Читать книгу Ich und die Perlweißkuh - Susanne Fülscher - Страница 5

Оглавление

1

Elf zu sein ist kein Vergnügen. Man ist weder Fisch noch Fleisch, weder Karpfen noch Dackel, sondern einfach nur elf. Elf und ziemlich hilflos, wenn es um rotgesichtige Mütter geht, die einfach, ohne zu klopfen, ins Zimmer platzen, mit einem Fetzen von Kleid wedeln und einen zur Schnecke machen.

»Lina, das Teil kann ich wegwerfen!« Mum baute sich vor meinem Schreibtisch auf und schnaubte wie ein feuerspeiender Drache.

Ich blickte von der Matheaufgabe auf. Im ersten Moment wusste ich wirklich nicht, was ich damit zu tun haben sollte, dass sie ihr Kleid entsorgen musste. Doch Mum machte noch einen Schritt auf mich zu und hielt mir das gepunktete Etwas hin. »Hier! Und hier! Und hier!«

Irgendwie konnte ich gar nichts weiter erkennen, außer ein paar Tuschespritzern vielleicht, aber die ließen sich doch locker wieder rauswaschen. Wahrscheinlich waren sie aus Versehen draufgekommen, als ich die Blumenwiese auf dem Küchentisch getuscht hatte.

»Und? Was sagt Madame jetzt?!« Als Ergänzung zu ihrem roten Kopf hatte Mum nun auch noch jede Menge Flecken am Hals.

»Was soll ich denn sagen?«, fragte ich mit Zuckerwattestimmchen. Besser auf ahnungslos machen.

»Dich vielleicht mal entschuldigen?«

»Tschuldigung, Mum.«

»Mehr nicht? Ist das alles?« Sie war jetzt kurz vorm Explodieren und ich verstand überhaupt nichts mehr. Eben noch hatte sie verlangt, dass ich mich entschuldigte, kaum tat ich es, regte sie sich umso mehr auf. Aber so waren Erwachsene nun mal. Immer sagten sie Dinge, die sie dann doch nicht so meinten.

Mum rührte sich nicht vom Fleck. Irgendetwas musste ich mir jetzt einfallen lassen, sonst würde sie noch übermorgen hier rumstehen und mich böse anstarren.

»Aber die Blumenwiese ist doch schön geworden, oder?«

»Die Blumenwiese – ?! Die Blumenwiese – ?!« Mum spuckte fast schon Gift und Galle. »Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst in deinem Zimmer tuschen! Dann hätte ich jetzt noch ein Kleid, um wenigstens ab und zu mal auszugehen!«

Sie zerknautschte den gepunkteten Lumpen, klemmte sich ihn unter die Achsel, machte auf dem Absatz kehrt und flatterte zur Tür hinaus.

Ich musste mich erst mal beruhigen. Und weil ich am besten in der Horizontalen denken kann, legte ich mich auf mein Eisenbett und studierte die vielen selbst gemalten Bilder an der orange gewischten Wand. Tulpen, Äpfel in der Schale, am liebsten mochte ich jedoch die Katze im Salatbeet, auch wenn die Salatköpfe mehr Medizinbällen als essbarem Grünzeug glichen. Von draußen war das lautstarke Geklapper des Geschirrs zu hören.

Dann hätte ich jetzt noch ein Kleid, um wenigstens ab und zu mal auszugehen! Was für ein Unsinn. Als würde ich Mum ständig daran hindern auszugehen. Sie konnte von Glück sagen, dass es mir nichts ausmachte, abends alleine zu bleiben. Außerdem ging sie für ihr Alter wirklich oft genug aus. Einmal die Woche mindestens und Verehrer hatte sie dank ihrer Shakira-Figur wie unsere Nachbarin Frau Schöller-Gnosemann Haare an den Beinen.

Am späten Nachmittag kam Mum dann ein zweites Mal in mein Zimmer geschossen. Zum Glück ohne Kleiderfetzen unterm Arm. Und sie sah auch nicht mehr wie ein feuerspeiender Drache aus.

»Die Blumenwiese ist wirklich schön geworden«, meinte sie anerkennend, setzte sich zu mir aufs Bett und musterte den dunkelblauen Teppich, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen.

Noch während ich darüber nachgrübelte, warum Mum plötzlich wieder so nett war, sagte sie mit Weichspülerstimme: »Linchen. Hör mal ... Ich muss da was mit dir besprechen.«

Alles klar. Wenn Mum diesen Tonfall anschlug, plante sie meistens ein Attentat. Und in 95,7 % der Fälle hatte das Attentat dann mit Hausarbeit zu tun, die ich zu erledigen hatte. Von Klo schrubben bis zu Keller ausmisten war da alles drin.

Ich zog die Knie bis zum Kinn und beäugte Mum misstrauisch. Doch die saß nur stumm da und versuchte verzweifelt sich eine der halblangen Pony-Haarsträhnen hinters Ohr zu klemmen. Warum fing sie nicht endlich an zu reden? Erst als ich sie mit dem Fuß anstupste, stammelte sie: »Tja ... Wie soll ich sagen ...« Umständliches Räuspern. »Ich hab da jemanden kennen gelernt.«

Ich nickte. Dass Mum jemanden kennen lernte, war schon öfter vorgekommen.

»Niklas heißt er.«

Wieder nickte ich.

Mum lachte kieksend. »Stell dir vor – Niklas ist auch alleinerziehend.«

Alleinerziehend. Aha.

»Und er hat eine Tochter ... Die ist genauso alt wie du!«

»Ja und?« Ich warf mich auf den Bauch und tauchte in mein mit weißen Spitzen umrandetes Kuschelkissen ab. Und wenn dieses Mädchen am gleichen Tag wie ich geboren wäre – meine Freundinnen suchte ich mir schon selbst aus.

Mums Hand krabbelte an meinem Nacken herum.

»Linchen?«

»Du kannst das Geld für die Reinigung von meinem Taschengeld abziehen«, grunzte ich ins Kissen. Das wollte sie doch bestimmt hören.

Aber Mum erwiderte nichts, sondern zupfte und zerrte so lange an mir herum, bis ich mich schließlich umdrehte.

»Mach dir wegen des Kleides mal keine Gedanken.« Zum Glück hatte sie jetzt ihren alten Mum-Gesichtsausdruck wieder. »Es ist nur so ... Also, die Sache mit Niklas und mir ...«

So wie Mum rumstotterte, stand da wohl eine ganz schreckliche Beichte an.

»Lina – diesmal ist es was Ernstes.«

Ich schoss wie eine Rakete in die Senkrechte. »Was soll das heißen – was Ernstes?«

»Dass wir uns vorstellen können, eines Tages ... also irgendwann in ferner Zukunft ... zusammenzuziehen.«

Ich sah Mum entgeistert an. Eben erzählte sie mir, dass sie jemanden kennen gelernt habe, und schon läuteten die Hochzeitsglocken? Da war doch irgendwas faul.

»Seit wann kennst du diesen Niklas denn?«

»Na ja ...« Mum lief schweinchenrosa an. Allerdings ohne Inselgruppe am Hals.

»Seit wann?«, hakte ich drohend nach.

»Lass mich überlegen.« Mum legte die Stirn in Falten, so als sei es wahnsinnig anstrengend, sich zu erinnern. »Seit einem halben Jahr vielleicht?«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst!

»Linchen, ich ...«

Aber da hatte ich mich schon vom Bett hochgerappelt und war aus dem Zimmer gerannt. Einen Moment überlegte ich, ob ich mich auf dem Klo einschließen sollte, nur würde das auch nichts an dieser grausamen Tatsache ändern. Also flüchtete ich mich ins Wohnzimmer, warf mich auf das knarzende Rattansofa und schaltete aus Protest den Fernseher an. Mum kam kurz darauf nach, die Daumen in die Schlaufen ihrer ausgewaschenen Lieblingsjeans gehakt.

»Aber ich will nicht, dass hier jemand einzieht!«, schrie ich, indem ich den Ton lauter und lauter drehte. »Keiner soll bei uns einziehen!«

»Hier wird auch niemand einziehen.« Mum nahm mir die Fernbedienung aus der Hand, dann stellte sie den Fernseher leiser. »Wir müssten uns wenn sowieso eine größere Wohnung suchen. Aber so weit sind wir noch lange nicht.«

Erst jetzt ging mir auf, was diese angeblich ernste Sache so alles nach sich ziehen würde. Vorbei die gemütlichen Zeiten zu zweit. Stattdessen würden wir mit irgendeinem Heini und seiner blöden Tochter zusammenleben. Ohne mich, liebe Leute. Nicht mal eine Katze durfte ich mir anschaffen, doch wenn zwei ganz bestimmt ekelhafte Kreaturen in meinem Leben mitmischen wollten, musste ich Ja und Amen sagen.

Ich und die Perlweißkuh

Подняться наверх