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Keine Lust nach der Geburt eines Kindes: Ich habe Schmerzen

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Als Sarah zu mir in die Praxis kommt, erklärt sie mir, dass sie durch die Geburt der Tochter Probleme bekommen habe. Sie habe einen Dammriss gehabt und dieser sei nicht gut verheilt. Seitdem verkrampfe sie jedes Mal, wenn sie versuche, mit ihrem Partner Geschlechtsverkehr zu haben. „Damals ging es los, ich habe mich auf einmal quasi durchtrennt gefühlt. Ich habe zwischen meinem Genital, Herz und Kopf, keine Verbindung mehr gespürt. Für mich war die Geburt damals wie ein traumatisches Erlebnis, mit dem ich zu kämpfen hatte. Ich bin auch depressiv geworden dadurch.“ Sarah erzählt mir weiter, dass sie nach einem Weg gesucht habe, aus ihrer Depression und sexuellen Unlust herauszukommen. Bei der Lösungssuche im Internet stieß sie auf den Begriff Yoni-Heilmassage. Sie wusste nicht genau, was dahintersteckt, aber irgendwie war ihre Neugierde geweckt. Sie fing an, im Internet zu recherchieren und alles zu lesen, was sie über dieses Thema finden konnte.

Frauen wie Sarah kommen oft in die sexologische Praxis. Sexuelle Unlust nach der Geburt eines Kindes ist keine Seltenheit. Dafür gibt es sicherlich verschiedene Gründe. Die neuen Aufgaben und die damit verbundene Überforderung, der Wechsel von der Zweisamkeit in die Dreisamkeit, die neue Rolle als Mutter bei oft gleichzeitiger Fortführung des beruflichen Alltags mit den dazugehörenden Widersprüchen dieser doppelten Belastung gehören sicherlich zu den häufigsten Gründen für sexuelle Unlust nach der Geburt eines Kindes.

Die individuelle Bedeutung von Sexualität spielt dabei eine wesentliche Rolle: Was verbinden wir mit Sex? Welche Bedürfnisse wollen wir dadurch befriedigen? Schlicht und ergreifend: Warum möchten wir Sex haben? Diese Frage scheint zunächst banal zu sein. Jedoch liefert ihre Beantwortung aufschlussreiche Elemente, um die tieferen Gründe zu verstehen, weshalb „plötzlich“ keine Lust mehr da ist.

Wahrscheinlich ist für viele Frauen der Sinn von Sexualität hauptsächlich mit ihrer Fortpflanzung gekoppelt, sodass Sexualität, wenn die Familienplanung beendet ist, die Priorität in ihrem Leben verliert und andere Aspekte wichtiger werden. Oder aber der Sex diente hauptsächlich als Befriedigung emotionaler Bedürfnisse von Nähe und Bindung, die nach der Schwangerschaft nun vom eigenen Kind durch die intensive Nähe mehr als genug erfüllt werden. Vielleicht war der Sex vor der Schwangerschaft auf der körperlichen Ebene auch nicht wirklich befriedigend und insgesamt nicht besonders erfüllend, wurde aber damals so in Kauf genommen, weil er eine Funktion erfüllte, und zwar jene, schwanger zu werden. Nach der Geburt des Kindes und den damit verbundenen Veränderungen sind aber sowohl das Interesse als auch die Ressourcen dafür nicht mehr vorhanden. Wenn dann auch noch ungelöste Beziehungskonflikte hinzukommen, wird die Geburt des Kindes der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Was jedoch mit dem Körper einer Frau bei der Geburt genau passiert, wird häufig einfach ignoriert und als selbstverständliches Opfer hingenommen, worüber es sich eben nicht zu reden gebührt. Diese Tabuisierung führt zum Schweigen und das Schweigen führt zu keiner Lösung. Wie Sarah sind immer wieder Frauen zu mir gekommen, die ähnliche Geschichten erzählten, zwar nicht sofort, aber irgendwann, wenn sie ein wenig Mut und das Vertrauen gefasst hatten, dass ich sie deswegen nicht verurteile, dass sie nicht mehr stillschweigend versuchen, damit klarzukommen, was mit ihrem Körper passiert ist oder ihm angetan wurde. Dazu gehören auch andere chirurgische Eingriffe, die mit dem Urogenitalapparat zu tun haben. Eine meiner ersten Klientinnen hatte eine Laserbehandlung an der Vulva bekommen. Seitdem hatte sie keine Verbindung mehr zu ihrem Genital und litt an sexueller Unlust und zunehmend unter den Konflikten in ihrer Beziehung, weil sie sich sexuell immer mehr zurückgezogen hatte. Die Unversehrtheit der eigenen Vulva und Vagina kann durch die Geburt eines Kindes, durch die dabei notwendigen Eingriffe oder durch eine urogenitale Erkrankung wie eine wiederkehrende Blasenentzündung oder andere Infektionen abhandenkommen. Damit geht auch ein Stück Selbstverständlichkeit verloren, die den Zugang zum Sex leicht und unkompliziert machen würde.

Es entsteht eine Schmerzspirale: Bei jedem neuen Versuch einzudringen, schützt sich der Körper durch Verkrampfung davor, was zu noch mehr Schmerz führt. Diese Spirale zu durchbrechen und das eigene Genital als einen Ort lustvoller Momente zu erleben, ist die wichtigste Aufgabe in der Sexualtherapie. Zu diesem Zweck kann die heilende Wirkung achtsamer sinnlicher Massagen eingesetzt werden. Dadurch konnte bspw. Sarah – wie andere Frauen auch – einen neuen Bezug zu ihrem Körper und vor allem zu ihrem Genital herstellen und die traumatische Erfahrung heilen. Der Weg zur Lustinsel ist für Sarah wieder frei (vgl. auch Anhang).

Sinnliche Intimität

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