Читать книгу Ich und die Perlweißkuh - Susanne Fülscher - Страница 9

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Mum redete sechs endlos lange Tage nicht mit mir. Das heißt, Dinge wie Schule, Taschengeld und Lebensmittel einkaufen wurden schon besprochen, allerdings ohne dabei ein Wort mehr als nötig zu verlieren. Meine Mutter war also sauer. Stinksauer, weil ihre Liebesgeschichte meinetwegen den Bach runtergegangen war. Zumindest dachte ich, dass zwischen ihr und dem Farblosen nichts mehr lief, und feierte innerlich Weihnachten und Ostern zugleich. Unser Telefon bimmelte nicht mehr Tag und Nacht, Mum brezelte sich nicht mehr zum Weggehen auf und ihr blödes Ausgehkleid mit den Tuscheflecken hatte sie in der Altkleidertonne neben der Waschmaschine verstaut. Kapitel Berta-Niklas abgehakt – yippie! Aber ich hatte mich zu früh gefreut. Circa drei Wochen nach dem Chaoskaffeetrinken in unserem Wohnzimmer ging alles wieder von vorne los, sprich, Niklas der Farblose tauchte erneut aus der Versenkung auf. Endloses Geturtel am Telefon und Mum kaufte sich den Anmachrock Nummer zwei. Einmal verschwand sie sogar gleich acht lange Stunden von der Bildfläche – immerhin war von Treffen zu viert mit der Perlweißkuh nicht mehr die Rede.

An einem Montag roch es lecker nach Pizza, als ich die Wohnungstür aufschloss. Ein positives Zeichen, denn Pizza gab es grundsätzlich nur, wenn Mum in Hochstimmung war.

»Ich hoffe, du hast Hunger!«, tönte es aus der Küche.

Halbwegs gut gelaunt pfefferte ich meinen Ranzen auf den Flur und lief dem Duft nach.

Gleich an der Küchentür stand ein großer Karton, himmelblau verpackt und mit dunkelblauer Samtschleife dekoriert.

»Für mich?«

Mum nickte. »Mach’s auf!«

Komisch. Erst bestrafte sie mich tagelang, indem sie kein Wort mit mir wechselte, und jetzt kriegte ich nach dem fast bauchfreien T-Shirt vor ein paar Wochen schon wieder ein Geschenk? Litt ich etwa an Gedächtnisverlust und hatte ich doch Geburtstag? Nein, kein Geburtstag. Ich war im Dezember geboren, genauer gesagt am 24., und jetzt hatten wir Frühling, kein Schnee weit und breit, nur Vogelzwitschern und helles Grün an den Bäumen.

Mit spitzen Fingern zog ich die Schleife auf, dann pulte ich den Tesafilm ab. Mum lief derweil vom Küchentisch zum Schrank, vom Schrank zurück zum Tisch, vom Tisch zur Besteckschublade. »Ich versteh das nicht!«, jammerte sie dabei. »Wie kann man seine Geschenke nur in Zeitlupe auspacken?«

»Guck doch mal nach, ob die Pizza schon fertig ist«, schlug ich vor.

Prompt ging Mum vor dem Ofen in die Hocke und starrte gebannt durch das Guckfenster. Das war mir auch lieber so. Ich mochte es nicht, wenn man mich beim Auspacken beobachtete. Einmal hatte ich vor lauter Enttäuschung ein derart langes Gesicht gezogen, dass Mum in Tränen ausgebrochen war.

Ein blau-grauer Plastikkasten kam zum Vorschein, rechteckig und mit einem großen Loch an der Vorderseite.

»Was ist das?« Bestimmt machte ich gerade wieder so ein Gesicht, das Mum zum Heulen bringen würde.

»Du weißt es nicht?« Mum öffnete den Backofen und wedelte die heiße Luft weg.

»Keine Ahnung.«

Irgendwie sah das Teil wie ein Katzenklo aus, nur, was sollte ich damit? Noch während ich das dachte, rief Mum triumphierend: »Ein Katzenklo!«

Ich machte den Mund auf, klappte ihn aber gleich wieder zu. Anstandshalber murmelte ich mir dann ein Dankeschön zurecht. Vielleicht konnte ich den hässlichen Kasten ja als Stauraum für abgelegte Spiele nutzen.

»Du freust dich gar nicht?«

»Doch, doch.« Ich grinste, so gut es eben ging.

»Der Rest wartet oben bei Ole.«

»Welcher Rest? Und wieso bei Ole?«

»Na, die Katze!« Mit einem Autsch! zuckten Mums Hände vom Pizzablech zurück. »Oles Mutter hat heute Morgen auf sie aufgepasst.«

»Ich krieg eine Katze?« Ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken, dass ich bis vor kurzem noch mit Mum im Clinch gelegen hatte, drückte ich ihr einen Schmatzer auf die Wange. Eine Katze war wirklich das schönste Geschenk, das ich mir vorstellen konnte!

»Stellst du die Pizza kurz warm?«, rief ich, während ich wie von einer Tarantel gestochen aus der Wohnung stürmte.

»Ja! Kein Problem!«

Peng – knallte ich die Wohnungstür hinter mir zu.

Erst auf der Treppe ging mir auf, wie merkwürdig es doch war, dass ich plötzlich eine Katze haben durfte. Mum war allergisch gegen Katzen, Mum fand, dass Katzen nicht familientauglich waren, Mum wollte sich kein Tier ans Bein binden. Und dann fiel es mir siedend heiß ein: Vielleicht war es ihr doch ernster mit dem Farblosen, als ich wahrhaben wollte, vielleicht läuteten sogar schon von Ferne die Hochzeitsglocken – und die Katze war nach dem rosa T-Shirt das zweite Bestechungsgeschenk.

Als ich bei Ole klingelte, bubberte mein Herz so stark, dass ich Angst hatte, gleich wie ein Hubschrauber abzuheben.

»Ich komme!«, hörte ich Frau Grube rufen, eine Sekunde später wurde die Tür aufgerissen. »Ach, Lina! Ole erwartet dich schon sehnsüchtig.«

Das mit dem sehnsüchtig war vielleicht etwas übertrieben, aber Ole strahlte tatsächlich wie ein Honigkuchenpferd. Als sei die Katze auf seinem Mist gewachsen.

»Wo ist sie?« Zusätzlich zu meinem Herzbubbern waren jetzt auch noch meine Beine wackelpuddingweich.

Ole legte sich vor sein Bett und rief: »Miezi! Miezi! Miezi!«

Doch nichts passierte. Keine Katze kam unter dem Bett hervorgeschossen, um sich wohlig schnurrend in meinen Arm zu kuscheln. Ich kauerte mich direkt neben Ole und starrte unters Bett. Nichts zu sehen. Alles rabenschwarz.

»Ihr wollt mich doch alle veräppeln!«, keifte ich. Beim Aufstehen stieß ich mir zu allem Überfluss auch noch den Kopf an Oles Nachttisch. Während ich mir die schmerzende Stelle rieb, verschwand Ole mit schlingernden Bewegungen ganz unter dem Bett. Nur noch sein gurrendes »Miezi! Miezi!« war zu hören.

Miezi ... Wer nannte seine Katze schon Miezi? Falls es denn überhaupt ein Wesen dieser Art geben würde, sollte sie Funghi heißen. Benannt nach meiner Lieblingspizza mit frischen Champignons.

Als Ole wieder auftauchte, sah ich als Erstes eine graue Staubflocke auf seinem Kopf, als Zweites eine weitere Staubflocke auf seinem Arm. Doch dann bewegte sich die schmutzig-graue Staubfluse plötzlich.

»Funghi!« Eine warme Welle brach sich in meinem Bauch und rollte runter bis zu meinen Füßen. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und berührte Funghis Fell. Wieder rührte sich die Staubflocke, dann schauten mich zwei dunkle Augen an. Ich war auf der Stelle unsterblich verliebt.

»Nimm sie ruhig«, sagte Ole und reichte mir das zappelnde Bündel. »Ist ja deine.«

Ich musste mich schwer beherrschen, um nicht vor lauter Glück sofort loszubrüllen. Funghi war das hübscheste Kätzchen, das ich je gesehen hatte! Klein, weich, kuschelig, und dann diese Augen!

»Darf ich ab und zu mal kommen und gucken, wie sie wächst?«, fragte Ole. Er sah auf einmal mindestens genauso klein und schmusebedürftig wie Funghi aus.

»Klar doch.«

Funghi tapste auf meinem T-Shirt herum, dann krallte sie sich plötzlich im Stoff fest und kratzte mich dabei.

»Autsch!«

»Das macht sie immer.« Ole lachte. »Ist aber nur ein Liebesbeweis.«

Ich steckte meine Nase in Funghis Fell und dachte: Bestechungsgeschenk hin, Bestechungsgeschenk her – Hauptsache, das warme Bündel gehörte mir.

Ich und die Perlweißkuh

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