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Ich kann nicht kommen

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Im Laufe der Gespräche mit Marion kommen verschiedene Themen auf, die mit ihren Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu bekommen, verbunden sind und ihre Unlust verursacht haben konnten. Auch in ihrem Fall spielen verschiedene Ursachen eine Rolle. Neben der Tatsache, dass es in langjährigen Beziehungen nichts Ungewöhnliches ist, dass das Begehren nachlässt und ungelöste Konflikte in der Partnerschaft oft im Schlafzimmer in Form von Lustlosigkeit oder anderen sexuellen Symptomen ausgetragen werden, wird relativ bald deutlich, dass Marions Unlust wesentlich von der Tatsache beeinflusst wird, dass sie noch nie einen vaginalen Orgasmus erlebt hat und eigentlich nur mit einem Vibrator in der Selbstbefriedigung zum Höhepunkt kommen kann. Diese Tatsachen führen irgendwann auf beiden Seiten zur Frustration: Ihr Partner fühlt sich in seiner Männlichkeit und Genitalität nicht wirklich angenommen, während Marion sich auf Dauer nicht mehr so motivieren und auch keine Lust auf Geschlechtsverkehr entwickeln kann, weil er ihr noch nie wirklich Spaß gemacht hat und mit der Zeit zu einer Art „Pflichtveranstaltung“ geworden ist.

Marion hatte sich vor unserem Termin bereits ausführlich erkundigt, sie hatte über diese Thematik viel gelesen und nickt mir zu, als ich ihr davon erzähle, dass sie womöglich einen Erregungsmodus hat, der ihr nicht ermöglicht, beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt zu kommen. Das hatte sie tatsächlich bereits für sich festgestellt und sie hatte auch allein versucht, etwas zu verändern, indem sie angefangen hatte, sich anders zu berühren. Das Ergebnis war jedoch eher frustrierend gewesen und darum griff sie dann doch immer wieder zum Vibrator, weil das schon immer gut funktioniert hatte (vgl. auch Anhang).

Die Idee mit der Massage kommt ihr im Laufe der Zeit, nachdem ich ihr von den Gruppen erzählt habe, in denen Körperarbeit angeboten wird und achtsame sinnliche Berührung erfahren, erlernt und praktiziert werden kann. Nachdem sie einige Einzelsessions erlebt und davon profitiert hat, entschließt sie sich, an den Selbsterfahrungsgruppen teilzunehmen, die regelmäßig stattfinden und das Erlernen und Praktizieren achtsamer sinnlicher Berührung als Schwerpunkt haben.

So wie Marion kommen viele Frauen in meine Praxis, die in ihrem Leben entweder noch gar keinen Orgasmus – weder allein noch mit Partner*innen – erlebt haben oder ihn nur begrenzt erleben können, vor allem können sie es nicht beim und durch den Geschlechtsverkehr selbst. Das führt meist früher oder später zur Frustration beim Sex und zum Rückzug bei jeglicher sexueller Annäherung. Gerade der Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau kann für die Frau – aber auch für den Mann – frustrierend sein, wenn es dabei nie zum Genuss und zum Orgasmus kommt. Auch wenn es für den Mann oft leichter ist, an den eigenen Genuss zu denken und die eigene Erregung im Fokus zu behalten, wird das Thema doch oft Quelle von Konflikten, wenn der Geschlechtsakt selbst auf Dauer für die Partnerin nicht wirklich befriedigend ist.

Marion macht sich auf den Weg, ihre Lust- und Orgasmusfähigkeit zu erweitern. Sie hat sich dabei auf verschiedenen Ebenen mit ihrer Problematik auseinandergesetzt. Sie hat ihre eigene Geschichte hinterfragt und dabei einige Glaubenssätze entdeckt, die sie daran hinderten, eine lustvolle Frau zu sein. Überzeugungen, die sie dazu brachten, ihre Lust zu kontrollieren, selbst steuern zu wollen, und die sie daran hinderten, sich ihrem Partner komplett hinzugeben.

Das Bedürfnis, die Kontrolle zu behalten, hat tiefe Wurzeln. Die Angst vor Kontrollverlust, einer der Hauptgründe für die Orgasmusproblematik, kann in der eigenen Kindheit ihren Ursprung haben. Auch Unsicherheit in der aktuellen Beziehung, wenn diese nicht die erwünschte emotionale Basis bietet oder es tiefgründige, ungeklärte Konflikte gibt, kann ein Hindernis auf dem Weg zum Orgasmus sein. Es kommt immer wieder vor, dass eine Frau zu mir kommt, weil sie endlich „orgasmusfähig“ werden möchte, und mir dann von ihrem unsteten Beziehungsleben erzählt, worunter sie sehr leidet: Der*die Partner*in lässt sich nicht ganz auf die Beziehung ein, es gibt/gab schwerwiegende Vertrauensbrüche in der Beziehung, es bestehen Zweifel an der Partnerschaft selbst und andere ähnliche Gründe. In solchen Fällen ist es mühsam, sich mit der Orgasmusproblematik zu beschäftigen, weil die anderen Themen so vordergründig sind. Zunächst sollten tatsächlich diese Fragen geklärt werden. Bleiben sie ungeklärt, stellen sie ein großes Hindernis für die Hingabe und das Loslassen dar. Manchmal ist es auch die Frau selbst, die sich nicht wirklich auf die Beziehung einlassen kann oder möchte. Statt es sich selbst – und dem*der Partner*in – einzugestehen, wird der Weg über den Körper als nonverbale Kommunikation gesucht. Der Körper, der sich nicht hingibt, spricht in diesem Fall für die Seele, die nicht ganz bereit ist, sich zu öffnen.

Bei einer solchen Beziehungsdynamik würde ich so weit gehen und behaupten, dass der fehlende Orgasmus eine positiv einzuschätzende Schutzreaktion auf eine emotional unbefriedigende Situation sein kann, die zunächst von der Betroffenen angeschaut werden sollte.

Häufig ist das sexuelle Problem – in diesem Fall der fehlende Orgasmus – ein unbewusstes Mittel, um die Nähe zum Partner oder zur Partnerin so zu gestalten, dass sie erträglich ist: entweder, weil die Beziehung emotional nicht ausreichend gefestigt ist, oder weil Nähe aus tief verwurzelten eigenen Konflikten heraus als ambivalent und mitunter sogar als gefährlich erlebt wird. Denn Befriedigung und Erfüllung beim Sex gehen mit viel Nähe, Offenheit und Intimität einher. Es kann nicht das eine ohne das andere geben.

Nach einigen Sitzungen zur Klärung ihrer Beziehungssituation kommen wir zum Thema Berührung. Marion ist sehr neugierig, auch wenn sie aufgrund ihres Hintergrunds etwas misstrauisch gegenüber „esoterischen“ Ansätzen ist. Sie beschreibt sich als feministische Intellektuelle und findet zunächst einiges – die Anleitungen zur Meditation und die Atemübungen – ziemlich fremd und seltsam. Dennoch entscheidet sie sich, an einer Gruppe teilzunehmen, in der achtsame sinnliche Berührung als zentrales Element praktiziert wird. Im Laufe der Zeit kommt sie auf die Idee, eine Einzelsitzung zu buchen. Auf diese folgen andere. Und irgendwann kann sie dabei zum ersten Mal die Erfahrung machen, durch vaginale Stimulation zum Höhepunkt zu kommen. Das ist für sie ein sehr besonderer Moment, der sie motiviert, auf diesem Weg zu bleiben und ihre Erfahrung zu vertiefen und zu verankern.

So wie Marion geht es vielen Frauen, die ihre Inselschätze noch nicht vollständig entdeckt haben. Neugierig und experimentierfreudig zu bleiben kann für unerwartete Entdeckungen sorgen.

Sinnliche Intimität

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