Читать книгу Ich und die Perlweißkuh - Susanne Fülscher - Страница 6

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Ich heulte und heulte, und als irgendwann keine Tränen mehr da waren, fühlte sich nur noch meine Nase wund an. Das hatte ich nun davon. Quasi eine neue Familie an den Hacken und dazu einen roten Zinken im Gesicht.

Mum konnte oder wollte mich nicht verstehen. Ich hätte mir doch immer eine komplette Familie gewünscht. Klar, unbedingt – allerdings nicht irgendeine Familie! Es wäre schön gewesen, wenn mein Vater meine Mutter damals, als sie mit mir schwanger gewesen war, nicht einfach sitzen gelassen hätte. Oder wenn ich ihn zumindest später hätte kennen lernen dürfen. Aber was nicht ging, ging eben nicht. Und vielleicht war es auch nur gut, denn so konnte mir niemand meinen Traum vom Super-Paps kaputtmachen.

Mum fing erst eine Woche später wieder mit dem Thema an. Ganz, ganz behutsam. Zunächst kochte sie mein Lieblingsessen – Nudeln mit Tomatensoße, zum Nachtisch gab es Mousse au Chocolat –, dann lud sie mich ins Kino ein, und abends durfte ich mit ihr zusammen eine amerikanische Serie gucken, in der es um Sex und Mord und Totschlag ging.

Nanu, dachte ich, was ist denn bloß mit Mum los, doch da sprudelte es auch schon aus ihr heraus. Sie hätte Niklas und Berta am Sonnabend zum Kaffeetrinken eingeladen.

Obwohl ein paar Feuerwerkskörper in meinem Magen explodierten, versuchte ich ganz cool zu bleiben. »Wer ist Berta?«, fragte ich.

»Niklas’ Tochter«, flötete Mum und knetete dabei ihre Hände.

»Und warum hat die so einen schrecklichen Namen?«

Mum griff nach einem Päckchen Streichhölzer auf dem marmorierten Couchtisch und schob es nervös hin und her. »Wer sagt denn, dass Berta ein schrecklicher Name ist?«

»Ich.«

»Berta ist ein genauso schöner oder schrecklicher Name wie Lina. Oder Sabine. Oder Niklas. Namen sind doch reine Geschmackssache.«

Ich erwiderte nichts und dachte mir meinen Teil.

»Lina ... Du benimmst dich doch, oder?« Mum grinste breit, wohl um sich bei mir einzuschmeicheln. Leider geriet ihr Gesichtsausdruck dabei so verkrampft wie bei einem Staubsaugervertreter, der nie seine Ware loswurde.

»Mal sehen«, nuschelte ich und nahm mir vor, mich kein bisschen zu benehmen.

»Was soll das heißen – mal sehen?«

In diesem Moment hatte ich eine Idee. »Wenn ich endlich eine Katze haben darf, benehme ich mich wie ein blondes Engelchen.« Keine Ahnung, wie ich darauf kam, dass blonde Engel braver waren als andere Himmelsgeschöpfe.

»Lina, das ist Erpressung!« Mums Grinsen erlosch schlagartig.

Und wennschon! Was war denn das, was Mum gerade mit mir veranstaltete? Mich einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen, und ich durfte dann zusehen, wie ich damit klarkam.

Aber Mum ließ sich nicht weichklopfen. Schließlich sei sie gegen Katzen allergisch, das müsste ich doch langsam mal kapieren. Ganz die beleidigte Leberwurst, zog sie sich dann in die Küche zurück, um dort an irgendwelchen verklebten Töpfen herumzuschrubben.

Ich ging zu meinem Freund Ole, der direkt über uns wohnte und mit dem sich prima Kriegsrat halten ließ. Wenn man’s genau nahm, waren wir nur heimlich miteinander befreundet. In Oles Klasse wurde man als Junge nämlich ausgelacht, wenn man mit einem Mädchen befreundet war. Ein bisschen albern, fand ich, schließlich waren wir weder ineinander verknallt noch verlobt, aber Ole zuliebe spielte ich das lächerliche Spiel eben mit. Lächerlich war es deshalb, weil wir in der Schule immer so tun mussten, als würden wir uns gar nicht kennen, und nur in unserem Häuserblock nach Herzenslust herumquatschen und herumalbern konnten. Ehrlich gesagt wartete ich nur auf den Tag, an dem uns irgendein Junge aus Oles Gang dabei erwischte.

»Du musst den Typen und seine Tochter rausekeln«, schlussfolgerte Ole messerscharf und machte Handstand gegen die dunkelgraue Wand. Alles in Oles Zimmer war grau oder schwarz oder grau-schwarz meliert und irgendwie ziemlich unheimlich. Besonders jedoch die riesigen Gummispinnen auf seiner Fensterbank.

»Und wie?«

»Und wie und wie und wie ...« Er lehnte immer noch mit den Beinen gegen die Wand. Weil er am besten überlegen konnte, wenn das Blut in den Kopf floss – so seine Theorie. Ich fragte mich nur, was er tat, wenn er eine Klassenarbeit schreiben musste.

»Ich hab’s!«, murmelte er nach circa drei Minuten und kam wieder runter. Sein Gesicht war puterrot. »Du mischst Gift in den Kuchen!«

»Ole, ich will den Heini und seine Tusnelda-Tochter nur rausekeln! Nicht umbringen!«

Ich sah schon – der Handstand hatte nicht viel gebracht.

»Dann kippst du eben die Kaffeekanne um oder antwortest nicht, wenn dich jemand was fragt. Oder schneidest in einer Tour Fratzen.«

Aha. Damit kamen wir der Sache doch schon ein wenig näher. Im Fratzenziehen war ich anerkannte Meisterin, und eine Kaffeekanne sollte auch mit Leichtigkeit umzustoßen sein.

Ole ging jetzt in den Spagat. Weniger um vor mir anzugeben, als um seine Biegsamkeit zu trainieren. Er hatte nämlich vor, als weltbester Kunstturner in die Geschichte einzugehen. Für den Anfang fuhr er fast jedes Wochenende zu Turnwettkämpfen und vertrat unsere Schule bei Jugend trainiert für Olympia.

»Ich könnte allerdings auch eine Stinkbombe durchs Fenster werfen.«

Ole federte im Spagat nach, dann beugte er seinen Oberkörper weit nach vorne. Er war wirklich der gummiartigste Mensch, den ich kannte.

»Nee, danke«, winkte ich ab.

Eine Stinkbombe hätte zwar den Vorteil, dass das Berta-Niklas-Gespann mit Sicherheit schnell das Weite suchen würde, andererseits aber den Nachteil, dass unsere Wohnung bis auf weiteres unbewohnbar sein würde.

So weit das Thema Ole und seine herausragenden Vorschläge.

Die Tage vor dem besagten Samstag gingen relativ normal über die Bühne. Das heißt, eine Sache war doch nicht so ganz normal. Mum tänzelte mehr als sonst um mich herum, sie bekochte und betüterte mich und verzichtete sogar auf einen ihrer Ausgehtage. Freiwillig. Ohne dass ich vorher erst stundenlang hatte rummaulen müssen.

Am Freitag kam sie mit drei prall gefüllten Einkaufstüten von ihrer Arbeit in der Videothek zurück. Mehl, Zucker, Eier, Backpulver, Äpfel, Schokolade, Fertigpizza, Obst, Käse, Nudeln, Tomaten, Würstchen – alles Mögliche stapelte sich kurz darauf auf unserem Küchentisch und ich fragte mich, ob Niklas und seine blöde Tochter wohl nur antraten, um sich bei uns vollzufressen.

»Liebe geht durch den Magen«, meinte Ole, als er nach seinem Training noch kurz bei mir reinschneite. Jedenfalls behauptete seine Mutter das immer. Die hatte Oles Vater nämlich angeblich nur deshalb rumgekriegt, weil sie vorher einen Kochkurs an der Volkshochschule belegt hatte. Da konnte ich ja nur froh sein, dass Mum für so einen Affenzirkus keine Zeit mehr blieb.

Ich und die Perlweißkuh

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