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Der Schuppen, auf den Fry ihn hingewiesen hatte, war mehr als nur ein Schuppen. Wenn man unmittelbar davorstand, glich er eher einem riesigen Wellblechtunnel. Als Cooper hineinging, hatte er das Gefühl, eine Kathedrale zu betreten. Überall um ihn war freier Raum, und durchs Dach fiel Licht, dessen Strahlen durch Risse in der Blechverkleidung drangen. Irgendwo vor ihm tropfte Wasser herunter, und an den Seitenwänden schimmerten feuchte Flecken.

Auf vielen älteren Farmen in dieser Gegend wurden noch heute Nissenhütten aus Kriegszeiten zur Lagerung benutzt, da diese darauf ausgelegt waren, viele Jahre lang zu halten, bis sie aufgrund von Alterschwäche und Vernachlässigung einstürzten. Doch diese Nissenhütte war die größte, die Cooper jemals gesehen hatte. Sie war mindestens dreißig Meter lang, und in der Mitte stützte eine Reihe von Pfosten das gewölbte Dach hoch über ihm. Die beiden Enden des Gebäudes waren offen und den Elementen ausgesetzt, der mittlere Bereich war jedoch trocken und geschützt.

Im Inneren entdeckte er zwei Traktoren, die neben einem Pritschenwagen auf einem Betonsockel geparkt waren. Im Freien standen weitere Fahrzeuge: ein Lastwagen mit Seilwinde und ein alter Ford Escort mit Kupplung, an der ein Schweineanhänger hing. Zu den Gerätschaften, die in der Baracke gelagert waren, zählte unter anderem auch ein interessanter Planierpflug aus zerschnittenen Vierundzwanzig-Zoll-Traktorreifen. Das hätte Matt gefallen. Billig, aber effektiv.

Überall im Hof stapelten sich alte Reifen, und neben den Fahrzeugen türmte sich eine riesige Festung aus Silageballen auf. Auf den ersten Blick sahen die Ballen wie schwarz lackierte Kunststoff-Felsblöcke aus, und lose Plastikfetzen bewegten sich in der Brise. Cooper stellt sich vor, wie im Sommer Hummeln um den Haufen summten, angelockt vom süßlichen Geruch des Silofutters. Doch ein kühler Lufthauch ließ ihn frösteln und erinnerte ihn daran, dass es Dezember war und dass das Silofutter hier nicht mehr unangetastet hätte herumliegen sollen.

Auf der Außenseite verwandelte sich der ehemals gelbe Farbton der Wände und des Daches des Schuppens langsam in ein rostiges Rot. Die Zweige eines Hagedornbuschs kratzten unentwegt an der Außenwand – das einzige Lebenszeichen auf dem verlassenen Hof der Farm.

Hinter dem Farmhaus stand das markante Gerüst einer offenen Fachwerkscheune, deren Balken nur noch ein paar Reste des Daches stützten. Cooper sah, dass der First des Farmhauses an mehreren Stellen eingeknickt war und dass an den Fenstern auf der Rückseite staubige Vorhänge hingen. Dort, wo sich früher vermutlich der Garten befunden hatte, stand ein schmutziger Wohnwagen. Durch ein zerklüftetes Loch in der Wand eines gemauerten Kuhstalls waren uralte Heuballen zu erkennen.

Eine weitere Ansammlung von alten Steingebäuden lag mehr oder weniger in Ruinen. Als Cooper umherging, stieg ihm hier und da ein strenger Ammoniakgeruch in die Nase, der auf Katzen hindeutete. Farmkatzen, die im Freien lebten und sich nützlich machten, indem sie durch die Scheunen und Schuppen streiften und Nagetiere jagten.

Hinter der Fachwerkscheune, ein paar Meter den Hang hinunter, stieß er auf eine Reihe verfallener Hühnerställe. Sie schienen zwar nicht besonders alt zu sein, waren aber offenbar nie richtig instand gehalten worden. Er spähte durch ein verstaubtes Fenster und rechnete damit, unzählige Batteriekäfige zu entdecken, doch es waren keine zu sehen. Demnach mussten die Ställe zur Bodenhaltung der Hühner mit Stroh ausgelegt worden sein, es sei denn, jemand hatte die Käfige entfernt.

Auf Cooper wirkte die Farm deprimierend. Auch wenn Teile der Bridge End ein wenig heruntergekommen sein mochten, da für die Instandhaltung und für Reparaturen das Geld fehlte, war die Farm seines Bruders im Vergleich zu Pity Wood geradezu ein Musterbeispiel für Modernität.

Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Haus selbst zu. Es bestand aus Kalkstein und verfügte über Ecksteine aus Grit. Einige der Außenwände waren mit Beton verputzt worden, damit sie der Witterung besser widerstanden. Den hässlichen Stellen nach zu urteilen, an denen der Putz abgefallen war, hatte das Wetter jedoch gewonnen. Genau genommen hatte es schon vor einiger Zeit gewonnen. Dieses Farmhaus hatte das Handtuch geworfen.

Falls es irgendwelche Antworten darauf gab, wie die Leiche in ihr seichtes, nur ein paar Meter entferntes Grab gelangt war, würden diese aller Wahrscheinlichkeit nach im Inneren des Hauses zu finden sein. Cooper erkundigte sich, wer im Besitz der Schlüssel sei, und öffnete anschließend die Hintertür.

Das Erste, was er sah, als er das Haus betrat, war eine riesige schwarze Familienbibel, die wie eine Warnung auf einem Tisch im Flur lag.

Fry wusste, dass sie den Schauplatz unter Kontrolle bringen und sämtliche forensische Beweise sichern musste – obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, welche Art von Beweis den langsamen Verfall und den teilweisen Abbruch der Pity Wood Farm hätte überleben können.

Die ersten Stunden waren entscheidend. Wenn tatsächlich irgendwelche Beweise auftauchten, musste sie dafür sorgen, dass diese ordnungsgemäß gesichert wurden. Es war enorm wichtig, vorausschauend zu handeln und zu berücksichtigen, dass es möglicherweise irgendwann zu einer Verhandlung kommen würde. Falls die Anklage vor Gericht nicht mit einer lückenlosen Beweiskette aufwarten konnte, war das ein Geschenk für die Verteidigung. Was auch immer zwischen dem jetzigen Zeitpunkt und diesem hypothetischen Termin geschah, ihr gegenwärtiges Handeln konnte das gesamte Ermittlungsverfahren entweder in Zweifel ziehen oder ihm eine solide Grundlage verleihen.

Die Spurensicherung hatte eine Daumenregel: Wenn die Gefahr bestand, dass am Tatort auf einem potentiellen Beweisstück herumgetrampelt wurde, musste es entfernt oder zumindest gesichert werden. Wenn es dagegen nicht im Weg war, konnte es an Ort und Stelle verbleiben. Manchmal gab es jedoch auch Beweisstücke, auf denen bereits mehrmals herumgetrampelt worden war.

Die Bauarbeiter mussten also ferngehalten werden, damit sie nicht noch mehr Schaden anrichteten, als sie bereits angerichtet hatten. Außerdem mussten die Ausgrabungsarbeiten kontrolliert vonstattengehen – irgendjemand musste die Helfer, die damit betraut waren, im Auge behalten und sie daran hindern, auf der Farm herumzuspazieren.

Und die Fahrzeuge, die auf der schlammigen Zufahrt und am Eingang zum Hof geparkt waren … tja, was sie betraf, war es vermutlich bereits zu spät. Ganz egal welche Maßnahmen Fry jetzt ergriff, sie konnte unmöglich die Zeit zurückdrehen.

»Sutton«, sagte Murfin keuchend und unterbrach ihren Gedankengang. »Sutton.«

»Was?«

»Die ehemaligen Eigentümer der Farm. Sie heißen Sutton. Raymond lebt inzwischen in einem Pflegeheim in der Stadt – wir wissen noch nicht, in welchem, aber das finden wir schon noch heraus. Er ist bereits ziemlich alt, vermutlich Ende siebzig. Und er hatte einen jüngeren Bruder namens Derek, der vor ungefähr einem Jahr gestorben ist.«

»Nicht schlecht, Gavin.«

»Danke. Leider haben wir keinen Hinweis darauf gefunden, dass zur fraglichen Zeit außer den beiden Brüdern noch jemand anderer im Haushalt gelebt hat. Wir haben das Wählerverzeichnis überprüft, aber es sind darin nur zwei Erwachsene aufgelistet.«

»Also keine Frauen?«

»Keine Frauen«, erwiderte Murfin. »Nur Ruhe und Frieden.«

Im Inneren des Farmhauses stellte Cooper fest, dass sich in den Zimmern eine seltsame Mischung aus Originalität und Renovierung präsentierte. Zum ersten Mal von einem Zimmer ins nächste zu gehen war ein unkalkulierbares Erlebnis. Manche Räume waren voller Baumaterialien und Werkzeuge, die Jamie Wards Arbeitskollegen zurücklassen hatten: Sand- und Zementsäcke, Stapel von Ytongsteinen, Eimer, eine Leiter, zwei Werkzeugkästen aus Metall. Aus diesen Zimmern war der ursprüngliche Inhalt herausgeräumt und vermutlich in den gelben Container geworfen worden, den er vor der Hintertür gesehen hatte. Sie hatten sich in Baustellen verwandelt.

Andere Zimmer zeigten sich dagegen noch völlig unberührt. Sie enthielten noch immer Spuren der Bewohner der Farm und ihres Alltagslebens: zwei Paar Gummistiefel, die neben der Hintertür standen, ein modrig riechender Mantel, der in einem Schrank unter der Treppe hing.

Im Obergeschoss gab es drei Zimmer. Es war schwierig zu sagen, welche davon zuletzt bewohnt worden waren, da sich in allen gleich viel Müll und alte Kleidungsstücke befanden. Das mittlere Zimmer blickte zum Hof und wirkte dunkler und kälter als die anderen beiden. Wenn Cooper sich ein Zimmer hätte aussuchen können, wäre seine Wahl auf keinen Fall auf dieses gefallen.

Die Küche schien der Teil des Hauses zu sein, der sich im besten Zustand befand. Ein schwarzer schmiedeeiserner Kochherd beherrschte ein Ende des Raumes, und in seiner Nähe tropfte noch immer ein Wasserhahn in ein eckiges Keramikspülbecken, als hätte ihn gerade jemand nicht richtig zugedreht. Das gesamte Mobiliar war ebenfalls noch da: ein großer Tisch aus Kiefernholz mit verschrammten und geschwärzten Beinen, zwei uralte Sessel und eine Anrichte mit Geschirr und Besteck.

In einer Ecke und entlang der hinteren Wand stöberte Cooper eine Anzahl von undefinierbareren Gegenständen auf. Er zählte ein Dutzend aufeinandergestapelte Pappschachteln, wobei sich die unterste unter ihrer Last leicht verformt hatte. Auf einem Stuhl in der Nähe des Kochherds lag ein Stapel Kleidungsstücke, und hinter der Außentür hingen weitere Jacken und Overalls. In dieser Küche schien die Zeit stehen geblieben zu sein, als sei sie in dem Augenblick erstarrt, als die Eigentümer ihr eines Tages den Rücken gekehrt hatten.

Selbst der Kühlschrank stand noch da, ein altes Electrolux-Modell mit eingerissener Gummidichtung. Der funktionierte doch bestimmt nicht mehr, oder? Als Cooper die Tür öffnete, stellte er überrascht fest, dass die Innenbeleuchtung anging, und spürte einen kühlen Luftzug im Gesicht. Doch dann sah er, warum der Kühlschrank eingeschaltet war: Die Bauarbeiter bewahrten Milch für ihre Teepausen darin auf. Ein Tetrapack mit fettarmer Milch stand zwischen zweifelhafteren Dingen – Gefäßen ohne Etikett, Dosen, die geöffnet und stehen gelassen worden waren, bis sie zu schimmeln begonnen hatten, als habe jemand versucht, Penicillin herzustellen. Der Inhalt eines Gefäßes in vorderster Reihe war bereits auf dessen Boden kristallisiert, sodass Cooper nicht mehr erkennen konnte, worum es sich ursprünglich gehandelt hatte.

Der Geruch war penetrant, und Cooper machte die Tür schnell wieder zu. Der Kühlschrank reagierte darauf mit einem ungleichmäßigen Brummen und klapperte auf dem gefliesten Fußboden leise vor sich hin.

Als Cooper durchs Haus ging, spürte er, wie seine Haut am Nacken zu kribbeln begann. Die Umgebung wirkte völlig harmlos, wenn auch deprimierend. Doch die Atmosphäre war irgendwie beklemmend. Sein Instinkt sagte ihm, dass hier auf der Pity Wood Farm etwas Schreckliches geschehen war. Schmerzhafte Erinnerungen hatten sich in den Wänden verewigt, und das Nachbeben irgendeines traumatischen Ereignisses ließ die Luft noch immer erzittern.

Cooper schauderte und versuchte, diesen Eindruck zu verdrängen. Es handelte sich um die Art von Gefühl, über die er mit niemandem sprechen konnte, vor allen nicht mit Diane Fry. Ihm war bereits so oft vorgeworfen worden, er besäße zu viel Phantasie, dass er keine erneute Abfuhr riskieren wollte. Alle waren nur an Beweisen interessiert, und davon hatte er keinen einzigen.

Vielleicht würde er Liz seine Empfindung beschreiben, wenn er sie das nächste Mal sah – sie würde verstehen, was er meinte. Cooper warf einen Blick auf seine Uhr. Wenn er Glück hatte, würde das vielleicht sogar schon heute Abend sein. Die Atmosphäre von Dringlichkeit, die an den meisten Schauplätzen von Schwerverbrechen herrschte, fehlte auf der Pity Wood Farm – vermutlich lag das daran, dass die Leiche dafür bereits zu alt war. Die übliche Vierundzwanzigstundenregel galt in diesem Fall nicht. Wichtiges Beweismaterial, das binnen eines Tages nach einem Mord verschwinden konnte, war in diesem Fall schon lange nicht mehr vorhanden. Alles, was übrig war, würde dort unten zu finden sein, im Schlamm bei der Leiche – oder hier im Haus. Also war es das Beste, die Sache langsam und gründlich anzugehen, damit nichts von dem, was noch erhalten war, übersehen wurde.

So hätte er zumindest gedacht, wenn er der Ermittlungsleiter gewesen wäre. Nicht dass er es für wahrscheinlich hielt, diese Position jemals zu erreichen – man musste in regelmäßigen Abständen befördert werden, um dorthin zu gelangen. Er war vermutlich bereits damals zu weit ins Hintertreffen geraten, als es ihm nicht gelungen war, zum Detective Sergeant befördert zu werden. Schließlich war er inzwischen dreißig, und es gab mit Sicherheit ehrgeizige junge Kollegen, die ihn überholen würden, ehe er sich’s versah. Genauso, wie es auch Gavin Murfin passiert war und vielen anderen.

Cooper blickte zum Küchenfenster hinaus und sah Detective Inspector Hitchens mit Wayne Abbott, dem Leiter der Spurensicherung, im Hof stehen. In diesem Moment redete nur Abbott, und der Detective Inspector nickte weise. Das machte er allerdings ziemlich überzeugend. Aus der Ferne hatte es den Anschein, als sei er Herr der Lage und wisse genau, was Sache war. Cooper war sich darüber im Klaren, dass er selbst niemals diesen Eindruck würde vermitteln können, weder aus der Ferne noch aus der Nähe. Er würde immer nur wie ein verwirrter Detective Constable wirken, der ungute Gefühle hatte, die er nicht erklären konnte. Fry hatte ihm das oft genug zu verstehen gegeben. Halt einfach den Mund, Ben – das ist das Beste. Gib niemandem einen Anlass, dich auszulachen.

Er hörte ein Geräusch hinter sich, das leise Knirschen von Zementstaub unter Schuhsohlen. Als er sich umdrehte, stand Diane Fry in der Tür. Die Schicht Bauschutt auf dem Boden war dafür verantwortlich, dass sie sich nicht so lautlos hatte nähern können wie sonst. Ihr Blick wanderte durchs Zimmer, und sie betrachtete das Mobiliar und die vergilbten Wände. Cooper überlegte, was er Schlaues zu ihr sagen könnte, und rang nach Worten, die den Eindruck erwecken würden, er habe nützliche Beweise gesammelt, anstatt die unheimliche Atmosphäre auf sich wirken zu lassen.

»Mein Gott«, sagte Fry, ehe er sprechen konnte. »Kommt es dir auch so vor, als ob hier irgendwas Schreckliches passiert wäre?«

In den weiter entfernten Nebengebäuden hatte es stark nach Katzenurin gerochen. Trotzdem hatte Cooper weit und breit kein Anzeichen für die Anwesenheit von Katzen entdeckt, als er auf dem Anwesen herumgegangen war. Er fragte sich, was mit ihnen geschehen war, nachdem die Suttons ihre Farm verlassen hatten. Vermutlich hatten sie sich in alle Winde zerstreut wie alles andere auch.

Doch nicht alles hatte sich zerstreut. Weit gefehlt. Da waren all die Maschinen und Gerätschaften in dem großen Schuppen, die Silageballen, das Heu und die Fahrzeuge, die auf dem Hof geparkt waren.

»Weißt du, normalerweise würde man unter solchen Umständen einen Farmverkauf durchführen«, sagte Cooper, als sie wieder nach draußen gingen.

»Einen was?«, fragte Fry.

»Einen Farmverkauf. Ich meine damit nicht den Verkauf der Gebäude selbst. Bevor es so weit kommt, wird in der Regel die gesamte Ausrüstung verkauft – die Traktoren und die Anhänger, das Werkzeug, die Feldgatter, überzählige Zaunpfosten. Käufer finden sich für fast alles. Wahrscheinlich könnte man auch das Silofutter und die Reifen verkaufen, vielleicht sogar den ganzen Schuppen hier. Aber das hätte passieren müssen, bevor das Haus und der Grund zum Verkauf angeboten wurden, dann hätte das Anwesen wenigstens einen ordentlichen Eindruck gemacht, wenn Kaufinteressenten kommen. Ich verstehe nicht, warum das ganze Zeug immer noch hier herumsteht. Das ergibt einfach keinen Sinn.«

Fry zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben sie vor, das später zu erledigen. Schließlich ist es nicht gesetzlich verboten.«

»Ich werde mich mal bei Pilkington’s, dem örtlichen Auktionshaus, erkundigen. Das ist fast sicher die Adresse, an die man sich in einem solchen Fall wenden würde.« Cooper schüttelte den Kopf. »Aber die Reihenfolge zeugt wirklich von schlechter Planung. Sie hätten zuerst alles leer räumen sollen.«

Murfin streckte den Kopf um die Ecke. »Ach, da seid ihr. Mr Hitchens möchte, dass alle zu einer Einsatzbesprechung kommen.«

»Wir sind schon unterwegs.«

Detective Inspector Hitchens war Frys unmittelbarer Vorgesetzter, der Mann, dessen Job sie voraussichtlich bekommen würde, wenn sie in Derbyshire bei der E-Division bleiben sollte. Doch der Gedanke, hierzubleiben, gehörte nicht zu ihrer Zukunftsplanung, und Orte wie die Pity Wood Farm bestätigten sie in ihrer Meinung. Manchmal sehnte sie sich nach der Stadt oder sogar nach der eigentümlichen städtischen Verschmelzung im Black Country, wo sie aufgewachsen war.

Hitchens wirkte ruhig und gelassen und ließ, ohne mit der Wimper zu zucken, zu, dass ihm es auf den Kopf regnete. Während er darauf wartete, dass sich seine Mitarbeiter am Sammelpunkt um ihn scharten, wischte er sich die Nässe aus dem Gesicht und zeigte dabei kurz die weiße Narbe, die sich über die mittleren Knöchel seiner Finger zog.

»Nun, wie einige von Ihnen bereits wissen«, sagte er, »lag diese Leiche mindestens ein Jahr unter der Erde.«

»Dann brauchen wir uns also nicht so zu beeilen, wenn der Fall schon so alt ist, Sir?«, fragte jemand.

»Nun … ich möchte das niemanden öffentlich sagen hören. Aber es bedeutet, dass wir dem Anthropologen und den Kriminaltechnikern noch etwas mehr Zeit bei ihrer Arbeit geben können und dass wir die Weihnachtsgans nicht kalt werden lassen müssen.«

Es ertönten ein paar halbherzige Beifallrufe, doch die Erleichterung war spürbar.

Hitchens quittierte die Reaktion mit einem leichten Lächeln. »In der Zwischenzeit sind ein paar Routinemaßnahmen erforderlich, um sicherzustellen, dass wir nichts übersehen. Falls wir später eine Morduntersuchung einleiten müssen, möchte ich nicht hören, dass uns im Anfangsstadium wichtiges Beweismaterial entgangen ist, weil es jemand zu eilig hatte, seine Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Verstanden?«

»Ja, Sir.«

»Zunächst einmal benötigen wir Informationen über sämtliche Arbeiter – über jeden, der sich auf dieser Baustelle aufgehalten hat. Namen und Adressen, Geburtsdaten – Sie wissen ja, wie der Laden läuft. Anschließend können wir sie in den Police National Computer eingeben, wenn nötig.«

»Was ist mit ihrem Status?«, fragte Fry.

»Status?«

»Ich habe mir überlegt, ob einige von ihnen vielleicht Probleme mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung haben. Sie wissen ja, wie schwierig es ist, jemandem Informationen zu entlocken, der Angst davor hat verhaftet oder abgeschoben zu werden.«

»Hat mir nicht jemand gesagt, sie wären alle Polen?«, sagte Hitchens. »Polen haben keine Probleme mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung – sie gehören zur EU, also können sie kommen und gehen, wann sie wollen, und eine Arbeitserlaubnis brauchen sie auch nicht.«

Murfin hob die Hand und genoss es sichtlich, ausnahmsweise einmal derjenige zu sein, der die Antworten parat hatte. »Offenbar arbeiten die meisten von ihnen für eine Agentur, die sie immer dorthin schickt, wo gerade Arbeitskräfte benötigt werden. Das bedeutet, dass sie keinen festen Wohnsitz haben, Sir. Sie wohnen in provisorischen Unterkünften, in Pensionen, in Wohnwagen – was gerade zur Verfügung steht. Sie sagen, dass es sich lohnt, weil sie ungefähr das Doppelte des Mindestlohns verdienen, genug, um Geld nach Hause zu schicken, wenn ihre Familie nicht in diesem Land ist.«

Fry warf einen Blick auf die kleine Gruppe von Bauarbeitern mit ihren Sicherheitsschuhen und ihren gelben Helmen. »Wir vermuten nur, dass sie alle Polen sind. Der Polier ist Pole, aber bei den anderen haben wir es noch nicht überprüft, also könnten wir durchaus noch ein paar Überraschungen erleben.«

»Sagen Sie mir jetzt nicht, dass wir uns Dolmetscher suchen müssen«, entgegnete Hitchens. »An Weihnachten? Allein die Übersetzung ihrer Aussagen könnte Wochen dauern.«

»Na ja, vielleicht brauchen wir die gar nicht.«

»Stimmt, da haben Sie recht, Detective Sergeant Fry. Lassen Sie uns Prioritäten setzen, ja? Wir kümmern uns um den Polier und um den Burschen, der die Leiche gefunden hat. Wie heißt er gleich wieder?«

»Jamie Ward.«

»Jamie Ward, genau. Die Übrigen können warten, sofern wir wissen, wo wir sie finden. Bis dahin müssen wir so viel wie möglich über die Leute herausfinden, die hier gewohnt haben. Über die Brüder Raymond und Derek Sutton und über alle, die etwas mit ihnen zu tun hatten. Ich werde mich heute Nachmittag selbst mit dem Bruder unterhalten, der noch lebt, sobald wir herausgefunden haben, in welchem Pflegeheim er untergebracht ist. Irgendwo da drüben liegt eine Ortschaft namens Rakedale. Wir fangen dort morgen früh damit an, von Haus zu Haus zu gehen und die Bewohner zu befragen. Sind alle damit einverstanden?«

Es war zustimmendes Murmeln zu hören, und Unruhe kam auf. Inzwischen konnten es alle kaum erwarten, fertig zu werden und nach Hause gehen zu können.

Nachdem sich die behelfsmäßige Versammlung aufgelöst hatte, fiel Cooper in Gleichschritt mit Fry. Ihre Schuhe schmatzten im Schlamm, als sie von der äußeren Absperrung zu ihren Autos zurückgingen.

»Was meinst du, Diane? Müssen wir alle Bauarbeiter befragen?«

»Hoffentlich nicht.«

Die Arbeiter, die den Umbau der Pity Wood Farm vornahmen, hatten sich ihre eigene Zufahrtsstraße gebaut, indem sie die ehemalige Einfahrt zu einem Feld verbreitert und einen Kiesweg angelegt hatten, um so zur Rückseite der Farm zu gelangen. Da der Bereich, in dem die Spurensicherung arbeitete, immer matschiger wurde, waren Bretter ausgelegt worden, die zu der Stelle führten, an der sich das Grab befand, und Beweismaterial besser schützten als der provisorische Steg. Jeder, der neben diese Bretter trat, besudelte sich unweigerlich mit Matsch. Ein oder zwei sorglos geparkte Fahrzeuge würden am Abend vermutlich aus dem Schlamm gezogen werden müssen.

Cooper sah, wie sich Liz Petty mit zwei ihrer Kollegen von der Spurensicherung unterhielt. Wahrscheinlich warteten sie auf den Kriminaltechniker, der für den nördlichen Teil des Landes zuständig und im Hauptquartier der C-Division in Chesterfield stationiert war.

Er hätte Liz gerne begrüßt, doch sie hatten vereinbart, ihre Beziehung bei der Arbeit nicht an die große Glocke zu hängen. Sie wollten sie nicht verheimlichen – in der E-Division ließ sich nichts verheimlichen –, waren jedoch beide der Ansicht, dass es wichtig war, die Professionalität zu wahren und niemandem Anlass zur Klage zu geben.

Als Cooper die Farm von vorn sah, wurde ihm bewusst, weshalb die Bauarbeiter die Zufahrt von hinten gewählt hatten. Die Haupteinfahrt musste bereits bei ihrer Ankunft ein Meer aus Schlamm gewesen sein. Allem Anschein nach hatten die ehemaligen Eigentümer ihr Vieh frei herumlaufen lassen. Der Boden war völlig zertrampelt bis zu den Außenwänden des Farmhauses. Ohne Gummistiefel war der Weg vom Tor vorbei an der Scheune zu Fuß beinahe unpassierbar.

Cooper schüttelte den Kopf. Niemand würde zulassen, dass es so weit kam, es sei denn, er hatte überhaupt kein Interesse mehr an seiner Farm oder war von ihrer Zukunft nicht mehr betroffen.

Er hielt an, stieg wieder aus seinem Toyota aus und blieb eine Weile auf die Mauer gestützt stehen. Es war zu erkennen, dass jemand auf diesem Weg auf die Pity Wood Farm gekommen war, und zwar vor nicht allzu langer Zeit. Ein Fahrzeug hatte tiefe feuchte Furchen in den Schlamm gegraben. Die Reifenspuren reichten allerdings nicht bis zum Haus, sondern endeten in der Nähe der Scheune. Wenn er sich die Furchen etwas genauer angesehen und dann herumgefragt hätte, wann hier letztmals Vieh untergebracht war, wäre er vermutlich in der Lage gewesen, eine ziemlich genaue Schätzung abzugeben, wann das Fahrzeug gekommen und wieder gefahren war.

Doch das war nicht von Bedeutung, oder? Dieses Verbrechen lag länger zurück.

Cooper war sich sicher, dass sie in der Vergangenheit suchen mussten, um die Informationen zu bekommen, die sie brauchten, dass sie die Küche, die einer Zeitkapsel glich, unter die Lupe nehmen mussten, und nicht die zementbedeckte Baustelle. Die Antworten lagen zweifellos im Leben der Menschen, die die Pity Wood Farm ihrem Schicksal überlassen hatten.

Todesacker

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