazu neigen, Adam Smith’ monetäre Theorien auf ihre Arbeit anzuwenden und die überlieferten monetären Daten falsch zu bewerten. Ökonomen gehen oft noch einen Schritt weiter: Widersprechen die aufgezeichneten Fakten ihren bevorzugten Theorien, bestreiten sie diese nicht selten mit Äußerungen wie der folgenden: »Wir wissen, dass dies nicht richtig sein kann.«

Das Ziel dieses Buches

Ziel dieses Buches ist es, einen kleinen Beitrag zur Klarstellung der monetären Begriffe zu leisten und das Potential für eine erfolgreiche Verwirklichung der Europäischen Währungsunion zu maximieren. Ein erster Schwerpunkt der in diesem Buch angewandten Methode liegt auf der Darstellung bedeutender Prinzipien der Geldlehre, wie sie sich aus historischen Beispielen ableiten lassen. In einem zweiten Schritt soll untersucht werden, inwieweit diese Prinzipien in die Pläne einer Europäischen Währungsunion einfließen können.

Da meine persönliche Wiederentdeckung dieser Prinzipien auf einer Untersuchung monetärer Daten in der Geschichte beruht, ist auch dieses Buch geschichtlich aufgebaut. Meine Aufgabe ist es, Ihnen zu zeigen, dass die Geschichte des Geldes weder trocken noch langweilig ist, denn sie ist die Geschichte der Macht!

Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht

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