Читать книгу Alma Mata - Susanne Steinfeld - Страница 11

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IV

Mr. & Mrs. Richard Arlington request the pleasure of your company: Anlässlich des 30. Geburtstags ihres Sohnes Arthur luden sie zu einem Cocktail in ihr Haus in St. James, am Mittwoch, den 14. Oktober, um 7.30 pm.

Das konnte nur Matas Vater eingefädelt haben, in der Absicht, ihr gesellschaftliches Umfeld in London aufzubessern. Diese Art der Einmischung, komplett ohne Vorwarnung, war typisch für ihn und von Mata nicht sonderlich geschätzt. Sein Geschäftsfreund Richard war es allerdings gewesen, der ihr zu dem Job bei C&W verholfen hatte. Mata mochte ihn. Mit Arthur hatte sie sich allerdings nichts viel zu sagen und so auch hier bisher nichts weiter von ihm gesehen als sein Konterfei in der Klatschspalte von Megans Evening Standard. Trotzdem beschloss sie, hinzugehen.

Ein Butler öffnete die Tür, und ein Dienstmädchen nahm ihren Mantel entgegen, bevor Mata in das weitläufige Entree entlassen wurde. Dort verströmten Lilien auf einem Tisch in der Mitte einen betäubenden Duft, und dahinter führte eine ausladende Treppe in die obere Etage. An deren Fußende hing ein Picasso – Mata kannte das Bild nicht, aber die Signatur war eindeutig, und daneben empfingen der Hausherr und die Hausfrau mit ihrem Sprössling die Gäste. Vater und Sohn trugen eine rote Nelke im Reversknopfloch ihrer Dinnerjackets, und um Mrs. Arlingtons schlanke Gestalt bauschte sich ein blassblaues Cocktailkleid.

Mata hatte sich vor Verlassen der Wohnung noch einen Rollmops aus dem Glas im Kühlschrank genehmigt, als Grundlage für die angekündigten Cocktails. Der kleine Fettfleck, den er auf ihrer Seidenbluse hinterlassen hatte, war ihr zuhause noch als Bagatelle erschienen, doch jetzt drückte sie ihre Abendtasche fest dagegen, als sie auf die drei zuging.

Richard breitete die Arme aus und sagte auf Deutsch: „Martina, wie schön, du konntest kommen. Sag Hallo zu Eleanor. Und genieße!“.

Die Dame des Hauses nickte huldvoll, und Arthur nahm Matas Glückwünsche mit einem gelackten Lächeln entgegen. Hinter ihr warteten bereits weitere Gäste auf eine Begrüßung, und so stieg Mata allein in den ersten Stock hinauf, aus dem Musik zu hören war. Sie entsprang einem Flügel in dem großen Saal dort, an den sich zu beiden Seiten jeweils ein weiterer Raum anschloss. Gegenüber führten vier Fenstertüren auf eine Balkonterrasse, die von Windlichtern beleuchtet war. Auch hier drinnen gab es, von kleinen Schirmlampen an den Wänden abgesehen, ausschließlich Kerzenlicht, allein dem Piano-Player half ein kleiner heller Spot über seinem Notenblatt dabei, mit unbeteiligter Miene Everybody loves somebody sometimes zu spielen. Mata nahm ein Glas mit einer irisierenden Flüssigkeit von einem der Silbertabletts, die von zahlreichen Kellnern bereitgehalten wurden, und wanderte damit durch den Raum.

Erwartungsgemäß kannte sie niemanden, während die anderen Gäste, ausnahmslos älter als sie, in angeregte Gespräche vertieft zu sein schienen. Sie stellte ihr Getränk auf einem polierten Tischchen ab und entnahm ihrer Abendtasche eine Zigarette, um jemanden um Feuer bitten zu können. Aber der freundliche Herr, der neben ihr zwei überpuderte Damen begrüßte, klopfte nur kopfschüttelnd auf seine Jackentasche, und auch ihr nächster Anlauf bei einer Gruppe von Gentlemen in Samtslippern verlief glücklos. Mata kehrte zu ihrem Glas zurück, leerte es in einem Zug und steckte sich die Zigarette mit ihrem eigenen Feuerzeug an.

Bald stellte sie fest, dass die Wirkung des Cocktails bemerkenswert war und der Rollmops in ihrem Magen unzureichend. Sie nahm sich einen Teller mit Goldrand von dem Buffet an der Längsseite des Saales und belud ihn mit Lachskanapees und Hackbällchen. Der Künstler am Klavier spielt jetzt Fly me to the Moon, und Mata beschloss, in eines der Nebenzimmer zu flüchten. Die Türschwelle ließ sie stolpern, aber es gelang ihr, einen Sturz abzufangen. Sie sah zufrieden, dass ihr Dinner auf dem Teller geblieben war. Und dann sah sie ihn.

Er stand an der Wand gegenüber und lauschte mit gesenktem Kopf einer dunkelhaarigen Frau, die Mata den Rücken zugekehrt hatte. Sie trug ein enganliegendes weinrotes Kleid, und die Gestik, mit der sie ihre Rede unterstrich, ließ die Ringe an ihren Fingern aufblitzen. Heinrich trug keinen gelben Schal, sondern eine nachtblaue Samtjacke.

Mata wollte gerade unauffällig zurückweichen, als er aufblickte und sie entdeckte. „Die deutsche Freundin, na sowas! Und etwas zu essen hat sie auch dabei. Was für ein Segen.“ Er winkte sie heran.

Die Weinrote wandte sich um, und Mata stellte zu ihrer Freude fest, dass die Vorderansicht älter war als die Rückseite vermuten ließ. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu den beiden herüberzugehen.

„So, what brings you here?“. Aus Rücksicht auf die andere sprach Heinrich englisch, und die neue Nähe des ´you` berauschte Mata ein wenig. „May I?“, fragte er dann, ohne ihre Antwort abzuwarten. Er nahm sich ein Hackbällchen, schluckte es hingebungsvoll herunter und stellte ihr dann seine Gesprächspartnerin als Lilian vor. Mata hielt höflichkeitshalber auch ihr den Teller hin, aber die Dünnen waren nie hungrig.

Es stellte sich heraus, dass Heinrich nicht eigentlich ein Freund von Arthur, sondern Finanzberater von Richard war. Lilian wiederum war eine alte Freundin von Eleanor - nein, nicht aus Schultagen, so alt nun auch wieder nicht. Sie lachte gespreizt, und Heinrich zwinkerte Mata zu. Dann schnappte er sich zwei Mixgetränke von einem vorbeischwebenden Tablett und bot sie den Damen an. Die eine winkte erneut ab, die andere nicht. Heinrich genehmigte sich noch ein Lachskanapee, und während Mata an ihrem Glas nippte, übernahm Lilian die Konversation. Sie war nicht nur Freundin, sondern auch Innendekorateurin des Hauses, das vor Kurzem unter ihrer Regie ein komplettes Makeover erhalten hatte, wie sie es nannte. „Wundervoll, nicht wahr?“ - sie wies funkelnd in den Raum - „die Sessel dort drüben sind mit alten Stoffen von Rubelli bezogen. Und die Wände hier mit Honan- “

Heinrichs Hand hielt auf dem Weg zu Matas Teller inne und strich andächtig über die blaue Seidentapete.

„Nimm die Finger da weg!“, sagte Lilian, ein wenig laut.

Er bedachte sie mit einem Schmunzeln. „Ruhig Blut, Milady. Ein paar Spuren menschlicher Existenz können bestimmt auch hier nicht schaden.“

„Auf meiner Wandbespannung schon!“.

Heinrich nahm zwar die Hand herunter, war aber ansonsten nicht zum Nachgeben bereit. „Erstens gehört sie dir nicht. Und zweitens finde ich, dass speziell dieser Raum ein wenig mehr Leben gut vertragen könnte. Man fühlt sich wie im Museum.“ Er betrachtete die anderen Gäste. „Oder im Mausoleum.“ Dann schienen seine Ohren das Arrivederci Roma von nebenan zu registrieren, denn er fügte mit Blick auf Mata auf Deutsch hinzu: „Mit ausgesprochener Katzenmusik!“. Und damit steckte er sich triumphierend das letzte Hackbällchen in den Mund.

Mata gluckste. Sie hatte von ihrem Teller kaum etwas gegessen und stand noch unsicherer auf den hohen Absätzen als zuvor. Heinrich prustete los, als sie sich mit einer Hand an der Wandbespannung abstützte.

Nun hatte Lilian genug. Sie sah ihn aus schmalen Augen an und zischte: „If you can´t bite, don´t show your teeth!“.

Daraufhin musste er natürlich erst recht die Zähne blecken. Aber er machte keine weitere Bemerkung mehr, und auch Lilian war jetzt still. Nur Mata strahlte Heinrich an und sagte langsam und deutlich: „Ich liebe Deine Zähne.“

Lilian riss den Kopf herum, und Mata brannte unter ihren Blick. Auch Heinrich sah merkwürdig aus. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Mata stellte ihr leeres Glas auf den leeren Teller und hielt es ihm hin: „Das war eine sehr nette Unterhaltung, aber ich muss jetzt gehen.“ Er nahm beides entgegen, und sie stakste davon, zurück in den großen Salon und weiter in den nächsten Raum und zu der Glastür an der Stirnseite dort, die sich dankenswerterweise leicht öffnen und sie hinausschlüpfen ließ.

Der kleine Balkon, auf den sie trat, lag hinter der großen Terrasse ein Stück zurückversetzt, sodass die Gäste, die sich trotz der kühlen Nachtluft dort aufhielten, Mata nicht sehen konnten. Sie lehnte sich gegen die Hauswand und steckte sich eine Zigarette an. Dann verschränkte sie bibbernd die Arme und blickte in die Dunkelheit, die eigentlich gar nicht so dunkel war. Jenseits des von Fackeln beleuchteten Gartens erstreckte sich der Green Park, über dem eine dünne Mondsichel stand. Rechts davon schimmerte die helle Lichterkette der Häuser am Picadilly durch das spärliche Blattwerk der Bäume. Mata meinte, sogar einen roten Doppeldeckerbus zu erkennen. Vielleicht saß darin wieder der Alte und summte sein Lied.

Bei ihnen war jetzt Funny Valentine zu hören – der Mann am Klavier schien also doch kein völlig hoffnungsloser Fall zu sein.

You make me smile with my heart.

Sie selbst allerdings schon. Komplett hoffnungslos. Mata nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette.

Is your mouth a little weak? When you open it to speak, are you smart?

Nope, kein bisschen. Sie sah hoch zu dem gekrümmten Mond – war er zu- oder abnehmend? -, und jetzt bildete sich eine Träne in ihrem Auge. Als sie hörte, dass die Balkontür sich öffnete, drückte sie sich tiefer in ihre dunkle Ecke.

Die Tür wurde wieder geschlossen. „Hier steckst Du also.“

Mata rollte die Augäpfel nach oben, um die Träne an ihrem Austritt zu hindern.

„Komm jetzt endlich, Ellie,“ rief jemand auf dem großen Balkon, und Ellie schien zu folgen, denn nun war das übliche Potpourri guter Wünsche für den Nachhauseweg zu hören.

Verschwommen nahm sie wahr, dass Heinrich jetzt vor ihr stand. Er löste vorsichtig die Zigarette aus ihren Fingern und zog daran. Mata zog währenddessen die Nase hoch. Dann schnippte er den Zigarettenstummel über die steinerne Brüstung in die Nacht.

Stay, little Valentine, stay!

Heinrich wandte sich wieder ihr zu, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie.

Each day is Valentine´s day.

Alma Mata

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