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Okay, Leute. Pause.«

Der Befehl kam von dem uniformierten Sergeant am anderen Ende der Reihe. Die Männer in den blauen Overalls und den Gummistiefeln verteilten sich und setzten sich im Halbkreis in das ausgedörrte, lange Gras. Irgendjemand holte eine Thermosflasche Tee heraus, ein anderer ließ eine Flasche Orangensaft kreisen.

PC Garnett machte es sich bequem; er legte seine Stange weg und nahm die Mütze ab, wobei ein kurz geschnittener Haarkranz zum Vorschein kam. Angeblich lag es an den Helmen, dass vielen Polizisten schon früh die Haare ausgingen. Cooper war sich darüber im Klaren, dass auch er früher oder später Geheimratsecken bekommen würde. Wie er von allen Seiten zu hören bekam, hatte er das gleiche feine, braune Haar wie sein Vater, der, so lange er sich erinnern konnte, eine Halbglatze getragen hatte. Aber bis jetzt konnte er sich das Haar noch in die Stirn fallen lassen, wie er es schon seit Ewigkeiten trug. Modetrends berührten ihn wenig.

Garnett wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und bereitete sich grinsend auf einen gemütlichen Plausch vor. »Und, was sagen Sie zu dem Neuzugang in Ihrer Abteilung? Dem neuen DC?«

»Ich habe ihn noch nicht kennen gelernt. Ich bin eben erst aus dem Urlaub gekommen.«

»Er ist eine Sie, Kollege, eine Sie. Diane Fry.«

»Ach so.«

»Sie kommt aus Birmingham.«

»Ich habe noch nichts von ihr gehört. Sie wird schon in Ordnung sein.«

»Dave Rennie meint, sie ist ein ziemlich harter Brocken. Wenn sie wollte, könnte sie klasse aussehen, sagt er, aber sie will nicht. Blond, aber kurze Haare. Zu groß, zu dünn, kein Make-up, trägt nur Hosen. Ein richtiger Drachen.«

»Sie kennen sie doch gar nicht«, protestierte Cooper.

»Na ja, aber man kennt doch diesen Typ Frau. Wahrscheinlich eine Lesbe.«

Cooper stieß laut den Atem aus. »Das ist lächerlich. Wie können Sie solche Gerüchte verbreiten? Sie wissen doch gar nichts über sie.«

Cooper klang so gereizt, dass Garnett vorsichtshalber den Mund hielt und ihm nicht widersprach. Er riss einen Löwenzahn aus und zerrupfte die Blätter. Aber Cooper konnte das Thema nicht auf sich beruhen lassen.

»Sie wissen doch genauso gut wie ich, wie schwer es Frauen bei der Polizei haben, Garnett. Deshalb gehen sie es manchmal etwas zu verbissen an. Aber das gibt sich in ein, zwei Wochen wieder. Das ist doch immer so.«

»Na, ich weiß nicht. Auf jeden Fall habe ich das Gefühl, dass Ihnen nicht viel Zeit bleiben wird, sich mit ihr anzufreunden, mein Junge. Die hat Sie im Handumdrehen überholt und abgehängt.«

»Wieso? Ist sie Rennfahrerin?«

»Ha, ha.« Der Sarkasmus prallte wirkungslos an Garnett ab, so vertieft war er in seine Klatschgeschichte. »Man könnte sagen, ihr Ruf eilt ihr voraus. Sie soll ein echter Senkrechtstarter sein. Karrieregeil.«

»Ach ja? Na, erst muss sie mal beweisen, was sie drauf hat.«

»Wer weiß.«

Angezogen vom Schweiß und dem süßen Geruch des Orangensafts, schwärmten die kleinen Fliegen in immer dichteren Wolken um die Köpfe der Männer. PC Garnett lächelte süffisant.

»Was soll denn das nun wieder heißen?«, sagte Cooper. »Man wird doch nicht einfach so befördert, ohne dass man es sich verdient hat.«

»Wachen Sie auf, Kollege. Sie ist eine Frau. Schon mal was davon gehört? Zwei Titten und eine Möse, klappt die Klobrille immer runter.«

»Doch, ist mir bekannt. Und weiter?«

»Und weiter? Und weiter? Bei der Polizei gibt es nicht genug Frauen, vor allem in leitenden Stellungen, vor allem bei der Kripo. Lesen Sie keine Berichte? Sie werden es erleben, mein Junge – solange sie sich nichts zu Schulden kommen lässt und ihren Vorgesetzten immer brav zulächelt, wird Detective Constable Fry die Karriereleiter raufschießen, als ob sie eine Rakete im Arsch hätte.«

Cooper wollte eben widersprechen, als er vom Verbindungsmann gerufen wurde. »DC Cooper! Ist DC Cooper hier? Ihr Chef will Sie sprechen. Dringend.«

Die Anweisungen von DI Hitchens waren knapp, die Adresse, die er Cooper nannte, war in Moorhay, dem Dorf, das jenseits des Waldes auf der Hügelkuppe zu sehen war. In dieser Gegendlagen die meisten Gemeinden oberhalb von 300 Metern, da die Talsohlen für Siedlungen nicht breit genug waren.

»Gehen Sie der Sache nach, Cooper. Entweder wir finden das Mädchen in den nächsten beiden Stunden, oder wir verlieren die ganze Nacht. Sie wissen, was das bedeuten kann.«

»Bin schon unterwegs, Sir.«

»Nehmen Sie jemanden mit. Wer käme in Betracht?«

Cooper sah sich die Beamten an, die im Gras saßen. Sein Blick glitt über PC Garnett und ein paar ältere Bobbys, einen übergewichtigen Sergeant, zwei weibliche Police Constables aus Matlock und die drei Ranger hinweg.

»Von der Kripo ist niemand hier, Sir. Ich muss mir einen Uniformierten ausborgen.«

Cooper hörte ein leises Seufzen am anderen Ende der Leitung.

»Einverstanden. Aber Beeilung.«

Nachdem Cooper dem Sergeant die Sachlage so schnell wie möglich erklärt hatte, wurde ihm ein hochgewachsener, kräftiger Bobby namens Wragg zugeteilt, der um die zwanzig war und bei der Aussicht auf ein bisschen Abwechslung sichtlich aufblühte.

»Folgen Sie mir, so gut Sie können.«

»Keine Bange. Ich halte schon mit«, sagte Wragg und ließ seine Schultermuskeln spielen.

Der Weg hinauf nach Moorhay führte zwischen den Bäumen hindurch zu einer Trockenmauer mit einem Schwinggatter. Dahinter lag eine Wiese, auf der Kühe weideten, die eben erst vom Melken zurückgetrieben worden waren. Nur wenige Wochen nach der Heuernte war das Gras noch nicht wieder nachgewachsen, und der weiche Boden federte unter Ben Coopers Füßen, als er an der Mauer entlanglief, mit Schweiß auf der Stirn und mit Krämpfen in den schmerzenden Beinen. Obwohl Wragg mühelos mit ihm Schritt hielt, verkniff er sich schon bald seine Fragen, da Cooper ohnehin nicht darauf einging. Er brauchte seinen Atem zum Laufen.

Die Kühe sahen ihnen mit großen Augen nach, malmten bedächtig und zuckten mit den Ohren. Früher am Nachmittag hatte die Suchmannschaft warten müssen, bis der Farmer die Kühe zum Melken in den Stall gebracht hatte, bevor sie das Feld durchkämmen konnte. Unvermeidliche Witze über Kuhfladen hatten die Runde gemacht.

An einer Stelle war die Mauer eingefallen und mit einem Elektrozaun ausgebessert worden, damit das Vieh nicht weglaufen konnte, bevor sich jemand fand, der die Mauer reparieren konnte. Bevor ihm die Kühe neugierig nachlaufen konnten, hatte Cooper bereits das nächste Gatter erreicht. Er lief um die angrenzende Wiese herum und einen geschotterten Feldweg hinauf.

Auf den letzten hundert Metern wurde der Weg so steil, dass Cooper sich in die Cuillin Hills zurückversetzt fühlte. Wragg fiel immer weiter zurück, er kam nur noch im Schritttempo voran und musste sich mit den Armen auf den Knien abdrücken, um sich den Berg hinaufzuquälen.

Sein Oberkörper war kräftig gebaut, dafür fehlten ihm in den Oberschenkeln und Waden die Muskeln, die man zum Bergsteigen brauchte. Manche der alten Leute, die ihr ganzes Leben in einem dieser hoch gelegenen Dörfer gewohnt hatten, hätten den jungen Police Constable mit Leichtigkeit überholt.

Schließlich kam Cooper zu der hohen dunklen Mauer des Friedhofs von St. Edwin. Die Kirche, die offenbar auf einem weiteren Hügel stand, thronte hoch über der Dorfstraße und erinnerte vom Talgrund aus gesehen an den Wall einer Burgmauer. Der quadratische normannische Kirchturm zeichnete sich dunkel vor dem Himmel ab. Er war so hoch, dass er von den Proportionen her überhaupt nicht zu dem verkürzten Hauptschiff zu passen schien. Insgesamt glich die Kirche einem liegenden L.

Der Friedhof lag so hoch, dass Cooper den Eindruck hatte, er könnte den Toten in ihren vermoderten Eichensärgen in die Augen sehen, wenn die Mauersteine und die schwere, dunkle Erde durchsichtig wären.

Die Kirche war von großen Bäumen umgeben, von Kastanien, Eichen und zwei uralten Eiben. Die Luft roch feucht nach frisch geschnittenem Gras. Als Cooper am Friedhof vorbeilief und von hinten auf eine Reihe von Cottages zuhielt, wurde er über die Mauer hinweg von einem Mann angestarrt, der ein rotkariertes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln trug. Auf einen großen Motorrasenmäher gestützt, stand er zwischen einem ordentlich gemähten Streifen Gras und der büscheligen Fläche, die noch vor ihm lag, und ruhte sich aus. Unangenehm berührt sah er dem vorbeihastenden Mann nach, als wäre der Abendfrieden durch einen ausgesprochen unerfreulichen Anblick gestört worden.

Im Garten des ersten Cottage goss eine Frau die Blumenbeete, die bereits im Schatten lagen. Sie hielt die Gießkanne senkrecht in der behandschuhten Hand, während Cooper sich bemühte, wieder zu Atem zu kommen, um sie nach dem Weg zu fragen. Er atmete keuchend den schweren, süßen Duft ein, den das frisch gegossene Geißblatt und die Rosen verströmten. Auf dem Friedhof sprang der Rasenmäher an, und eine kleine Schar Dohlen flatterte zeternd aus den Kastanienbäumen auf.

»Dial Cottage?«

Die Frau starrte ihn an, dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf, als ob ihr selbst diese Mühe zu viel wäre. Sie drehte ihm ostentativ den Rücken zu und widmete sich einer Zwergrose mit blassgelben Blüten. Vor Cooper hing ein Schild an der Gartenmauer: »Parken verboten. Wenden verboten. Durchgang verboten.«

Zwei Häuser weiter saß eine Frau mit einer Perserkatze auf dem Schoß auf einem Gartenstuhl. Cooper wiederholte seine Frage, und sie deutete den Hügel hinauf.

»Bis zur Straße rauf, dann links und am Wirtshaus vorbei. Es liegt auf der linken Seite. Dial Cottage ist eines von den Häusern mit den grünen Türen.«

»Danke.« Mit einem Blick auf PC Wragg, der sich noch immer hinter ihm den Berg heraufkämpfte, lief Cooper weiter, froh, endlich wieder Asphalt unter den Füßen zu haben.

Da Moorhay abseits der Touristenrouten lag, kam nur ab und zu einmal ein Auto vorbei, das zum Ladybower Staudamm oder zu den Kalksteinhöhlen in Castleton wollte. Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem kleinen Pub »The Drover« parkten zwei, drei Wagen. Den Reklameschildern zufolge wurde dort Robinson’s Bier ausgeschenkt, eine von Ben Coopers Lieblingssorten. So wie er sich im Augenblick fühlte, hätte er für ein Bier alles gegeben, aber er konnte nicht anhalten.

Unweit einer Abzweigung, die Howe Lane hieß, kam er an der Einmündung eines Feldweges vorbei, die von einer holzgedeckten Scheune und einem Traktorschuppen eingerahmt wurde. Der Weg führte zu einer Farm, das Touristen Bed and Breakfast offerierte. Vor ihm erstreckte sich die Straße, dicht von Bäumen gesäumt. In der Ferne konnte er das Hochmoor ausmachen, mit einem einsamen Baum auf der höchsten Erhebung.

200 Meter hinter der Kirche fing die Häuserreihe mit den einstöckigen Cottages an, erbaut aus dem für die Gegend typischen Mühlensandstein, mit Schieferdächern und kleinen Sprossenfenstern. Sie hatten keine Vorgärten, dafür standen vor einigen von ihnen Steintröge, die mit Ringelblumen und Petunien bepflanzt waren. Manche der Häuschen hatten schlichte, dunkelgrün gestrichene Eichenholztüren ohne Fenster und mit schiefen, weiß getünchten Schwellen.

Bis Cooper das Dial Cottage schließlich gefunden hatte, lief ihm der Schweiß in Strömen über Stirn und Nacken, und das Hemd klebte ihm klitschnass am Körper. Keuchend und mit hochrotem Kopf klopfte er an. Als die Tür geöffnet wurde, war er so außer Atem, dass er kaum sprechen konnte.

»Detective Constable Cooper, Edendale Police.«

Die Frau, die ihm geöffnet hatte, nickte, ohne auch nur einen Blick auf den Ausweis zu werfen, den er in der verschwitzten Hand hielt.

»Kommen Sie herein.«

Die alte Eichentür fiel hinter ihm ins Schloss. Cooper brauchte eine Weile, bis er sich blinzelnd auf das Dämmerlicht im Haus eingestellt hatte. Die Frau war ungefähr in seinem Alter, sieben- oder achtundzwanzig. Sie trug ein rückenfreies Top und Shorts, und mit ihrer hellen Haut kam sie ihm in dem düsteren Raum so fehl am Platz vor wie ein Tanzmädchen, das sich in ein Beerdigungsinstitut verirrt hatte. Ihr Haar glänzte, als ob sie von draußen ein paar Sonnenstrahlen mit hereingebracht hätte.

Sie standen in einer schmalen Diele, die dadurch noch enger wirkte, dass ein schweres Mahagoni-Sideboard hineingezwängt worden war, beladen mit Kristallvasen und einer Obstschale, die auf Spitzendeckchen standen. In der Mitte stand ein Familienfoto, irgendwo am Meer aufgenommen. Die noch recht neue magnolienfarbene Raufasertapete konnte die Unebenheiten der darunter liegenden Wand nicht kaschieren. Ein Immobilienmakler hätte bei diesem Anblick wohl von einem reizvoll ursprünglichen Flair geschwärmt.

Cooper blieb einen Augenblick stehen und rang nach Luft. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, damit er ihm nicht in die Augen lief.

»Im Revier ist eine Meldung eingegangen«, japste er. »Ein Telefonanruf.«

»Ben Cooper?«

»Richtig.« Er erkannte die junge Frau erst auf den zweiten Blick, wie immer, wenn man jemanden in einer Umgebung sah, in der man ihn nicht erwartet hatte.

»Helen? Helen Milner?«

»Genau. Ich habe mich sicher ein bisschen verändert, seit wir auf der Edendale Highschool waren.«

»Das ist ja auch schon ein Weilchen her.«

»Neun Jahre, glaube ich«, sagte sie. »Du hast dich nicht sehr verändert, Ben. Außerdem habe ich vor einiger Zeit dein Bild in der Zeitung gesehen. Du hattest irgendeinen Preis gewonnen.«

»Ja, beim Schießen. Sag mal, könnten wir …?«

»Ich zeige dir den Weg.«

»Wohnst du hier?«

»Nein, es ist das Haus meiner Großeltern.«

Sie führte ihn in ein weiter hinten gelegenes Zimmer, das kaum weniger düster war als die Diele, obwohl das Fenster zum Garten hinausging. Auf dem Sims eines gekachelten Kamins aus den Fünfzigerjahren drängten sich Fotos und Feriensouvenirs – ein Strohesel, eine spanische Flamenco-Tänzerin, eine Postkarte aus Marokko mit grinsenden Kamelen und einem Meer, das unnatürlich blau leuchtete. In dem großen, goldgerahmten Spiegel, der über dem Kamin hing, spiegelte sich ein düsterer Jagdstich mit rot berockten Reitern, die im Galopp ihre unsichtbare Beute in ein schattiges Wäldchen verfolgten. In den Geruch nach Möbelpolitur mischte sich der Mief alter Kleider, verstaut in Schubladen, die mit uralten Zeitungen ausgelegt waren.

In zwei Sesseln, die einander gegenüber standen, saßen zwei alte Leute, eine Frau, die ein geblümtes Kleid und eine blaue Strickjacke trug, und ein Mann in Cordhosen und einem Wollpullover. Sie hielten sich kerzengerade und hatten die Füße möglichst nah an die Sessel herangezogen, als ob sie einander nicht zu nahe kommen wollten.

Vor dem leeren Kamin stand ein elektrischer Heizlüfter. Trotz der seit Tagen andauernden Hitze, hatte Cooper den Eindruck, dass er erst kürzlich noch benutzt worden war. Er selbst empfand die Kühle in dem Zimmer als angenehm, und sein Schweiß war schon fast getrocknet, als sich die alten Leute ihm zuwandten.

»Das ist Ben Cooper, Granddad«, sagte Helen.

»Aye, das sehe ich. Sergeant Coopers Junge.«

Cooper war diese Begrüßung gewöhnt, vor allem vom älteren Teil der Bevölkerung in und um Edendale. Für manche von ihnen war er nur ein Schatten seines Vaters, dessen Ruhm und Beliebtheit keine Grenzen zu kennen schien.

»Guten Tag, Sir. Sie haben das Revier angerufen?«

Harry antwortete nicht, und Cooper vermutete schon fast, dass der alte Knabe taub war, als seine Enkelin das Wort ergriff.

»Das war ich«, sagte Helen. »Großvater hat mich darum gebeten.«

Harry zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen, dass es ihm herzlich egal war, ob sie angerufen hatte oder nicht.

»Ich dachte mir bloß, die Polizei würde es vielleicht wissen wollen.«

»Und Sie heißen, Sir?«

»Dickinson.«

Cooper wartete geduldig auf eine Erklärung. Aber sie kam von der Enkelin, nicht von dem alten Mann.

»Es liegt in der Küche«, sagte sie und ging durch eine zweite Tür voraus. Eine noch ziemlich neue Waschmaschine, eine Kühl-Gefrierkombination und eine Aluminiumspüle waren zwischen die weiß gestrichenen Holzschränke gequetscht. Die alten Leute standen nicht auf, sondern sahen ihnen vom Sessel aus zu. Die Zimmer waren so klein, dass sie jedes Wort mithören konnten.

»Großvater hat das hier gefunden.«

Der Turnschuh lag auf dem Küchentisch, ein bizarres Bündel zwischen den getrockneten Minzesträußchen und den braun glasierten Töpfen. Jemand hatte einen Bogen Zeitungspapier darunter gelegt, damit die Erde, die an der Gummisohle klebte, nicht auf den Tisch fiel. Der Turnschuh lag genau auf einem Artikel über die Neueröffnung eines kantonesischen Restaurants, die Schnürsenkel ringelten sich über das Foto einer lächelnden Chinesin, die einen Teller Rippchen mit Bohnensprossen servierte. Auf der Seite gegenüber waren die Spalten mit den Geburts-, Todes- und Hochzeitsanzeigen und den Glückwünschen zum einundzwanzigsten Geburtstag.

Cooper wischte sich die feuchten Handflächen an der Hose ab und holte einen Stift heraus, mit dem er behutsam die Lasche des Turnschuhs anhob, um hineinzusehen. Er gab Acht, dass die leicht angetrocknete Erde in den Rillen der Sohle, die bereits zu bröckeln begann, nicht herausrieselte.

»Wo haben Sie das gefunden, Mr. Dickinson?«

»Unterhalb der Raven’s Side.«

Cooper kannte die Raven’s Side. Es war eine Wildnis aus Felsen, Löchern und dichtem Gestrüpp. Die Suchmannschaften waren der Felswand im Laufe des Nachmittags nur langsam näher gekommen, fast als ob sie sich vor einem Durchkämmen der Gegend scheuten, in der ihnen verstauchte Fußknöchel und aufgerissene Finger drohten.

»Können Sie etwas genauer sein?«

Der alte Mann machte ein gekränktes Gesicht, als ob man ihn der Lüge bezichtigt hätte. Cooper fragte sich mittlerweile, warum er geglaubt hatte, dass es im Cottage kühler war als draußen. Obwohl die Fenster offen standen, drang nicht der leiseste Luftzug herein. In der Küche war es stickig und dunkel. Als Helen in die Diele ging, weil es an der Haustür geklopft hatte, schien sie den letzten Rest Licht mitzunehmen.

»Da unten gibt es eine große Stelle mit Brombeersträuchern und Farnkraut, oberhalb vom Bach«, sagte der alte Mann. »Da gehe ich immer mit Jess spazieren.«

Plötzlich hörte Cooper ein leises Kratzen von Krallen. Ein schwarzer Labrador blickte unter dem Tisch hervor, als sein Name fiel. Der Hund, der schmutzige Pfoten hatte, lag auf der Eden Valley Times, auf dem Sportteil, wie es aussah. Der Edendale FC hatte das Eröffnungsspiel der Saison verloren.

»Lag da nur der Turnschuh? Sonst nichts?«

»Sonst habe ich nichts gesehen. Eigentlich hat Jess ihn gefunden. Sie stöbert da immer nach Kaninchen und anderem Viehzeug.«

»Gut«, sagte Cooper. »Wir werden uns das gleich mal ansehen. Sie können mir sicher die genaue Stelle zeigen.«

Helen kam wieder zurück, begleitet von einem völlig erschöpften PC Wragg.

»Bringt euch das weiter?«, fragte sie.

»Wir werden sehen.« Cooper zog eine Plastiktüte aus der Gesäßtasche und ließ den Turnschuh vorsichtig hineinfallen. »Würdest du bitte hier warten? Einer meiner Vorgesetzten wird vermutlich mit dir sprechen wollen.«

Helen nickte und sah ihren Großvater an, der keine Miene verzog. Sein Gesicht war steinern, wie das eines Mannes, der sich in einen unabänderlichen Kummer fügte.

Auf der Straße holte Cooper sein Funkgerät heraus, um die Zentrale der Dienststelle Edendale zu verständigen, wo DI Hitchens seine Meldung sicher schon erwartete. Er hielt den Plastikbeutel ins Licht und starrte auf den Inhalt, während er seine Nachricht durchgab.

Bei dem Turnschuh handelte es sich um einen Reebok, Größe 38, slim fit. Und die braunen Flecken auf der Spitze sahen verdächtig nach Blut aus.

Kühler Grund

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