Читать книгу Alma Mata - Susanne Steinfeld - Страница 7

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I

Mata war im Sommer 1987 nach London gekommen, um als Assistentin in einem Buchverlag zu arbeiten. Er wurde von einer kleinen untersetzten Australierin geleitet, mit einem scharfen Verstand und einem noch schärferen Mundwerk. Ein Kenner der Fauna downunder hatte ihr den Namen ´Barking spider` verpasst, und tatsächlich saß sie täglich wie eine Spinne unter der mächtigen Stuckdecke am Bedford Square, vernetzt mit jedem, der für den Verlag von Nutzen sein konnte.

Ihre Assistentinnen saßen gestaffelt im Nebenraum, der beidseitig von hohen Bücherregalen flankiert war, in denen verstaubte Erstausgaben und Lizenzausgaben der Verlagstitel standen. Die Fenster waren von schweren dunkelblauen Samtvorhängen gesäumt, und die Schlagleiste der Flügeltüren goldgefasst. Zum Ausgleich für diese Grandezza war der Teppichboden mit Teeflecken und eingetretenen Kaugummis gesprenkelt, und in der Milchglasscheibe der Deckenbeleuchtung lagen sieben tote Fliegen. Mata hatte sie des Öfteren gezählt.

Marigold, die erste Hilfskraft, saß direkt vor der Tür in Spiders Reich. Kaum war dahinter ein Räuspern zu vernehmen, ließ sie ihre Zigarette in den Aschenbecher fallen, die nun eine schmale Rauchsäule zu den Toten hinaufschickte, und betrat das Sanktum. Die Briefe, die ihr darin diktiert wurden, tippte sie ausnahmslos selbst auf das hübsche Verlagsbriefpapier. Alle übrigen Anweisungen hatte sie auf kleine Zettel gekritzelt und überreichte sie wortlos Franny, der sommersprossigen Amerikanerin, die ein paar Monate vor Mata hier angefangen hatte. Die besah sich die Aufträge und legte dann einen Teil davon auf Matas Schreibtisch, direkt neben das Herz, klein wie ein Pfennigstück, das irgendwann irgendjemand in die Tischplatte geritzt hatte. Ihr entschuldigendes Lächeln dabei galt wohl dem Umstand, dass sie nie selbst Spiders Krabben-Kresse-Sandwich bei Marks & Spencer an der Oxford Street oder den Briefwechsel mit einem toten Autor aus dem staubigen Kellerarchiv besorgte.

Matas Wohnung war nicht viel spektakulärer als ihre Aufgaben im Verlag: Ein Tisch, drei Stühle, eine Kommode und ein Bettsofa ließen gerade noch Platz genug für sie selbst. Ihr Gehalt reichte dennoch nicht für die Miete, und so musste der Vater dafür aufkommen. Vielleicht hatte er etwas Großzügigeres erwartet für die fünfhundert Pfund, die es ihn monatlich kostete - zumindest bekam er Platzangst, als er während eines London-Besuchs bei ihr zum Tee erschien, und sie hatten ihre Erfrischungen dann doch lieber in seiner Hotelbar eingenommen.

Mata aber liebte ihr Zimmer gleich hinter der King´s Road, dem illustren Schauplatz des Londoner Lebens. Wenn sie abends mit dem Bus aus Bloomsbury zurückkehrte, zelebrierte sie jedes Mal die wenigen Schritte bis zu ihrer Haustür. So hatte es vielleicht eben noch geregnet, aber jetzt standen schon wieder lachend Leute vor dem Pub, das Bierglas in der einen und die Aktentasche in der anderen Hand. Eine Frau auf schwindelhohen Absätzen schwang sich auf die Plattform von Matas Doppeldecker, obwohl er sich bereits wieder in den Verkehr eingereiht hatte. In den Fassaden gegenüber reflektierten die oberen Fenster ein paar späte Sonnenstrahlen, während über den Cafés und Geschäften bereits die ersten Leuchttafeln aufflackerten und sich im nassen Asphalt spiegelten. Und als Mata die Toreinfahrt zur Wäscherei passierte, küsste sich dort ein Liebespaar. Das Mädchen hielt an seinem glänzenden Messingring einen Vogelkäfig hinter dem Rücken, und der kleine Sittich darin zirpte sein Abendlied. Ihr war, als zwitscherte ganz London mit.

Oben in der Wohnung trank sie eine heiße Schokolade und aß ein Käsebrot, bevor sie dem Rauch ihrer eigenen Zigaretten nachblickte, der an die Decke stieg. Und danach las sie, auf das Sofa gebettet, erneut ihre englischen Lieblingsromane, Emma und Jane Eyre und Große Erwartungen, bis es Zeit war, das Licht zu löschen. Auch Mata hatte großartige Erwartungen an diese Stadt.

Mittags aß Spider entweder das Krabben-Kresse-Sandwich an ihrem Schreibtisch oder sie speiste mit einer einflussreichen Person des kulturellen Lebens – wenn nicht in ihrem Club, dann in einem Sternelokal. Ihre Assistentinnen gingen währenddessen zu der nahegelegenen Sandwichbar, in der sich meistens auch die anderen Verlagshilfskräfte einfanden: Megan aus der Presseabteilung, Cecilia von den Lizenzen und Gary vom Vertrieb. Bei schönem Wetter ließen sie sich von Joyce am Verlagsempfang den Schlüssel zum Park gegenüber aushändigen, aber dies hier war England, und so saßen sie meistens im Souterrain des Cafés.

Auch heute klopfte der Regen wieder seinen Rhythmus an die Scheibe, durch die man von den Passanten oben auf dem Gehweg nur die untere Hälfte ausmachen konnte. Obwohl der Pirelli-Kalender an der Wand vollbusig den Monat August anzeigte, brummte darunter geräuschvoll ein Radiator. Megan folgte Matas Blick, während sie sich mit ihrem Teller in der Hand auf einen der Plastikstühle fallen ließ: „Wetten, Gary kann den September kaum erwarten!“.

Sie war ein großes Mädchen, mit breiten Handgelenken und einem breiten großzügigen Mund. Ihre kurzen Haare sahen aus wie die Messingborsten, mit denen Frau Rosenstein zuhause die Wildlederschuhe putzte. Vorzugsweise trug sie Miniröcke, am liebsten ein Modell aus schwarzem Strick, und heute steckten ihre kräftigen nackten Beine dazu in roten Gummistiefeln. Mit einem davon stieß sie Franny an: „Ich frage mich schon länger, warum du nicht bei einem amerikanischen Verlag arbeiten wolltest, in New York zum Beispiel?“. Sie biss ein großes Stück von ihrem Roastbeef-Sandwich ab und intonierte mit vollem Mund Sinatras abgedroschene Hommage an die Stadt: „Da da dadada, da da dadada“.

Cecilia presste sich die Hände auf ihre zierlichen Ohrmuscheln. Alles an ihr war zierlich und elegant, selbst die Schuppen auf ihren Schultern. Gary am Nachbartisch blieb ungerührt über den Guardian gebeugt, und Marigold neben ihm hörte über Kopfhörer ihre eigene Musik.

Franny breitete die dünnen Arme aus: „Ich liebe es einfach hier. Ich liebe Europa!“, und Megan rümpfte die Nase: „Ihr Amerikaner macht immer so ein Bohei darum. Was soll eigentlich so toll daran sein?“.

„Ganz einfach“, sagte Cecilia, während sie ihren Toast mit Messer und Gabel in kleine akkurate Vierecke teilte. „Europa ist der Inbegriff von Kultur. Nirgendwo sonst gibt es so viel Schönheit und so viel Esprit auf so kleinem Raum.“

„Oh ja - und so viel Grausamkeit und Schmerz und Schande“. Megan legte ihr Sandwich aus der Hand, presste sich zwei Fingerkuppen auf die Oberlippe und schickte den rechten Arm in die Luft. Franny zuckte zusammen, musste dann aber lachen, und auch Garys Mundwinkel hoben sich, obwohl sein Blick auf der Zeitung haften blieb. Mata zog den Kopf ein.

Cecilia wies mit dem Kinn auf sie, und Megan gab ihr einen freundlichen Klaps: „Nimm es nicht persönlich. Selbst wir Engländer sind mit unserer beschissenen Appeasement-Politik nicht ganz unschuldig daran, dass es so weit kommen konnte.“

Jetzt sah Gary zu ihnen herüber und schlug energisch seine Zeitung zu: „Also wirklich, Megan! Du kannst doch nicht behaupten, dass England Mitschuld trägt an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Chamberlain hatte gehofft, auf diese Weise einen Krieg zu verhindern. Natürlich war das idiotisch, aber trotzdem haben die Deutschen das ganze Grauen schön alleine verbrochen.“ Er stand auf und kramte eine zerknitterte 5-Pfund-Note aus seiner Hosentasche, die er vor Marigold auf den Tisch warf. Sie zog sich verdutzt die Kopfhörer aus den Ohren.

„Zahl Du bitte für mich mit, ich hab´s eilig. Wir haben gerade verdammt viel Arbeit mit dem neuen Katalog“. Er stapfte ohne ein weiteres Wort die Stufen hinauf zum Gehweg, und sie sahen dabei zu, wie seine ausgebeulte Flanellhose mit den Turnschuhen über die Pfützen sprang.

Marigold nahm den Geldschein an sich und verkabelte sich wieder. Cecilia fixierte Megan, die abwehrend die Hände hob: „Was? - Ich habe nichts gemacht!“.

Eine zarte Falte erschien auf Cecilias Stirn.

„Er hat ja recht“, warf Mata leise ein.

„Recht oder nicht recht - Gary ist ein selbstgefälliger Mistkerl. Und du, Megan, bist zwar meine beste Freundin, aber trotzdem ein Trampel. Warum hälst Du nicht einfach mal den Mund?“

Megan kippelte mit ihrem Stuhl nach hinten. „Du bist ganz schön hart mit mir. Fast wie Kruppstahl.“ Sie grinste.

Cecilia zog scharf die Luft ein und Mata blickte zu Franny, die still mit dem Strohhalm in ihrer Seven-Up-Dose rührte. Jetzt machten die Stuhlbeine unter Megan ein verdächtiges Geräusch, und sie ließ sich wieder nach vorne fallen: „Also gut, es tut mir leid. Zufrieden?“ Sie fuhr sich über die Borsten auf ihrem Kopf. „Hat wenigstens jemand ´ne Fluppe für mich?“.

An Freitag trat Cecilia an Matas Schreibtisch und erklärte, dass sie mit Megan und Franny vor dem Wochenende immer auf einen Drink gehen würde, in einen Pub an der Great Windmill Street… Oh ja, Mata hatte Lust, sie zu begleiten, und so traten sie diesmal gemeinsam in den milden Augustabend hinaus. Über den Dächern lag hellviolettes Licht, und im Park gegenüber spielte jemand auf einem Dudelsack. Megan kaufte bei dem Zeitschriftenhändler am Ende der Straße den Evening Standard und eine Rolle Pfefferminz, und dann wandten sie sich mit ihren Bonbons im Mund Richtung Oxford Street, um kurz darauf in die belebten Straßen Sohos einzutauchen. Mata ließ sich für einen Moment hinter die anderen zurückfallen, schob den Ärmel ihres Pullovers hoch und zwickte sich vor Glück.

Alma Mata

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