Читать книгу Im Palast der sieben Sünden - Susanne Scheibler - Страница 11

7. Kapitel

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Graf Lasarow hatte verfügt, daß Swetlana mit ihrer Mutter bereits eine Woche später abreisen sollte, zunächst nach Polen und dann weiter nach Berlin. Dort sollten sie bleiben, bis das Kind geboren war und man es fortgeben konnte.

Aber die Aufregungen hatten Wera Karlowna krank gemacht. Sie bekam Fieber und mußte das Bett hüten.

Zwar versuchte sie, zwischendurch immer wieder aufzustehen, um das Packen der Sachen zu beaufsichtigen, denn da man mehrere Monate lang wegbleiben wollte, war eine Menge an Kleidern, Mänteln, Schuhen und Accessoires mitzunehmen.

Doch gerade dadurch verzögerte sich Wera Karlownas Genesung, so daß an eine Abreise noch nicht zu denken war.

Im übrigen sorgte Graf Lasarow selbst dafür, daß die Dienstboten von der Schwangerschaft seiner ältesten Tochter erfuhren.

Schon sein erster lautstarker Auftritt in Swetlanas Zimmer war im Haus zu hören gewesen, und in den folgenden Tagen legte sich Pawel Konstantinowitsch ebenfalls keine Zügel an, sobald er Swetlana ansichtig wurde, so daß selbst die halb taube Gärtnersfrau Mura Ossipowna begriff, was passiert war.

Gerede aber kann sich in der Tat schneller verbreiten, als ein Vogel fliegt.

Matwej, einer der Lasarowschen Kutscher, stieg der Zofe der Generalin Bogdanowitsch nach, und er hatte nichts Eiligeres zu tun, als der hübschen Walentina brühwarm von dem Streit im Haus seiner Herrschaft zu erzählen. Walentina überbrachte die pikante Neuigkeit der Generalin zusammen mit der Morgenschokolade, und da die Bogdanowitsch ein sehr gastfreies Haus führte, in dem sich allabendlich die elegante Petersburger Gesellschaft ein Stelldichein gab, machte der Tratsch über Swetlana Lasarowa in Windeseile die Runde.

Man rechnete nach und schüttelte die Köpfe. Also, von Rittmeister Barschewskij konnte das Kind nicht sein, dazu war er schon zu lange tot. Zumindest hätte man Swetlana dann ihre Schwangerschaft längst ansehen müssen.

Wer aber war dann der Vater? Fürst Soklow vielleicht, der sich mit dem unglücklichen Boris Petrowitsch duelliert hatte?

Oder gab es noch einen Dritten, mit dem es die Lasarowa in aller Heimlichkeit getrieben hatte?

Darüber erhitzten sich die Gemüter. Die einen wollten wissen, daß Fürst Soklow tatsächlich Swetlanas Liebhaber sei und Barschewskij ihn deshalb gefordert habe. Andere behaupteten, man habe Swetlana einige Male in Herrenbegleitung in zwielichtigen Lokalen gesehen, jedesmal mit einem anderen Kavalier, versteht sich, und wieder andere erzählten, das Kind, das sie erwarte, sei von einem Schmied auf ihrem elterlichen Gut, mit dem sie es nach Boris’ Tod schamlos getrieben hätte. Darum hätte ihre Mutter sie dann auch Knall auf Fall wieder nach Petersburg zurückgebracht.

Die Gerüchteküche summte, wobei die Damen mit tiefster Mißbilligung und wohligem Entsetzen über Swetlana herfielen und die Herren ein gewisses Funkeln in den Augen hatte.

Sie sei ja wirklich ein rassiges Frauenzimmer, die kleine Swetlana Pawlowna, und schon eine Todsünde wert.

Natürlich erfuhr auch Leonid Soklow von dem Gerede. Prinz Katjubin berichtete es ihm während eines gemeinsamen Champagnerfrühstücks und zwinkerte ihm grinsend zu.

»Du bist vielleicht ein durchtriebener Gauner, mein lieber Leonid Iwanowitsch! Erst bringst du den Verlobten der Kleinen durch deine Andeutungen so weit, daß ihr euch duelliert, dann schaltest du ihn mit einem Pistolenschuß aus, damit du freie Bahn hast, und zu guter Letzt drehst du ihr noch ein Kind an! Das einzige, was ich bei der ganzen Sache nicht verstehe, ist, warum der Zar sich persönlich eingemischt hat, damit die eigentliche Ursache des Duells nicht bekannt wurde.«

Soklow nahm sich eines von den Kaviarblinis, die der Kellner gerade serviert hatte, und gab einen Löffel saure Sahne darüber.

»Seine Majestät wollte nicht, daß der Name von Swetlana Pawlowna im Mittelpunkt eines Skandals stand. Soviel ich weiß, hat die Zarin einen Narren an ihr gefressen. Man sagt, sie sei sogar schon zum Tee bei Ihrer Majestät gewesen. Und wir kennen ja unsere allergnädigste Kaiserin: Sie duldet keine Unmoral in ihrer Umgebung. Ihre Protéges müssen allesamt reine weiße Lämmchen sein. Und wenn eines doch ein paar schwarze Flecken aufweist, wird es eben reingewaschen.«

Katjubin pfiff durch die Zähne. »Aber sag, ist es wirklich wahr, daß die Lasarowa von dir schwanger ist?«

Soklow spülte einen Bissen Blini mit Champagner hinunter. »Verdammt, das Zeug ist schon wieder lauwarm! Trink aus, Katjubin, damit wir frischen bestellen können.«

Er winkte dem Ober und orderte eine weitere Flasche. Erst dann wandte er sich wieder dem Prinzen zu. »Warte eine kleine Weile, mein Freund, dann wirst du es erfahren. Im Augenblick erscheint es mir undelikat, darüber zu sprechen.«

Noch am selben Tag fuhr er ins Lasarowsche Palais und bat darum, Pawel Konstantinowitsch sprechen zu dürfen. Ohne lange Umschweife hielt er bei ihm um Swetlanas Hand an.

Graf Lasarow reagierte mit großer Verlegenheit. »Mein lieber Leonid Iwanowitsch, ich weiß die Ehre Ihres Antrags natürlich außerordentlich zu schätzen. Aber es gibt gewisse Gründe, ihn dennoch abzulehnen, so schwer es mir fällt. Leider sehe ich mich gezwungen, Swetlana für längere Zeit auf Reisen zu schicken, sobald ihre Mutter gesundheitlich dazu in der Lage ist. Ich will nicht mehr zu dieser Angelegenheit sagen als nur das: Sie mögen meine Tochter für ein untadeliges junges Mädchen halten, würdig, eine Fürstin Soklowa zu werden, aber ...«

Leonid schlug die Beine übereinander. »Reden wir doch Klartext miteinander, Pawel Konstantinowitsch. Ich will Ihre Tochter haben, und es stört mit nicht, daß sie in ein paar Monaten einen kleinen Romanow-Bastard zur Welt bringen wird.«

Lasarow wurde aschfahl. »Um Gottes willen, woher wissen Sie ...«

»Sie gestatten doch?« Der Fürst zündete sich eine Papyrossi an. »Ich weiß es eben. Aber seien Sie unbesorgt, ich werde nicht damit hausieren gehen, denn ich möchte keinesfalls, daß man mir später nachsagt, ich hätte mir ein Kuckucksei unterschieben lassen. Dieses Kind wird den Namen Soklow tragen, und nach einiger Zeit wird kein Mensch sich mehr das Maul darüber zerreißen, daß es nur vier oder fünf Monate nach meiner Hochzeit mit Swetlana Pawlowna geboren wurde.«

Lasarow starrte ihn mit offenem Mund an.

»Warum wollen Sie das tun? Sind Sie ruiniert und legen Wert auf eine ansehnliche Mitgift?«

Soklow lachte. »Meine finanziellen Verhältnisse könnten gar nicht besser sein. Ich sage Ihnen doch: Ich will Swetlana haben. Ich wollte sie schon im letzten Winter, als sie in die Gesellschaft eingeführt wurde, aber leider hat sie Barschewskij den Vorzug gegeben – und natürlich dem teuren Verstorbenen, dessen Namen ich Ihnen ja nicht zu nennen brauche. Jetzt gibt es beide nicht mehr, und ich bin entschlossen, keinem Dritten auch nur den Schatten einer Chance einzuräumen. Also sagen Sie ja. Ich biete Ihnen doch wirklich die Rettung aus einer höchst prekären Situation an.«

Damit hatte er zweifelsohne recht. Trotzdem empfand Pawel Konstantinowitsch plötzlich Unbehagen. Er betrachtete Soklow, wie er da saß, wie immer hochelegant gekleidet, mit sorgfältig gescheiteltem Haar und einem Gesicht, das sowohl Kälte als auch eine gewisse Verkommenheit verriet.

Sein Ruf war nicht der beste, das wußte Lasarow inzwischen. Soklow galt als intrigant und skrupellos, und man erzählte sich, daß in seinem Palais auf der Wassiljewskij-Insel die wildesten Orgien stattfänden. Und er hatte Boris Barschewskij erschossen.

Er muß total verrückt nach Swetlana sein, dachte Pawel Konstantinowitsch, und seine Aversion wuchs. Seine Tochter im Bett dieses aalglatten Lebemannes?

Lasarow war immer so stolz auf Swetlana gewesen. Darum hatte es ihn auch so besonders getroffen, daß sie die Geliebte des Großfürsten Georg geworden war. Mätressen waren nicht gut genug, daß man sie heiratete. Man amüsierte sich mit ihnen, und wenn man sie satt hatte, warf man sie weg.

Trotzdem hatte der Graf es zähneknirschend hinnehmen müssen, daß Swetlana diesen Weg ging. Man stieß den Bruder des Zaren nicht die Treppe hinunter, weil er mit der Tochter herumhurte. Man konnte nur die Augen davor verschließen und beten, daß keine Katastrophe passierte.

Aber sie war passiert, die Katastrophe. Swetlana bekam ein Kind, dessen Vater nicht mehr lebte.

Pawel Konstantinowitsch geriet ins Schwitzen, sobald er daran dachte, daß seine Tochter ihn in diese blamable Situation gebracht hatte, und er verzieh es ihr nicht. Warum also sollte er auf sie Rücksicht nehmen, wenn dieser Leonid Soklow sie haben wollte? Hatte sie vielleicht Rücksicht auf ihren Vater genommen?

Lasarow verdrängte seinen Widerwillen und setzte ein, wie er meinte, liebenswürdig-gewandtes Lächeln auf.

»Verzeihen Sie, mein lieber Leonid Iwanowitsch, ich bin vollkommen überrascht. Ich hätte nicht erwartet, daß ein unbescholtener, ehrenhafter Mann aus erster Familie, mit einem großen Vermögen gesegnet, meiner Tochter sein Herz und seine Hand ...«

»Und so weiter und so weiter«, fiel Soklow ihm ins Wort. »Sparen Sie sich Ihre Schnörkel und Verrenkungen, mein Teuerster. Swetlana braucht einen Mann und einen Vater für ihren Bastard. Beides bekommt sie. Und mir wird es eines Tages vielleicht von Nutzen sein, daß ich diesem Kind den Makel einer illegitimen Geburt erspart habe. Wer weiß?«

Lasarow warf ihm einen unsicheren Blick zu. »Glauben Sie denn, daß Ihre Majestäten wissen ...«

»Daß Swetlana Pawlowna ein Kind erwartet? Vielleicht heute noch nicht. Doch da ihnen bekannt sein dürfte, daß es neun Monate von der Zeugung bis zur Geburt dauert, können sie sich leicht ausrechnen, wer der leibliche Vater ist. Aber Sie haben natürlich mein Ehrenwort, daß ich von mir aus niemandem, auch dem Zarenpaar gegenüber nicht, eine Andeutung machen werde. Manchmal werden die unausgesprochenen Dinge besser honoriert als die, mit denen man sich brüstet.«

Eine Woche später – sowohl Graf Lasarow als auch Leonid Soklow hatten auf eine rasche Eheschließung gedrängt – war Swetlana mit dem Fürsten verheiratet.

Sie hatte zugestimmt, weil sie wußte, daß dies die einzige Möglichkeit für sie war, ihr Kind behalten zu können.

Was aus ihr selbst wurde, beschäftigte sie wenig. In ihrer Vorstellung war ihr Leben ohnehin zu Ende, und sie führte es nur fort, weil sie für ihr Kind dasein mußte. Sie konnte es nicht allein zurücklassen – und sie hätte es auch nicht umbringen können, solange es noch in ihr war.

In der Woche vor ihrer Hochzeit war Soklow von ausgesuchter Höflichkeit. Er brachte Swetlana Blumen und kleine Geschenke, küßte ihr die Hand, wenn er kam und ging, und hielt bei jedem Zusammentreffen vollkommen die Grenzen des Anstands ein. Aber er vermochte Swetlana nicht zu täuschen. Der Wolf hatte einen Schafspelz übergezogen, und wenn sie erst Fürstin Soklowa hieß, würde er ihn abwerfen und über sie herfallen.

Georg hatte sie zur Frau gemacht; nun spürte sie mit allen Fasern, wie Soklow sie begehrte und daß er sich nur beherrschte, um sie in Sicherheit zu wiegen.

Die Zarin hatte ihr zwei Tage vor der Trauung ein Billett gesandt.

Mein liebes Kind, hatte sie geschrieben, ich weiß nicht, was ich von Ihren Plänen halten soll. Natürlich sieht alles auf den ersten Blick sehr vorteilhaft aus, aber vielleicht sollten wir noch einmal gemeinsam beratschlagen, ob es nicht einen anderen Ausweg gibt. Ich werde Anweisungen geben, daß man Sie sofort vorläßt, wenn Sie zu mir kommen möchten.

Swetlana war nicht ins Winterpalais gefahren. Sie hatte Alexandra Fjodorowna lediglich in einem kurzen Brief für ihre Freundlichkeit und Anteilnahme gedankt. Aber was sollte es noch für einen Ausweg geben außer der Ehe mit Leonid Iwanowitsch? Ein anderer Mann vielleicht, den die Zarin vorschlug? Er würde auch nicht besser als Soklow sein, sondern sich die Gefälligkeit, einer Frau seinen Namen zu geben, die ein uneheliches Kind erwartete, auf jede erdenkliche Weise bezahlen lassen.

Die Trauung fand am späten Nachmittag in der Erlöserkirche statt. Xenia und Irina hielten die Brautkronen über Swetlanas und Soklows Köpfe.

Der Pope, der sie zusammengab, war nachlässig gekleidet. Sein Priestergewand wies Flecken auf, und er roch unangenehm. Sein dünner Adamsapfel hüpfte hin und her, wenn er seinen Speichel hinunterschluckte. Aber er hatte eine herrliche Stimme und sang den Großen Segen so schön und hingebungsvoll, daß es Swetlana Tränen in die Augen trieb.

Am Abend nach einem Diner im Lasarowschen Palais, das nur im Familienkreis eingenommen wurde und bei dem keine gelöste Stimmung aufkommen wollte, fuhr Swetlana mit ihrem Mann in dessen Palast auf der Wassiljewskij-Insel.

Es war ein etwas düsterer, gleichwohl sehr prunkvoller Bau aus der Zeit der Zarin Elisabeth, in dessen Halle sich die Hausangestellten versammelt hatten, um ihre neue Herrin zu begrüßen und ihre Glückwünsche anzubringen.

Swetlana nickte und lächelte, sagte da und dort ein paar Worte, während Soklow bereits in einem Salon verschwand und ungeduldig nach Champagner und Wodka verlangte. Als Swetlana hereinkam, lehnte er am Kamin, ein Glas in der Hand, und rauchte eine Papyrossi.

Sie hatte noch bei ihren Eltern ihr Hochzeitskleid mit einem hochgeschlossenen Samtkostüm vertauscht, das mit Zobel besetzt war. Auch die Kappe, ebenso der weite Mantel, waren aus Zobel.

»Leg ab«, sagte Soklow. »Es ist warm genug.«

Zögernd entledigte sie sich ihres Mantels, knöpfte die Jacke auf und spürte Leonids Blicke, die über ihre Figur wanderten.

Er lachte. »Hast du Angst vor mir?«

»Nein«, erwiderte sie mit steifen Lippen. »Oder sollte ich das?«

Er stellte sein Glas auf dem Kaminsims ab und kam zu ihr. Mit zwei Fingern umfaßte er ihr Kinn und hob es an. »Was für eine keusche Spitzenbluse sie anhat, die schöne Soklowa! Meinst du, du könntest damit etwas vortäuschen, was du nicht bist?«

Sie grub die Nägel in die Handflächen. »Warum sagen Sie so etwas? Wollen Sie mich demütigen?«

Er lachte wieder. »Aber nein. Ich stecke nur die Fronten ab. Im übrigen hör auf, mich zu siezen. Das ist eine Unsitte, die ich absolut albern finde für Leute, die miteinander ins Bett gehen. Oder hast du den Großfürsten auch gesiezt?«

Georg ... Mit einemmal überkam sie eine so heftige Sehnsucht nach dem toten Geliebten, daß sie hätte schreien mögen. Was tat sie hier in diesem in Rot und Gold schimmernden Salon mit seinen Plüschportieren, den hochlehnigen Sesseln und dem Kristallüster, der ein funkelndes Licht verbreitete, so daß ihr die Augen schmerzten? Warum hatte sie diesen Fremden geheiratet, der ihr Widerwillen einflößte? Nur, um ihrem Kind ein warmes Nest zu geben?

»Los, antworte!« forderte Soklow und begann, ihre Bluse aufzuknöpfen.

Unwillkürlich wich sie zurück und bedeckte ihren Oberkörper mit den Armen. »Nein, wir haben du zueinander gesagt.«

»Bei ihm hast du dich nicht so verschämt aufgerührt, was? Aber wir sind verheiratet, meine teure Swetlana, und ich habe das Recht, alles mit dir zu tun, was ich will. Es ist keiner mehr da, der dich davor schützt. Barschewskij nicht und dein Romanow-Hengst auch nicht. Nur ich bin übriggeblieben.«

Er kam ihr nach und streifte ihr die Bluse von den Schultern. Ein paar Knöpfe waren noch geschlossen, und als er daran zerrte, sprangen sie ab.

Gehetzt blickte Swetlana sich um. »Sie wollen doch nicht hier ... Bitte, wenn jemand hereinkommt!«

»Es kommt niemand. Keiner von der Dienerschaft würde es wagen, ungerufen bei mir aufzutauchen, wenn ich ein Frauenzimmer bei mir habe. Sie sind daran gewöhnt, daß ich läute, wenn ich etwas brauche. Im übrigen hast du schon wieder Sie zu mir gesagt. Bist du halsstarrig oder nur zu schwerfällig, um umzulernen?«

Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern begann sie zu küssen. Mit brutaler Gewalt drängte er ihre Lippen auseinander. Er tat ihr weh, aber sie wehrte sich nicht, sondern lag reglos an seiner Brust und spürte, wie er ihren Körper abtastete.

Er holte ihre Brüste aus dem Mieder und küßte auch sie. Dann zerfetzte er den zarten Spitzenstoff und riß ihr den Rock herunter. Sein Gesicht war verzerrt, als er sie betrachtete, und in seinen Augen stand ein Feuer, das ihr nun tatsächlich angst machte.

Er wirkte wie ein Besessener oder Trunksüchtiger, der nach langer Abstinenz eine Flasche an den Mund setzt.

Unwillkürlich wich Swetlana wieder zurück, als er sein Knie zwischen ihre Beine zwängte. Er registrierte es mit einem ärgerlichen Laut und drückte sie noch enger an sich. Seine Hände waren grob und ohne Zärtlichkeit.

Dann ließ er sie abrupt los. »Zieh dich ganz aus«, befahl er. Zitternd gehorchte sie, streifte die Strümpfe ab, den Unterrock. Als sie nackt war, verschränkte sie wieder die Hände vor der Brust, und Soklow lachte.

»Immer noch so verschämt? Hör zu, meine Kleine. Ich liebe Huren im Bett, und ich bin sicher, daß du eine bist. Ein gieriges, raffiniertes Hürchen. Sonst hättest du dich nicht mit siebzehn Jahren mit zwei Männern gleichzeitig abgegeben. Aber damit wir uns richtig verstehen: Mit solchen Spielchen ist jetzt Schluß!«

Er kam wieder zu ihr und hob sie mit einem Schwung hoch, um sie auf dem Teppich vor dem Kamin zu Boden gleiten zu lassen. »Küß mich jetzt«, sagte er. »Zeig, was du gelernt hast. Ich will endlich wissen, wie es ist, wenn du glühst und scharf wie eine heiße Katze bist.«

Sein Augenausdruck bewirkte, daß sie tat, was er verlangte. Sie umarmte ihn und drückte ihre Lippen auf seinen Mund.

Sofort erwiderte er ihren Kuß, aber auf eine Art, die ihr Schmerzen zufügte. Mit seinem Gewicht drückte er ihren Körper nieder.

Sie spürte, wie er seine Hose öffnete, und dann kam er zu ihr. Es war wie eine Vergewaltigung. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, sich völlig seiner Kleidung zu entledigen, und er tat ihr weh. Aber sie schwieg und ließ es mit sich geschehen.

Es kam Swetlana wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich von ihr abließ. Eine kleine Weile blieb er liegen, ohne sich zu rühren oder etwas zu sagen. Dann stand er auf und brachte seine Kleider in Ordnung.

Mit einem glitzernden Blick sah er auf Swetlana hinunter. »Heute werde ich dich nicht bestrafen, daß du so teilnahmslos warst. Aber rechne nicht damit, daß ich zartfühlend und geduldig bin. Du wirst dich in Zukunft etwas mehr anstrengen müssen, sonst werde ich andere Saiten aufziehen. Vergiß nicht, ich gebe deinem kleinen Romanow-Bastard meinen Namen. Er wird als mein Sohn aufwachsen, und das bedeutet, daß er bei mir bleibt, falls es mir gefällt, dich eines Tages zum Teufel zu schicken. Darum bilde dir auch nicht ein, daß du mich verlassen könntest. Oder willst du dein Kind verlieren?«

Sie war zu elend, um ihm eine Erwiderung zu geben. Erst als er sie anfuhr: »Antworte mir!« sagte sie leise:

»Es ist gut. Ich werde tun, was Sie ... was du verlangst.«

Er ging zum Tisch und schenkte sich Wodka nach. »Ich weiß. Du bist nicht dumm. Dir ist klar, daß du gar keine andere Möglichkeit hast. Und nun gute Nacht, meine teure Soklowa. Geh zu Bett und warte nicht auf mich. Ich habe vor, noch auszufahren.«

Er leerte sein Glas und wandte sich zur Tür. Draußen rief er nach seinem Diener. Swetlana hörte, wie er mit ihm ein paar Worte wechselte und laut lachte.

Dann verließ er pfeifend das Haus.

Von da an kam er jede Nacht zu ihr, manchmal auch noch am Morgen. Dann weckte er sie und war in ihr, kaum daß sie die Augen aufgeschlagen hatte. Zweifelsohne war er wie besessen von ihr und konnte nicht genug bekommen.

Aber ebenso sicher war, daß Swetlana deswegen keine Macht über ihn hatte. Er benutzte sie, wie es ihm gefiel, und sie mußte sich fügen.

Sie lernte rasch, daß es klug war, alles zu tun, was er von ihr verlangte, denn sonst schlug er sie und überschüttete sie mit ätzendem Hohn, der ihr noch schlimmer vorkam als seine körperlichen Attacken.

Im übrigen erwartete er, daß sie vor aller Welt die jungverheiratete, verliebte Frau spielte, ebenso wie er sich in der Öffentlichkeit in der Rolle des glücklichen, fürsorgenden Ehemannes gefiel.

Er brachte Swetlana Geschenke mit, Schmuck, Taschen, Schuhe, Parfüm, ließ sie in den teuersten Modesalons von St. Petersburg einkleiden, und die eleganten Toiletten der schönen Fürstin Soklowa gehörten bald zu den Lieblingsthemen der Damen in den Palais der Hauptstadt.

Sie gingen häufig aus, hatten ebenso oft Gäste, und als die Zarenfamilie zu den Neujahrsfeierlichkeiten wieder nach St. Petersburg kam, wurden sie auch bei Hof empfangen und zu den Bällen und Soireen, den Schlittenpartien auf der zugefrorenen Newa und den Paraden auf dem Marsfeld geladen.

Sie hatten eine Loge im Alexander-Theater, in dem französische Komödien gespielt wurden, und im Kaiserlichen Theater, wo sie der Kschessinskaja applaudierten, von der man wußte, daß sie vor seiner Ehe mit Alexandra die Geliebte von Zar Nikolaus gewesen war.

Swetlanas Mutter hatte, wie es ihre Art war, verdrängt, warum ihre Tochter Leonid Soklow geheiratet hatte. Für Wera Karlowna war längst alles in schönster Ordnung; Gott war gnädig gewesen. Er hatte nicht nur den Skandal um Boris Barschewskijs Tod von Swetlana abgewendet, sondern auch den weitaus schlimmeren, der für kurze Zeit drohend über ihnen geschwebt hätte.

Swetlana hatte eine glänzende Partie gemacht, und wenn ihr Baby ein paar Wochen zu früh geboren wurde – wer wollte behaupten, daß es nicht von Leonid Soklow war?

Es war ja offensichtlich, wie verliebt er in seine junge Frau war, und Wera sagte zu ihrer Tochter: »Es ist schön, mein Kind, daß du nun wieder glücklich bist. Glaub mir, eine Mutter leidet Höllenqualen, wenn sie sieht, daß eines ihrer Kinder Kummer hat. Aber du bist so aufgeblüht, seit du verheiratet bist, da braucht man gar nicht zu fragen, ob Leonid Iwanowitsch gut zu dir ist. Ach ja, er liebt dich sehr, und das macht mich froh.«

»Ja, Mama«, erwiderte Swetlana und deutete auf das Rubinhalsband, das sie trug. »Sehen Sie nur, das hat er mir gestern mitgebracht.«

Sagen, was man von ihr erwartete, tun, was sie tun mußte ...

Was hätte es für einen Sinn gehabt, ihre Mutter darüber aufzuklären, wie ihre Ehe wirklich war? Wera Karlowna hätte geweint und lamentiert und ihrer Tochter zu guter Letzt empfohlen, dies als eine vom Schicksal auferlegte Buße für ihre frühere Bedenkenlosigkeit anzunehmen. Und geändert hätte es ohnehin nichts.

Am 6. Januar des Jahres 1900 nahm Zar Nikolaus die traditionelle Segnung des Newa-Wassers vor. Es war ein klirrend kalter, sonniger Tag, und Swetlana wurde nach dem Zeremoniell zusammen mit Leonid zum Schlitten der Kaiserin gebeten, wo Alexandra Fjodorowna, in dicke Pelze gehüllt, neben einem Adjutanten und Anna Wyrubowa saß.

Die Zarin sah schlecht aus, sie fror und hatte blaue Lippen. Aber das Lächeln, mit dem sie Swetlana begrüßte, war voller Herzlichkeit.

»Meine liebe Madame Soklowa, ich habe so oft an Sie gedacht und mich gefragt, wie es Ihnen geht. Sie sehen wieder einmal wunderhübsch aus. Und was für eine bezaubernde Pelzkappe Sie trägen!« Sie nickte Leonid zu. »Ich hoffe, Sie wissen es zu schätzen, Fürst, daß Sie eine so liebenswerte, schöne Frau bekommen haben. Wenn nicht, würde ich Ihnen das sehr übelnehmen.«

Soklow verneigte sich. »Euer Kaiserliche Majestät können sicher sein, daß Swetlana Pawlowna das größte Glück meines Lebens ist. Daß sie mich geheiratet hat, gehört zu den Ereignissen meines Daseins, die mich unendlich dankbar stimmen.«

Swetlana sah, daß die Zarin ihn nach diesen Worten ein paar Sekunden prüfend, mit unmerklich gerunzelten Brauen betrachtete. Doch dann erwiderte sie:

»Es freut mich, daß Sie das sagen, denn ich habe Ihre Gattin sehr gern. Ich möchte sie öfter in meiner Nähe haben, und darum habe ich mich entschlossen, sie zu meiner Ehrendame zu ernennen. Es ist schön in Zarskoje Selo, und ich bin überzeugt, daß es Swetlana Pawlowna dort gefallen wird.«

Leonid zwang sieh zu einem Lächeln. »Zweifelsohne. Dennoch mögen Euer Majestät bedenken, daß es mich sehr hart ankommen würde, meine Frau nicht alle Tage um mich zu haben.«

»Sie werden das Beste daraus machen, davon bin ich überzeugt«, entgegnete die Zarin, und in ihren sonst so sanften Augen stand plötzlich ein unbeugsamer Ausdruck. »Im übrigen steht es Ihnen frei, so oft nach Zarskoje Selo zu kommen, wie Sie mögen, wenn wir nicht sowieso in der Hauptstadt sind.«

Sie seufzte unterdrückt. »Vorläufig werden wir jedenfalls der Ballsaison wegen hierbleiben müssen. Zudem ist Seine Majestät mit einer Unzahl von Regierungsgeschäften überlastet.«

Leonid kniff die Lippen zusammen. »Euer Majestät sind sehr gütig. Gleichwohl halte ich es zum augenblicklichen Zeitpunkt für wenig wünschenswert, meine Frau in den Hofdienst zu berufen. Wir haben die freudige Nachricht zwar noch nicht publik gemacht, aber nun muß es wohl sein: Meine Frau erwartet ein Kind. Es soll Ende Mai zur Welt kommen.«

»Meinen herzlichsten Glückwunsch, Fürst.« Alexandra Fjodorowna hielt seinem Blick mit großer Ruhe stand. »Sie dürfen versichert sein, daß ich immer und überall auf den Zustand Ihrer Gattin Rücksicht nehmen werde. Ich möchte sie nur oft in meiner Nähe haben, das ist alles.«

Sie nickte ihm und Swetlana verabschiedend zu. »Kommen Sie heute abend zum Essen zu uns, meine liebe Madame Soklowa. Es findet nur im kleinsten Kreise statt. Darin können wir alle Einzelheiten Ihres Eintritts in den Hofdienst festlegen.«

»Die Zarin ahnt vermutlich, von wem dein Wechselbalg in Wahrheit ist«, sagte Leonid, als er mit Swetlana zur Wassiljewskij-Insel zurückfuhr. »Und nun will sie schützend ihre Hand über dich und ihren illegitimen Neffen oder ihre Nichte halten. Aber bilde dir nicht ein, daß dir das viel nützt. Offiziell ist es mein Kind, und die sittenstrenge Alexandra Fjodorowna wird sich lieber die Zunge abbeißen als öffentlich zuzugeben, daß es von ihrem verstorbenen Schwager ist. Sie duldet keinen Flecken auf der Familienehre der Romanows. Es ist sowieso erstaunlich, daß sie Georgs Affäre mit dir goutiert hat. Normalerweise sind solche Dinge für sie absolut verdammenswert.«

Swetlana schwieg und blickte auf den Schnee, der unter den Pferdehufen aufstob, und Leonid stieß sie unsanft in die Seite. »Heh, warum gibst du keine Antwort? Ich rede mit dir!«

»Was willst du hören?« fragte sie zurück. »Daß du recht hast? Das weißt du doch.«

»Sie hat ganz offensichtlich einen Narren an dir gefressen«, fuhr Leonid fort. »Nun ja, noch stört mich das nicht. Aber wenn es mich eines Tages stören sollte, sei gewiß, daß du sehr schnell bei Ihrer Majestät in Ungnade fällst. Ich bin recht findig im Einfädeln solcher Intrigen.«

Schon Mitte Januar trat Swetlana den Hofdienst bei der Zarin an. Im Winterpalais stand ihr ein Apartment zur Verfügung, in dem sie auch übernachten konnte, wenn es wegen eines Balles oder einer anderen Festivität zu spät wurde, um heimzufahren.

Aber in der Regel kehrte sie zum Schlafen in das Soklowsche Palais zurück, weil Leonid es verlangte.

Ihre Schwangerschaft machte Swetlana kaum Beschwerden, und der Hofdienst gefiel ihr, ermöglichte er es ihr doch, ihrem Mann aus dem Weg zu gehen.

Die Zarin behandelte Swetlana nach wie vor mit großer Liebenswürdigkeit und machte keinen Hehl daraus, daß sie sie gern hatte. Es ging Alexandra Fjodorowna gesundheitlich nicht gut in diesem Winter. Sie litt unter nervösen Herzbeschwerden und Schmerzen in den Gliedern, besonders in den Beinen, so daß sie ihre Privatgemächer nur zu offiziellen Anlässen verließ.

Die hübsche dunkellockige Fürstin Sonja Orbeljani hatte Swetlana unbefangen und neidlos in den Kreis der kaiserlichen Ehrendamen aufgenommen. Auch Alexandras Vorleserin und Sekretärin Katharina Schneider und ihre Zofe Mademoiselle Zanotti, eine Milchschwester der Zarin, die sie aus Deutschland mitgebracht hatte, hegten keine Vorbehalte gegen sie.

Anders Anna Wyrubowa, die keine Gelegenheit ausließ, Swetlana mit versteckten Spitzen zu attackieren und sie fühlen zu lassen, daß sie einen unliebsamen Eindringling inihr sah.

»Machen Sie sich nichts daraus, meine Liebe«, sagte die Orbeljani. »Anna Alexandrowna ist auf jeden eifersüchtig, dem Ihre Majestät mehr als nur einen Blick und ein flüchtiges Lächeln schenkt. Sie gehört noch nicht lange zum Hofstaat, aber sie tut so, als sei sie die wichtigste Person in der Umgebung der Zarin. Ich finde es manchmal penetrant, wie sie sich einschmeichelt.«

»Sie ist nicht verheiratet, nicht wahr?« fragte Swetlana, und die Fürstin lachte.

»Nicht mehr. Alexej Wyrubow, ein Leutnant zur See, war ein Jahr lang ihr Gatte. Die Eheschließung fand auf Wunsch der Zarin statt, aber Wyrubow war ein Trinker und hat die liebe Anna wohl nie angerührt. Deshalb wurde die Ehe aufgelöst.« Sie zwinkerte Swetlana zu. »Vielleicht ist sie deshalb so exaltiert und hysterisch.«

Sonja Orbeljani liebte den Klatsch, aber sie war nie wirklich bösartig dabei – wie so viele andere bei Hof. Swetlana mochte sie mit jedem Tag lieber und hätte sich gern mit ihr angefreundet, wenn sie nicht befürchtet hätte, daß die Fürstin dann eines Tages Einblick in ihre unglückliche Ehe bekommen hätte.

Bei Hof behandelte Leonid seine Frau zwar immer noch mit großer Liebenswürdigkeit. Dann trank er auch nichts. Aber daheim war er neuerdings mehr betrunken als nüchtern und legte sich keine Zügel an, wenn er Swetlana verspottete, von ihrem Romanow-Bastard redete und zynische Bemerkungen über Georg Alexandrowitsch machte.

Swetlana wollte nicht, daß ihr Elend bekannt wurde und man sich die Mäuler darüber zerriß.

Der Glanz des höfischen Lebens, der sie in ihrem ersten Petersburger Winter so geblendet hatte, war inzwischen verblaßt. Das lag allerdings zu einem Teil an der Zarin selbst, die ständig darüber klagte, wie schlecht doch die Menschen in der Umgebung ihres Gatten seien, und sie nahm dabei nicht einmal die etwa sechzig Mitglieder zählende kaiserliche Familie aus.

»Alle diese Großfürsten, Großfürstinnen und Prinzen von Geblüt sind bis ins Mark verkommen«, sagte sie einmal zu Swetlana. »Aber leider geht Seine Majestät in seiner Güte viel zu lasch mit ihnen um. Nehmen Sie nur die morganatische Ehe von Großherzog Paul Alexandrowitsch – oder die des Vetters Seiner Majestät, Großfürst Kyrill Wladimirowitsch. Sie haben beide geschiedene Frauen geheiratet, mit denen sie zuvor eine Affäre hatten. Ein Skandal, da doch alle Blicke auf die kaiserliche Familie gerichtet sind. Wen nimmt es da wunder, wenn derartig schlechte Beispiele Schule machen!«

Ein anderes Mal tadelte sie die hemmungslose Bestechlichkeit einiger Großfürsten.

Es war während eines Abendessens in kleinem Kreis, zu dem auch Swetlana geladen war. Der Zar, der es sich selten nehmen ließ, die Mahlzeiten mit seiner Familie einzunehmen, war anwesend und warf Alexandra Fjodorowna einen halb ärgerlichen, halb flehentlichen Blick zu, als sie sich über den jüngsten Bestechungsskandal ausließ, in den Großfürst Sergej Alexandrowitsch, ein Bruder des verstorbenen Zaren, verwickelt war.

»Er soll zwei Millionen Rubel kassiert haben, damit in Moskau kein Monopol für Spirituosen eingeführt wird«, sagte sie. »Denken Sie nur, Nicky, eine Unsumme! Und Großfürst Sergej Michailowitsch, Ihr Cousin, soll finanziell sogar an den Aufträgen beteiligt sein, die die Firma Schneider-Creusot von Rußland erhält.«

»Das sind alles nur Gerüchte, meine liebe Alix«, widersprach Nikolaus und nahm einen Schluck Portwein. »Sie wissen doch, wer im Blickpunkt steht, über den werden allzu gern Lügen in die Welt gesetzt.«

»Aber Finanzminister Witte soll entsprechende Beweise vorlegen können«, ereiferte sich die Zarin, und ihr blasses Gesicht überzog sich mit hektischer Röte – wie immer, wenn sie sich erregte. »Ich bitte Sie, lassen Sie sich die zeigen, und wenn Sie keinen Zweifel an der Schuld der beiden Großfürsten haben, müssen Sie sie bestrafen. Sie sind der Zar, und es geht nicht an, daß man Ihnen auf der Nase herumtanzt und den Namen Romanow in den Schmutz zieht.«

»Ja, ja, gewiß«, murmelte Nikolaus unbehaglich und stocherte in seinem Essen herum. »Lassen Sie übrigens Monsieur Cubat meine Anerkennung aussprechen. Dieses Spanferkel ist wirklich köstlich, das er uns heute servieren läßt. Allerdings habe ich keinen besonderen Appetit. Mein Magen schmerzt ein wenig.«

Sofort war die Zarin voller Sorge. »Söll ich Ihnen ein Magenpulver bringen lassen? Oder einen Tee, der Ihre Beschwerden lindert?«

»Nein, nein, vielen Dank. Es wird schon von selbst vergehen. Sie wissen doch, wenn ich mich mit dem Essen zurückhalte, verschwinden diese Beschwerden sehr rasch.«

Zar Nikolaus lächelte Swetlana zu. »Sind Sie auch so besorgt um Ihren Gatten, meine liebe Fürstin Soklowa?«

»Ich? Oh ...« Swetlana lächelte gezwungen zurück. »Leonid Iwanowitsch ist von geradezu unverwüstlicher Gesundheit. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß er jemals krank würde.«

»Das ist aber sehr kurzsichtig gedacht«, warf die Wyrubowa ein. »Jeder Mensch kann krank werden, oft genug von einer Stunde zur anderen, und gerade die am gesündesten erscheinen, haben häufig den Keim eines schlimmen Leidens in sich, das dann unversehens zum Tode führt.«

»Meine liebe Anna Alexandrowna«, sagte die Zarin mit nachsichtigem Tadel, »was sind das für düstere Prophezeiungen! Lassen Sie uns doch bitte von erfreulicheren Dingen sprechen.«

Die Wyrubowa warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. »Euer Majestät mögen verzeihen. Ich habe ja nur ganz allgemein gesprochen.«

Alexandra Fjodorowna blickte zu den französischen Fenstertüren hin, die auf eine Terrasse führten. »Es ist ein so schöner Abend. Ich hätte Lust, noch ein wenig spazierenzugehen.«

»Aber es weht ein recht kühler Wind, meine Liebe«, meinte der Zar. »Dafür sind Sie viel zu leicht angezogen, wenn ich auch zugeben muß, daß Ihnen dieses Kleid ganz bezaubernd steht.«

Sie errötete wie ein junges Mädchen. »Gefällt es Ihnen? Ich habe es heute zum ersten Mal an. Sie finden also nicht, daß mich dieses helle Violett etwas zu blaß macht?«

»Aber keineswegs«, versicherte er und griff nach ihrer Hand, um sie zu küssen. »Sie sehen hinreißend wie immer aus, meine liebe Alix. Aber wenn wir tatsächlich noch einen Spaziergang unternehmen wollen, müssen Sie einen wärmeren Mantel und vielleicht auch einen Schal mitnehmen. Und den anderen Damen empfehle ich das ebenfalls.«

»Ich habe die dicken Winterkleider so satt«, meinte die Zarin seufzend. »Schließlich haben wir schon März. Da sehnt man sich nach etwas Frühlingsmäßigerem.« Ihr Blick bekam etwas Sehnsüchtiges. »In England und Deutschland fangen jetzt die Bäume an zu blühen, und in Italien hat der Oleander schon ganz dicke Knospen.«

»Vielleicht läßt es sich einrichten, daß wir im kommenden Frühjahr eine Reise dorthin machen. Erst nach Darmstadt zu Ihrer Familie – und dann weiter nach Süden. Venedig, Florenz, Rom, Neapel ... Auf der Rückreise können wir meinem Vetter Wilhelm in Berlin einen Besuch abstatten und eventuell noch Ihrer Granny Viktoria in London. Was halten Sie davon?«

»Ach, das wäre wunderschön!« Alexandra wandte sich an ihre Damen. »Sie ist einundachtzig Jahre alt, meine Großmutter, die englische Königin, und sie leidet zunehmend unter Altersbeschwerden, wie man hört. Wer weiß, wie lange sie noch am Leben ist. Ich würde sie schrecklich gern wiedersehen.«

Der Zar nickte ihr zu. »Ich auch. Überhaupt möchte ich wieder einmal mit Ihnen nach England reisen. Wir haben so viele schöne Erinnerungen daran, nicht wahr?«

Swetlana wußte, daß der Zar und Alexandra Fjodorowna, die damals noch eine Prinzessin von Hessen-Darmstadt gewesen war, einander am Hof der Queen Viktoria begegnet waren. Alix von Hessen-Darmstadt hatte mit sechs Jahren die Mutter verloren und danach ihre ganze Kindheit und Jugend am englischen Hof verbracht.

Zarin Alexandra sprach gern von diesen Jahren, und es bestand kein Zweifel daran, daß sie sich in England glücklicher gefühlt hatte als in Rußland, wo man ihr immer noch mit viel Feindseligkeit und Unverständnis begegnete.

Zar Nikolaus stand auf und lächelte seiner Frau zu. »Dann soll es hiermit abgemacht sein. So Gott will, werden wir im kommenden Frühjahr eine längere Reise antreten.«

Sie blickte voller Zärtlichkeit zu ihm hoch, und ein paar Sekunden sahen sie einander still in die Augen.

Swetlana wurde das Herz schwer. Wie sehr der Zar in diesem Moment seinem verstorbenen Bruder glich! Genauso hatte Georg sie oft betrachtet – voller Zuneigung und Bewunderung und mit dem tiefen Einverständnis, das nur Liebende füreinander empfinden.

Ach, Georg ... Swetlana wußte, daß sie seinen Tod akzeptieren mußte, aber sie brachte es einfach nicht fertig. Sie hatte nur gelernt, mit dem Unabänderlichen zu leben, ebenso wie mit den Qualen ihrer Ehe.

Dennoch empfand sie ihr Dasein immer noch und immer wieder als grausam und unerträglich und hätte es wohl auch nicht ertragen, wenn nicht das Kind in ihr gewesen wäre. Georgs Kind, dem sie alle Liebe und alle Sicherheit geben wollte, die es brauchte.

Just in diesem Moment bewegte sich das Kleine in ihr, stieß mit seinen kleinen Füßen gegen ihre Bauchdecke, und Swetlana schluckte ihre aufsteigenden Tränen hinunter.

Mein Herzchen, mein einziger Liebling, dachte sie. Wenn du nur glücklich bist und es dir an nichts fehlt! Dafür ertrage ich alles, selbst Leonid Soklow.

Im Palast der sieben Sünden

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