Читать книгу Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise - Sven R. Kantelhardt - Страница 29

Ulf­berht, Odanwald, Lenzmonat 794

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Es taut nun schon zwei Wochen. Die Straßen sind wieder passierbar, und wir brauchen dringend Vorräte. Der harte Winter hat alles aufgezehrt. Wenn Lauresham uns nicht bald neue Vorräte schickt, müssen wir jemanden dorthin senden, um den heiligen Abt von unserer Not zu unterrichten«, sorgte sich Adalbert. »Doch ich weiß nicht, ob man uns dort gnädig Gehör schenken wird. Es heißt, die Ernte im letzten Jahr sei so schlecht gewesen, dass auch die Bauern auf und ab im Lande hungern.«

»Ich werde nach Lauresham gehen«, erbot sich Martinius. Der Bruder war den Winter über bei den Köhlern geblieben und hatte ihr einfaches Leben geteilt. »Ich muss mich mit dem Heiligen Vater besprechen, wie das Werk im Wald weitergehen soll. Und ich kann eure Nachricht gerne dorthin tragen, wo sie gehört wird. Das wäre das Mindeste, schließlich habt ihr mir das Leben gerettet!«

»Das wäre ein weiterer Segen, den du über uns bringst!« strahlte Adalbert erleichtert.

»Aber lass mich dich noch um eine Sache bitten«, unterbrach ihn Martinius.

»Gerne, denn ich weiß inzwischen, dass das, was du bittest, nichts Schlechtes sein kann!« entgegnete Adalbert.

»Gib mir Ulf­berht mit«, bat Martinius.

Ulf­berht starrte ihn mit offenem Mund an, doch Adalbert nickte verstehend. »Ulf­berht wurde die letzten zwei Jahre so etwas wie ein Sohn für uns«, erklärte er traurig. »Nein, für mich«, verbesserte er sich und zog die Nase hoch. »Der Sohn, den ich selbst nie hatte. Aber du hast Recht Bruder, er gehört mir nicht und gehört auch nicht hierher. Wenn du beim Abt etwas für ihn erreichen kannst, soll es mich herzlich freuen! Nur vergiss uns Kohleknechte im Wald nicht vollends, wenn du deinen Weg gehst«, wandte er sich an Ulf­berht. »Denn ich weiß, dass du es weit bringen wirst im Handwerk und in der Welt!«

Und so stapfte Ulf­berht zwei Tage später an Martinius’ Seite durch den schmelzenden Schnee. Es war derselbe Weg, den er zwei Jahre zuvor mit dem Ochsenkarren entlanggekommen war. Wie anders war damals seine Situation gewesen. Er fürchtete sich vor dem Wald und allem, was seiner harrte. Heute schlug sein Herz voll Hoffnung. Vielleicht würde er doch noch einen Platz in der Schmiede finden? Er war älter und stärker geworden. Auch mutiger und selbstbewusster. Ob Wieland sich davon beeindrucken lassen würde? Sie kamen gut voran, denn noch waren die Wege nur oberflächlich angetaut, in der Tiefe aber hart gefroren. Eine ereignislose Nacht verbrachten sie bei einem Bauern. »Erstaunlich, wie freundlich man uns aufnimmt«, bemerkte Ulf­berht. »Das ist auch richtig so«, erklärte Martinius energisch. »Die Leute achten meine Kutte. Auch wenn ich selbst nur ein sündiger Mann bin, so erkennen sie in mir doch einen Knecht unseres Herren. Und schon in seinem heiligen Evangelium erklärt der Herr selbst, dass der Arbeiter sein Brot wert ist. Vielleicht wird aus dir selbst auch ein Mönch? Dann wirst du erkennen, welche Kraft der Herr uns schenkt!«

Als sie Lauresham erreichten, war die Klosterpforte, die Ulf­berht zwei Jahre zuvor noch als Baustelle gesehen hatte, fertiggestellt. »Ich bin Martinius, Rodemönch aus dem Odanswald«, stellte sich Martinius dem Türhüter, einem im Dienst ergrauten Laienbruder, vor. Voller Stolz bemerkte Ulf­berht, dass er den in Latein gesprochenen Satz mühelos verstand. »Ich möchte dem Abt meinen Bericht erstatten«, erklärte der Mönch weiter. Der Graubart nickte und erhob sich ächzend von der Holzbank im Torgang. »Willkommen zurück, Bruder. Wartet hier, ich hole rasch einen Burschen, der euch zum Abt führt.« Wenig später kam er mit einem Jungen von vielleicht zehn oder elf Jahren zurück. »Er wird euch führen«, erklärte der greise Türhüter. »Ihr werdet sehen, hier hat sich einiges verändert im letzten Jahr!«, fügte er stolz hinzu und zeigte auf einen neuen Bauplatz, der sich direkt zwischen Tor und Kirche befand. »Hier entsteht eine Kapelle für die Gebeine des heiligen Nazarius. Wenn sie fertig ist, können die Besucher des Klosters direkt unter den heiligen Reliquien hindurch zur Kirche pilgern, und so fällt der Segen unseres Schutzheiligen auf ihre Häupter. Das hat Abt Richbod selbst ersonnen!«

Der Junge führte die beiden Reisenden ohne Umschweife durch das Gewirr von neuen und alten Bauten auf ein besonders schmuckes Gebäude zu. »Wird der Abt dich gleich empfangen?«, fragte Ulf­berht leise. Er selbst hatte ihn während seines kurzen Aufenthaltes im Kloster vor zwei Jahren nicht zu Gesicht bekommen. Vater Martinius lächelte. »Das glaube ich nicht, er hat bestimmt Wichtigeres zu tun, als sich Nachrichten aus dem wilden Wald anzuhören. Ich denke aber, sein Sekretär wird uns anhören.«

Und so war es auch. Im Gebäude erwartete sie ein hohlwangiger Mönch, der fast hinter seinem großen Schreibpult verschwand. »Segne mich, Vater«, bat Martinius, die übliche Begrüßungsformel gegenüber Personen, die in der Hierarchie des Klosters einen höheren Rang bekleideten, nutzend.

Der Mönch machte routiniert das Zeichen des Kreuzes über ihnen. »Bruder Martinius?«, fragte er ungeduldig. Der Angesprochene nickte. »Willkommen in Lauresham. Wie geht der Bau der Kapelle im Wald voran?«

»Nicht gut, fürchte ich, Vater«, antwortete Martinius mit gesenktem Haupt. »Der Winter war hart, und ich danke es nur unserem Herrn und den Kohlenknechten des Klosters, dass ich noch lebe.«

Der hohlwangige Mönch nickte verstehend. »Auch der Rest des Landes hat unter der Missernte und dem harschen Wetter gelitten. Selbst an unserem geliebten Kloster ist das nicht spurlos vorbei gegangen. König Karl hat noch dazu den Getreidepreis festgeschrieben und die Lehnsherren in die Verantwortung genommen. Du weißt ja, dass zwischen Westmeer und Alpen mehr als 3000 Hofstellen dem Abt zinspflichtig sind.« Hier verzog er den Mund, und Ulf­berht war sich unschlüssig, ob sein Missfallen dem harten Winter oder dem Erlass des Königs galt. »Aber genug davon«, er wandte sich Ulf­berht zu. »Was ist das für ein Junge, den du mitbringst? Soweit ich mich erinnere, bist du alleine aufgebrochen?«

»Ein freier Franke also?«, erkundigte sich Richbod überrascht. Der hohlwangige Mönch hatte sie entgegen Martinius Erwartung nach einem kurzen Gespräch gleich zum Abt gebracht. »Und einer, der im Wald Latein gelernt hat?« Zum ersten Mal blickte er Ulf­berht direkt an. »Wie heißt du, mein Junge?«, fragte er, ohne aus dem Latein ins Fränkische zu wechseln.

»Ulf­berht, Herr«, antwortete der mit niedergeschlagenen Augen, aber ohne zu zögern.

Richbod blickte erstaunt zu Martinius hinüber. »Wie ich dir gesagt habe«, bekräftigte der mit einem Schmunzeln.

»Zumindest versteht er mich«, bestätigte der Abt nachdenklich. »Wenn sich alles so verhält, wie du berichtest, dann ist das Köhlerhandwerk nichts für ihn, und mein Vogt muss mit diesem Hruođolf ein paar harsche Worte wechseln!« Kurz flog eine Wolke über sein klares Antlitz, dann stand er wieder sinnend und rieb sich das Kinn. Ulf­berht setzte an, um zu sprechen, aber Martinius stieß ihn mit dem Ellenbogen. Und so schwieg er, während die Spannung in seinem Inneren bis ins Unerträgliche wuchs. Schließlich räusperte sich der Abt. »Er soll zuerst in der Schmiede arbeiten, das passt doch gut zu den Köhlern und ist auch für einen Freien ein angemessenes Handwerk. Bring ihn zu Meister Gernod.« Er winkte einem Jungen in Novizenkleidung, der die ganze Zeit über schweigend in der Ecke ausgeharrt hatte.

Ulf­berht folgte dem Jungen, während er sein Glück kaum zu fassen vermochte. Erst als sie in den Hof traten, bemerkte er, dass Martinius beim Abt geblieben war. Die Trennung von dem Mönch versetzte ihm einen Stich und machte ihm Angst. Was würde ihn erwarten? Den Schmiedemeister hatte er nicht in besonders guter Erinnerung behalten. Doch der junge Novize führte ihn ohne Zögern über einen freien Hof. Das Dröhnen der Schmiedehämmer hätte Ulf­berht auch ohne Führer den Weg gewiesen. Wie vor zwei Jahren drang dichter Rauch unter dem tief herabgezogenen Schindeldach der Schmiede hervor. Die Arbeit war in vollem Gange. Der Novize mit der viel zu großen Kutte führte Ulf­berht direkt hinein. Eine wahre Höllenglut schlug ihnen entgegen, und während Ulf­berht noch versuchte, seine Augen an das herrschende Halbdunkel zu gewöhnen, stand er plötzlich zum zweiten Mal vor Gernod.

»Der heilige Abt schickte dir diesen Jungen als Hilfe«, erklärte der Novize knapp.

Der Meister betrachtete Ulf­berht von oben bis unten. »Du schon wieder?«, fragte er überrascht. Offensichtlich hatte er Ulf­berht trotz der zwei Jahre, die seit ihrer ersten Begegnung verstrichen waren, erkannt. »Ich habe dich doch zu den Kohlenknechten geschickt! Da wo deinesgleichen hingehört!«

»Es ist der Wunsch des Abtes«, wiederholte der Novize kühl. Ulf­berht fuhr zu ihm herum. Und auch Gernod starrte den jungen Burschen an. Der blickte völlig ausdruckslos ins Leere. Offensichtlich hatte Ulf­berht ihn unterschätzt.

»Ich wette, dass du hier nicht länger als einen Monat durchhältst!«, schimpfte Gernod und funkelte Ulf­berht einen Moment lang böse an. Dann wandte er sich ab.

»Damit ist hier ja alles geklärt«, bemerkte der Novize trocken, drehte sich um und verließ die Schmiede.

Ulf­berht trat unschlüssig von einem Bein auf das andere. Doch es sollte nicht das einzige unerwartete Wiedersehen des Tages bleiben. Immer noch benommen blickte er sich in seiner neuen Heimat um. Doch was war das? Hinter der Esse, auf der anderen Seite der Schmiede? Er machte zögernd ein paar Schritte vorwärts und betete im Stillen, dass seine Augen ihm einen Streich spielten. Dort arbeitete ein Geselle am Amboss. Ulf­berht hatte ihn sofort erkannt: Kein anderer als Edolf, Hruođolfs zweiter Sohn, welcher ihm die gesamte Misere eingebrockt hatte! Der junge Edeling hatte ihn seinerseits noch nicht bemerkt oder nicht erkannt. Kein Wunder, denn Ulf­berht hatte sich in den zwei Jahren seit ihrer letzten Begegnung verändert: Er war fast einen Fuß größer, und die harte Arbeit mit Holzaxt und Erzsäcken hatte seine Muskeln gefestigt und seine Schultern in die Breite wachsen lassen. Auch sein Gesicht war kantiger. Ulf­berht war kein Junge mehr, sondern stand mit seinen vierzehn Jahren an der Schwelle zum Mannesalter. Doch diese Überraschung war auch für einen jungen Mann zu viel. Die Hitze und Enge der Schmiede kamen ihm auf einmal erdrückend vor, und er stürzte zur Tür hinaus.

Draußen rang er schnaufend nach Atem. Ausgerechnet dieser Schweinehund durfte hier in Lauresham das Schmiedehandwerk erlernen! Verdrossen und unschlüssig, was er als nächstes tun sollte, blickte Ulf­berht sich um. Am anderen Ende des Hofes traten gerade einige Mägde mit Wäschepaketen ins Freie. Unwillkürlich folgte Ulf­berhts Blick ihren Bewegungen. Ungläubig kniff er die Augen zusammen. Konnte es an diesem Tag noch eine Überraschung geben? »Berhta?«, rief er unschlüssig und dann noch einmal mit festerer Stimme »Berhta!«

Sie drehte sich um, eine scharfe Erwiderung auf den Lippen für den Knecht, der ihr wie einer Straßendirne hinterherschrie. Doch als sie ihn sah, fiel ihr Korb zu Boden, und sie schlug die Hände vor den Mund. »Ulf­berht!«, rief sie. »Bist du das wirklich?« Er rannte ihr entgegen und wollte sie in die Arme schließen, doch ihr unwillkürliches Zurückweichen ließ ihn innehalten. »Wieso bist du von Hruođolfs Hof geflohen?«, fragte sie vorwurfsvoll. »Und wie kommst du an diesen Ort?«

Ulf­berht stoppte mitten in der Bewegung. »Geflohen?«, fragte er.

»Ja. Vor – vor über zwei Jahren war das! Leugne es nicht!«

»Ich bin nicht geflohen, der Kerl hat mich an die Kohlenknechte im Wald verkauft!«, schimpfte Ulfberht.

Berhta presste wieder ihre Hände auf den Mund. »Was sagst du da?«, fragte sie entsetzt. »Davon hätte mir Edolf doch erzählt. Er ist nämlich auch hier und lernt das Handwerk eines Waffenschmieds!«

Täuschte sich Ulf­berht, oder flog eine leichte Röte über das Antlitz seiner Schwester? Überhaupt hatte sie sich verändert. Sie war kein Mädchen mehr, sondern eine junge Frau. Und ihre hübsche Bauerntracht, die sie als Tochter eines freien Franken auswies, hatte sie gegen die einer Magd getauscht. Vermutlich errötete sie aus Scham darüber. Oder weil sie sich von einem Kerl wie Edolf so glatt hatte belügen lassen! Doch auf einmal wurde ihm heiß. Wenn Berhta all die Lügen geglaubt hatte, was war dann mit ihrer Mutter?

»Hat er Mutter etwa auch erzählt, dass ich geflohen sei?«, fragte er gepresst. »Und was ist inzwischen aus ihr und dem Brandthof geworden?«

Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise

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