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Mormors Haus

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Mormor heißt auf Schwedisch ›Mutters Mutter‹. Sie war meine Oma. Astrid und ich wohnten mit ihr zusammen in ihrem Bungalow in New Westminster, ein paar Kilometer von Vancouver entfernt, bis ich fast sieben war. Ihr Haus war mit allem möglichen Krimskrams aus Schweden vollgestopft; sie muss fünfzig rote und blaue hölzerne Dala-Pferde besessen haben. Außerdem hatte sie eine riesige tomte-Sammlung.

Tomtar, Plural von tomte, sind in der schwedischen Tradition schelmische koboldartige Wesen. Sie geben auf einen acht und beschützen die Familie. Aber wenn man sie nicht respektvoll behandelt, können sie auch grausam sein. Sie spielen dir dann vielleicht einen Streich oder stehlen Dinge oder bringen sogar Haustiere um.

Zu meinem fünften Geburtstag schenkte mir Mormor meinen eigenen tomte, den sie aus Filz selbst gemacht hatte. Er war zehn Zentimeter groß und hatte einen langen weißen Bart, einen spitzen roten Hut und eine rote Jacke. »Dein eigener Beschützer«, sagte sie. Ich nannte ihn Mel.

Wenn Astrid arbeiten war, kümmerte sich Mormor um mich. Meine Mom hatte damals zwei Jobs: Sie unterrichtete in einem Abendkurs Malerei an der Emily-Carr-Universität in Vancouver und ging in einem Versicherungsbüro ans Telefon. »Wenn ich genug gespart habe«, sagte sie immer zu mir, »suchen wir uns unsere eigene Wohnung.« Sie lebte nicht gern mit Mormor zusammen.

Ich schon. Mormor ging morgens mit mir in den Park, und nachmittags spielte ich Piratenschiff und Burg und Weltraum, während sie ihre Sendungen guckte. Drew, Maury, Ellen, Phil, Richterin Judy, die Frauen bei The View – sie waren wie Freunde. Und es war Mormor, die mir zum ersten Mal Wer, Was, Wo, Wann mit Horatio Blass zeigte. Das war ihre Lieblingssendung, und es wurde auch meine.

Mormor war eine sogenannte Lutheranerin, und sie las mir Geschichten aus der Bibel vor (aber das musste unser kleines Geheimnis bleiben, weil Astrid fand, dass institutionalisierte Religion der Grund für das Übel in der Welt war, und mit der Kirche schon vor langer Zeit gebrochen hatte). Wir machten pepparkakor, schwedisch für ›Lebkuchen‹, und Mormor erlaubte mir, Teigbällchen zu naschen. Zum Mittagsschlaf durfte ich mich auf ihrem kissenweichen Schoß einrollen und dösen, während sie fernsah.

Als ich gerade sechs geworden war, wachte ich einmal aus dem Mittagsschlaf auf und stellte fest, dass Mormor auch schlief. Das war nicht ungewöhnlich; sie legte sich nachmittags öfter hin. Also stand ich auf und spielte leise auf dem Fußboden mit meiner Holzeisenbahn, die meiner Mutter und ihrem Bruder gehört hatte, als sie noch klein gewesen waren. Als Mormor nach ungefähr einer Stunde immer noch nicht aufgewacht war, stupste ich sie vorsichtig an. Ihr Kopf sackte auf ihre Brust. Ihre Haut war grau und kühl. Ich bemerkte einen dunklen Fleck unter ihr.

Er war nass.

Begeistert fing ich an zu kichern. »Mormor, du hast in die Hose gemacht!« Bis dahin war ich in unserem Haushalt der Einzige gewesen, der in die Hose machte.

Sie antwortete nicht.

»Mormor?« Mir war klar, dass etwas nicht stimmte. Aber ich war klein. Mein S.H.I.T. war noch nicht voll entwickelt.

Ich rief meine Mom an. Sie wählte die 911 und kam sofort nach Hause. Aber niemand konnte irgendetwas tun.

Ich vermisste Mormor sehr und meine Mom vermisste sie auch. Danach schlief ich monatelang in Astrids Zimmer, und Mel war jeden Abend dabei, damit er auf uns aufpassen konnte, während wir schliefen. Ich ging kein Risiko ein.

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