Читать книгу Ich und die Perlweißkuh - Susanne Fülscher - Страница 8

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Eine halbe Stunde später brachte mir Mum mein Frühstück ins Zimmer. Zum Glück sah sie wieder ganz normal aus. Keine verschmierte Wimperntusche, kein Griesgramgesicht.

»Soll ich Berta und Niklas absagen?«, fragte sie netterweise.

Ganz die liebe kleine Lina, schüttelte ich den Kopf und dachte insgeheim: Oh ja bitte, tu’s! Tu’s für mich!

» Willst du nicht Ole Bescheid sagen? Er könnte mit uns ...«

»Nein, vielen Dank.«

Zwar war die Idee gar nicht mal übel, ich mit männlicher Verstärkung an meiner Seite, doch letztlich konnte mir Ole ja doch nicht helfen. Außerdem hätte er in seiner Panik, für meinen Verlobten gehalten zu werden, sowieso nicht mitgespielt. Meine neue Fast-Schwester Berta ... Wahrscheinlich hatte sie Glubschaugen, Warzen im Gesicht und fettige Haare. Wie peinlich, Ole so eine vorstellen zu müssen.

Nach dem Frühstück hatte ich mich immerhin wieder so weit eingekriegt, dass ich Mum bei den Vorbereitungen helfen konnte. Das Radio dudelte leise und außer »Gibst du mir bitte mal das Mehl?«, »Ach ja, und noch das Backpulver«, »Du, die Butter steht ganz hinten im Kühlschrank« redeten wir nicht viel. Das war wahrscheinlich auch besser so. Sonst hätte es doch nur wieder Streit gegeben.

Zum Mittagessen schmierten wir uns ein paar Brote, danach deckte ich den Esstisch im Wohnzimmer und faltete Servietten mit Blümchenmuster. Normalerweise tat ich so etwas nur zu Ostern und zu Weihnachten und schon gar nicht, wenn unliebsamer Besuch ins Haus stand, aber irgendwie lenkte es mich davon ab, dass der Zeiger der Uhr immer weiter vorrückte. Warum tuckerte mein Herz eigentlich wie verrückt? War Niklas etwa mein Lover?

Um drei sollte das Berta-Niklas-Gespann antanzen, um Viertel vor drei stand ich in meinem neuen T-Shirt vorm Spiegel in unserem schlauchartigen Badezimmer und kämmte meine sperrigen Wischmopp-Haare. Schon seit Urzeiten wollte ich lange Haare haben, doch statt vernünftig nach unten zu wachsen, standen sie nur kraus vom Kopf ab. Das war einfach gemein. Immerhin hatte Mum schöne glatte, braune Haare, Omi hatte graue, glatte und Opa ein paar glatte Fitzelsträhnchen in weiß. Was also nur bedeuten konnte, dass ich den Wischmopp von meinem Vater geerbt hatte. Mum behauptete zwar steif und fest, mein Vater hätte nie im Leben krause Haare gehabt, nur irgendwer musste das Gewächs auf meinem Kopf ja zu verantworten haben!

In meiner Not flocht ich mir zwei Zöpfe und steckte sie mit etlichen bunten Spangen am Hinterkopf fest. So war die Katastrophe nicht gleich auf den ersten Blick zu erkennen.

Es klingelte, gleichzeitig machte mein Herz einen doppelten Salto. Eine Sekunde lang dachte ich, komm, Lina, reg dich ab, das ist nur Ole, der dich zum Skaten abholen will, doch da wurde mir schlagartig klar, dass es nicht Ole sein konnte – ausgeschlossen!

Ich hörte hastige, klackende Schritte in der Wohnung, die Haustür wurde aufgerissen und schon quiekte Mum in viel zu hoher Tonlage: »Schön, dass ihr da seid, na, da freu ich mich aber, ach, hallo Berta, hallo, hallo, ach, und Herr Kaiser ist auch mitgekommen, da wird sich Lina aber freuen ... – Lina, komm mal! Der Besuch ist da!«

Wer zum Teufel war Herr Kaiser? Hatte das Berta-Niklas-Gespann jetzt gleich noch seinen Versicherungsvertreter, Notar oder Steuerberater mitgebracht?

Ich klemmte eine letzte sperrige Haarsträhne fest, stieß innerlich Indianergeheul aus, dann ging ich wagemutig auf den Flur. Das Erste, was ich wahrnahm, war ein Pfeil, der auf mich zugeschossen kam, netterweise jedoch einen halben Meter vor mir knurrend stehen blieb.

»Herr Kaiser, komm sofort hierher!«, gellte eine Männerstimme durch die Wohnung.

Das Untier fletschte noch ein letztes Mal die Zähne, danach trottete es mit hängendem Kopf davon.

Ich stand einfach nur da, zitternd wie Espenlaub. Herr Kaiser war also ein Hund. Ein riesiger Köter, um genau zu sein. Was um Himmels willen hatte ein riesiger Köter in unserer Wohnung zu suchen? Endlich traute ich mich wieder aufzublicken. An der Garderobe lehnte ein großer, bleicher Mann – vom Aussehen her in etwa so prickelnd wie ein Schluck Wasser ohne Kohlensäure –, daneben stand ein ebenfalls hochgewachsenes Mädchen mit langen, glatten, blonden Glanzhaaren und einer eng am Hals anliegenden Tattoo-Kette.

Das konnte nicht Berta sein – unmöglich! Abgesehen von der Haarpracht trug das Wesen auch noch ein bauchfreies T-Shirt. Und zwar nicht nur ein fast bauchfreies, sondern ein ganz und gar bauchfreies!

»Hi, ich bin Berta«, sagte die Außerirdische mit Perlweiß-Lächeln und ging in die Knie, um die Bestie namens Herr Kaiser ausführlich abzuknutschen.

»Und? Willst du nicht Guten Tag sagen?« Mum lächelte so angestrengt, als würde sie dafür bezahlt werden.

»Tag«, nuschelte ich, machte mir jedoch nicht die Mühe, zur Tür zu gehen und Pfötchen zu geben. Was natürlich auch mit Herrn Kaiser zusammenhing, der garantiert nur darauf wartete, mich wieder ausgiebig anzuknurren.

»Also, das ist Lina ...«, Mum deutete auf mich, dann zeigte sie auf die Haustür, »und das ist unsere Wohnung.« War Mum jetzt völlig verrückt geworden? Seit wann war unsere Haustür unsere Wohnung?

Aber der farblose Mann lächelte nur und reichte Mum einen Strauß roter Rosen.

»Oh, danke! Oh vielen Dank!« An ihrem Hals hatten sich wieder ihre Lieblingsflecken ausgebreitet. Zum Glück nicht in Herzform.

»Soll ich Herrn Kaiser besser im Auto lassen?« Da der Farblose mich anguckte, ging ich davon aus, dass die Frage auch an mich gerichtet war.

»Ja!«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen.

»Aber Herr Kaiser tut keiner Fliege was zu Leide!« Berta umhalste die Bestie, knuddelte und küsste sie, was mich fast dazu brachte, mich an Ort und Stelle zu übergeben.

»Na ja, wenn das so ist, kann er doch auch hierbleiben.« In Sekundenschnelle drehte sich Mum zu mir um und warf mir einen warnenden Blick zu.

Ich fand das einfach nur unverschämt. Jeder Hundebesitzer sagte von seinem Vieh, dass es keiner Fliege etwas zu Leide täte, und im Zweifelsfall entpuppten sich die Köter dann doch als Kampfmaschinen.

»Herr Kaiser kommt ins Auto«, beendete der Farblose die Diskussion.

Uff. Ein Pluspunkt für Mums Lover.

Berta zuckelte beleidigt ab. Herr Kaiser war wohl genauso beleidigt, jedenfalls drehte er sich noch einmal um und warf mir einen traurigen Hundeblick zu. MIR! Hatte er sich doch selbst zuzuschreiben, dass er bei der anstehenden Fressorgie nicht dabei sein durfte!

Während Berta den Hund wegbrachte, zeigte Mum dem Farblosen die Wohnung. Das Wohnzimmer mit dem Rattansofa und den Urwaldzimmerpflanzen, mein Zimmer, Mums Puffhöhle von Schlafzimmer (rote Wände, Goldspiegel und fließende Samtstoffe), die Küche und unser Mini-Badezimmer. Ich hielt mich zwar im Hintergrund, ließ die beiden jedoch keine Sekunde aus den Augen. Nicht dass sie noch zu knutschen anfingen, in der Puffhöhle verschwanden und ich mich dann mit der Perlweißkuh in bauchfrei allein abgeben durfte.

»Klasse T-Shirt«, meinte Berta, als sie kurz darauf zurückkam und sich neben mich an die Kaffeetafel pflanzte.

»Danke, aber deins finde ich besser«, sagte ich, ohne nachzudenken. Im gleichen Moment hätte ich mir am liebsten die Zunge abgebissen. Ich wollte Berta keine Komplimente machen! Wahrscheinlich kriegte sie sowieso schon täglich unzählig viele Komplimente und war bis zum Umfallen eingebildet. Doch Berta grinste nur und murmelte etwas, das wie geht so klang.

Dann aßen wir Marmor- und Apfelkuchen. Das heißt, Berta und ich schlangen runter, was sich bis zur ersten Übelkeit runterschlingen ließ, Mum und der Farblose lächelten sich ununterbrochen verliebt an und pickten stundenlang an ein und demselben Kuchenstück herum. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte. Erwachsene im Liebestaumel führten sich einfach nur affig auf. Das fing bei den idiotischen Liebesblicken an und hörte bei den gurrenden Lauten auf, die sie ständig von sich gaben.

Mum hielt es wohl für ihre Pflicht, Berta ins Gespräch mit einzubeziehen, was zur Folge hatte, dass sie sie nach der Schule aushorchte. Lieblingsfächer, Lehrer, Schulstoff wurden abgeklopft, und als sie damit fertig war, spielte der Farblose mit mir dasselbe Spiel.

Ich fand das alles nur zum Kotzen. Was ging es diesen Typen überhaupt an, was ich gerade in Englisch durchnahm? Außerdem interessierte es ihn doch sowieso nicht. Zumindest nickte er immer nur knapp, wenn ich geantwortet hatte, und ging wie ein Roboter zur nächsten Frage über.

Irgendwann – Mum hing schon fast auf Niklas’ Schoß – wurde es mir zu bunt, und weil ich nicht wusste, wie ich mich sonst aus dem Staub machen konnte, murmelte ich: »Entschuldigung – ich bin müde – ich geh zu Bett.«

Mum guckte entgeistert, der Farblose guckte entgeistert, Berta ebenfalls.

»Linchen, es ist gerade mal fünf.« Mums Augenbrauen wanderten immer höher. »Sonst gehst du nie vor neun ins Bett.«

Ich zuckte mit den Schultern und stand auf. Dass die drei mich immer noch mit ihren Blicken löcherten, als stünde ich gerade vor Gericht, blendete ich aus.

»Wollt ihr nicht vielleicht eine DVD gucken?«, fragte Mum wieder mit viel zu hoher Kieksstimme. Schon sprang sie auf und lief zum Wandschrank, in dem sie immer eine Ladung gepumpter DVDs hortete. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie ihren kurzen Anmach-Rock angezogen hatte. Im Gegenteil dazu wirkte mein halbherziges Bauchfrei-T-Shirt wie die Kutte einer Nonne.

»Oh ja, yippie!«, kreischte Berta wie ein Kleinkind und raste hinterher. Na klasse. Bauchfrei rumlaufen, sich ansonsten aber wie ein Baby aufführen.

Zwei Minuten später saßen wir auf meinem Bett und guckten »Titanic«. Das heißt, Berta guckte und ich zählte die Dreckspritzer an meinem Fenster. Erstens weil ich den Film schon kannte, zweitens weil Berta nach ihrem Stinkköter roch und drittens weil ich jetzt lieber mit Ole im Hinterhof geskatet wäre.

Ein spitzer Fingernagel grub sich in meine Schulter. »Dein Schrank ist ja cool.«

Ich nickte nur. Natürlich war mein Schrank mit den geteilten Glastüren und den Spitzengardinen dahinter cool. Mehr als das. Er zeugte einfach von meinem außergewöhnlichen Geschmack.

Wieder berührte mich Berta an der Schulter. »Warum magst du eigentlich keine Hunde?«

»Wer sagt denn, dass ich keine Hunde mag?«

»Du magst sie doch?« Berta zog die Füße an und prokelte daran herum.

»Klar«, sagte ich lässig. Dann hüpfte ich vom Bett, ging zum Dreckfenster und guckte nach draußen. Was wollte die dämliche Kuh eigentlich von mir?

»Sah aber vorhin nicht gerade so aus.«

»Im Vergleich zu Katzen sind Hunde ja auch saublöd!«, stieß ich hervor, indem ich mich umdrehte.

»Saublöd?« Berta riss die Augen auf. »SAUBLÖD??«

»Ja, total saublöd!«

»Ach, und warum?«

»Weil sie eben saublöd sind! Und hässlich! Und Katzen Millionen Mal hübscher sind.«

»Wo bitte schön sind Katzen denn Millionen Mal hübscher? « Bertas Augen wurden immer riesiger und glubschten fast aus ihren Höhlen.

Für einen Moment ging mir die Puste aus. Um Zeit zu gewinnen, verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Überall! Und sie ... sie glotzen auch nicht so blöd wie ... wie ...«

»Wie was – ?«

»Wie du!«

Ach du jemine! Das hatte ich eigentlich gar nicht sagen wollen. Mum predigte immer, man dürfe seine Mitmenschen nicht beleidigen. Aber Berta war schon aufgesprungen, schnappte sich ihre Schuhe und stampfte barfuß aus meinem Zimmer.

Draußen ging dann das Geplärre los. Hätte ich mir ja gleich denken können. Nicht nur, dass sie babyhaft loskiekste, wenn es um Videokassetten ging, kleinkindmäßiges Heulen gehörte also auch in anderen Situationen zu ihrem Standardprogramm.

Ich stellte inzwischen den DVD-Player aus und wartete auf das Donnerwetter, das es bestimmt gleich geben würde, doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil. Irgendwie war es nebenan plötzlich totenstill. Niemand schien etwas zu sagen oder sich auch nur zu rühren.

Mir wurde ganz mulmig zu Mute. Was, wenn die drei gerade eine Verschwörung gegen mich ausheckten, um gleich zum Angriff überzugehen? Lina verkloppen oder so. Zum Glück fiel mir ein, dass zumindest Mum dabei nicht mit von der Partie sein würde. Mum verkloppte nie irgendjemanden. Weil sie das genauso mies fand wie ihre Mitmenschen zu beleidigen. Und bei ihrer eigenen Tochter würde sie da ja hoffentlich keine Ausnahme machen.

Immer noch kam kein Geräusch von nebenan. Langsam wurde mir die Sache unheimlich. Ich überlegte schon, ob ich kurz mal durch die Tür spähen sollte, als auf einmal Mums Stimme aus dem Wohnzimmer tönte: »Lina, kommst du bitte mal?«

Auf kaugummiartigen Beinen schlich ich über den Flur. Bestimmt würde Mum gleich an ihren Hektikflecken im Ausschnitt kratzen und dann lospoltern. Immerhin hatte ich unseren Gast beleidigt, also würde ich auch schuld daran sein, wenn der Farblose nichts mehr mit Mum zu tun haben wollte. Asche auf mein wischmoppartiges Haupt! Andererseits nahm ich das bisschen Asche gerne in Kauf, wenn damit nur dieser Typ und seine schreckliche Tochter aus meinem Leben verschwinden würden.

Mum saß kerzengerade am Tisch, der Farblose hatte seine Hand auf ihrer Schulter abgelegt. Berta kaute mit vollen Backen und kippelte dabei in einer Tour mit dem Stuhl. Wenn sie schon wieder Appetit hatte, konnte mein Anraunzer ja nicht so schlimm gewesen sein.

»Unsere Gäste wollen sich verabschieden«, sagte Mum steif. Sie sah aus, als würde sie gleich losheulen.

Wie auf Kommando stand der Farblose auf. Er guckte zu Berta rüber. »Tja, dann machen wir uns langsam mal auf den Weg.«

»Geil!« Berta sprang auf, ihr Stuhl kippte und riss die Bodenvase mit, die Mum heute Morgen extra noch mit irgendeinem Gestrüpp zu verschönern versucht hatte.

»Oh Gott! Oje! Das tut mir aber leid!«, rief der Farblose, und während Mum schon auf dem Boden herumkroch, dachte ich nur, na prima, jetzt hast du zwar die Perlweißkuh in ihrem bauchfreien T-Shirt beleidigt, dafür hat die Perlweißkuh aber Mums Lieblingsvase kaputtgemacht. Eins zu eins.

Dann ging alles ganz schnell. Die Scherben wurden zusammengefegt, das Wasser aufgewischt, Berta wurde zur Tür geschoben, der Farblose ebenfalls, Händeschütteln, zwei Sekunden später waren die beiden samt ihrem Hunde-Stinkgeruch draußen.

Mum schloss die Tür und sah mich an, als wolle sie mich gleich köpfen.

»Tut mir leid«, sagte ich vorsichtshalber, doch statt endlich loszuwettern, ging Mum einfach an mir vorbei ins Wohnzimmer, um dort mit zusammengekniffenen Lippen die Kaffeetafel abzuräumen. Wie vernichtend sie mich angeguckt hatte! Eigentlich war das fast schlimmer als ein richtiges Donnerwetter. Ich überlegte noch kurz, ob ich Mum helfen sollte, aber da das wahrscheinlich auch nichts wiedergutmachte, verzog ich mich in mein Zimmer und heulte mindestens genauso babyhaft wie vorhin die Perlweißkuh.

Ich und die Perlweißkuh

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