Читать книгу Todesacker - Stephen Booth - Страница 8

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Für eine DNA-Analyse genügte in einziges Haarfollikel. Polymerase-Kettenreaktionen und Tandemwiederholungen konnten schon bei einem einzigen Kopfhaar oder sogar bei einer einzigen Wimper ein Ergebnis liefern. Unsichtbare Flecken erfüllten ebenfalls ihren Zweck. Speichelspuren, Tränen und Blut.

Als Diane Fry das geschäftige Treiben auf der Pity Wood Farm beobachtete, gab sie die Hoffnung auf, sich auf moderne wissenschaftliche Methoden verlassen zu können. Selbst die Fingerabdrücke, die Jamie Ward ein paar Stunden zuvor an seinem Spaten hinterlassen hatte, waren in der feuchten Luft inzwischen vermutlich aufgeblüht und unbrauchbar geworden.

Trotzdem waren weitere Fahrzeuge am Schauplatz eingetroffen und kämpften um die Parkplätze an den trockeneren Stellen des Grundstücks. Das war Zeitverschwendung, da letztendlich ohnehin kein einziger trockener Quadratzentimeter mehr übrig sein würde. Schon jetzt war das Geräusch durchdrehender Räder zu hören, als ein Fahrer eine weitere Furche in den Schlamm grub.

»Tja, wie ich sehe, waren die Bauarbeiter bereits überall herumgetrampelt, bevor wir eingetroffen sind.«

Fry drehte sich um und sah, dass sich Detective Inspector Paul Hitchens der inneren Absperrung näherte. Er war leger gekleidet, mit Jeans und grünen Stiefeln mit hohem Schaft, als sei er nur kurz aus dem Haus gegangen, um einen Sonntagnachmittagsspaziergang mit seinem Hund zu machen.

»Guten Morgen, Sir.«

»Guten Morgen, Diane.« Er richtete den Blick auf das Meer aus Schlamm. »Großartig. Das fängt ja schon gut an. Der Unterschied ist allerdings, dass es diesmal ausnahmsweise einmal nicht unsere eigenen Leute waren, die alles zertrampelt haben.«

»Tatsächlich? Ich kann von hier aus keinen Unterschied feststellen. Für mich sehen Stiefel in Größe sechsundvierzig alle gleich aus. Welche Art von Helm sie beim Trampeln getragen haben, ist mir ziemlich egal. Schließlich sind sie nicht auf dem Kopf herumgehüpft, oder?«

»Stimmt.«

»Wenn wir den Abdruck eines Helmabzeichens des Derbyshire Constabulary im Schlamm finden würden, wäre es eine andere Sache«, sagte Fry. »Dann müssten wir nach irgendeinem uniformierten Idioten suchen, der über seine eigenen Füße gestolpert ist. Und wir hätten eine Liste möglicher Verdächtiger unmittelbar vor der Nase.«

Hitchens lachte. »Wollen wir einen Blick auf das Zentrum des Geschehens werfen?«

Detective Constable Murfin trottete widerwillig hinter ihnen her, als sie über einen provisorischen Steg aus Holzbrettern gingen, die von den Bauarbeitern ausgeliehen worden waren. Ihre Schritte dröhnten auf den Brettern, als wären sie auf einen Pier an der Küste hinausgegangen. Blackpool im Schlamm.

Und hier war die Attraktion am Ende des Piers: eine Art Wahrsagerin, die sich in einem düsteren Zelt verbarg und Gebeine konsultierte.

Mrs van Doon, die Pathologin des Innenministeriums, richtete sich auf, als sie sich näherten. Sie strich sich eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn und hinterließ dabei mit ihrem Handschuh einen Schmutzschmierer an ihrer Schläfe.

»Ich würde mir an Ihrer Stelle nicht allzu große Sorgen machen, dass Ihr Verbrechensschauplatz verschmutzt werden könnte«, sagte sie. »Diese Leiche liegt hier schon so lange, dass die Hälfte der Bevölkerung von Derbyshire auf dem Weg zum Pub und zurück hätte vorbeikommen können.«

Murfins Interesse schien plötzlich geweckt. »Hier gibt es einen Pub?«

»In der Ortschaft«, erwiderte die Pathologin und gestikulierte mit einem Spachtel. »Ungefähr eine Meile entfernt, in dieser Richtung.«

Hitchens seufzte ungeduldig. »Wie lange genau liegt sie denn schon hier?«

»Genau? Soll das ein Witz sein, Inspector?«

»Geben Sie einfach eine Schätzung ab. Wir werden Sie nicht darauf festnageln.«

»Unter dieser Voraussetzung …« Mrs van Doon zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Etwa ein Jahr vielleicht? Ich nehme an, Sie werden die sterblichen Überreste von Ihrem forensischen Anthropologen untersuchen lassen. Dr. Jamieson wird Ihnen womöglich eine genauere Schätzung geben können.«

»Auf den ersten Blick wirkt der Leichnam ziemlich gut erhalten«, stellte Hitchens fest.

»Oh, Sie sehen sich die Hand an. Nun, die Hand ist nicht allzu stark verwest, das stimmt. Aber die war auch gut zugedeckt und vor der Luft geschützt – zumindest bis irgendjemand mit der Ecke eines Spatens die Plastikfolie durchstochen hat. Am Kopfende befinden sich allerdings ein paar ältere Risse in der Folie. Deshalb sieht es mit dem Zustand dieses Teils der Leiche etwas anders aus.«

»Am Kopfende? Das klingt nach schlechten Nachrichten. Wie stehen unsere Chancen, die Leiche zu identifizieren?«

Mrs van Doon zuckte mit den Schultern, wobei ihr Schutzanzug leise raschelte. »Es ist noch zu früh, um das zu beurteilen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass der Toten auf der linken Seite eine ganze Menge Fleisch fehlt. Stellenweise bis zu den Knochen. Ich werde mehr wissen, sobald ich sie in die Leichenhalle geschafft habe. Das könnte allerdings eine Weile dauern.«

»Warum?«

»Wir müssen sie ganz vorsichtig ausgraben. Zum Teil löst sich die Haut ab, und je weniger wir von ihr in diesem Stadium verlieren, desto besser. Würden Sie mir da nicht zustimmen?«

»Aber es handelt sich definitiv um eine ›Sie‹?«, fragte Fry. »Sie sagten ›sie‹.«

»Ja, da bin ich mir ziemlich sicher, Sergeant«, erwiderte die Pathologin, und ihre Stiefel schmatzten, als sie in die Hocke ging, um einen Blick in das Loch zu werfen. »Es sei denn, Sie haben einen Transvestiten mit einer Vorliebe für Strumpfhosen und blaue Röcke auf Ihrer Vermisstenliste.«

»Nicht dass ich wüsste.«

»Ich werde die sterblichen Reste in Dr. Jamiesons Obhut geben, sobald er eintrifft. Wir können uns später beratschlagen, wenn sie sicher im Labor angekommen ist.«

»Vielen Dank, Doktor.«

Als sie auf dem provisorischen Brettersteg zurückgingen, ließ Hitchens den Blick über die Farmgebäude wandern.

»Was wissen wir über die Bewohner?«

»Anscheinend hat die Farm zwei älteren Brüdern gehört«, sagte Murfin und holte ein Notizbuch hervor, um zu demonstrieren, dass er tatsächlich gearbeitet hatte, während alle anderen nur herumgestanden und geplaudert hatten. »Einer der beiden ist vor nicht allzu langer Zeit gestorben, und der andere ist in einem Pflegeheim in Edendale untergebracht.«

»Gehört hat?«

»Tja, das Grundstück wurde zur Neubebauung verkauft – deshalb laufen hier auch überall Bauarbeiter mit Helmen herum. Neubebauung oder Umbau. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, was sie gesagt haben.«

»Und wer ist der jetzige Eigentümer?«

»Ein Mr Goodwin. Er ist Rechtsanwalt und wohnt in Manchester. Mr Goodwin ist derjenige, der die Bauarbeiter beauftragt hat. Ich habe seine Kontaktdaten vom Polier bekommen. Aber das scheint auch schon alles zu sein, was der Typ weiß.«

»Häng dich ans Telefon, Gavin, und finde so viel wie möglich über die ehemaligen Eigentümer heraus«, sagte Fry. »Wir brauchen Namen, Daten, Verbindungen. Wir müssen wissen, wer noch im Haushalt gelebt hat. Grab alles aus, was über sie verzeichnet ist. Und hol dir Hilfe, wenn du welche brauchst.«

»Wenn?«, wiederholte Murfin. »Wenn?«

»Der Pathologin zufolge liegt die Leiche hier mindestens seit einem Jahr.«

»Dann war das Opfer also bereits an Ort und Stelle, bevor Mr Goodwin Eigentümer wurde. Ich habe mir sagen lassen, dass der Verkauf erst vor drei Monaten über die Bühne ging. Die Farm steht seit neun Monaten leer, seit der eine der beiden Eigentümer, der noch lebt, im Pflegeheim ist.«

Fry betrachtete die Umgebung genauer, die Farmgebäude hinter dem Morast, der Zufahrt und den geparkten Fahrzeugen.

»Erklärt das den Zustand des Anwesens? Wie konnte es in nur neun Monaten so verkommen?«

Ben Cooper hätte ihr vermutlich gesagt, dass all dies ein Beweis für die Entwicklung der Farm über Jahrhunderte sei, in denen die Eigentümer sich neuen Arbeitsmethoden angepasst und in ihren Gebäuden Schafe statt Kühen untergebracht hatten und sie nicht mehr zur Lagerung von Heu, sondern als Maschinenschuppen verwendet hatten. Oder wie auch immer. Für Fry sah alles schlicht und einfach nach Verfall und Chaos aus. In diese Farm war kein bisschen Planung oder Strategie geflossen, nicht einmal in die neueren Gebäude.

Selbstverständlich konnten Farmer in vieler Hinsicht tun, was sie wollten. Man gestattete ihnen sogar, solche Ansammlungen von Bruchbuden zu errichten, die an die Slums in irgendwelchen Dritte-Welt-Ländern erinnerten, wo es kein fließendes Wasser und keine Abwasserleitungen gab und der Müll auf die Straße geworfen wurde. In Rio de Janeiro erwartete man so etwas vielleicht, aber nicht in Mittelengland.

»Was für ein Chaos«, sagte sie, da sie ausnahmsweise einmal nicht in der Lage war, ihre Gefühle für sich zu behalten.

»Die Bauarbeiter haben mit dem Haus und den Nebengebäuden noch gar nicht richtig angefangen«, sagte Murfin. »Der Polier hat mir erzählt, dass sie bislang nur Fundamente gesetzt und eine Zufahrtsstraße gebaut haben. Als Nächstes müssen sie sich um einige brüchige Stellen in den Außenmauern kümmern. Und natürlich um das Dach. Es hat schließlich wenig Sinn, mit irgendwelchen Arbeiten im Inneren zu beginnen, bevor das Dach repariert ist, oder?«

»Und was soll daraus werden, wenn sie fertig sind?«, erkundigte sich Fry.

»Der Polier sagt, ein vornehmer Landsitz mit Bürotrakt, Swimmingpool und einem Anbau für Gäste.«

»Dann haben sie noch einen Haufen Arbeit vor sich.«

Durch nicht reparierte Risse in den Metallregenrinnen war Regenwasser an den Wänden nach unten gelaufen und hatte lange graue Flecken auf dem Stein hinterlassen. Die Kabel zwischen den Leitungsmasten hingen durch. Auf einem davon schaukelten zwei schwarze Krähen im Wind, die mit den Flügeln flatterten, um das Gleichgewicht zu halten.

Fry fiel auf, dass hinter dem Haus ein großer Schuppen stand. Ein sehr großer Schuppen sogar, mit durchhängendem Dach. Von einem Ende des Schuppens führten Reifenspuren zu der Stelle, an der die Leiche gefunden worden war. Es handelte sich um alte Spuren, die bei aufgeweichtem Boden entstanden waren, doch die Rillen waren hart geworden und hatten bis zum jüngsten Regen überlebt. Der Schuppen war genau die Art von Gebäude, in dem außer Sichtweite der Öffentlichkeit alles Erdenkliche vor sich gehen konnte. Außer Hörweite, aus dem Sinn.

Der Regen wurde stärker. Das konnte sich als Problem erweisen.

Doch Fry korrigierte sich sofort selbst. Es gab keine Probleme, nur Herausforderungen. Keine Hürden, die nicht überwunden werden konnten.

Zumindest waren die Polizisten, die als Erste vor Ort eingetroffen waren, so geistesgegenwärtig gewesen, sofort ein Leichenzelt über das provisorische Grab zu stellen, als sie die Bedingungen sahen. Wenn sie nicht so schnell gehandelt hätten, wären inzwischen vermutlich sämtliche Beweise vom Regen fortgespült worden. Glücklicherweise hatten sie ein Leichenzelt im Kofferraum ihres Streifenwagens gehabt. Ansonsten hätten sie aller Wahrscheinlichkeit nach herumsitzen und warten müssen, bis eines gebracht worden wäre.

Der Herstellerwerbung zufolge ließen sich diese Zelte angeblich in zehn Sekunden aufstellen, doch sie hätte wetten können, dass es deutlich länger gedauert hatte. Die Heringe, die in den Ösen steckten, schienen nicht besonders fest im Boden verankert zu sein, und die Spannleinen waren schlammverschmiert.

»Lattenroste«, sagte irgendjemand in ein Funkgerät. »Wir brauchen Lattenroste. Jede Menge Lattenroste.«

Fry drehte sich wieder zu Murfin um. »Und wo ist der Bauarbeiter, der die Leiche gefunden hat?«

»Der wartet da drüben in dem Kleinbus. Er heißt Ward – Jamie Ward, zwanzig Jahre alt. Auf mich wirkt er nicht gerade wie ein typischer Bauarbeiter.«

Fry sah ihn an. »Und wie wirkt er dann auf dich, Gavin?«

Murfin klappte sein Notizbuch zu. »Verängstigt«, sagte er. »So wirkt er auf mich – wie ein verängstigtes Kind.«

Matt Cooper hatte einige Schafe in einen Anhänger eingeladen und saß schreibend in seinem Landrover, als sein Bruder eintraf. Ben sah einen Stapel Formulare auf einem Klemmbrett: einen rosafarbenen Vordruck für den Bestimmungsort, einen blauen für den Spediteur, einen gelben für den Versandort.

Matt öffnete die Autotür, und das übliche Stirnrunzeln, das Bürokratie bei ihm auslöste, verschwand aus seinem Gesicht.

»Hallo, kleiner Bruder. Wie ist es mit Amy gelaufen? Hatte sie Spaß?«

»Oh, ja. Sie war völlig fasziniert vom Rezept zur Konservierung einer abgetrennten Hand.«

»Das sieht ihr ähnlich. Sie hat in letzter Zeit seltsame Anwandlungen.«

Matt hatte abermals zugenommen. Er trug einen neuen Overall, der eine Nummer größer war als der letzte. Da er erst Mitte dreißig war, würde er in den kommenden Jahren vermutlich noch weiter an Gewicht zulegen.

»Was Amy sagt, klingt manchmal ziemlich erwachsen, findest du nicht?«, sagte Ben.

»Oh, ist dir das auch aufgefallen? Ja, das ist das Neueste. Ich glaube, das liegt an ihrem Umgang in der Schule – wahrscheinlich hat sie neue Freunde oder so.«

»Oder einen neuen Lehrer vielleicht, in den sie verknallt ist?«

»Verknallen sich Mädchen in ihre Lehrer?«

»Ja, ich glaube schon, Matt.«

»Ich meine … na ja, ich glaube, sie hat an dieser Schule hauptsächlich Lehrerinnen.«

»Trotzdem.«

Matt schwieg einen Augenblick lang. »Ich werde Kate bitten, sich mal mit ihr zu unterhalten«, sagte er.

Ben drehte sich um und betrachtete das Farmhaus, das ehemalige Heim der Familie, nachdem er sich dessen Gegenwart hinter ihm bewusst wurde. Jetzt, da er nicht mehr hier wohnte, fiel ihm auf, dass die Bridge End Farm ebenfalls in die Jahre gekommen war. Das Haus war seit einiger Zeit nicht mehr gestrichen worden, und er sah, dass das Dach der Scheune repariert werden musste. Vermutlich war heutzutage nicht mehr viel Geld für Reparaturen übrig.

»Das ist sicher nur eine Phase, die Amy gerade durchmacht, meinst du nicht?«, sagte er.

»Bist du sicher?«

»Es könnte viel schlimmer sein, Matt. Sie ist ein vernünftiges Mädchen.«

Matt legte seine Formulare beiseite. »Ben, warum weißt du eigentlich so viel mehr über pubertierende Mädchen als ich? Ich bin schließlich hier der Vater.«

»In meinem Job bekommt man so einiges zu sehen.«

»Das kann ich mir vorstellen. Und natürlich sprichst du nicht immer darüber, habe ich recht, Ben? Vor allem in letzter Zeit nicht mehr. Jedes Mal, wenn du auf die Farm kommst, habe ich das Gefühl, dass du dich wieder ein bisschen verändert hast.«

Ben beobachtete, wie Amy über das Feld auf sie zukam. Sie ging übertrieben bedächtig, anstatt übermütig zu rennen, wie sie es früher getan hätte.

»Vielleicht werden manche Menschen einfach schneller erwachsen als andere«, sagte er.

Ben konnte nicht verleugnen, dass ihm die Bridge End Farm immer fremder wurde. Die Bande waren nicht mehr so stark, seit er ausgezogen war und sich eine eigene Wohnung in Edendale gemietet hatte. Die Erinnerungen an seine Kindheit auf der Farm lagen in weiter Ferne, solange er nicht aufhörte, über sie nachzudenken, denn in diesem Fall sprangen ihn die Details mit unerwarteter Heftigkeit an wie wilde Tiere, die es hassten, angestarrt zu werden.

»Dann gibt’s also nicht viel Neues?«, erkundigte sich Matt. »Keine dringenden Verbrechen auf den Straßen von Edendale, die dich in Beschlag nehmen? Wenn du nichts mit dir anzufangen weißt, könntest du mir dabei helfen, hier alles dicht zu machen. Es sieht ganz so aus, als würde ein Unwetter kommen.«

Ben drehte sich um und warf einen Blick auf die Hügel im Osten. Normalerweise zog schlechtes Wetter aus dieser Richtung heran. Eine Wolkenbank baute sich auf, dunkel und bedrohlich. Die östlichen Winde waren ein Teil seiner frühen Kindheit gewesen. Wenn der Wind aus Osten über Bridge End wehte, sorgte er dafür, dass alle Fensterläden klapperten und die Türen der Pferdeboxen an ihren Riegeln rüttelten. Die Bäume auf dem Kamm im Osten neigten sich dann in unnatürlichen Winkeln, wobei ihre kahlen Äste hilflos gegen die Gewalt des Sturms um sich schlugen. Nachts wurden die Tiere in den Ställen unruhig, und der junge Ben hatte dem Poltern und dem Ächzen des Windes gelauscht und war erschrocken zusammengezuckt, wenn ein Eimer über den Hof geschleudert oder eine Schindel vom Dach gerissen worden war.

Genau in dem Augenblick, als Cooper sich dachte, dass ihn nie mehr irgendetwas so sehr vor Schreck würde zusammenfahren lassen, begann das Handy in seiner Tasche zu läuten.

Jamie Ward zitterte erbärmlich auf dem Vordersitz des Kleinbusses, der die Bauarbeiter zur Pity Wood Farm gebracht hatte. Es handelte sich um einen umgebauten Ford Transit, der stark nach Zigarettenrauch und schlammiger Kleidung roch. Die Sitzbezüge waren fast durchgesessen, der Boden von Dutzenden Arbeitsschuhen abgewetzt. Fry legte einen Bauhelm beiseite, nahm neben Jamie Platz und kurbelte das Fenster herunter, um zu verhindern, dass die Scheiben von innen beschlugen. Die Windschutzscheibe war von Regentropfen bedeckt, die die Sicht auf die Farm verschleierten.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte sie sich.

»Ich erhole mich schon wieder.«

Er klang nicht besonders überzeugt, doch Fry hakte nicht nach. Je früher sie mit ihm fertig war, desto besser. Falls er in einen Schockzustand verfiel, war er zu nichts mehr zu gebrauchen.

Murfin hatte recht gehabt, was Jamie Ward betraf. Er war jünger als alle anderen Männer, die sie auf der Baustelle hatte herumstehen sehen, und seine äußere Erscheinung war völlig anders. Er hatte blonde Strähnen im Haar, das er vorn nach oben gegelt trug – ganz und gar nicht in typischer Bauarbeiter-Manier. Aber er war ein gut gebauter Bursche, mindestens eins fünfundachtzig groß, mit einer Statur wie ein Rugbyspieler. Er hatte kräftige breite Hände, die sich ebenso gut für harte körperliche Arbeit eigneten wie zum Rugbyspielen.

»Ich studiere Mikrobiologie an der Universität von Sheffield«, antwortete Jamie, als sie ihn fragte. »Aber ich muss jeden Job annehmen, den ich bekomme – Sie wissen schon, um ein bisschen Kohle zu verdienen.«

»Sie jobben als Hilfsarbeiter auf dem Bau? Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Ferienjob für einen Studenten«, stellte Fry fest.

Jamie zuckte mit den Schultern. »Mir liegt das. Es ist auf jeden Fall viel besser, als bei McDonald’s zu arbeiten. Ich bin gerne draußen an der frischen Luft und arbeite gerne körperlich. Sonst würde ich durchdrehen. Ich habe keine besonderen Fähigkeiten und auch keine Ausbildung, aber ich kann mit einem Spaten umgehen und eine Schubkarre schieben.«

»Und eine Tragmulde voller Ziegelsteine schleppen?«

»Wir dürfen keine Tragmulden mehr verwenden«, sagte Jamie. »Wegen der Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften – man könnte sich dabei den Rücken ruinieren oder jemandem Ziegelsteine auf den Kopf fallen lassen.«

»Tatsächlich?«

Er nickte. »Außerdem verwenden wir auf dieser Baustelle hier keine Ziegelsteine. Außen werden nur Natursteine eingesetzt, die zu den originalen Wänden passen. Innen nehmen wir natürlich Ytongsteine.« Jamie wischte ein paar Quadratzentimeter Kondenswasser weg und betrachtete die Gestalten, die im Regen hin und her gingen. »Eigentlich komisch, wo es hier jede Menge Lehm gibt. Aber Naturstein ist mehr in Mode. Und der Besitzer möchte es so haben.«

Fry sah, dass er sich etwas entspannte, nachdem er es geschafft hatte, das schmerzliche Thema der Leiche zu umgehen, die er gefunden hatte.

»Dann sind Sie also gerne draußen an der frischen Luft?«, fragte sie und wurde sich bewusst, dass Jamie Ward sie ein wenig an Ben Cooper erinnerte. »Stammen Sie zufällig aus einer Farmerfamilie?«

»Na ja, früher, als Teenager, habe ich manchmal meinem Großvater geholfen. Aber nur am Wochenende und in den Schulferien. Er hat seine Farm allerdings nicht mehr – Granddad hat sie verkauft, als sie nichts mehr abwarf.«

»Vernünftig von ihm.«

»Stimmt. Tja, ich würde nicht mein Leben damit verbringen wollen, den Job zu machen, den mein Großvater gemacht hat. Er hat sich rund um die Uhr abgerackert. Die Tiere haben ihm keine Pause gegönnt. Die Viehwirtschaft ist etwas für Unverbesserliche, finden Sie nicht? Jeder, der ein bisschen Verstand hat, sieht zu, dass er da so schnell wie möglich rauskommt.«

Sie saßen beide einen Augenblick lang da und blickten durch das Stück freie Scheibe auf die Gebäude der Pity Wood Farm wie Taucher, die ein Tiefseewrack begutachten.

»Ich meine«, sagte Jamie, »sehen Sie sich zum Beispiel mal diese Farm hier an.«

»Da haben Sie recht.«

Ward blickte sie von der Seite an. »Aber Sie möchten von mir hören, was passiert ist, nicht wahr? Wie es kam, dass ich sie gefunden habe, die … na ja …«

»Ich weiß, dass Sie es schon einmal erzählt haben, aber es würde mir helfen, wenn Sie mir die Begebenheit in Ihren eigenen Worten schildern könnten, Jamie.«

»Die Begebenheit, ja. Ich nehme an, so könnte man es nennen.«

»Lassen Sie sich Zeit. Ich bin nicht in Eile.«

»Nik hat mich einen Graben schaufeln lassen, wissen Sie. Um das Fundament für eine neue Mauer zu setzen, hat er gesagt.«

»Und Nik ist …?«

»Nikolai. Das ist der Boss, der Polier. Er ist Pole, aber ganz in Ordnung. Die meiste Zeit lässt er mich selbstständig arbeiten. Ich bekomme natürlich nicht die besten Jobs – schließlich bin ich nur ein Hilfsarbeiter. Manchmal schicken sie mich sogar in den Ort, um Zigaretten zu holen, wenn sie keine mehr haben. Auf jeden Fall war ich seit ein paar Tagen damit beschäftigt, diesen Graben auszuheben. Das war harte Arbeit – die Erde ist verdammt schwer, vor allem dann, wenn sie nass ist. Und Sie sehen ja selbst, wie nass sie ist.«

»Ja, ich habe gesehen, wie nass sie ist«, sagte Fry und wurde sich der Feuchtigkeit bewusst, die zu ihren Füßen vordrang, wo der Schlamm ihre Schuhe bedeckt hatte.

»Und hier findet man alles Mögliche im Boden. Sie würden nicht glauben, was ich alles an Schrott zutage gefördert habe. Nichts, das für Archäologen von Interesse wäre, aber ein oder zwei Mal war ich wirklich versucht, die Leute von der Fernsehsendung Time Team auf Channel Four zu bitten, dass sie mir zur Hand gehen.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille, als sein makabrer Scherz wie ein übler Geruch in dem Kleinbus hing. Fry sah, wie er blass wurde, und befürchtete, ihm gleich gar nichts mehr entlocken zu können.

»Alles in Ordnung mit Ihnen, Jamie?«

Er schluckte. »Ja. Danke. Das war nur wegen der Hand. Nicht dass ich die Hand gemeint hätte, aber … Scheiße, ich rede nur noch wirres Zeug. Tut mir leid.«

»Sie schlagen sich hervorragend. Sie hatten mir gerade von dem Schrott erzählt, den Sie beim Ausheben des Grabens zutage gefördert haben. Was für Sachen meinten Sie damit?«

»Der größte Teil davon waren verrostete Metallstücke, zerbrochene Ziegelsteine, Nägel und kaputte Eimer. Es hatte den Anschein, als hätten die Farmer die Stelle als Müllhalde benutzt. Ich habe Nik ein paar Mal verflucht, das kann ich Ihnen sagen. Ich habe sogar ein paar von diesen Glasgefäßen mit luftdicht verschließbarem Deckel gefunden, in denen man Gemüse einlegt. Wissen Sie, was ich meine?«

Jamie gestikulierte mit den Händen, um die Größe der Gefäße anzudeuten, die er gefunden hatte.

»Weckgläser?«, sagte Fry.

»Genau. Oh, und ein altes, kaputtes Kreuz an einer Kette, ein paar Colaflaschen und eine Packung Kaffeefiltertüten. Was die Leute eben so alles wegwerfen. Warum benutzen sie nicht ihre Mülltonnen? Einen Teil von diesem Zeug könnte man recyceln.«

»Was haben Sie mit all den Sachen gemacht, die Sie in dem Graben gefunden haben?«

»Ich habe sie in eine Schubkarre geworfen und dann in den großen Container hinter dem Haus gekippt.« Jamie hielt inne. »Warum stellen Sie Fragen über den Müll?«

»Weil einige der Gegenstände, die Sie ausgegraben haben, dem Opfer gehört haben könnten«, sagte Fry so vorsichtig, wie sie konnte.

»Oh, Gott. Daran habe ich gar nicht gedacht.«

»Ein altes, kaputtes Kreuz, sagten Sie?«

»Nichts Besonderes. Das war nur ein billiges Kruzifix an einer Kette, an dem unten ein Stück abgebrochen war. Wertloser Plunder.«

»Irgendwelche persönlichen Gegenstände sind Ihnen nicht aufgefallen, oder?«

»Wie zum Beispiel?«

»Ein Portemonnaie, Schmuck, Münzen«, sagte Fry. »Bekleidungsstücke.«

Eine ganze Handtasche wäre schön gewesen, dachte sie sich. Mit Führerschein, Kreditkarten und dem Brief eines verbitterten Exfreundes?

»Nein, nichts dergleichen«, erwiderte Jamie.

»Ich weiß nicht, ob Ihnen irgendjemand gesagt hat, dass es sich um die Leiche einer ziemlich jungen Frau handelt?«

Jamie schluckte abermals. »Na ja, ein paar von den Jungs haben mitgehört, wissen Sie. Manches hat sich herumgesprochen.«

»Ich erwähne das, weil womöglich Gegenstände darunter waren, die Ihnen nicht vertraut waren.«

Jamie schüttelte den Kopf. »Nur die … wie heißen sie gleich wieder? Die Weckgläser.«

Dann hatte sie womöglich Gemüse eingelegt, bevor sie begraben wurde, dachte Fry. Sehr aufschlussreich. Doch ihr war bewusst, dass sie dem jungen Arbeiter gegenüber unfair war. Weshalb hätte er darauf achten sollen, was er in seine Schubkarre warf? Die Spurensicherung würde den Inhalt des Schuttcontainers durchforsten müssen. Und wer würde ihnen den Auftrag dazu erteilen? Vermutlich musste sie sich wieder einmal unbeliebt machen.

»In Ordnung. Kommen wir zum nächsten Punkt. Wie tief hatten Sie schon gegraben, als Ihnen auffiel, dass irgendetwas nicht stimmt?«

»Knapp einen Meter. Ich war gerade dabei, einen großen Felsbrocken aus dem Lehm zu lösen. Er war schwer, und ich habe überlegt, ob ich einen der Arbeiter rufen soll, damit er mir zur … Ich meine, damit er mir hilft, ihn herauszuheben. Aber die anderen lachen mich immer aus, wenn ich um Hilfe bitte, deshalb habe ich es allein versucht. Ich bin in den Graben geklettert, und es ist mir gelungen, den Felsbrocken mit beiden Armen zu umfassen und hochzuhieven. Ich erinnere mich noch, dass er sich mit einem schmatzenden Geräusch gelöst hat und dass dort, wo er gelegen hatte, ein großer runder Abdruck im Lehm war. Ich muss weiß Gott wie lange wie ein Idiot dagestanden und zugeschaut haben, wie das Wasser langsam das Loch aufgefüllt hat, in dem der Brocken gesteckt hatte. Und da war sie – die Hand.«

Fry schwieg. Sie sah, dass er jenen Moment gerade noch einmal durchlebte. Das war der Zeitpunkt, zu dem er sich womöglich am besten an die kleinen Details erinnern würde.

»Ich glaube, dann habe ich geschrien«, sagte Jamie. »Und ich habe den Felsbrocken fallen lassen – das ist mir gerade eingefallen, ich habe den Felsbrocken fallen lassen. Irgendjemand kam sofort zu mir hergelaufen, einer von den Männern, die in der Nähe arbeiteten. Sie dachten natürlich, ich hätte mich verletzt. Ich konnte Nik bereits auf Polnisch fluchen und mich einen englischen Idioten nennen hören.«

Jamie schloss seinen Bericht mit einem Lachen ab. »Und er hat recht – genau das bin ich. Was für ein Idiot ich doch bin, so ein Aufhebens zu machen.«

»Ganz und gar nicht«, sagte Fry. »Sie haben genau das Richtige getan.«

Jamie wirkte nicht überzeugt. Er rieb die Hände aneinander, als wollte er den Schlamm entfernen, von dem das Ding bedeckt gewesen war, das er ausgegraben hatte.

»Dann konnten Sie Nik also fluchen hören. War er derjenige, der angelaufen kam, als Sie schrien?«

»Nein, jemand anderer. Nik ist ein bisschen später aufgetaucht. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer als Erster kam. Darauf habe ich in diesem Moment nicht geachtet.«

»Aber es muss jemand gewesen sein, der in der Nähe gearbeitet hat.«

»Ja. So muss es gewesen sein.« Jamie zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Aber ich weiß nicht mehr, wer es war. Ich hatte irgendwie einen Aussetzer.«

»Kein Problem. Sie haben das wirklich gut gemacht, Jamie.«

»Wissen Sie, was ich gerade denke?«, sagte er. »Gott sei Dank war die Hand dieser Frau unter dem Felsbrocken. Wenn ich sie beim Graben mit dem Spaten erwischt hätte, dann hätte ich sie glatt durchtrennt. Tja, das hätte ich, oder?«

»Möglicherweise.«

Er sah Fry flehend an. »Ich muss jetzt hier raus«, sagte er. »Und zwar sofort. Tut mir leid. Sagen Sie allen, dass es mir leidtut.«

Plastikfolienstreifen, die von vorbeifahrenden Lastwagen gefallen waren, hingen an Stacheldrahtzäunen und an den Zweigen von Hagedornbüschen. Sie baumelten und flatterten im Wind wie ausgefranste Wimpel. Windsäcke waren hier überflüssig, da nie Zweifel darüber aufkamen, aus welcher Richtung der Wind wehte.

Cooper hörte im Auto den Radiosender Peak FM, auf dem gerade eine Reihe Titel von Bands aus den Siebzigerjahren liefen. UB40 und die Dire Straits. Sogar Duran Duran war dabei. Manchmal hörte er auch den Lokalsender der BBC, dessen Programm die Sechziger wiederaufleben ließ. Viele der Interpreten, die dort gespielt wurden, waren ihm überhaupt kein Begriff – die Beatles kannte er natürlich, aber beim Rest handelte es sich zum größten Teil um Musik, die vermutlich seine Eltern in ihrer Jugend gehört hatten.

Der Zentrale zufolge hieß die Farm Pity Wood. Den Namen hatte er zwar noch nie gehört, aber er wusste, wo das Rakedale-Tal lag: am südlichen Rand des Kalksteinplateaus, irgendwo hinter Monyash und Harington. Noch ein Stück weiter südlich, und die Leiche wäre das Problem der D-Division gewesen.

Die Torfmoore hatten ihre gelblich braune Winterfärbung angenommen. Über einem Hügel zog eine seltsam geformte Wolke auf, als habe es irgendwo in der Nähe von Buxton eine Nuklearexplosion gegeben. Vor dem Horizont zeichneten sich knorrige Bäume ab, deren kahle Äste hilflos zu gestikulieren schienen, als glaubten sie, der Frühling werde niemals kommen.

Cooper fand Fry innerhalb der äußeren Absperrung, wo sie ihre regennasse Jacke ausschüttelte.

»Wie sieht dein Plan aus, Diane?«

»Wir werden uns als Erstes dem Haus und den Nebengebäuden widmen müssen, aber ich bin mir nicht ganz sicher, wo wir am besten anfangen. Schau dich doch bitte einfach mal um, ja? Lass mich wissen, wie dein Eindruck ist. Vielleicht könntest du mit diesem Schuppen da drüben anfangen.«

»Schuppen?«

»Der Schuppen da drüben. Der große.«

»Mache ich.«

Cooper sah ihr nach, als sie wegging. Hatte sie gerade »Eindruck« gesagt? Das war nicht das, worum sie ihn gewöhnlich bat. Fry hatte es normalerweise auf handfeste Beweise abgesehen. Vielleicht hatte diese Farm irgendetwas an sich, was sie beunruhigte. Wenn dem so war, würde sie vermutlich nicht darüber reden. Sie übertrug ihm diese Verantwortung – soll doch Detective Constable Cooper mit Eindrücken aufwarten, mit vagen Vermutungen, mit Bauchgefühlen. Dann konnte sie diese immer noch abtun, wenn nötig. Auf Coopers Beitrag konnte bedenkenlos herumgetrampelt werden, ohne dass irgendein Schatten auf ihren Ruf fiel.

Tja, schön und gut. Das schien eben seine Rolle im Leben zu sein, seit Diane Fry seine Vorgesetzte geworden war. Entweder akzeptierte er es, oder er würde sich einen anderen Job suchen müssen.

Nachdem die Polizei mit ihm fertig war, sah sich Jamie Ward ein paar Minuten lang um. Inzwischen waren nicht nur eine Menge Polizisten vor Ort, sondern auch noch einige andere Leute, die er für Kriminaltechniker hielt. Er stellte sich vor, wie seine Kollegen mit der Polizei redeten. Ja, der da drüben, das ist er. Wir nennen ihn Professor. Doch nicht alle von ihnen würden erpicht darauf sein, mit den Behörden zu sprechen, da hätte er wetten können. Ein paar von ihnen würden vorgeben, überhaupt kein Englisch zu sprechen.

Nikolai stand neben dem Farmhaus und unterhielt sich mit einigen seiner Arbeiter. Er sprach leise auf Polnisch, beinahe flüsternd, obwohl es unwahrscheinlich war, dass ihn außer seinen eigenen Leuten irgendjemand verstand. Jamie runzelte die Stirn und zählte sie abermals durch. Sieben. Er sah sich um und fragte sich, ob er sich womöglich verzählt hatte. Aber nein. Es waren sieben, plus Nikolai. Zwei Männer fehlten.

Jamie seufzte, da er weitere Komplikationen kommen sah und weitere Schwierigkeiten. Er erinnerte sich an das schwache Funkeln von Metall, glitschig von der Feuchtigkeit des Lehms, das einen Lichtschimmer und die Bewegung seines Spatens reflektiert hatte. Und er erinnerte sich, wie er beim Anblick dieses Dings innegehalten und wie vom Donner gerührt, den Spaten in den Händen, in das Loch hinuntergestarrt hatte. Eine Sekunde lang hatte das Flackern des Lichts ausgesehen wie ein Auge – ein Auge, das sich gedreht hatte, um ihn aus seinem schlammigen Grab zu beobachten. Vermutlich würde er dieses Auge heute Nacht in seinen Träumen noch immer sehen können.

Todesacker

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