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Die Klänge des Lebens

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 Du kannst die Übung im Sitzen, Liegen oder Stehen machen. Die Position spielt keine Rolle. Mach es dir so bequem wie möglich.

 Beginne den Klängen in deiner Umgebung zu lauschen. Das können die Geräusche der Heizung oder der Klimaanlage, des Windes, des Regens oder des Straßenverkehrs sein.

 Du musst die Geräusche weder benennen, noch an ihnen festhalten oder versuchen, sie auszublenden. Erlaube dir, den Klängen, so, wie sie sind, zu lauschen.

 Stell dir vor, dass du mit deinem ganzen Körper zuhörst und die Geräusche aus allen Richtungen aufnimmst von oben, unten, vorne und hinten.

 Nimm wahr, dass jedes Geräusch, jeder Klang so wie jede Geschichte einen Anfang, einen mittleren Teil und ein Ende hat.

 Vielleicht empfindest du manche Geräusche als lästig oder nervig, während andere keine Reaktion auslösen. Beurteile die Geräusche nicht, lausche einfach.

 Es ist kein Problem, wenn du gedanklich abschweifst; lenke die Aufmerksamkeit einfach wieder auf die Geräusche im Raum und den gegenwärtigen Moment.

 Schau, ob du dir erlauben kannst, bei den momentanen Klängen zu verweilen so wie sie sind.

 Auch wenn das ein schwieriger Moment ist: Mach dir bewusst, dass diese Komposition von Klängen und Geräuschen nie wieder genauso auftreten wird.

 Wenn du bereit bist, nimm einen tiefen Atemzug, bewege leicht die Hände und Beine und öffnen die Augen, falls du sie geschlossen hattest.

Als Valerie ihre Erfahrung reflektierte, erkannte sie, dass es ihr half, den Geräuschen in Matthis Zimmer zu lauschen: So konnte sie eher präsent bleiben und vermeiden, sich in Ängsten oder Katastrophendenken zu verlieren, was normalerweise ein Leichtes für sie war. »Normalerweise hätten mich diese Töne genervt, das Pipsen der Monitore, die Geräusche des Sauerstoffgeräts, der Infusion, aber jetzt hatten sie etwas Beschützendes. Ich wusste, dass ihn die Maschinen mit ihren blinkenden Lämpchen und ihrer Aktivität am Leben hielten. Und dieses Wissen hielt mich davon ab, zu einem hysterischen Nervenbündel zu werden.«

Diese Praxis half Valerie, eine dramatische Situation zu überstehen, aber sie ist auch im Alltag sehr nützlich. Obwohl sich Meditations- und Yoga-Lehrerinnen und -Lehrer meistens auf den Atem konzentrieren, ist das vielleicht nicht für alle der beste Weg. Sich auf die Innenwelt statt auf die äußere zu fokussieren kann unangenehme Emotionen und Erinnerungen hochbringen. Für Menschen mit einer von Ängsten und Traumata belasteten Vorgeschichte ist ein sanfter Weg, Achtsamkeit ins tägliche Leben zu bringen, die Aufmerksamkeit auf die Klänge und Geräusche der Umgebung zu richten. Viele Leute, die Vorbehalte gegenüber Meditation haben, finden leichter Zugang zu dieser Praxis. Und sie ist einfach. Wir müssen nichts dazu tun, dass die Geräusche kommen und gehen. Wir müssen sie nicht manipulieren. Wir können Geräuschen und Klängen ohne jede Anstrengung lauschen. Das Geräusch taucht auf, wir hören es und wir sind präsent.

Rosa kam zu mir, weil sie Hilfe suchte, um ihren stressigen Alltag mit drei kleinen Kindern und einer betagten Mutter, die nach einer Knieoperation Pflege brauchte, bewältigen zu können. Sie glaubte nicht, dass Achtsamkeit für jemanden mit einem so stressigen Leben funktionieren würde. Ich sagte ihr, die Praxis sei wie ein Welpen-Training, denn sie erfordere Geduld, eine Portion Humor und Selbstakzeptanz. Sie hielt sich dafür nur drei Minuten täglich frei und stellte fest, dass sie »mit einem Geräusch nach dem anderen« in den gegenwärtigen Moment zurückkehren konnte. Indem sie sich auf die Geräusche in ihrer Umgebung fokussierte, während sie zwischen dem Fußballtraining der Kinder und der Pflege ihrer Mutter hin und her raste, nahm ihre innere Unruhe ab.

Alexandra hatte eine traumatische Vorgeschichte mit sexuellem Missbrauch. Sie wollte es mit Achtsamkeit probieren aber sie wurde unruhig, wenn sie versuchte, ihren Atem zu spüren. Umgebungsgeräuschen zu lauschen wurde für sie zu einem Weg, sich zu stabilisieren und in den gegenwärtigen Moment zu kommen. Immer wenn sie das Gefühl hatte, von Erinnerungen überwältigt zu werden, oder von der Angst, dass ihrer Tochter etwas Schlimmes zustoßen würde, halfen ihr das Summen der Klimaanlage oder die Geräusche des Straßenverkehrs, ihr Gewahrsein im Moment und in ihrem gegenwärtigen Leben zu verankern – Geräusche, die sich so sehr von denen in ihrem einstigen ländlichen Zuhause unterschieden, wo der Missbrauch stattgefunden hatte. Nach einer längeren Zeit des Übens, bei der sie sich immer wieder auf die Geräusche und Klänge ihres hart erkämpften neuen Lebens und ihr Kind fokussierte, ließen ihre Grübeleien über das Trauma allmählich nach. Wir können auch Umgebungsgeräuschen lauschen und uns dabei noch auf unsere anderen Sinne einstimmen, zum Beispiel beim Gehen oder wenn wir im Bus sitzen, oder beim Geschirrspülen. Während unsere Gedanken in die Zukunft eilen oder in der Vergangenheit hängen bleiben, sind unsere Sinne immer in der Gegenwart.

Achtsamkeit und Mitgefühl sind nicht nur Praktiken für erschöpfte, gestresste Eltern, die versuchen, mit zu vielen Bällen zu jonglieren, ohne sie fallen zu lassen. Sie sind Werkzeuge fürs Leben. Es sind Fertigkeiten, die dir helfen können, die Folgen der wahrlich herausfordernden Situationen zu bewältigen, mit denen wir alle konfrontiert sind: Familien, die unsere Bedürfnisse ignorierten oder in denen Missbrauch geschah, der emotionale Stress durch Krankheit, finanzielle Belastungen, die Härten als Alleinerziehende, Traumata und die Folgen von Suchterkrankungen. Achtsamkeit und Mitgefühl vermitteln uns eine neue Einstellung zu unseren Belastungen und die Freiheit, nicht durch unsere Vorgeschichte und die Ereignisse unseres Lebens definiert zu werden.

Selbstmitgefühl für Eltern

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