Читать книгу Das Ziel bist du - Susanne Sada Rothacker - Страница 15
Die einzelnen Phasen
ОглавлениеIm Bogenschießen haben wir es mit einem bestimmten Ablauf zu tun, der darauf beruht, eine Spannung aufzubauen, die durch die Freigabe des Pfeiles aufgelöst wird. Der gesamte Ablauf des Bogenschießens lässt sich dabei, wie das Leben selbst, in die einzelnen Phasen der Vorbereitung, des Tuns und des Abschlusses einteilen.
Die Vorbereitungsphase beginnt mit der Wahl des Bogens und der Pfeile sowie dem Anlegen des Armschutzes und Köchers. Sie geht weiter mit dem Spannen des Bogens zum Einnehmen der Position an der Schusslinie, dem Ausrichten zur (Ziel-)Scheibe und endet mit der Aufrichtung, diesem Ausgespannt-Sein zwischen Erde und Himmel.
Die Phase des Tuns kann in ein aktives und ein passives Tun unterteilt werden: Aktiv wird der Pfeil aus dem Köcher gezogen und in die Sehne eingenockt, der Kopf gewendet, der Bogen gespannt und die Sehne bis zum sog. Ankerpunkt9) gezogen. Passiv, im Sinne eines Nicht-Tuns, geschieht das Zentrieren / Sich-Sammeln vor dem Spannen des Bogens.
Die Abschlussphase beginnt mit dem Freigeben, dem sog. Release, des Pfeiles, wobei der Pfeilflug beobachtet wird, und endet mit dem Nachhallen-Lassen des Geschehenen.
Ob der Release ein aktives oder passives Tun ist, diese Frage würde ich mit „sowohl als auch“ beantworten: Aktiv, weil sich zum einen – im besten Falle – die Schulter dabei öffnet und zum anderen eine innere Entscheidung dazu getroffen werden muss. Passiv, weil im Freigeben des Pfeils das Tun-Wollen losgelassen werden muss, letztendlich eine Art Hingabe an das Geschehen.
Diese Phasen wiederholen sich jedes Mal, solange Pfeile geschossen werden. Jeder einzelne Schritt in diesem Ablauf beruht auf den vorangegangenen Schritten und bereitet den folgenden Schritt vor. Dies bedeutet, dass für ein sicheres und wirksames Schießen keiner der Schritte ausgelassen oder übersprungen werden kann.
Es bedeutet auch, dass der Ablauf jedes Mal einen in sich geschlossenen Zyklus mit Anfang, Höhepunkt und Ende darstellt. Nichts währt dabei ewig. Jeder Schritt wird durch einen nächsten abgelöst. Erst wenn dies zugelassen werden kann, kann am Ende der Pfeil fliegen.
Manche hängen nun an bestimmten Phasen des Ablaufs fest, z.B. der Aufrichtung, dem Zentrieren, dem Pfeil nachsehen, und könnten laut eigener Aussage stundenlang darin verweilen. Doch wie alles im Leben nur für eine bestimmte Zeit seine Gültigkeit hat und dann durch anderes abgelöst werden muss, so ist es auch beim Bogenschießen.
Sich diesen Gesetzmäßigkeiten ergeben zu können, erfordert nicht nur das Bewusstsein, dass alles miteinander zusammenhängt und nichts davon beschleunigt oder umgangen werden kann, sondern auch die Geduld, abwarten zu können, wann was getan werden muss.
Es braucht das Vertrauen, dass das, was sich vorbereitet, auch vollendet werden kann und darf. Und letztendlich braucht es die Bereitschaft, immer wieder von neuem zu beginnen und abzuschließen.
Ich möchte nun die einzelnen Phasen und die darin möglichen Themen genauer betrachten.
Es gibt Klient*innen, die zumeist die Vorbereitungsphase unnatürlich lang ausdehnen, indem sie sehr viel Zeit darauf verwenden, einen Bogen oder Pfeile für sich zu wählen, oder, wenn sie an der Schusslinie stehen, lange nach dem richtigen Stand oder Aufrichten für sich suchen. Es ist, als ob sie sich in dieser Phase einrichten wollten. Dahinter kann z.B. stecken, Bekanntes nicht verlassen zu können und zu wollen; die Unsicherheit und vielleicht auch Angst vor dem kommenden Unbekannten.
Auch Über-Perfektion, ein mangelndes Vertrauen in sich und die Welt, kann dazu führen, dass in dieser Phase immer wieder der Stand überprüft wird oder der Blick ständig zur (Ziel-)Scheibe wandert. Bin ich wirklich schon so weit? Wird es gut werden? Noch ist ja nichts wirklich ernst, sind die Pfeile noch im Köcher, und der Bogen ist noch nicht ausgezogen. In dieser Phase ist noch alles offen, es gibt noch nichts, worin sie versagen könnten.
Andere scheinen diese Phase gar nicht wirklich wahrzunehmen. Kaum haben sie Bogen und Pfeile gewählt und stehen an der Schusslinie, gehen sie ins Schießen. Wozu braucht es schon Vorbereitung?! Für sie mag es eine reine Zeitverschwendung darstellen, ein unnötiges Aufhalten mit etwas, das nichts mit dem Eigentlichen zu tun hat, dem Abschießen des Pfeiles. Leistungsorientierte Menschen, die gelernt haben, dass nur nachweisbare und messbare Ergebnisse etwas zählen, weil sie dafür Anerkennung und Achtung bekommen, neigen häufiger zu diesem Verhalten.
In der Phase des Tuns fällt es manchen Klient*innen schwer, die passiven Momente auszuhalten. Sie kürzen diese ab oder überspringen sie gleich, um endlich aktiv werden zu können. Nichts zu tun zu haben kann für einige verunsichernd und beängstigend sein, denn es besteht dabei die Gefahr, viel zu sehr auf sich selbst zurückgeworfen zu werden und dadurch womöglich mit Gedanken und Gefühlen in Kontakt zu kommen, die unangenehm, schmerzhaft oder gar gefährlich sind. Aktion wird dann zur Rettung.
Andererseits kann ein Tun Folgen haben, die (noch) nicht überschaubar sind. Für diejenigen, die in ihrer Biografie viel mit Sanktionen zu tun hatten, kann eine nicht einschätzbare Auswirkung sehr riskant sein, und es ist daher viel sicherer, im Passiven zu verweilen.
Wenn sie dann doch irgendwann in ein aktives Tun übergehen müssen, geschieht dies oftmals zögerlich, immer wieder abbrechend und nachfragend, was denn jetzt genau zu tun sei; oder hektisch und fahrig, als müsste das Ganze möglichst schnell hinter sich gebracht werden.
In der Abschlussphase zeigt sich, ob es überhaupt zu einem Abschluss kommen darf: Kann der Pfeil freigegeben und auch das Ergebnis angesehen werden? Oder wird gar nicht nachgesehen, wie und wo der Pfeil gelandet ist? Oder wird erst gar kein Pfeil abgeschossen?
Alles, was schön und angenehm ist, soll niemals enden. Und wenn die Erfahrung gemacht wurde, dass ein Ende ein unweigerliches „aus und vorbei“ bedeutet, womöglich für alle Zeit, ist es ganz sicher besser, erst gar nicht zu einem Abschluss zu kommen.
Vorbereitung, Tun, Abschluss, diese Phasen lassen sich auf sehr viele Bereiche des Lebens übertragen. Naheliegend sind Projekte, die geplant, durchgeführt und zu einem Ende gebracht werden sollen. Jedoch finden die gleichen Phasen auch bei jeder Entscheidungsfindung statt, in Neuorientierungen, Trennungs- und Abschiedssituationen, oder wenn es um eine bevorstehende Auseinandersetzung mit einer oder mehreren anderen Personen geht.
Die Erfahrungen, die beim Bogenschießen durch das achtsame und bewusste Innehalten, Hineinspüren und Experimentieren in den einzelnen Phasen gemacht werden, können aufzeigen, welche leichter oder schwerer fallen, wo sich wohlgefühlt wird, und welche am liebsten umgangen oder gemieden werden wollen. All dies kann zu Erkenntnissen über eigene Schwierigkeiten in unterschiedlichen Lebensbereichen führen.
Noch deutlicher kann sich dies an einzelnen Stellen im Ablauf des Bogenschießens zeigen, da darin oft bestimmte Themen liegen können, die ich in den nächsten Kapiteln näher skizzieren möchte.