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Landfried, Radantia, Ostermonat 794

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Langsam glitten die schwer beladenen Kähne unter dem Druck der Ruder den Fluss hinauf. Urwälder, kleine Weiler und ebenso kleine Felder zogen an den Ufern vorbei. Vor vier Tagen hatte Landfried mit einem Trupp von einfachen Fußsoldaten den Hafen von Moguntia verlassen. Landfried war ganz froh, der Enge der Stadt zu entkommen.

»Vielleicht bist du auch ganz froh, der jungen Eilika zu entkommen?«, hatte Mundarik ihn geneckt, aber das verbat sich Landfried vehement.

»Ich muss mir von dir altem Saufaus gar nichts vorwerfen lassen!«, hatte er behauptet, auch wenn ihn insgeheim sein Gewissen plagte. Er wollte große Taten vollbringen, die ihm vor dem König Ehre machten. Und, was schaffte er tatsächlich? Eine junge Dienstmagd zu verführen. »Ganz bestimmt nicht von dir!«, wiederholte er wütend, als Mundarik anstelle einer Antwort lediglich anzüglich grinste. Doch da ihm neben seinem Freund und Begleiter lediglich die Gesellschaft der Bauern blieb, musste er sich wohl oder übel mit ihm vertragen.

»Landfried! Sieh mal dort drüben. Ob das unser Ziel ist?«, rief Mundarik plötzlich munter und wies mit der ausgestreckten Hand den inzwischen nur noch schmalen Wasserlauf hinab. Hinter einer Biegung war unversehens eine große Lichtung aufgetaucht. Stapel von Holz und anderem Baumaterial säumten das Ufer. Menschen liefen geschäftig hin und her. Weiter hinten schimmerte der helle Stoff von Zelten.

»Das scheint es zu sein!«, bestätigte Landfried. Die kleine Flotte näherte sich langsam der Landungsstelle, an der das Gras auf dem schmalen Uferstreifen von hunderten Füßen zu Schlamm zertreten war.

»Wie ein Heerlager sieht mir das aber nicht aus«, bemerkte Mundarik säuerlich. »Keine Palisaden, nicht mal Wall und Graben und auch keine Wachtposten.«

Landfried kniff die Augen zusammen. »Wir befinden uns auch noch mitten in fränkischem Gebiet. Weiß der Henker, was wir hier sollen. Um eine Burg als Ausgangspunkt für einen Angriff auf die Awaren zu erreichen, sind wir noch verdammt weit von der Grenze entfernt! Die gesamte Bayrische Mark liegt zwischen uns und dem Feind.«

Schweigend warteten die beiden Männer, bis ihr Kahn mit einem leisen Ruck auf den Matsch der Anlegestelle auflief. »Gott zum Gruß«, rief Landfried zwei Männern zu, die ihrer Kleidung nach ebenfalls Edelleute waren.

»Auch Euch«, kam die wortkarge Antwort. »Wer seid Ihr und was ist eure Ladung?« Die Frage war geschäftsmäßig gestellt und legte keinen Wert auf Höflichkeit.

»Mein Name ist Landfried, wir kommen von Moguntia«, erklärte er. »Ich bringe fünfzig Mann, und Rantulf, ein Grafensohn aus dem Hause Cankor von Wormatia, folgt mit weiteren hundert.«

»Alles Bauern?«

»Ja«, bestätigte Landfried. »Keine Pferde bisher. Und auch keine Haustruppen. Dafür haben wir Schaufeln und Hacken dabei!« Er grinste. Doch falls sein Gegenüber das in irgendeiner Weise bemerkenswert oder gar belustigend fand, verrieten seine Züge nichts davon.

»Dann melde dich und die Zahl deiner Männer in dem großen Zelt dort hinten. Da sind die Schreiber untergebracht. Die werden dir auch sagen, wo ihr lagern könnt.«

Landfried zuckte die Schultern. Das zumindest war wie auf jedem Feldzug. Er würde schon noch früh genug erfahren, was es mit den seltsamen Vorbereitungen auf sich hatte. »Mundarik, sieh zu, dass die Männer die Kähne entladen. Ich gehe neue Befehle holen.« Er sprang ins flache, kalte Wasser. Was für ein unangenehm feuchter Frühling, schoss es ihm durch den Kopf. Rasch watete er ans Ufer.

»Dort entlang«, erklärte der wortkarge Edelmann, mit dem Landfried bisher gesprochen hatte, noch einmal und zeigte in Richtung der weiß schimmernden Zelte. Als Landfried gerade im Begriff war, in die angegebene Richtung zu schreiten, besann er sich doch noch seiner Manieren. »Landfried, sagtet Ihr? Ich bin Roderik, des Königs dritter Baumeister«, stellte er sich vor und streckte dem sich umwendenden Landfried die Pranke entgegen.

»Meister«, bestätigte Landfried mit einem leichten Nicken und schüttelte die ihm dargebotene Rechte. Ein Baumeister also?, dachte Landfried. Kein Wunder, dass der Mann keine Manieren hat. Nur was sollen wir hier? Sollen wir vielleicht eine ummauerte Stadt angreifen? Doch die Awaren wohnen nicht in ummauerten Städten. Unter diesen Gedanken schritt Landfried auf das größte der bezeichneten Zelte zu. Drinnen befanden sich mehr Menschen, als Landfried erwartet hatte, und mehr Pergament, als er je an einem einzelnen Ort gesehen hatte, mit Ausnahme der Klosterbibliothek von Lauresham vielleicht.

Unschlüssig stand er im Eingang, bis ihn plötzlich eine Stimme anrief: »Du da, woher kommst du, und wie viele Männer bringst du mit?«

Landfried fuhr herum. Die Stimme gehörte einem Mann in Mönchskutte, der hinter einem bedenklich hohen Pergamentstapel saß und ihn über diesen hinweg kritisch musterte. Wenn der Stapel umfällt, wird er ihn erdrücken, mutmaßte Landfried grimmig. Sollte er auf seinem Rang bestehen? Besser nicht, entschied er. Noch wusste er nicht, wen er vor sich hatte. Er räusperte sich. »Ich heiße Landfried, Graf Theutberts Sohn. Ich bringe fünfzig Mann, und Grafensohn Rantulf aus Wormatia folgt mit weiteren hundert«, wiederholte er seinen bereits dem Baumeister gegebenen Bericht.

Der Schreiber nickte und kritzelte etwas auf eines der Pergamente. Dann wandte er sich wieder Landfried zu. »Mein Name ist Sigismund. Ich gehöre zur Hofkapelle und organisiere hier das Lager. Du wirst deine Männer dort drüben hinter den Hügel bringen.« Er wies mit der Hand aus dem Zelt hinaus. »Dort schlagt eure Zelte auf. Später wird man Euch Nahrungsmittel und Feuerholz bringen. Rantulf wird mit seinen Männern direkt neben deinen lagern. Sag ihm das.« Ohne eine weitere Erklärung wandte sich der Kaplan, wie Landfried jetzt wusste, wieder seinen Pergamenten zu.

Waren hier alle so höflich? Er biss sich auf die Unterlippe und schluckte seinen Ärger herunter. Aber das war er von der Hofkapelle so gewohnt. Nicht höflich, aber immerhin straff organisiert. Sollte er noch nach dem Zweck seiner Anwesenheit fragen? Lieber nicht jetzt. Die Hofkapelle bildete das Rückgrat der königlichen Verwaltung. Und wenn hier ein Kaplan Dienst tat, dann geschah das Ganze mit Sicherheit auf Befehl des Königs. Er würde sich gedulden. Und Zelte aufbauen.

Kaum standen die ersten Zelte, da kamen bereits die versprochenen Nahrungsmittel und das Feuerholz. »Ich gehe noch einmal zum Kommandozelt. Vielleicht bekomme ich doch noch etwas heraus«, entschied Landfried. »Pass du hier auf, dass es keine Streitereien mit den Nachbarn gibt. Du weißt ja, auf wen du besonders achten musst«, wies er Mundarik an. Es hatte bereits auf den Booten einigen Ärger gegeben. Rasch schritt er in Richtung der Anlegestelle. Die Abendluft war angenehm mild, und der Rauch der Kochfeuer stieg ihm in die Nase. Als er das Kommandozelt betrat, war nur eine einzige bekannte Person anwesend. Die hohe Gestalt des Hofkaplans erkannte er sogar von hinten. »Herr Sigismund?«, fragte er vorsichtig. Die Macht der Hofkapelle durfte man nie unterschätzen.

Der Angesprochene drehte sich halb um. »Komm nur näher«, winkte er um einiges geselliger als noch am Mittag.

Zögernd trat Landfried an den Tisch, an dem der Mönch noch immer saß. Nun sah er, dass ein Weinkrug den unordentlichen Pergamentstapel ersetzt hatte. Offenbar ohne den Mönch unter sich zu begraben. »Einen guten Abend wünsche ich«, grüßte er höflich.

»Auch dir, Grafensohn«, entgegnete der Geistliche.

Landfried lächelte überrascht. Sigismund musste wissen, wer er war, dass er ihn trotzdem als legitimen Sohn seines Vaters ansprach, war eine ungewohnte Höflichkeit.

»Hast du schon herausgefunden, was hier vorgeht?«, fragte Sigismund schmunzelnd.

»Nein, noch nicht«, gestand Landfried.

»Dann setz dich zu mir, und nimm einen Schluck Wein. Es ist nicht gut, wenn die Anführer nicht wissen, was der König von ihnen erwartet!«

Dankbar nahm Landfried Platz. In diesem Punkt stimmte er dem Kaplan vollkommen zu. Sigismund winkte einen Knecht heran, der einen weiteren Becher vor Landfried auf den Feldtisch stellte. Aufmerksam musterte ihn der Kaplan, während Landfried seinen ersten Schluck nahm. Der Wein war zwar billig, aber gewürzt und warm, an einem kalten Tag wie heute eine Wohltat.

»Also was hast du bisher herausgefunden?«, fragte der Kaplan noch einmal.

Sein spöttisches Lächeln ärgerte Landfried. »Mit mir kamen hundertfünfzig Mann, die neben ihren Waffen in Moguntia mit Spaten und Hacken ausgestattet wurden. Hier vor Ort befinden sich bestimmt noch mal so viele Männer. Ebenfalls nicht für den Krieg, sondern für die Arbeit gerüstet. Ich sah nur wenige Pferde, und die Grenze des Awarenreichs befindet sich hinter der Bayrischen Mark weit entfernt im Südwesten. Von Aufständen der Bayern oder einem Überfall der Awaren, Sachsen oder Slawen habe ich nichts gehört, und wir haben hier auch keine Palisaden und selbst für so friedliche Zeiten viel zu wenige Wachtposten. Neben euch, einem Kaplan der königlichen Hofkapelle, befindet sich auch der dritte Baumeister des Königs vor Ort. Es deutet also alles darauf hin, dass wir nicht hier sind, um Krieg zu führen, sondern um etwas zu bauen. Etwas, was dem König wichtiger ist als ein neuerlicher Feldzug und wofür er eine große Menge Arbeiter, aber nur wenige Fachleute benötigt. Ich habe weder Steine noch Steinmetze gesehen.«

Sigismund nickte anerkennend. Das überlegene Lächeln war zu einem belustigten Schmunzeln geschrumpft. »Gut beobachtet, aber warum bist du dann hier, Krieger?«

»Ja, das ist eine der Fragen, die offen bleiben«, bestätigte Landfried.

»Eine der Fragen?«, erkundigte sich Sigismund verwundert. »Was willst du denn noch wissen?«

»Es wäre das erste Frühjahr, seitdem ich denken kann, in dem Karl keinen Feldzug plant.« Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ein Frühjahr ohne Krieg …« Sigismund schürzte die Lippen. »Im Himmel wirst du ganz ohne Feldzüge auskommen müssen. Als guter Christ …«

»Ich habe ja nichts dagegen«, verteidigte sich Landfried, »es kommt mir nur seltsam vor.«

»Du hast schon richtig beobachtet«, entgegnete der Mönch. »Eigentlich hast du es fast erraten. Karl hat befohlen, einen Kanal zu graben, der den Moin mit dem Danuvius verbindet.«

Landfried schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich hab es doch gewusst! Also geht es doch den Awaren an den Kragen!«, rief er triumphierend.

Sigismund nickte. »Du denkst schnell. In der Tat. Unser Nachschub soll per Schiff auf den Danuvius gebracht werden, damit unser Heer den Fluss entlang durch die östliche Mark bis ins Herz des Awarenreiches vorstoßen kann.«

»Auf einen derartig großen Plan konnte tatsächlich nur Karl kommen!«, rief Landfried voll ehrlicher Bewunderung.

»Ein kühner Plan in der Tat«, bestätigte Sigismund. »Aber anno einundneunzig hatten wir auch eine Versorgungsflotte auf dem Danuvius, und die verdammten Awaren sind einfach in die Steppe geflohen. Weg vom Fluss und unserem Heer.«

Landfried nickte. Damals war er nicht an dem Danuvius, sondern befand sich in Aquitanien und der spanischen Mark, ganz im Westen, am anderen Ende des Frankenreiches. »Ihr hattet nicht genügend schwere Reiter«, behauptete er. »Mit denen haben wir den Arabern bei Tolosa eingeheizt und sie bis nach Hispanien zurückgetrieben!« Er konnte sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen.

»Gebe Gott, dass du Recht behältst«, gestand ihm sein Gegenüber zu. »Aber die Araber sind leicht bewaffnet, ohne Panzerung. Bei den Awaren tragen sogar die Pferde Rüstungen!«

Landfried machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie werden der Wucht unseres Angriffs auch damit nicht widerstehen können.«

»Vielleicht wollen sie das auch gar nicht«, antwortete Sigismund, dem Landfrieds Optimismus offensichtlich nicht gefiel. »Sie weichen aus und schießen ihre Pfeile mit tödlicher Sicherheit. Dafür richten sie sich in ihren Steigbügeln auf und schießen zielsicher sogar nach hinten auf ihre Verfolger!«

»Pah«, machte Landfried. »Pfeile haben die Araber auch verschossen, aber wenigstens nutzen die Awaren nicht die verdammten Wurfanker, mit denen uns die Araber vom Gaul und in den Staub reißen wollen.«

»Die Araber … «, sinnierte Sigismund. »Wer vermag die schon zu verstehen?«

»Nun«, widersprach Landfried. »Zuerst klingt ihre Sprache wie ein unteilbarer Strom von Worten. Es ist unmöglich zu sagen, wann eines aufhört und wo das nächste beginnt. Ein wenig klingt es wie Musik.« Er lächelte kurz. »Aber nach ein paar Monaten an der Front schnappt man doch das ein oder andere auf …« Er schaute auf und bemerkte, dass Sigismund ihn mit hochgezogenen Brauen betrachtete. »Mir gefiel der Klang ihrer Sprache eben«, erklärte er und spürte wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. »Dadurch waren die Schwertstreiche, die ich ihnen verpasst habe, nicht weniger hart und entschlossen!« Trotzig blickte er seinem Gegenüber in die Augen.

»Ich meinte eigentlich nicht, dass ihre Sprache schwer zu verstehen ist«, erklärte Sigismund. »Sondern die Araber an sich sind es. Sie kennen nur einen Gott und doch sind sie keine Christen. Sie leben nach ihren eigenen Gesetzen, die aber auch in einem Buch geschrieben stehen. Das unterscheidet sie von unseren übrigen Feinden, seien es nun Sachsen, Dänen, Slawen oder Awaren. Aber verzeih mir, ich wollte dich nicht kränken. Im Gegenteil, du hast mich beeindruckt. Du kennst dich bemerkenswert gut mit den Bräuchen deiner Feinde aus, wie ich merke«, beschwichtigte Sigismund. »Nicht viele Krieger interessieren sich für die Sprache ihrer Feinde!«

»Und nicht jeder Kaplan versteht etwas von Steigbügeln und Pfeilen«, konterte Landfried grinsend.

»Darauf lass uns trinken«, rief Sigismund lachend und hielt Landfried seinen Becher zum Anstoßen hin.

Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise

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