Читать книгу Alma Mata - Susanne Steinfeld - Страница 8

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II

Die Abende waren kühler geworden, aber Megan trug immer noch keine Strumpfhose zu ihrem Strickmini. Und auch der Pub war noch nicht sehr besucht, als sie mit Franny und Mata eintrat, und sie fanden problemlos drei Plätze an der Bar. Tom nickte ihnen von der anderen Seite her zu und stellte die Zutaten für ihre Bloody Mary bereit. Megan redete fast ununterbrochen und klatschte sich mit den Händen auf die Gänsehaut, die ihre Oberschenkel überzog, wenn sie einen ihrer Witze besonders gelungen fand: „Was glaubt ihr, was der alte Sack da drüben in seiner hässlichen Tasche hat? – Die Windeln für die Kleine da neben ihm!“.

Franny hörte schon jetzt nicht mehr auf zu kichern, und Mata warf ihr einen besorgten Blick zu. Sie vertrug nicht viel Alkohol und war ihnen neulich sogar hier vom Barhocker gerutscht.

„Da kommt ja unser Sloane Ranger!“, rief Megan jetzt. Sie gab Tom ein Zeichen, dann zog sie ihre Freundin zu sich heran und blies ihr liebevoll die Schuppen von den Schultern.

„Tut mir leid, die Verspätung.“ Cecilia löste das Seidentuch von ihrem Hals und steckte es in die Tasche ihres Trenchcoats.

„Was war denn noch?“. Franny wollte ihren Hocker zur Verfügung stellen, aber Cecilia wischte Angebot und Frage mit einer Handbewegung fort: „Nichts, ich bin nur nicht fertig geworden. Erzähl mir lieber, was bei Euch heute los war. Spiders Bellen war ja bis in den zweiten Stock zu hören.“

Franny lief rot an. „Sie hat erfahren, dass Rosalind ein Kind erwartet. Es war schlimm. Und furchtbar peinlich!“.

„Kann ich mir denken. Peinlich allerdings auch für Rosalind. Sie hat ihre Schwangerschaft ja wohl deshalb offiziell verschwiegen, weil sie noch in der Probezeit ist.“

„Und wenn schon! Schließlich ist sie mit dem Baby ganz auf sich allein gestellt. Mir zumindest tut sie furchtbar leid.“

„Mir tut sie auch leid“, warf Mata ein. „Aber ganz korrekt war ihr Verhalten natürlich trotzdem nicht.“

„Korrekt – was heißt das schon! Ich glaube, ihr versteht ihre Situation nicht ganz.“ Frannys Stimme zitterte.

Cecilia nahm die Bloody Mary entgegen, die Megan ihr reichte. „Also, ich denke schon, das ich das tue. Aber ich finde trotzdem nicht, dass so etwas zu einer Lüge berech - “

„Rosalind hat nicht gelogen! Sie hat etwas verschwiegen. Das ist ein Unterschied“. Franny nahm ihren Strohhalm zwischen Daumen und Zeigefinger und saugte lange daran.

Megan nahm ihr das Glas weg. „Hör auf damit! So knallt das doch noch viel mehr!“.

Franny wandte sich ab, und trotzdem sahen sie, dass ihr eine Träne über die Wange lief. Sie presste sich die Hände vor die Augen.

„Verdammt, tut mir leid.“ Megan zog eine Zigarette aus ihrer Schachtel und steckte sie sich an. „Im Übrigen finde ich, dass du Recht hast: Es gibt Situationen, in denen man darauf sch… - pfeifen muss, was richtig ist und was falsch. Natürlich war Rosalind nicht ehrlich, denn etwas bewusst zu verschweigen kommt ja einer Lüge gleich. Aber damit hat sie doch wohl nur für das kleine Wesen sorgen wollen, das bald schutzlos hinter ihr her tapsen wird. Und geht es nicht genau darum im Leben diejenigen zu schützen, die man liebt – ganz egal wie?“.

Das waren große Worte für Megan, und so betrachtete sie jetzt auch erst einmal ihre abgekauten Fingernägel. Sie alle schwiegen eine Weile inmitten des Stimmengewirrs. Die Bar war inzwischen so belagert, dass der Alte mit seinem Wickelkind dicht neben Mata stand. Dann hielt Megan vier der Nägel hoch, in Richtung Tom. „Ich denke, wir brauchen noch etwas zu trinken – und habe eine geniale Idee: Jede von uns erzählt eine eigene peinliche Geschichte!“.

Cecilias abwehrende Handbewegung ließ ihre goldenen Armreifen klirren, aber Mata wollte keine Spielverderberin sein: „Ach komm, das ist doch vielleicht ganz lustig…“.

Es klirrte noch einmal, als Cecilia ihre Arme verschränkte: „Lustig? – dann bitte sehr: Fang Du an“.

Megan griff das begeistert auf: „Warte, dein Drink ist gleich fertig, den wirst du brauchen. Denn versuch nicht, uns mit Harmlosigkeiten abzuspeisen. Ein bisschen wehtun muss es schon!“.

Der erste Schluck ihrer zweiten Bloody Mary stieg Mata direkt ins Hirn. Wie hieß noch der Bereich, der die Erinnerungen verwaltet? Irgendetwas mit Pferden. Schön, es gab da tatsächlich eine Geschichte, die sie noch niemandem erzählt hatte. Vielleicht war heute, in einer fremden Stadt und einer fremden Sprache, der Moment dafür gekommen.

Während ihres Studiums hatte sie ein Referat über einen modernen Roman halten müssen und viel zu spät mit der Arbeit daran begonnen. Dann war sie in der Bibliothek auf einen Artikel gestoßen, der das Werk auf geniale Weise zu interpretieren schien. Wovon auch immer getrieben – Eitelkeit, Stolz, der Aussicht auf eine gute Note – sie präsentierte diese Erkenntnisse am nächsten Tag im Seminar als ihre eigenen. Mit mehr Zeit wäre sie sicherlich auch selbst darauf gekommen, redete sie sich ein. Ihre Kommilitonen schienen beeindruckt, und der Professor klatschte sogar in die Hände – eine Geste, die ihr gleich verdächtig hätte vorkommen müssen. Natürlich stellte sich heraus, dass er den Artikel kannte, und seine Pupillen glänzten hart wie Gewehrkugeln, als er sie fixierte und erklärte: Man könne irren in Lehre und in Forschung. Man dürfe es sogar. Aber das geistige Eigentum anderer sei sozusagen heilig, und so sei für jemanden wie sie, Mata, kein Platz in seinem Seminar. Jetzt waren auch die Blicke aller anderen zu ihr herübergeschossen, und Mata hatte ohne ein weiteres Wort ihre Unterlagen zusammengeschoben und war zum Ausgang gegangen. Dann hatte sie leise die Tür hinter sich zugezogen, ohne sich noch einmal umzusehen.

Sie fühlte jetzt fast dieselbe Hitze in sich aufsteigen wie damals, aber vielleicht lag das auch an der Luft hier im Pub, die sogar die Scheiben hatte beschlagen lassen. Sie sah zu Boden und zählte die Zigarettenstummel, die dort ausgetreten worden waren.

Ausgerechnet Franny brach den Bann: „Wie tapfer von Dir, uns das zu erzählen! Und du hast doch bestimmt daraus gelernt.“ Sie legte ihre Ärmchen um Mata und drückte sie.

Cecilia machte große Augen, sonst nichts, und Megan steckte sich erneut eine Zigarette zwischen die Lippen. Dann nahm sie sie wieder heraus und sagte: „Ihr Deutschen macht mich fertig. Immer gleich die volle Ladung. Es sollte l-u-s-t-i-g sein. Und du kommst mit sowas!“.

„Jetzt lass sie doch.“ Franny zündete für Megan ein Streichholz an. „Peinlich war es in jedem Fall, also beschwer dich nicht. Soll ich jetzt?“.

„Ganz bestimmt nicht!“. Megan beugte sich über die Flamme. „Womöglich bietest Du etwas ähnlich Trostloses dar. Lieber erzähl ich eine Geschichte, bei der Ihr Euch garantiert vor Lachen in die Hose macht. Also, ich komme nachts von dieser Party, mit einem total süßen Typen im Schlepptau, den ich erstaunlicherweise dazu gebracht habe, mich nach Hause zu fahren. Auf dem Weg zu seinem Wagen muss ich plötzlich ganz dringend Pipi. Aber ich will auf keinen Fall zurück zur Feier und dort aufs Klo, denn dann verliert er womöglich die Geduld und saust alleine los. Natürlich ist weit und breit kein Gebüsch in Sicht, kein Vorgarten, nur Häuserfronten und parkende Autos. Und Ben immer schön neben mir.

Aber ich wittere meine Chance, als wir zu seinem Auto kommen. Er öffnet mir die Beifahrertür und geht dann im leichten Schlingerkurs um den Wagen herum. Ich schiebe blitzschnell den Rock hoch und den Slip runter, geh in die Hocke, und los geht’s. Inzwischen hat er seine eigene Tür geöffnet und will wissen, was ich da mache. Alles klar, ruf ich zu ihm rüber, mir ist nur mein Lippenstift unters Auto gerollt. ´Weiber`, hör ich ihn sagen, während er sich hinter das Steuer schiebt. Beim Aufstehen verlier ich fast das Gleichgewicht, fummele den Rock wieder runter und lass meinen Hintern erleichtert auf den Beifahrersitz plumpsen. Er sieht zu mir rüber, und ich ziehe eilig die Beine. Dabei schweben meine Füße in der engen Karre einen Moment lang in der Luft, und was baumelt da zwischen meinen himmelblauen Pumps: Der verdammte Slip, den ich vergessen hab hochzuziehen.“

„Nicht so laut!“, zischte Cecilia, aber Megan war glücklicherweise nicht zu bremsen Für Mata war es sowieso schon schwer, sie über Frannys Kopf hinweg zu verstehen, und jetzt hatte. das schräge Paar neben ihr auch noch zu streiten begonnen. Sie hätte sich gern auf die andere Seite von Megan gestellt, aber dort saß ein Mann mit einem gelben Schal und las Zeitung.

„Ganz kurz hoffe ich, er hat nichts bemerkt und zwänge die Füße am Handschuhfach vorbei nach unten.“

Cecilia stöhnte leise.

„Aber ich bin nicht schnell genug, denn Ben lässt den Wagen an und sagt: ´Nette Idee, Baby, ich fürchte nur, das wird heute nichts mehr. Ich bin einfach zu müde`. - Tja, und das war´s dann. Der Typ hat mich zwar noch nach Hause gebracht, aber wiedergesehen habe ich ihn nicht.“

Auch ihre Geschichte wurde erstmal mit Schweigen quittiert, und Megan fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. „Ja, was hätte ich denn tun sollen? Vielleicht sagen: Oh, so war das nicht gemeint, ich habe nur schnell an dein Auto gepinkelt und dann vergessen, den Slip hochzuziehen?“. Sie lachte jetzt: „Ihr solltet Euch im Übrigen mal sehen – drei Nonnen im Schlafzimmer von Marquis de Sade!“.

Auch Mata musste jetzt lachen, sie fühlte sich plötzlich ganz leicht. Ein Mann in Lederjacke und buntem Bandana presste sich neben sie an den Tresen und gab in schottischem Singsang eine lange Bestellung auf. Sie rief den anderen zu: „Sollen wir auch noch etwas ordern?“.

Aber Cecilia blickte streng auf ihre Armbanduhr und schüttelte den Kopf: „Für mich nicht. Barry erwartet mich bei Kettner´s.“

Barry war ihr langjähriger und eher langweiliger Boyfriend. Irgendwann sollte er sie von der Mutter erlösen, mit der sie seit dem Tod des Vaters allein in dem Haus in Hampstead wohnte. Aber bisher hatte er noch keinen Antrag gemacht, obwohl er als Anwalt nicht schlecht verdiente, wie sie gern betonte. Nun warf Cecilia Kusshände in die Luft. „Bis Montag dann!“.

„Ja-ha-ha“, trällerte Franny, und dann, als Cecilia verschwunden war: „Jez hat sie ganich bezahl.“

Megan stand energisch auf. „Das nächste Mal müssen wir unbedingt auch etwas essen. Ich bring dich nach Hause, Franny, und zwar sofort.“ Sie fischte einen Geldschein aus ihrer Umhängetasche und hielt ihn Mata hin. „Übernimm du das heute bitte“, sagte sie mit Blick auf Tom. Mata nickte, umarmte beide und sah ihnen dabei zu, wie sie durch die Menge zum Ausgang gingen. Dort schlüpfte Franny brav in ihre Jacke und winkte noch einmal mit heftig wippender Hand herüber, bevor Megan sie zur Tür hinausschob.

Alma Mata

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