Читать книгу Irish Rover - Susanne Rapp - Страница 5
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ОглавлениеMaika und Vicky standen hinter dem Tresen am anderen Ende des Kellers und bedienten die Gäste. Noch war nicht viel los, da die meisten vor der Bühne standen, um sich die tanzenden Mädchen anzusehen.
Vicky war die Attraktivere der beiden. Sie war ein wenig größer als ihre beste Freundin Maika und ihre dunkelroten Haare fielen ihr lockig über den Rücken. Sie betonte gern ihre weibliche Figur, indem sie enge Sachen trug, die ihre üppigen Formen noch besser zur Geltung brachten und ihre Tätowierungen am Oberarm frei ließen. Maika hingegen bevorzugte weite Kleidung, die ihre Formen verdeckten, und der Schnitt ihres kurzen blonden Haars verlieh ihr etwas Jungenhaftes.
Unterschiedlicher hätten zwei Frauen nicht sein können. Sowohl ihr Aussehen als auch die Art, wie sie sich bewegten und sprachen, waren Welten voneinander entfernt. Nur, wer die beiden kannte, wusste, dass sie unzertrennlich waren.
»Ganz schön was los heute«, rief Vicky Maika über den Lärm zu und griff routiniert nach zwei leeren Gläsern, die ihr jemand entgegenhielt. »Soll ich die für dich vollmachen oder willst du sie zurückgeben, Schätzchen?«, fragte sie den Mann mit einem aufreizenden Lächeln und zeigte ihm, worauf sein Blick ohnehin schon lag, noch ein wenig deutlicher, indem sie ihm ihren Busen entgegen streckte.
Maika beobachtete sie mit grimmigem Gesicht und kommentierte ihren Flirtversuch bissig. »Lass stecken, du Schlampe. Der Mann ist verheiratet. Hör auf, ihm Appetit zu machen. Sonst bekommt er Ärger.«
Vicky lachte laut und drehte sich zur Spüle, wo sie die Gläser abstellte. Dann zapfte sie zwei frische Bier und reichte sie dem, etwas verstört dreinblickenden, Mann mit einem zuckersüßen Lächeln.
Als er sich umdrehte und ging, rief Vicky: »Das ist der beste Ort zum Flirten, Süße. Hinter dem Tresen. Da hast du immer was zwischen dir und dem Kerl. Da kann er nicht grapschen. Wie sieht’s aus? Probier’s doch auch mal.« Sie ging zu Maika, die die Augen verdrehte, legte den Arm um ihre Schultern und gab ihr einen schmatzenden Kuss auf die Wange. »Hab dich lieb, Kleine.«
»Ich dich auch«, kam die gemurmelte Antwort und ein kleines Lächeln spielte um Maikas Lippen.
Die Mädchen hatten aufgehört zu tanzen und Tom betrat die Bühne, um alle dazu aufzufordern, sich noch ein Bier zu holen. Maika spülte die Gläser und stand mit dem Rücken zum Saal.
»Oh, oh«, rief Vicky.
»Schon gut Vicky. Wir kriegen das hin, wenn jetzt 100 Leute gleichzeitig ihr Bier wollen«, reagierte Maika auf Vickys Ausruf.
»Nein Süße, das meine ich nicht.«
Maika drehte sich zu ihr und beobachtete, wie sie ihren Busen zurechtrückte und einen bestimmten Punkt im Raum fixierte. »Was haben wir denn da. Das sieht aber lecker aus. Schau mal Maika. Auf 11 Uhr. Sexy.«
Maika sah in die gleiche Richtung ihrer Freundin und fand, worauf diese sich konzentrierte.
»Ein Jäger auf der Pirsch. Schau und lerne Maika. Da, ein Rundblick, um die Situation abzuchecken. Na, wer könnte ein potentielles Opfer sein?« Vicky stützte die Ellenbogen auf den Tresen und kommentierte ihre Beobachtungen weiter für die unwissende Freundin. »Na, wie wäre es mit der kleinen Blondine? Das wäre doch ein netter Snack. Nein? Dabei ist ihr Höschen bestimmt schon ganz feucht, so wie sie dich ansieht. Ist sie dir zu jung? Vielleicht. Hey Baby, komm zu mir. Hier kommst du auf deine Kosten. Oh, ja.«
Maika stöhnte. Ihre Freundin hatte den Flirtmodus aktiviert. Das durfte jetzt nicht wahr sein. Gerade walzte eine Hundertschaft durstiger Menschen auf die Theke zu, die alle bedient werden wollten, und dieses Weib hatte nichts Besseres zu tun, als Ausschau nach einem Spielzeug für die Nacht zu halten.
»Gleich wird hier die Hölle los sein. Reiß dich mal von deinem Sunnyboy los. Den kannst du nachher immer noch vernaschen.«
»Was ist mit dir? Bleibst du heute nüchtern und allein? So wie immer?«
Maika kannte ihre Freundin zu gut, um ihr diesen Spruch übel zu nehmen. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«
Vicky seufzte theatralisch. »Und wie das bei dir mit dem Vergnügen aussieht, kann ich mir gut vorstellen. Ein dickes Buch und ne Tasse Tee mit viel Milch. Stimmt’s Schatz?« Vicky machte einen Schritt auf Maika zu, legte ihren Arm um ihre Taille und zog sie an sich.
»Du kennst mich«, murmelte Maika und konzentrierte sich mit gesenktem Blick darauf, ein Bierglas abzutrocknen. »Ich bin ein Feigling mit großer Klappe und nichts dahinter.« Sie sah zu ihrer Freundin auf. »Ich wünschte, ich wäre so mutig wie du.«
Vicky küsste Maika auf die Nasenspitze. »Das wird schon, Schatz. Du brauchst halt ein wenig mehr Zeit. Weißt du, Männer sind dämlich. Wenn du denen keine klare Ansage machst, kapieren sie es nicht.« Sie ließ Maika los und taxierte sie mit einem freundlichen Blick. »Du bist so eine Süße. Aber mal ehrlich. Eine heiße Nacht täte dir auch mal gut.«
Maika warf das Geschirrhandtuch nach ihr, was Vicky mit lautem Lachen quittierte, bevor sie sich wieder in Positur warf und den Mann mit dem roten Dreitagebart fixierte.
Vicky war diejenige, die schon Millionen Mal in irgendwelchen Kneipen gearbeitet hatte. Sie war sozusagen der Profi, während Maika sich eher als Zuarbeiter sah. Bis Maika ein, ihrer Meinung nach, perfektes Bier gezapft hatte, war bei Vicky schon ein halbes Dutzend über den Tresen gegangen. Und nun war da dieser Typ, der sie ablenkte. Das Chaos war praktisch vorprogrammiert.
Bleib ruhig, redete sich Maika ein und fuhr mit den Fingern hektisch durch ihr Haar. Ihre Freundin begann zu lächeln, während Maika in einem Anflug von Panik die frisch gespülten Gläser zählte und nach den Bierfässern schielte. Na gut, los geht’s, dachte sie, krempelte sich die Ärmel ihrer Bluse hoch und schenkte dem ersten Kunden, der vor ihr stand ein unsicheres Lächeln.
Vicky fixierte noch immer reglos den Typen und Maika dachte, tu mir das nicht an. Nicht jetzt. Bitte. Vicky schien sie gehört zu haben, oder ihre Gedanken zu lesen. So, wie das irgendwie immer bei den beiden der Fall war. Ein seltsames Band ließ sie ständig dasselbe denken, sagen oder auch tun. Meistens jedenfalls. Wenn es um Männer ging, war das etwas anderes.
Zunächst zeigte sich Vicky kooperativ und schubste ihre Freundin lachend mit dem Hintern an. Der Rotbart war noch nicht in Reichweite. In Windeseile zapfte sie ein Bier nach dem anderen, während Maika abkassierte. Keiner regte sich auf. Das war gut. Doch die Schlange vor der Theke wurde immer länger.
Hilfe, ich hasse das, dachte Maika und machte weiter. Doch dann hörte der Nachschub an gefüllten Gläsern plötzlich auf. Maika drehte sich um und sah, dass der Rotbart angekommen war.
Er stand vor dem Tresen und lächelte Vicky an. Wieso der? Wieso gerade jetzt? Was war denn so besonders an diesem Kerl? Sie hatte jetzt keine Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen, warum Vicky ausgerechnet ihn auserkoren hatte.
Sie begann selbst die Gläser zu füllen, und für einen kleinen Augenblick hasste sie ihre beste Freundin. Aber sie tat ja schließlich nur das, was gut für sie war. Vicky nahm sich, was sie wollte und scherte sich wenig darum, was andere von ihr dachten. Das war eine dieser Eigenschaften, für die Maika sie bewunderte. Sie selbst hätte sich nie getraut, einem Mann so offenkundig zu zeigen, dass sie sich für ihn interessierte.
Der Kerl, der vor Vicky stand, schien sich definitiv für sie zu interessieren. Wäre es nicht so laut im Keller gewesen, hätte man es zwischen den beiden knistern hören. Mit Blicken schien er sie bereits auszuziehen und ja, er hatte irgendetwas an sich, dass ihn attraktiv machte. Doch um sich jetzt Gedanken darüber zu machen, fehlten Maika die Nerven.
Erste Bemerkungen darüber, dass es nicht voranging, wurden geäußert und Maikas Lächeln verlor sich.
Und weil es, wie jeder weiß, immer noch schlimmer kommen konnte, war auf einmal das Guinnessfass leer.
»Es tut mir leid. Sie müssen warten. Bitte, ich beeil mich«, versuchte Maika, die Wartenden zu beschwichtigen. Sie schaute verzweifelt zu Vicky, die jedoch schwer beschäftigt zu sein schien. Maika drehte sich panisch um und lief in den Nebenraum, um dort ein neues Fass zu holen.
Da gab es nur 50 Liter Fässer, die sehr schwer aussahen. Und wie zum Henker sticht man ein Bierfass an? Sie hatte keine Ahnung. Und bei Guinness war die Sache noch schwieriger. Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass der sahnige Schaum des dunklen Biers durch eine Mischung aus Kohlensäure und Stickstoff entsteht.
Ja, ja, schön und gut. So weit zur Theorie. Doch jetzt war Praxis angesagt. Wenn jetzt kein Wunder geschah, würde es Ärger geben. Maika stemmte die Fäuste in die Hüften und brüllte nach Vicky.
Patrick hatte sich in Richtung Tresen vorgekämpft und die beiden Frauen dort entdeckt. Eine kleine Blonde mit ernstem Gesicht und ein ziemlich gutaussehendes Vollweib. Ob es eine von den beiden war? Als er den Tresen erreichte, kurz bevor sich eine endlose Schlange davor bildete, war ihm klar, dass die Größere mit den langen Fingernägeln ein Auge auf ihn geworfen hatte. Sie schien auf der Suche nach einem Mann zu sein. Also, warum nicht.
Patrick schenkte ihr sein bezauberndes Lächeln, das ein wenig spitzbübisch und gleichermaßen durchtrieben wirkte. Sie reagierte so, wie er es gewohnt war. Die blonde Frau daneben blendete er völlig aus. Diese Rundungen wollte er heute Nacht haben. Diese Fingernägel sollten ihm den Rücken zerkratzen.
Die leicht rauchige Stimme und ihr verruchtes Lachen, als er sie ansprach, machten ihn total an. Sie sah nicht unbedingt wie eine Journalistin aus. Aber das hatte nichts zu sagen. Er hatte schließlich noch nie eine Journalistin kennen gelernt. Kommunikativ war sie jedenfalls, als sie begann, ihn anzubaggern. Er bat sie um ein Bier und sie nahm ihm sein Glas ab, wobei ihre Fingernägel einladend über seinen Handrücken kratzten.
Der Jäger meldete sich zurück. Er ging um die Theke und stellte sich vor sie. Ihre Signale waren mehr als deutlich. Sie war auf der Suche. Auch die Journalistin suchte. War sie es? Die Frau, die da vor ihm stand, wollte ihn. Sollte es so einfach sein?
Wütende Stimmen lenkten ihn ab und er sah zur Seite, wo die andere Frau gerade im Nebenraum verschwand.
»Du solltest deiner Freundin helfen«, hauchte er in das lockige Haar der Frau, die ihn förmlich mit Blicken auffraß.
»Oh, meinst du? Ich glaube, sie schafft das schon allein.«
Vicky legte ihre Hand auf die Brust des Mannes und näherte sich seinem Mund. Da hörte sie Maika, die nach ihr rief. Der gutaussehende Typ hatte sie auch gehört, ließ sie mit einem entschuldigenden Lächeln los und ging in den Nebenraum.
Erst als er fort war, bemerkte Vicky den Aufruhr vor der Theke, kam zu sich und begann damit, Bestellungen aufzunehmen.
Heute Nacht würde er ihr gehören. Und wenn er jetzt Maika half, war das doch nur ein Zeichen dafür, dass der Typ auch eine gute Kinderstube besaß. Nett irgendwie. Und, dass Maika ihn ihr nicht abspenstig machen würde, war auch klar. Sie hatte schließlich gesehen, dass Vicky sich für ihn interessierte. Und wenn es anders wäre, würde Maika seit sehr langer Zeit mal wieder eine aufregende Nacht haben. Aber Vicky kannte ihre Freundin. Adonis höchstpersönlich würde nicht bei ihr landen können. Nicht in der ersten Nacht und wahrscheinlich auch nicht in der zehnten. Bevor Maika einen Mann nicht wirklich kannte, lief gar nichts.
Als Patrick in den Nebenraum kam, wäre er fast wieder gegangen. Da stand eine kleine Furie und funkelte ihn wütend an.
»Was willst du denn hier?«, fauchte sie.
»Helfen?«, versuchte er eine Antwort.
Die Wut verschwand augenblicklich in den dunkelgrünen Augen der Frau und wurde von ruhiger Sachlichkeit abgelöst.
»Das Guinnessfass ist leer. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich das Fass nach draußen bringen und in Betrieb nehmen soll. Kannst du das?«
Er grinste und griff nach dem Fass, das wenige Augenblicke später dort war, wo es hingehörte. Maika staunte und folgte dem Mann, der mit sehr viel Routine den Keg von dem vorherigen Fass löste, die Verplombung des neuen Fasses entfernte, den Zapfkopf aufschob und den Hebel herunterdrückte. Eine saubere Sache war das, wenn man wusste, wie es geht. Maika stand neben dem Mann und beobachtete jeden seiner Handgriffe mit interessierten Blicken.
Seine Finger deuteten auf die beiden Schläuche am Keg. »Stickstoff und Sauerstoff. So entsteht der schöne Schaum.« Er griff nach einem leeren Glas und hielt es Maika hin, die ihn beeindruckt ansah.
»Hier bitte. Du kannst jetzt weiter machen. Ich heiße übrigens Patrick. Hallo.«
Sie nahm das Glas und Falten bildeten sich zwischen ihren schmalen Augenbrauen. »Das machst du nicht zum ersten Mal. Stimmt’s?«
Er grinste. »Hab schon das eine oder andere Fass angezapft und geleert in meinem Leben.«
Sie erwiderte kurz sein Lächeln, murmelte ein Danke und begann zu zapfen. Als sie es geschafft hatte ein, ihrer Meinung nach, perfektes Bier zu zapfen, hielt sie ihm das Glas hin. »Das Erste ist für dich. Als Dankeschön.«
Doch Patrick schüttelte den Kopf. »Das will ich nicht. Ist nicht richtig gezapft.«
Maika sah ihn kritisch an und hob eine Augenbraue, doch ihr Blick war nicht wütend. Es musste einen Grund geben, weshalb das Bier nicht in Ordnung war. »Dann erklär’s mir, du Profi. Was gibt es an dem Bier zu kritisieren?«
Sie hatte eine herbe Art an sich, die ihm Spaß machte. Sie ließ sich nicht ins Boxhorn jagen. Und außerdem wusste er genau, dass die Andere, die er wollte, ihn beobachtete. Da schadete es nicht, ein wenig den Schlauberger raushängen zu lassen. »Schau, ich zeig es dir«, sagte Patrick und ließ sich das Glas zurückgeben. »Ihr Deutschen mögt viel Schaum auf dem Bier. Das nennt man eine Krone, richtig?« Maika nickte und die Leute vor dem Tresen hörten ihm nun auch interessiert zu, so dass das Schimpfen aufhörte. »Wir Iren wollen Bier und keinen Schaum. Siehst du die Harfe auf dem Glas?« Er deutete mit der Fingerspitze auf die goldene Harfe, die Guinness als Logo verwendete. »Das Schwarze muss bis zur Oberkante der Harfe gehen. Sonst ist es nicht richtig gezapft.« Patrick setzte einen Schuss Bier in das Glas, so dass der perfekte Pegel erreicht war. »Prost«, rief er und nahm einen herzhaften Schluck.
Statt sich wieder der Frau zu widmen, mit der er die Nacht verbringen würde, begann er nun ein Bier nach dem anderen zu zapfen, während die beiden Frauen sich um den Rest kümmerten. Vickys und Maikas Blicke trafen sich und drückten, ohne dass ein Wort fiel, dasselbe aus. Oder vielleicht nur fast dasselbe. Erstaunlich, dachte Maika. Das hätte ich nicht von ihm erwartet. Vicky dagegen dachte: Verdammt sexy. Sogar beim Zapfen.
Schnell war die Schlange, Dank Patricks Unterstützung, abgearbeitet und Vicky widmete sich wieder intensiv dem Flirten, wobei sie in Patrick den perfekten Partner gefunden hatte. Als Toms Frau Miriam an den Tresen kam, um nach dem Rechten zu sehen und Bier für die Band zu holen, gingen Vicky und Patrick gerade Arm in Arm nach oben, um im Hof eine Zigarette zu rauchen. Miriam lächelte ihnen hinterher. »Das ging aber schnell mit den beiden.«
»Oh, du weißt doch, wie sie ist. Nur nichts anbrennen lassen.« Maika blickte ihrer Freundin nach, die sie wohl heute Abend nicht mehr sehen würde.
»Der Kerl hat uns eben den Hintern gerettet. Hat es echt drauf. Kennst du ihn?«
»Oh, das sollte er. Das ist Patrick, ein Freund aus Irland. Er hat dort ein Hotel mit Pub. Also wenn sich einer mit Bierzapfen auskennen sollte, dann er.«
Miriam kam hinter den Tresen und begann Biergläser zu spülen. »Ich lös dich hier mal ab, Maika. Schließlich bist du zum Arbeiten hier und nicht, um die Gäste mit Bier abzufüllen.«
»Stimmt«, entgegnete Maika und holte ihr Handwerkszeug, einen Schreibblock und eine Kamera aus der Tasche, die auf einem Stapel Bierkästen gelegen hatte.
»Mach ein Paar schöne Fotos von der Band und nimm bitte den Bierkasten für die Jungs mit«, rief Miriam Maika zu, die bereits mit geübtem Blick nach passenden Motiven suchte. Nun war sie in ihrem Element. Als Journalistin war sie ein Profi. Und wie man ein Guinnessfass ansticht, hatte sie nun auch gelernt.
Maika ging zur Bühne, grüßte die Bandmitglieder und stellte den Bierkasten ab. »Geht das in Ordnung oder wollt ihr Bier vom Fass?«, fragte sie. Adrian, der die Bodhran in der Band spielte, griff nach dem Bierkasten und schenkte Maika ein bezauberndes Lächeln. »Danke Maika. Nein, Flaschen sind günstiger auf der Bühne. Die gehen nicht so schnell kaputt wie Biergläser.«
Er sah süß aus mit seiner runden Nickelbrille und den braunen Locken. Maika wusste, dass er sie mochte. Aber er war so schrecklich jung und auch ein wenig tollpatschig. Er hatte sie mal zum Essen eingeladen und der Abend endete mit einem mittelprächtigen Fiasko. Ein Glas Rotwein war auf ihrem Lieblingskleid gelandet und irgendwann hatte sie den untröstlichen und angetrunkenen Adrian nach Hause gefahren. Dabei hatte sie sich eher wie seine Mutter als wie sein Date gefühlt. Sie erklärte ihm, dass sie ihn gern hat, aber für mehr reiche es nicht.
Sie waren noch immer gute Freunde und er brachte sie oft zum Lachen. Sie schätzte an ihm, dass er trotz ihrer Abfuhr ein guter Kumpel blieb, mit dem man Pferde stehlen konnte. Und das war in ihren Augen wichtiger als eine zum Scheitern verurteilte Liebesbeziehung, die vielleicht schön war, aber am Ende den Tod jeder Freundschaft bedeutete.
Tom kam zu ihr. »Hat er dich gefunden?«
»Wer?«
»Oh, äh. Patrick.«
»Ja, hat er.«
»Und?«
»Und was?«
»Ähm, gefällt er dir?«
»Nun, ich weiß nicht, was du meinst. Aber er ist gerade mit Vicky rausgegangen, um eine zu rauchen. Und ich denke, die beiden werden nicht nur gemeinsam rauchen.«
Tom sah Maika verwirrt an. Dann schüttelte er leicht den Kopf.
»Gibt es da etwas, das du mir erklären willst?« Maika grinste. Was immer Tommy ausgeheckt haben mochte, es schien gründlich misslungen zu sein.
»Keine Zeit«, wiegelte Tom mit geschäftiger Miene ab. »Wir müssen jetzt spielen. Mach ein paar schöne Fotos von uns, ja?«
»Geht klar.« Maika zwinkerte ihm zu und legte mit der Kamera auf ihn an.
Natürlich war Vicky nicht mehr zurück in den Keller gekommen. Dieser Patrick auch nicht. Als Maika gegen zwei Uhr morgens nach Hause fuhr, dachte sie an ihre Freundin, die wahrscheinlich gerade jede Menge Spaß hatte. Morgen würde sie Vicky ausquetschen und jedes Detail der Nacht erfahren wollen.
Das war kein Problem. Vicky und Maika hatten keine Geheimnisse voreinander. Und ihre Freundin liebte es, Maika den Mund wässrig zu machen. Dann erzählte sie ihr manchmal Dinge, die sie gar nicht hören wollte. Aber ob dieser Weltmeister im Bierzapfen auch gut im Bett war, interessierte sie irgendwie schon.
Es war Jahre her, dass sie einen Freund hatte, dem sie so weit vertraute, dass sie auch mit ihm schlief. Affären, die nur eine Nacht andauerten, waren nichts für sie. Da musste Vertrauen und viel Gefühl eine Rolle spielen, bis sie sich auf jemanden einließ. Bei Vicky war das ganz anders. Sie sollte sich ein Beispiel an ihrer Freundin nehmen, mit dem Gegrübel aufhören und Spaß haben. Aber das funktionierte nicht. Sie war aus einem anderen Holz gemacht. Du bist viel zu romantisch, hatte Vicky mal zu ihr gesagt und die Sache damit sehr liebevoll umschrieben. Denn in Wirklichkeit hatte Maika Angst davor, enttäuscht zu werden, und ihr fehlte auch das Selbstbewusstsein ihrer Freundin. Einen Kerl fünf Minuten zu kennen, um dann mit ihm ins Bett zu gehen, war undenkbar. Vielleicht sollte sie es mal mit Alkohol probieren, um ihre Hemmungen abzustreifen. Aber meist musste sie nüchtern bleiben, um ihren Job anständig zu erledigen. Heute Abend wäre es ein Leichtes gewesen, sich mit zwei oder drei Bier abzuschießen. Mehr brauchte es nicht, da sie nur selten trank. Freunde waren genug da, die sie nach Hause gebracht hätten. Aber am nächsten Morgen mit einem Kater den Artikel zu schreiben, entsprach nicht ihren Vorstellungen von guter Arbeit. Da war sie ein Prinzipienreiter. Und manchmal hasste sie sich selbst für diese hinderliche Eigenschaft.
Als sie in die Wohnung kam, nahm sie ihr Handy und schrieb eine SMS an Vicky. »Frühstück. Morgen um 14 Uhr. Ich bin neugierig. Kuss M.«