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Die (Ziel-)Scheibe
ОглавлениеIch benutze den Begriff Zielscheibe in meiner Arbeit nur äußerst selten, und wenn, dann wie in der Überschrift eher als „(Ziel)-Scheibe“. Denn gerade das Ziel, dies Etwas-bestimmtes-erreichen-Müssen, ist für viele so vorherrschend, dass sie unter einer permanenten Anspannung stehen, und dadurch kaum mehr fähig sind, sich wirklich auf den Moment des Erlebens einzulassen.
Daher sind meine (Ziel-)Scheiben einfache quadratische schwarze Polyfoamblöcke ohne jede Zielauflage6) oder einen abgesetzten schwarzen oder weißen Innenkreis. Eine so blanke Scheibe kann sowohl zur Herausforderung als auch zur Erlösung der Klient*innen werden.
Manche sind gar nicht mehr gewohnt, sich selbst Ziele setzen zu dürfen, und vielleicht sogar welche zu wählen, die nicht unbedingt dem „common sense“ entsprechen. Vielleicht mussten sie erleben, dass sie abgelehnt oder sogar bestraft wurden, wenn sie etwas anderes als das erstrebenswert hielten, was ihnen vorgegeben oder von ihnen erwartetet wurde. Für andere wiederum führt dies Ein-Ziel-haben-Müssen zu einem immensen Druck, der oftmals mit jeder Menge Angst vorm Scheitern, mit Resignation oder Trotz und Widerstand verbunden ist. Und dann gibt es noch diejenigen, die an einem bestimmten Ziel einfach gar nicht interessiert sind.
Die blanke Scheibe bietet auch den Vorteil, dass nach jedem Pfeilziehen keine eindeutig zuzuordnende Markierung sichtbar bleibt. Es kann sich also jedes Mal von neuem ein neues Ziel gesetzt werden, oder eben auch keines.
Die eigentliche Aufgabe der Scheibe ist es ja nur, die Pfeile in ihrem Flug aufzuhalten, ohne sie zu beschädigen. Zusätzlich eröffnet sie jedoch fast ganz nebenbei die Möglichkeit, sich mit der eigenen Toleranz, dem Perfektionsanspruch oder der Erfolgserlaubnis auseinanderzusetzen. Denn sie hält die Pfeile genau an dem Platz, an dem sie auf ihr landen; sei es nun dort, wo es erwünscht und erhofft wurde, oder eben auch an einer ganz anderen Stelle.
Auf der (Ziel-)Scheibe wird einfach der gegenwärtige Moment unbeschönigt abbildet. Von hier aus kann zurückgeblickt oder weiter vorangegangen werden. Die Scheibe verhilft so dazu, das Geschehen sichtbar zu machen. Es kann unverfälscht angesehen werden, da nichts anderes es verwischt oder abschwächt. Und dadurch erfährt es die Würdigung, die es verdient.
Manchmal kann es auch wichtig sein, eine zweite oder gar dritte Scheibe anbieten zu können. Nicht nur, wenn bestimmte Pfeile oder Pfeilbilder noch eine Weile sichtbar bleiben und auf der Scheibe unverändert steckenbleiben müssen. Mit mehreren Scheiben zu arbeiten, bietet den weiteren Vorteil, auch mehrere und verschiedene Aspekte durch die Pfeile zu Wort kommen zu lassen. So können unterschiedliche Gefühle oder verschiedene Persönlichkeitsanteile wie z.B. „der Kritiker“ ihre eigene Scheibe bekommen und ihre Pfeile (und die damit verbundenen Aussagen) sichtbar werden lassen.
Eine zweite Scheibe zu haben kann auch sehr hilfreich sein, wenn mit Paaren gearbeitet wird. Wenn jede/jeder eine eigene Scheibe hat, können sie sich (wieder) als Individuum in der Beziehung erleben. Für Klient*innen, die sehr in einem Wir aufgehen, ist diese Möglichkeit, ganz allein einen eigenen Raum zu haben und nutzen zu dürfen, oft eine ungewohnte Möglichkeit, die sie sich selbst vielleicht schon lange nicht mehr eröffnet haben. Von ihren eigenen Scheiben ausgehend können sie sich nun gegenseitig besuchen und so regelrechte Dialoge miteinander führen.
Wie schon erwähnt können Pfeile symbolisch mit einer bestimmten Bedeutung versehen werden. Vielleicht geschieht dies schon während des Schießens selbst, oder sie erhalten sie, nachdem sie abgeschossen wurden und auf der Scheibe gelandet sind.
Manchmal geschieht es auch, dass einzelne Pfeile, im Zusammenspiel mit den anderen auf der Scheibe, regelrechte Geschichten zu erzählen beginnen. Oftmals lade ich meine Klient*innen dazu ein, die so entstandenen Pfeilbilder auf der (Ziel-)Scheibe auf sich wirken zu lassen, wahrzunehmen, was sich da wie und wo zeigt, und gemeinsam herauszufinden, was dies an Bedeutung(en) für sie bereithält.
Häufig wird im Kontext des gesamten Bildes etwas klarer oder aufschlussreich, und es kommt zu einer wichtigen Erkenntnis oder einem Verstehen. Und dann ist es wunderbar, wenn das Handy gezückt und ein Foto dieses Abbilds zur Erinnerung gemacht werden kann.