Читать книгу Adresse unbekannt - Susin Nielsen - Страница 13

Soleils Haus

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Astrid begann ihre Freunde anzurufen, um herauszufinden, ob uns jemand für ein paar Nächte aufnehmen würde.

Eines der Dinge, die mich mein S.H.I.T. im Laufe der Jahre gelehrt hat, ist, dass meine Mom ein echtes Talent hat, Freunde zu finden, und ein noch größeres, sie zu verlieren. Ich war also nicht superüberrascht, als Ingrid Nein sagte. Oder als Karen auflegte.

Astrid dachte einen Moment lang nach. Dann sagte sie: »Ich versuch’s bei Soleil.«

Soleil war eine von Astrids Schülerinnen im Malereikurs bei Emily Carr, und ebenfalls Mutter. Sie hatten sich schnell angefreundet. Vor zwei Jahren dann hatten sie sich furchtbar gestritten.

Ich hörte alles von meinem Zimmer aus. Es fing mit einer Feier an, denn Soleil hatte wieder ein Bild verkauft, dieses Mal zum Rekordpreis. Aber nachdem sie die zweite Flasche Wein leergetrunken hatten, fing Astrid an, über die Mittelmäßigkeit der Masse zu reden und dass sie nicht verstehen konnte, wie solch langweiliger, nichtssagender Kram wie der von Soleil sich verkaufte, während ihre überragenden abstrakten Bilder es nicht taten. Soleil verließ in Tränen aufgelöst das Haus und die beiden redeten kein Wort mehr miteinander.

Bis jetzt.

»Sie meint, wir können eine Weile bei ihr bleiben«, sagte Astrid, als sie aufgelegt hatte.

Sie sah ebenso überrascht aus wie ich.

Wir packten alles in den Minibus und fuhren zu Soleils neuem Zuhause nahe der Main Street und King Edward Street. Sie wartete in der Einfahrt eines großen, modernen Hauses auf uns. Astrid pfiff leise. »Da ist wohl jemand aufgestiegen.«

Soleil lächelte, als sie mich sah. Sie ist groß und hat breite Schultern und ein freundliches Gesicht. »Felix, du bist so groß geworden.« Dann umarmte sie halbherzig meine Mom. »Astrid. Wie geht es dir? Was ist passiert?«

»Kurzfristiger Rauswurf durch einen Drecksack von Vermieter aufgrund von Renovierungsarbeiten.« Fast konnte ich nicht anders, als sie dafür zu bewundern, wie leicht ihr die Lügen über die Lippen kamen.

Soleil half uns, alles in einen hellen, geräumigen Keller zu tragen. An einer Wand hing ein Gemälde mit gelben Rosen.

»Daran erinnere ich mich«, sagte Astrid. »Das hast du bei Emily Carr gemalt.«

»Und du hast gesagt, es sei ›in Bezug auf die Technik in Ordnung, aber emotional tot‹. Du fandest, ich würde mein Potenzial nicht ausschöpfen.«

Astrids Schweigen erfüllte das Zimmer.

Soleils Gesicht wurde leuchtend rot. »Meine Rosenbilder sind meine Bestseller. Ich komme mit den Bestellungen fast nicht nach.«

Mein S.H.I.T. sagte mir, dass wir uns auf gefährlichem Terrain bewegten. »Magst du mal meine Rennmaus streicheln –«, fragte ich, aber Astrid fing an zu reden, bevor Soleil antworten konnte.

»Ich freu mich für dich, Soleil, wirklich.« Erleichtert atmete ich auf. Bis sie hinzufügte: »Deine Arbeiten sind perfekt für Bürofoyers und Besprechungsräume.«

O Mann.

Soleil verschränkte die Arme fest vor der Brust. »Arpads Eltern kommen Ende der Woche. Bis dahin könnt ihr aber gern hierbleiben.«

»Das hast du bisher nicht erwähnt«, sagte Astrid.

»Ich erwähne es jetzt«, sagte Soleil, den Blick unverwandt auf die gelben Rosen gerichtet.

Soleil und ihre Familie hatten am Abend schon etwas vor, also liefen Astrid und ich rüber zu Helens Grill und bestellten das Frühstücksangebot zum Abendessen. Ich hatte Angst. Wenn man kein Zuhause hat, kann man schon mal Angst kriegen.

Die Kellnerin brachte unsere Teller. »Wieso schmeckt Frühstück immer abends besser?«, fragte Astrid.

»Ein wissenschaftliches Mysterium.«

Wir aßen schweigend. Dann sagte Astrid: »Ich habe eine witzige Idee.«

Den Mund voller Rührei guckte ich sie an.

»Wir wohnen im Bus. Nur ein paar Wochen, bis ich uns was anderes finde. Denk darüber nach, Felix. Das wird der ultimative Sommerurlaub. Freiheit, Abenteuer … Unterwegs von Jack Kerouac war mein Lieblingsbuch, als ich neunzehn war. Das wird der Hammer.«

Ich dachte nach. Ich war noch nie über Victoria hinausgekommen; wir hatten mit der Klasse die Parlamentsgebäude der Provinzhauptstadt besucht, als ich zehn war. Marsha hatte mich im Bus an den Haaren gezogen, auf der Hinfahrt und der Rückfahrt. »Können wir wegfahren? Durch British Columbia? Oder vielleicht bis zu den Rockies?«

»Na klar.«

»Können wir uns das leisten?«

»Für einen Monat, ja. Ich habe ein bisschen Erspartes.«

»Wenn du Erspartes hast, wieso konnten wir dann die Miete nicht bezahlen?«

Astrid schob sich einen Streifen gebratenen Speck in den Mund. »Der Vermieter hat uns ausgenommen. Wie oft habe ich ihn gefragt, ob er Sachen in Ordnung bringen könnte, die nie repariert wurden … Er schuldet uns ein paar Monate mietfreies Wohnen für den ganzen Mist, den wir aushalten mussten.«

»Oh.«

»Also, was sagst du? Ultimativer Sommerurlaub?«

Ich war nicht überzeugt. Aber ich wollte kein Spielverderber sein. »Schätze schon. Klar.« Wir klatschten ab und besiegelten so die Vereinbarung.

Und damit komme ich zu Anfang August.

Zu dem Tag, an dem wir in einen Bus einzogen.

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