Читать книгу Phantomschmerzen - Susan Hill - Страница 7

4

Оглавление

An s.serrailler@police.gov.uk

Von chief.bright@police.gov.uk

Guten Morgen, Simon. Hoffe, alles ist in Ordnung auf Taransay. Ruh dich aus. Du brauchst es. Aber ich hoffe, der Polizist in dir sitzt noch immer in den Startlöchern, wenn du wieder zu Atem gekommen bist. Wir werden etwas finden, womit wir dich langsam wieder eingewöhnen.

Hier läuft alles rund.

Kieron

An s.serrailler@police.gov.uk

Von sam101notout@gmail.com

Hi, Si, noch immer im Newkybroon Land. Montag wieder zurück, und frag nicht, was dann. Muss planen, muss mich entscheiden. Will reden. Wann bist du zu Hause? Letztes Spiel Samstag. Vermute, das wär’s dann jetzt für dich, krickettechnisch gesehen. Krass. Mum klingt quietschfidel. Flixer auch. Hatte ich nicht auch noch eine Schwester?

Liebe Grüße von Sam

An s.serrailler@police.gov.uk

Von cat.deerbon@lafferton.nhs.uk

Si, liebster Bruder, wie geht’s? Hier umwerfend, 26 Grad heute, Sonne ohne Ende, und Felix beklagt sich, dass er seinen Blazer anziehen muss. Kieron fährt ihn noch immer zur Schule, aber so kann es nicht weitergehen, oder? Wie steht’s mit dem Arm? Gibt’s was Neues vom endgültigen? Ich weiß, ich soll ihn nicht erwähnen, doch du wirst dich damit abfinden müssen – hast du was von Dad gehört? Ich bin mir ziemlich sicher, die Antwort wird Nein lauten, und für gewöhnlich lässt er mir alle paar Wochen ein paar knappe Worte zukommen, aber er hat sich seit Mitte Juli nicht gemeldet. Judith kommt nächste Woche für ein paar Tage vorbei, und es wird toll sein, sie zu sehen, aber das Thema Dad wird der Elefant im Raum sein, wie immer, und das ist nicht leicht.

Hannahs Schule probt das Musical Guys and Dolls – sie schickt aufgeregte SMS, sehnt sich nach einer guten Rolle. Achtung: – wir müssen alle hin.

Sam sollte demnächst zurückkommen, weiß aber nicht wann. Er ist ziemlich unbeständig. Mit K. hat er anscheinend kein Problem. Sie kommen gut miteinander klar. Weiß der Himmel, was er dieses Jahr vorhat. Seine Abschlussnoten waren gut, aber offenbar überdenkt er gerade seine Berufswahl. Keine Ahnung, wie die ausfällt. Darüber können wir grade nicht reden. Ein oder zwei Mal hat er sogar ein Medizinstudium erwähnt. Bisher war es die ganze Zeit Polizei – obendrein auch noch bewaffnete Sondereinheiten. Und für Medizin hat er sich nie begeistert, und das muss man.

Ich habe immer gehofft, einer von den dreien würde die Familientradition fortsetzen und Mediziner werden, doch das möchte ich jetzt niemandem wünschen, es sei denn, sie sind wie besessen davon, und dann sollte es ein seltener Fachbereich sein. Neurologie wäre gut. Gesichtsrekonstruktion bei Kriegsopfern, auch gut. Pädiatrische Onkologie, okay. Allgemeinmedizin – lieber nicht.

Alles Liebe. Und ruf mal zu Hause an.

C

Simon saß am Ende des Kais in der Sonne, die laut Wetterbericht gegen Abend Regen, Sturm und hohem Wellengang weichen sollte. Es war nicht immer leicht zu sagen, wie lange das schlechte Wetter anhielt, aber wenn es nachließ, bestand die Möglichkeit, dass die spätsommerliche Sonne nicht zurückkam, schon gar nicht mit der Wärme, die sie heute noch ausstrahlte. Die Fähre sollte bald mit einer Ladung Vorräte und Post anlanden, und er wollte beim Entladen helfen. Er konnte relativ große Kartons und Kisten tragen, nur nicht die schwersten. Nicht mit dem Arm. Nicht so, wie er es früher problemlos geschafft hatte. Er hatte sich nie besonderer Muskelstärke gerühmt, obwohl er immer Sport getrieben hatte und fit war. Nach der Physiotherapie in der Reha war er wahrscheinlich so fit wie noch nie, aber man hatte ihn davor gewarnt, die Prothese übermäßig zu belasten und zu schwere Sachen zu heben oder zu tragen. Später, wenn er den neuen, endgültigen Arm hatte. Später. An dieses Wort hatte er sich inzwischen gewöhnt. Später. Doch die Physiotherapeuten waren sehr positiv eingestellt gewesen. Nein. Niemals. Geht nicht. Diese Wörter existierten in ihrem Vokabular nicht.

Er steckte sein iPhone in die Tasche. In den E-Mails hatte nichts Beunruhigendes gestanden. Sam würde sein Ziel erreichen – wie immer es aussehen mochte. Cat schien überglücklich zu sein. Aus persönlicher Sicht hatte Simon nie Einwände gegen ihre Ehe mit dem Chief gehabt. Da er noch krankgeschrieben war, hatte sich bisher beruflich noch kein Konflikt daraus ergeben, dass sein Boss gleichzeitig sein Schwager war. Das würde vielleicht auch nie vorkommen – nicht nur, weil sie sich große Mühe geben würden, einander entgegenzukommen, sondern weil er Zweifel hinsichtlich seines Wiedereinstiegs in die Arbeitswelt hegte. Was für ein Polizist konnte er noch sein? Man hatte ihm versichert, dass der Arm sich »weder auf persönlicher noch auf beruflicher Ebene in irgendeiner Weise« auswirken würde. Stimmte das?

Cats Bemerkung über ihren Vater ließ er an sich abprallen. Seit Richard Serrailler wegen Vergewaltigung angeklagt worden und es ihm gelungen war, einen ausreichend cleveren Verteidiger zu finden, der die Staatsanwaltschaft überzeugen konnte, das Verfahren einzustellen, hatte Simon sich jeglichen Gedanken an ihn aus dem Kopf geschlagen. Ihre Beziehung war immer schwierig gewesen, aber abgesehen davon hatte er nicht den leisesten Zweifel, dass der Staatsanwalt einen Fehler begangen hatte.

Er blickte aufs Meer hinaus und sah, dass die Fähre gerade in den Hafen einbog. Ein paar Leute sammelten sich dort unten, noch mehr würden erscheinen. Pub und Laden würden jetzt allmählich Vorräte für den bevorstehenden Winter anlegen und alle Lagerräume füllen, die ihnen zur Verfügung standen. Sie leerten sich teilweise in der Sommersaison, wenn die Fähren häufiger kamen. Simon sprang auf.

Die Insulaner wussten alle über seinen Unfall und den Verlust des linken Arms Bescheid, und es hatte viel freundlichen Zuspruch oder Einladungen auf einen Drink gegeben, aber ansonsten war kein großes Aufheben gemacht worden, wofür er dankbar war. Jetzt wartete er, während die Fähre vorsichtig andockte und das Tau von Bord geworfen wurde. Nur wenige Minuten vergingen, bis die ersten Kartons und Kisten entladen wurden. Simon und zwei andere luden kleinere Kartons mit Lebensmitteln auf Sackkarren, die sie dann zum Lager hinter dem Laden schoben.

»Kerzen.« Das war die Stimme der Frau, die auf der anderen Seite der Insel am Strand entlanggegangen war. Sie war groß, und ihr blondes Haar war am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden. »Sind Sie gestern angekommen?«, fragte sie.

»Vorgestern Abend.« Er hatte Schwierigkeiten, die Sackkarre zu greifen und den Abhang hinaufzumanövrieren, und wollte daher seinen Atem nicht an ein Gespräch verschwenden, was die Frau aber anscheinend sofort begriff. Sie bot ihm keine Hilfe an, ging ihm nur aus dem Weg und wuchtete ihre eigene Karre die Anhöhe hinauf.

Das Entladen, Holen, Schleppen und Einlagern dauerte eine Stunde. Die Fähre war voll beladen, und außer den zwei Mann Besatzung war niemand an Bord.

Kerzen. Batterien. Dicke Socken. Strapazierfähige Gummistiefel. Butangaszylinder. Haushaltsreiniger. Fässer mit Speiseöl. Salz. Regenkleidung. Und so weiter.

Simon blieb stehen, um zu verschnaufen. Er hatte seit seinem Unfall viel trainiert, aber seine Kraft war noch nicht wieder auf normalem Stand, und seine Schulter schmerzte höllisch.

»Fast geschafft.«

Die Frau hievte Kisten von der Sackkarre in den hinteren Bereich des Lagers und tat so, als sei es ein Klacks. Er war wütend auf sich. Vor einer Frau schlappmachen! Das wäre ihm früher nie in den Sinn gekommen. Jetzt war er gereizt. Sein Stolz war verletzt.

»Das war’s«, rief jemand. »Der Letzte zahlt.«

Gut gelaunt eilten alle zum Taransay Inn.

»Hast du Sandy schon kennengelernt?« Douglas tauchte aus dem Gedränge auf. »Sie ist kurz nach deinem letzten Besuch hier eingetroffen und gehört inzwischen zum Inventar.«

Die Frau hob ihr Bierglas. Sie war vielleicht Ende vierzig, möglicherweise etwas jünger – Wind und Wetter verliehen allen, die einen oder zwei Winter blieben, eine spröde, rötliche Gesichtshaut, die sie älter erscheinen ließ.

»Simon Serrailler.«

»Sandy Murdoch.«

Simon hatte sich ein großes Glas Malt bestellt, um den Schmerz in seiner Schulter zu betäuben. Er hatte starke Medikamente verschrieben bekommen, bevorzugte aber Whisky.

»Wie lange bleiben Sie hier?«

»Eine, zwei, drei Wochen. Ich habe keinen festen Plan.«

»Den hatte ich auch nicht. Ich kam für eine Woche, aus einer Woche wurde ein Monat, und das war so ungefähr vor vier Jahren.«

Ihr Akzent klang nicht schottisch, doch sie hatte den Tonfall von Taransay ein wenig angenommen, dessen Singsang Simon so noch nirgendwo anders gehört hatte.

»Wie finden Sie die Winter?«

Sandy zuckte mit den Schultern. »Der Wind kann einen wahnsinnig machen. Aber ich mag ihn. Man verkriecht sich.«

Das Lokal war voll, und die Neuankömmlinge hatten feuchte Schultern und Haare. Regen lief an den Fenstern herunter.

»Und Sie?«, fragte Sandy, obwohl sie ihn nicht anschaute. »Sie hatten einen Unfall.«

»Ja.«

»Mit dem Auto?«

»Nein.«

»Aha.«

»Kommen Sie, ich gebe Ihnen noch einen aus.« Simon stand auf. »Einen Bitter Shandy? Einen Kurzen?«

»Nein, nein, ich trinke das harte Zeug nicht. Nur manchmal gegen die Kälte. Aber danke.«

Kirsty war hereingekommen und sprach mit Douglas an der Bar. »Was kann ich euch bestellen? Douglas?«

»Nein, ich bin schon fast weg, um Robbie abzuholen, ich bin spät dran, und die Schule ist heute zur Abendessenszeit aus.«

Sandy winkte, als Kirsty mit wehenden Haaren hinauslief und die Regenjacke zuknöpfte.

»Douglas?«

»Danke. Nur den Single, und dann muss ich mich mit einer Rolle Zaundraht auf den Weg zur anderen Seite machen.«

Als die beiden Whiskys über die Bar geschoben wurden, füllte Douglas sein Glas aus dem Krug auf dem Tresen auf. Serrailler verzog das Gesicht. »Verdammter Frevel«, sagte er. »So ein guter Malt, und du ruinierst ihn mit deiner Limonade. Das krieg ich nie in den Kopf.«

Douglas lachte. »Irgendwelche Neuigkeiten?« Er hatte mit einem Nicken auf Simons Arm gedeutet.

»Nein, es dauert noch ein paar Wochen. Die sagen mir nicht viel.«

»Fängst du wieder an zu arbeiten, bevor du diesen bionischen Arm bekommst, wie Robbie ihn nennt?«

»Ich weiß nicht, Douglas, ich weiß es einfach nicht … die Stelle ist da, sie werden sie so lange frei halten, wie ich es möchte, aber das kann nicht für immer und ewig sein.«

»Kannst du nicht sukzessive wieder einsteigen?«

»Wahrscheinlich schon. Aber will ich das? Das heißt überhaupt wieder als Polizist arbeiten?«

»Was sonst?«

Simon leerte seinen Whisky und antwortete nicht. Die Frage hatte er sich oft gestellt, ohne eine Antwort darauf zu haben.

Douglas richtete sich auf. »Danke«, sagte er. »Sieht so aus, als hätte Sandy dir da drüben den Platz warmgehalten.«

»Wer ist sie? Jedenfalls keine Einheimische. Woher kommt sie?«

Douglas zog eine Augenbraue hoch. »Bisschen alt für dich.«

»Hör auf, das habe ich nicht gemeint, und das weißt du. Hab mich bloß gewundert. Ein Neuankömmling, der nach Taransay kommt und bleibt …«

»Tja, nun … sie hat sich von Anfang an nützlich gemacht. Apropos, ich könnte Hilfe beim Zaun gebrauchen … wäre in der Hälfte der Zeit damit fertig. Sie packt bei den meisten Sachen mit an. Hilft hier aus, wenn im Sommer viel Betrieb ist. Iain sagt, sie muss in einem anderen Leben selbst eine Kneipe geführt haben. Aber jetzt geht es um den Zaun.« Er schob sich durch die volle Gaststube zu Sandys Platz.

Erst als Simon zum Laden hinüberging, um ein paar Vorräte zu holen, fiel ihm ein, dass Douglas ebenso gut ihn hätte bitten können, beim Zaunbau zu helfen. Aber er hatte es nicht, und das stieß Simon bitter auf.

Phantomschmerzen

Подняться наверх