Читать книгу Phantomschmerzen - Susan Hill - Страница 5
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ОглавлениеFrüh am nächsten Morgen, noch immer verkrampft und ausgelaugt von der langen Reise, machte sich Simon auf den Weg über die Insel, stieg die einspurige Straße hinauf, die zu dem Hügel fast in der Mitte führte. Von dort aus verlief die Straße wieder abwärts, und da auf dieser Seite von Taransay nur wenige Menschen lebten, war sie steinig, schmal und vernachlässigt.
Nachdem er vier Meilen in gleichmäßigem Tempo zurückgelegt hatte, ging er wieder bergan bis an die Klippen über dem wilderen Meer. Er schaute hinab und erblickte eine langgestreckte Sandbucht. Basstölpel und Möwen krallten sich ans Felsgestein, stiegen ab und zu auf und landeten dann wieder auf den Felsvorsprüngen. Vor ihm lag nur das Meer, das auf dieser Seite nie ruhig war, nie still. Die großen Brecher rollten einer nach dem anderen heran, schäumten in einer langen weißen Linie an den Strand. Über die Brandung und das Krächzen der Vögel hinweg hätte er seine eigene Stimme nicht gehört. Doch hier war auch niemand, mit dem er hätte sprechen können.
Er setzte sich auf einen Vorsprung und genoss die Aussicht. Der Himmel war milchig, die Luft frisch, aber nicht kalt. Und der Wind wehte. Wie immer hier.
Er wusste nicht, ob er je an einem schöneren Fleck gewesen war – vielleicht nicht. Ihm ging das Herz auf. Er liebte die Einsamkeit, die Wildnis, die ständige Bewegung von Wolken, Meer und Dünengras, das Auf und Ab der Vögel. Wie ihn das alles einsaugte, von seiner Gegenwart jedoch keine Notiz nahm.
Die andere Seite der Insel war sanfter, geschützter, näher am Wasser, obwohl der Wind auch hier heulen und toben konnte und das Meer manchmal so rau war, dass die Boote tagelang im Hafen festsaßen und der Fährbetrieb eingestellt wurde.
Ob er hier leben könnte? Das ganze Jahr über, in dem es monatelang um drei Uhr dunkel wurde, an einem Ort, an dem dunkel schwarz bedeutete? Das ganze Jahr über, in dem man für eine Woche oder länger vom Wetter eingesperrt werden konnte? Die elektronische Kommunikation war inzwischen gut, man konnte ebenso leicht mit der Außenwelt Kontakt aufnehmen wie alle, die auf dem Festland lebten, doch das bedeutete nur Wörter, schriftlich oder mündlich, die im Cyberspace hin und her flogen, keinen engen menschlichen Kontakt.
Trotzdem, dachte er, schaute hinab, als die Sonne herauskam, auf der Meeresoberfläche funkelte und er die Köpfe von drei Seehunden sah, die nah am Strand auftauchten, trotzdem …
Die Seehunde verschwanden so plötzlich, dass er sich umschaute, um zu sehen, was sie aufgeschreckt hatte. Eine Gestalt wanderte nah am Wasser über den Strand. Eine Frau in Watstiefeln und langem braunen Regenmantel, ein Schal um den Hals verbarg ihre Haare fast vollständig. Sie ging mit großen, gleichmäßigen Schritten, den Blick auf den Sand gerichtet. Kurz darauf bückte sie sich und hob etwas auf, prüfte es und steckte es in die Tasche. Ein Stück weiter wiederholte sie das Ganze.
Eine Strandgutsammlerin also; vielleicht gab es dort eine gute Ausbeute, wo das Meer eine Linie aus Steinen und Abfällen hinterließ, wenn die Ebbe einsetzte. Hier waren die Gezeitenströmungen schnell. Die Frau ging weiter. Sie hatte Simon nicht gesehen. Er rührte sich nicht. Bald war sie hinter einem Felsvorsprung außer Sichtweite, und die Seehunde kamen wieder an die Oberfläche.