Читать книгу Todesacker - Stephen Booth - Страница 11
Оглавление5
Ein Team der Universität Sheffield hatte die Ausrüstung ausgeladen: Schaufeln und Spachtel, Maschendrahtsiebe zum Aussieben von Knochenstücken aus der Erde, Beweisbeutel, Maßbänder und orangefarbene Markierungen. Einer der Studenten filmte bereits mit einer Videokamera, um die Position der sterblichen Überreste aus jeder Perspektive zu dokumentieren, ehe sich das Team ihnen näherte.
Fry wusste, dass das Exhumieren einer Leiche niemals so einfach war, wie sie zu begraben. Wenn ein Leichnam ungeschützt im Boden vergraben wurde, bildete er eine enge Verbindung mit dem Erdreich. Fleisch verrottete, Stoff löste sich auf, Schädel, Wirbelsäule und Becken betteten sich in die Erde ein. Ein Laie hätte bald aufgegeben, den gesamten Leichnam freizulegen, auch wenn dieser nur ein Jahr lang vergraben gewesen wäre. Wenn jemand eine Leiche ausgrub, um sie anderswo erneut zu vergraben, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein paar Stücke zurückblieben.
»Wir haben die Erlaubnis bekommen, dem Anthropologen ein paar Minuten über die Schulter zu schauen«, erklärte Detective Inspector Hitchens. »Aber dann müssen wir uns fernhalten. Dr. Jamieson sagt, dass er sich vor Spekulationen schützen möchte.«
»Vor wessen Spekulationen?«
»Vor unseren, glaube ich.«
Der forensische Anthropologe hatte die Aufgabe, sterbliche Überreste zu bergen und Alter, Geschlecht, Statur, ethnische Abstammung, Todeszeitpunkt sowie eventuelle körperliche Traumata zu bestimmen, die auf die Todesursache hindeuteten. Darüber hinaus war er nicht an den Ermittlungen beteiligt.
Fry lachte. »Dürfen wir ihn überhaupt ansprechen?«
»Sie könnten ihm wahrscheinlich frohe Weihnachten wünschen.«
Als der Anthropologe das Lachen hörte, blickte er mit argwöhnischem Gesichtsausdruck von der Ausgrabungsstelle auf. Sein Kopf war kahl und blass und hatte beinahe dieselbe Farbe wie der Schutzanzug aus Papier, den er trug. Auf seinem Scheitel funkelten Tropfen. Ob es sich dabei um Regen oder Schweiß handelte, ließ sich nicht beurteilen.
»Wie läuft’s, Doktor?«, rief Hitchens.
»Mit gemischtem Erfolg, fürchte ich. Trockenes Erdreich hätte den Leichnam besser konserviert. Aber das hier ist, na ja …« Er schöpfte eine Handvoll Schlamm auf, der ihm durch die Finger rann.
»Zu feucht?«
»Genau. Viel zu feucht.«
»Aber es gibt auch gute Nachrichten, wenn ich Sie richtig verstanden habe?«
»Na ja, wissen Sie, auf einer abgelegenen Farm gibt es jede Menge Möglichkeiten, um eine Leiche loszuwerden. Wenn man das Ziel hat, sterbliche Überreste unidentifizierbar zu machen, ist es die langsamste und am wenigsten aussichtsreiche Methode, sie zu vergraben.«
»Es geht viel schneller, wenn man den Leichnam einfach irgendwo liegen lässt, sofern das möglich ist«, schlug Cooper vor.
»Ja. Woher wussten Sie das?«
»Jeder Viehfarmer weiß, dass von einem toten Schaf nach einem Monat nur noch das Skelett übrig ist, wenn man es im Sommer im Freien liegen lässt.«
»Genau. Das Vergraben eines Leichnams verlangsamt den Verwesungsprozess. Eine tief vergrabene Leiche braucht bis zu acht Mal länger, um zu verwesen, als eine Leiche, die an der frischen Luft liegt. Da das Opfer in diesem Fall vergraben und in Plastikfolie eingewickelt wurde, kann es womöglich sogar noch identifiziert werden.«
An die Kriminaltechniker wurde Schutzkleidung verteilt: Overalls, Haarhauben, Handschuhe und Überschuhe. Mikroskopisch kleine Spuren übertrugen sich so schnell, dass sie ebenso leicht vom Tatort fortgetragen werden konnten, wie sie dorthin gelangt waren.
Neben dem Grab war für die Wissenschaftler ein Bereich abgesperrt worden, in dem sie arbeiten konnten, ohne das Grab selbst stärker zu beeinträchtigen als nötig. Das Erdreich musste in ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter dicken Schichten abgetragen und anschließend durch Siebe mit unterschiedlicher Dichte geschüttelt werden, um Beweismaterial herauszufiltern. Die Wissenschaftler würden dabei versuchen, Knochenstücke, persönliche Gegenstände und alle anderen Dinge auszusondern, die an dieser Stelle fallen gelassen worden waren oder nicht dorthin gehörten. Einige der Anthropologiestudenten hatten geflucht, als sie den Zustand des Erdreichs gesehen hatten, das sie durchsieben sollten.
»Ja, man kann sagen, dass vergrabene Leichen weitgehend vor den Elementen geschützt sind. Wenn das Erdreich säurehaltig ist, verwest ein Leichnam in der Regel schneller. In Gegenden mit gemäßigtem Klima oder strengen Wintern verlangsamt sich der Verwesungsprozess. Wussten Sie, dass übergewichtige Menschen wesentlich schneller skelettieren? Das liegt daran, dass sich von ihrem Fleisch ganze Armeen von Maden ernähren können. Ich kann diese Methode der Gewichtsabnahme zwar nicht empfehlen, aber Maden können binnen vierundzwanzig Stunden zwanzig Kilo überflüssiges Fleisch von einem fettleibigen Leichnam fressen.«
Die sterblichen Überreste mussten zuerst vollständig freigelegt werden, ehe sie aus dem Grab gehoben werden konnten. Anderenfalls wäre das Risiko, Körperteile an den saugenden Griff des feuchten Lehms zu verlieren, zu groß gewesen. Das Ausgrabungsteam war mit einem Arsenal von kleinen Werkzeugen angerückt: mit Zahnstochern, Bambusstöcken, Pinseln und Spachteln. Fry war klar, dass es sich um eine langwierige, mühsame Aufgabe handelte. Und die Ausgrabungsarbeiten würden auch nach der Bergung der sterblichen Überreste weitergehen. Der Anthropologe hatte angeordnet, dass unter dem Leichnam weitere fünfundzwanzig Zentimeter Erdreich abgetragen werden sollten, falls kleine Knochen oder anderes Beweismaterial zurückgeblieben waren.
Jedes Stadium des Vorgangs wurde auf Videofilm und Digitalfotos gebannt und mit handschriftlichen Aufzeichnungen festgehalten. Man konnte nicht davon ausgehen, dass Gegenstände, die in der Nähe des Leichnams gefunden wurden und möglicherweise auf seine Identität hindeuteten, dem Opfer gehörten. Bekanntermaßen wurden manchmal absichtlich falsche Dokumente platziert. Es wurde alles unternommen, um die Ermittler auf die falsche Fährte zu locken.
Als Fry sich vorbeugte, um einen Blick auf die sterblichen Überreste zu erhaschen, gerieten ihre Schuhe am Rand des Lattenrosts ins Rutschen.
»Einige Teile der Leiche sehen ziemlich grau aus, Doktor.«
»Verseifung. Davon kann ein vergrabener Leichnam betroffen sein, vor allem dann, wenn er an einer feuchten Stelle liegt oder direkt mit Wasser in Berührung kommt und von der Luft abgeschnitten ist. Das Fettgewebe des Körpers verwandelt sich dann in sogenanntes Leichenwachs. Das ist die graue, wachsartige Substanz, die Sie sehen.«
Die unnatürlich graue Färbung war das, was Fry an dem Opfer auf der Pity Wood Farm am stärksten in Erinnerung bleiben sollte. Es bestand ein großer Unterschied zwischen einem gewaltsamen und einem natürlichen Tod, zwischen der Ermordung eines Menschen und dem Tod als Teil des Lebens. Mit Letzterem hatte sie sich abgefunden. Ersteren würde sie niemals akzeptieren.
Irgendein unerklärliches Bedürfnis veranlasste Cooper, in das Farmhaus zurückzukehren. Es war, als würde das Haus ihn rufen, als würde es ihn in seine Zimmer locken, damit es ihm seine Geschichte erzählen konnte.
Diesmal fiel ihm auf, dass die gesamte Küche eine eigenartig gelbliche Färbung hatte. Die Tapete über dem Tisch mochte einst zitronengelb gewesen sein, und die Geschirrschränke bestanden aus jenem goldfarbenen Kiefernholz, das niemals vollständig nachdunkelte. Doch auch an der Decke und an den Wänden war eine gewisse Patina zu erkennen, vor allem in der Nähe der Sessel. Cooper nahm an, dass die Brüder Sutton starke Raucher gewesen waren. Er stellte sich vor, wie sie abends in den beiden Sesseln links und rechts vom Kamin gesessen, vor sich hin gequalmt und dabei kaum oder gar nicht miteinander geredet hatten. Vermutlich hatte jeder von ihnen in seinen eigenen Gedanken geschwelgt und diese Gedanken für sich behalten.
Als Cooper der Küche den Rücken kehrte, um noch einmal einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen, hatte er das Gefühl, die Orientierung zu verlieren. Mit dem schwarzen Herd und dem tropfenden Wasserhahn hinter sich und dem Geruch von Farbe und frischem Zement vor sich, kam es ihm vor, als stünde er an der Schwelle zwischen zwei Welten. Einen Augenblick lang war er sich nicht sicher, ob er sich in der Gegenwart befand und in die entschwundene Vergangenheit zurückblickte oder ob er einen kurzen Moment der Geschichte einnahm und an der vergessenen Wärme der Küche der Suttons teilhatte, während er einen Blick in die Zukunft warf.
Er wünschte sich, er hätte festmachen können, weshalb sich einige der Zimmer von den anderen unterschieden, weshalb manche lebendig wirkten und andere leblos. Allerdings war er sich sicher, dass es keine wissenschaftlichen Daten gab, mit denen sich sein Eindruck hätte untermauern lassen. Es handelte sich eher um etwas, das die Wände ausstrahlten, um ein schwaches Schimmern, das die Generationen reflektierte, die hier ein unkompliziertes Dasein geführt und das Leben und den Tod akzeptiert hatten, wenn er kam. Also warum fehlte dieses Gefühl in einigen Teilen der Pity Wood Farm? Warum fehlte das Schimmern in der Küche, warum schienen die Schatten in dem mittleren Zimmer im Obergeschoss dunkler und dauerhafter zu sein?
Draußen setzte rasch die Dämmerung ein. Kein Wunder, nachdem der kürzeste Tag des Jahres unmittelbar bevorstand. Zu dieser Jahreszeit schlich sich die Dunkelheit beinahe unbemerkt heran, sodass es mit einem Mal stockfinster war. Cooper konnte gerade noch das Wellblechdach des Schuppens und das schwache Funkeln der im Hof geparkten Fahrzeuge ausmachen. Der Berg von Silageballen schien dunkle Schatten über die Farm zu werfen.
Doch irgendjemand hatte sich nützlich gemacht und Scheinwerfer aufgestellt. Jetzt war ein Teil der Pity Wood Farm in grelles gelbes Licht getaucht, das den matschigen Boden in eine Miniaturausgabe der Somme verwandelte. Schlamm und Gräben und verweste Leichen.
Das Anthropologenteam war noch immer bei der Arbeit, doch die Spurensicherung hatte Feierabend gemacht, und es waren nur noch ein paar uniformierte Polizisten anwesend, um den Tatort abzusichern. Bald würde auf der Farm wieder die alte Stille einkehren.
Als die Dunkelheit vollständig hereinbrach, konnte Cooper jenseits des Flutlichts nur noch vereinzelte Lichter abgelegener Farmhäuser in der Ferne erkennen. Hier draußen gab es keine Straßenlaternen, nicht einmal an der Landstraße, die durchs Tal führte. Es war kein Leuchten der Lichter einer Stadt zu sehen, das vom Himmelszelt reflektiert wurde, da es in der Nähe keine Stadt gab. Bald würden Schatten die Welt erobert haben. Oder zumindest das ganze Rakedale-Tal.
Als ob Fry nicht schon genug um die Ohren gehabt hätte, benahm sich jetzt auch noch Ben Cooper merkwürdig. Na ja, noch merkwürdiger als sonst. Sie sah, wie er immer wieder stehen blieb und schnüffelte. Manchmal ging er sogar in die Hocke und roch am Fußboden. Sie trat leise von hinten an ihn heran und stellte fest, dass seine gesamte Aufmerksamkeit auf das gerichtet war, was er gerade tat – was auch immer das sein mochte. Als er wieder stehen blieb, um sich auf den Boden zu kauern, tippte sie ihn auf die Schulter.
»Hey, was soll das denn? Bist du neuerdings ein Eskimo, der Spuren im Schnee liest?«
Cooper hätte beinahe das Gleichgewicht verloren und musste sich mit der Handfläche im Schlamm abstützen, um nicht umzukippen.
»Oh, verdammt … Mach das nicht, Diane.«
Sie reichte ihm ein sauberes Taschentuch und stellte fest, dass sie ihn so überrumpelt hatte, dass er sie nicht einmal wegen ihrer politisch inkorrekten Wortwahl kritisierte.
»Was soll diese Schnüffelei?«
»In diesem Bereich riecht es seltsam«, sagte Cooper. »Zuerst dachte ich, das wäre nur Katzenurin, aber da ist noch irgendwas anderes dabei.«
»Das ist eine Farm«, entgegnete Fry. »Farmen haben genauso viele Gerüche wie Hunde Flöhe. Ist dir das etwa noch nie aufgefallen?«
»Kein tierischer Geruch. Das riecht nach Chemie. Nach Ammoniak, aber auch noch nach irgendwas anderem.«
»Das muss der Geräteschuppen gewesen sein. Vermutlich war hier Diesel und Schmieröl gelagert. Was weiß ich, vielleicht auch Dünger und Herbizide. Beize – alle möglichen Chemikalien. Kein Wunder, dass es stinkt.«
»Riechst du es überhaupt?«, fragte Cooper.
»Nein. Allerdings habe ich das Gefühl, dass ich eine Erkältung bekomme.« Fry legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben in den Nieselregen, der während ihrer Unterhaltung eingesetzt hatte. »Und wenn ich noch lange hier draußen herumstehe, hole ich mir noch eine Lungenentzündung.«
Fry schickte Cooper los, damit er sich erkundigte, ob der Detective Inspector noch irgendwelche Aufgaben erledigt haben wollte, bevor er Feierabend machte. Sie sah ihm nach und schüttelte den Kopf über ihre Unfähigkeit, ihn zu verstehen, die ihr auch jetzt wieder bewusst wurde.
Cooper hatte so vieles an sich, was sie ärgerte. Es ging ihr auf die Nerven, dass er dazu neigte, erhitzt und konfus zu wirken, als sei er gerade erst aufgestanden. Wenn er in letzter Zeit so wirkte, hatte er vermutlich mit dieser Liz Petty von der Spurensicherung im Bett gelegen. Vielleicht war es aber auch auf den Stress zurückzuführen, dem man ausgesetzt war, wenn man einer Obsession nach der anderen nachjagte. Zumindest sah er nicht mehr ganz so zerzaust aus wie früher, also hatte er vielleicht gelernt, selbst zu waschen und zu bügeln, seit er von der Farm seiner Familie in seine kleine Wohnung in der Welbeck Street gezogen war.
Als Fry ihn kennengelernt hatte, war ihr vor allem seine Unordentlichkeit aufgefallen und seine unschuldige Ausstrahlung, die seinen Kollegen fehlte. Er hatte damals ausgesehen, als habe er noch vor kurzem die sechste Klasse am High Peak College besucht. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher, ob das, was sie sah, noch Unschuld war. Zunächst einmal war sein Haar nicht mehr ganz so zerzaust. Es fiel ihm nicht mehr in die Stirn, sondern war zurechtgemacht. Seine Krawatte hätte allerdings noch immer korrigiert gehört, und an seiner Lederjacke befand sich seit Monaten eine abgewetzte Stelle.
Sie sah auf, als Cooper in seinem Wagen an ihr vorbeifuhr, und erhaschte einen Blick auf sein Profil. Aus heutiger Sicht war es erstaunlich, dass er überhaupt irgendwann einmal unschuldig gewirkt hatte.
Fry erinnerte sich an den Tag, als er ihr von seinem Vater Sergeant Joe Cooper erzählt hatte und von dessen Tod auf den Straßen von Edendale durch eine Bande von Rowdys. »Drei von ihnen wurden wegen Totschlags zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die anderen bekamen nur Bewährungsstrafen wegen Körperverletzung. Ersttäter, weißt du. Natürlich waren sie alle betrunken.« Und dann gab es da noch seine Mutter, die erst vor wenigen Monaten an ihrer psychischen Erkrankung und den damit verbundenen Komplikationen gestorben war, während Ben im Pflegeheim an ihrem Bett gesessen hatte.
Fry wollte fair zu ihm sein, das wollte sie wirklich. In Anbetracht der Umstände war es ihrer Ansicht nach ohnehin erstaunlich, dass Cooper sich eine positive Lebensanschauung bewahrt hatte, von dem Mitgefühl, das er sooft für andere Menschen zeigte, ganz zu schweigen. Eigentlich hätte er zum Zyniker werden sollen. Er hätte ebenso zynisch werden sollen, wie sie es war. Sie fragte sich, wie es ihm gelang, das zu vermeiden.
Bevor Fry Pity Wood verließ, warf sie noch einmal einen Blick hinter die innere Absperrung, um nachzusehen, wie die Arbeit an den sterblichen Überresten voranging. Das Flutlicht warf die Schatten der Anthropologen an die Seitenwände des PVC-Zelts. Der Leichnam kam Stück für Stück zum Vorschein, doch die Arbeit war mühsam.
Irgendetwas Dunkles und Faseriges im Erdreich erregte Frys Aufmerksamkeit. Zunächst erkannte sie nicht, was es war. Dann wurde ihr bewusst, dass es sich um ein Büschel schwarzer Haare handelte, die sich vom Kopf gelöst hatten.
In gewisser Weise fand sie es erträglicher, wenn ein Leichnam bereits zu verwesen begonnen hatte. Wenigstens sah er dann eindeutig tot aus. Frische Leichen waren verstörender, da sie noch etwas Lebendiges an sich hatten, als könnten sie jeden Moment aufspringen und ganz normal weiterleben. In solchen Fällen war es schwierig, von den charakteristischen Merkmalen eines toten Körpers unberührt zu bleiben – von der Kälte, von der völligen Reglosigkeit und von dem Wissen, dass soeben ein Menschenleben ausgelöscht worden war.
In anderer Hinsicht war ein Leichnam, der jahrelang unentdeckt und unidentifiziert in einem seichten Grab gelegen hatte, eine besonders traurige Angelegenheit. Irgendwo musste es Angehörige und Freunde geben, die sich noch jetzt fragten, was mit dieser Frau geschehen war.
Fry war sich darüber im Klaren, dass ihr die Hand noch eine ganze Weile in Erinnerung bleiben würde. Sie war zu einer Geste gekrümmt, grüßend, beinahe einladend. Es hatte fast den Anschein, als begrüßte die Tote ihre Besucher, als lockte sie sie hinunter in ihr Grab.
Sie hatte lange darauf gewartet, Gesellschaft zu bekommen. Und es musste einsam gewesen sein dort unten.