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Die fortwährende Tilgung von Fakten

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Obwohl der Bericht der Kommission vor Fehlern strotzte, räumte er ein, dass die gentechnisch veränderten Bakterien mit EMS in Zusammenhang standen. Doch im Laufe der Zeit ist diese entscheidende Tatsache aus dem allgemeinen Bewusstsein geschwunden. Und dieses Verschwinden ist nicht völlig der Vergesslichkeit der breiten Masse zuzuschreiben. In erheblichem Maß resultiert es aus einem anhaltenden Bemühen, dieses Faktum in Nebel zu hüllen.

Zu den Hauptverneblern gehörte die FDA. Wann immer die Behörde den Kommunikationsfluss steuern konnte, schwieg sie sich über die Gentechnologie aus, während sie am Tryptophan selbst scharfe Kritik übte. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür gab es am 18. Juli 1991, als der stellvertretende Direktor des Center for Food Safety and Applied Nutrition, Douglas Archer, vor einem Kongressausschuss erschien und die offizielle Haltung der FDA zur Epidemie darlegte. Zu diesem Zeitpunkt wusste die Behörde sehr genau, dass die mit der Krankheit zusammenhängenden Bakterien gentechnisch verändert worden waren, doch Archer erwähnte diese Tatsache nicht – ja, er erwähnte die Technologie überhaupt nicht. Stattdessen nahm er Tryptophan allgemein ins Visier und nutzte die Epidemie als Mittel, um die langwierige Kampagne der Behörde gegen Nahrungsergänzungsmittel voranzubringen. Wie er sagte, bestätigte die Epidemie die Warnungen der FDA vor den Risiken solcher Produkte und die Todesfälle und Schädigungen „zeigen die Gefahren in verschiedenen systematischen Gesundheitsbetrügereien, die an Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit verübt werden.“ (56)

Lange Zeit hatte die FDA argumentiert, um die Öffentlichkeit vor solchen Machenschaften zu schützen, sollte ihr die Aufsicht über alle Vitamine, Mineralstoffe und Aminosäuren in Nahrungsergänzungsmitteln übertragen werden, und Archer bestätigte, es sei der Wunsch der Behörde, diese Ergänzungen „streng zu regulieren“. Doch die meisten Amerikaner wollten freien Zugang zu natürlichen Nahrungsergänzungsmitteln, und der Kongress stellte sich auf ihre Seite, indem er 1976 den Food, Drug and Cosmetic Act (Gesetz über Lebensmittel, Arzneimittel und Kosmetika) dahin gehend änderte, dass er die Befugnisse der FDA beschränkte, Vitamine und Mineralstoffe zu regulieren. Weiter wurde der Einflussbereich der FDA in puncto Nahrungsergänzungen durch mehrere Gerichtsurteile eingeschränkt, von denen zwei die Versuche der Behörde stoppten, freiverkäufliches LT vom Markt zu nehmen.

Doch es drängte die FDA weiter, Nahrungsmittelergänzungen zu beschränken, und dieser Drang wurde von zweifelhaften Motiven erheblich geschürt. Das geht klar aus einem Bericht seiner Dietary Supplement Task Force (dt. etwa Arbeitsgruppe für Nahrungsmittelergänzungen) hervor, in dem es heißt, Überlegungen gingen auch dahin, „welche Schritte notwendig sind, um sicherzustellen, dass der Bestand von Nahrungsergänzungen auf dem Markt nicht abschreckend auf die Arzneimittelentwicklung wirkt.“ (57) In einem Artikel über diese „besonders besorgniserregende“ Aussage im Rutgers Law Journal wurde festgestellt, die Politik der Behörde auf diesem Gebiet „hat viel mehr damit zu tun, den Wettbewerb in der Pharmaindustrie auszuschalten, als die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten.“ (58)

Als Folge der EMS-Epidemie sah die Behörde eine Gelegenheit, weiter auf dieses wettbewerbswidrige Ziel hinzuarbeiten und zu bewerkstelligen, was ihr vor Gericht zwei Mal nicht gelungen war, und sie verbot alle LT-Nahrungsmittelergänzungen. Dafür musste sie freilich vorspiegeln, dass LT allein EMS verursachen hätte können (und die zwingenden Gegenbeweise ignorieren), und über die bei seiner Herstellung angewandte Biotechnologie weiterhin Stillschweigen bewahren. Doch ihre Unaufrichtigkeit kam durch ihre Unstimmigkeit ans Licht. Trotz ihrer erklärten Bedenken wegen der Risiken von LT ging die Behörde bei dessen Beschränkung recht selektiv vor. Sie verbat den Verkauf als Nahrungsergänzungsmittel, gestattete Pharmafirmen aber gleichzeitig den Verkauf als verschreibungspflichtiges Medikament (zum rund Fünffachen dessen, was es als freiverkäufliche Nahrungsmittelergänzung kostete) – und schaltete dabei ein beliebtes und relativ preisgünstiges Konkurrenzprodukt von Prozac® und anderen verschreibungspflichtigen Antidepressiva aus, die – wie LT – den Serotoninspiegel erhöhten. (59) Die Besorgnis der Behörde wegen des L-Tryptophans war so unaufrichtig, dass sie sogar die weitere Verwendung der Substanz in Babynahrung gestattete.

Indem die FDA die Einzelheiten der EMS-Affäre falsch darstellte, konnte sie somit drei ihrer hochgesteckten Ziele gleichzeitig verfolgen: Sie schuf eine scheinbar solide Grundlage dafür, die LT-Nahrungsergänzungen vom Markt zu nehmen, sie brachte gute Gründe bei, alle Nahrungsmittelergänzungen streng zu regulieren, und sie schützte die Gentechnologie. Und dieser Schutz wirkte. Obwohl die Fakten bei der Biotechnologie eine vorsichtige Politik rechtfertigten, lenkte die Unmissverständlichkeit von Archers Aussagen verbunden mit der bereits gestifteten Verwirrung die Aufmerksamkeit von ihr ab. Infolgedessen ging der Kongress dem nicht weiter nach, und die Medien versäumten es regelmäßig, die Technologie im Zusammenhang mit der Epidemie zu erwähnen, plapperten jedoch häufig die Anklage der FDA gegen unregulierte Nahrungsmittelergänzungen nach.

Bis 1994 war das Bestreben der FDA, die Fakten zu dem Vorfall mit dem toxischen Tryptophan zu tilgen, so unverschämt geworden, dass die Behörde nicht nur die Rolle der Biotechnologie bei der Herstellung des Nahrungsergänzungsmittels außer Acht ließ, sondern sogar vorgab, das Mittel sei nie produziert worden. Eine Publikation der FDA über Biotech-Nahrungsmittel, die in jenem Jahr herauskam, erwähnte Showa Denkos gentechnisch gewonnene Nahrungsergänzung mit keinem Wort – erklärte jedoch, das Enzym für die Käseherstellung sei „das erste biotechnologische Nahrungsmittelprodukt“, obwohl es erst sechs Jahre nach der ersten Markteinführung der Tryptophan-Ergänzung auf den Markt kam. (60)

Auch im Umgang mit Experten, die man in Bezug auf die Tatsache, dass es die toxische Ergänzung einmal gegeben hatte, nicht täuschen konnte, versuchte die FDA immer noch, die Schuld für die Toxizität auf das LT selbst zu schieben. Ein besonders ungeheuerlicher Versuch fand 2004 bei einer wissenschaftlichen Tagung statt. Gegenüber Stephen Naylor, der in seiner Zeit als Professor für Biochemie, Molekularbiologie und Pharmakologie an der Mayo Clinic eingehend zur Epidemie recherchiert hatte, stellte ein FDA-Mitarbeiter zur Rolle des LT bei der Verursachung von EMS derart „bizarre“ Behauptungen auf, dass sie „die Vorstellungskraft überstiegen“. (61)

Befragt zum Zusammenhang zwischen der Epidemie und der Gentechnologie, räumte die FDA zwar mitunter ein, dass sie als Ursache nicht auszuschließen sei, doch im Endergebnis schlossen die Aussagen der Behörde zum EMS diese nicht nur aus, sondern sie merzten sie aus. Damit, von der Technologie kein Aufheben zu machen, stand die FDA nicht allein. Wann immer möglich, vermieden es auch andere Personen und Organisationen, die die Biotechnologie fördern, sie im Zusammenhang mit EMS zu erwähnen. Ja, sie haben zunehmend verbreitet, kein damit hergestelltes Nahrungsmittel habe jemals irgendeine Krankheit hervorgerufen. Ein Beispiel dazu: In einer Broschüre der Australia/New Zealand Food Authority, die die Sicherheit gentechnisch modifizierter Nahrungsmittel propagierte, heißt es: „… weltweit ist noch von keinem Fall berichtet worden, in dem sich ein genmodifiziertes Nahrungsmittel negativ auf die menschliche Gesundheit ausgewirkt hat …“ (62) In den Ausnahmefällen, in denen jemand, der solche Behauptungen aufstellte, von einem Kenner der Fakten herausgefordert wurde, reklamierte er: Weil die Biotechnologie nicht als Ursache der Epidemie erwiesen sei, könne man zu Recht feststellen, keines ihrer Produkte habe irgendeine Erkrankung verursacht – und die Aussage, eines habe so gewirkt, sei ungerechtfertigt. Doch dieses Argument ist eindeutig falsch. Die Aussage, ein mithilfe der Biotechnologie hergestelltes Nahrungsmittel habe eine Krankheit verursacht, ist richtig, wenn offensichtlich ist, dass das bei einem Nahrungsmittel der Fall war. Das bedeutet nicht, dass der Herstellungsprozess die Ursache war, aber es bezieht die Möglichkeit mit ein. Nur wenn man anerkennt, dass ein gentechnisch gewonnenes Nahrungsmittel zu einem Problem geführt hat, kann man dann der Frage nachgehen, ob die Technologie ein signifikanter Faktor dabei war. Doch wenn man abstreitet, dass irgendein GV-Nahrungsmittel eine Krankheit ausgelöst hat, verzerrt man die Wirklichkeit und vermittelt den Eindruck, es gebe keine Nachforschungen anzustellen.

Trotz ihrer Unzulässigkeit wurden diese Dementis (und ähnliche Täuschungen) fortgeführt; und als sich die daraus resultierenden Illusionen breitmachten, taten sich die Wissenschaftler keinen Zwang an und übergingen die EMS-Katastrophe, wenn sie Bücher schrieben, in denen sie für GV-Nahrungsmittel warben. Zum Beispiel geben zwar beide Bücher vor, ausgewogen zu sein, doch ist weder in Mendel in the Kitchen (von einer Molekularbiologin, die Mitglied der National Academy of Sciences ist) noch in Tomorrow’s Table (von einer Botanikerin an der University of California) irgendetwas im Zusammenhang mit der Epidemie erwähnt – wodurch die Autorinnen ein ansprechenderes Bild vermitteln können. (63) Diese einflussreichen Bücher werden für ihren wissenschaftlichen Ansatz gelobt, obgleich sie auch viele andere unerfreuliche Fakten auslassen (oder verfälschen), wie das nächste Kapitel zeigt.

Die fortdauernden Ungenauigkeiten und Auslassungen haben weithin für eine Illusion gesorgt, selbst bei Leuten, die für gewöhnlich klar bleiben. So behielten zwar etliche Journalisten die Tatsache im Auge, dass bei der Herstellung des toxischen Produkts Gentechnologie eingesetzt wurde, doch sie ließen sich von anderen Falschdarstellungen täuschen. Der Wissenschaftsreporter etwa, der Lords of the Harvest schrieb, sagte, weil die Fälle der LT-Vergiftung vor Einführung der Biotechnologie aufgetreten seien, sei es unwahrscheinlich, dass sie die Epidemie ausgelöst habe. Dann stellte er fest: „Ja, falls der Tryptophan-Fall irgendetwas zeigte, dann die Gefahren, die Nahrungsmittelergänzungen bergen, die häufig in Naturkostläden verkauft werden, nicht aber gentechnisch veränderte Nahrungsmittel.“ (64) Was aber noch schlimmer ist: Durch die umfangreichen Verzerrungen merkten viele Kommentatoren gar nicht, dass die Gentechnologie mit ins Bild gehörte. Eine von ihnen war die britische Wissenschaftlerin Susan Aldridge. In ihrem Buch The Thread of Life: The Story of Genes and Genetic Engineering unterließ sie es nicht nur, darauf hinzuweisen, dass die Technologie mit im Spiel war, sondern sie stellte auch eine Behauptung zur Ursache der Epidemie auf, der es an stützenden Belegen mangelte. Sie gab zu verstehen, das Problem liege im Bakterienstamm selbst – und bemerkte, die SD-Techniker „hatten Pech“, weil sie einen auswählten, der eine toxische Verunreinigung produzierte. (65) Dass eine erfahrene Wissenschaftsautorin einen so groben Fehler beging und dass die Lektoren bei Cambridge University Press ihn durchgehen ließen, zeigt, wie stark die Fakten durcheinandergeraten waren.

Ebenso bezeichnend ist ein Bericht über L-Tryptophan, den ein bedeutendes Zentrum für Naturheilkunde herausgab. Im Zusammenhang mit der Verunreinigung, die das EMS hervorrief, heißt es dort: „Der Herstellungsfehler wurde erkannt und relativ schnell korrigiert.“ (66) Diesen Bericht schrieb ein Arzt im Dezember 2009, der ehemaliger Präsident der American Holistic Medical Association ist (dt. etwa Amerikanische Vereinigung für ganzheitliche Medizin). Dieser Bericht machte jahrelang die Runde und erschien in diversen Zeitschriften und auf Websites zum Thema Gesundheit. Bemerkenswert ist auch, dass das Gesundheitszentrum, das den Artikel gesponsert hat, anscheinend GV-Nahrungsmittel ablehnt (ein anderer Artikel auf seiner Website warnt vor ihrem Verzehr, weil sie „nicht natürlich“ seien). (67) Doch trotz der Vorliebe des Zentrums und des Autors für natürliche Verfahren und trotz dessen Sachkenntnis wusste er nicht nur nicht, dass das mit der Krankheit verbundene L-Tryptophan gentechnisch hergestellt worden war und sehr wohl die Epidemie verursacht haben könnte, sondern er hatte sich auch die falsche Auffassung zu eigen gemacht, als ursächlicher Faktor sei schlüssig ein einfacher Herstellungsfehler ausgemacht worden. Darüber hinaus war die Fülle an Fehlinformationen so verwirrend, dass viele Kommentatoren sogar die Epidemie aus den Augen verloren; so etwa zwei Journalisten, die jahrelang über GV-Nahrung berichteten, aber deren bekannte Bücher zu dem Thema die Katastrophe überhaupt nicht erwähnten. (68)

Wenig überraschend ist die Verwirrung in der breiten Öffentlichkeit noch weiter verbreitet als unter Fachleuten. Der Großteil der Menschen, mit denen ich im Laufe der Jahre sprach, hatte keine Ahnung, dass eine gentechnisch hergestellte Nahrungsergänzung mit einer Katastrophe größeren Ausmaßes in Zusammenhang gebracht wurde; und wahrscheinlich erfahren das die meisten Leserinnen und Leser dieses Buches hier auch zum ersten Mal.

Manipulierte Gene – Verdrehte Wahrheit

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