Читать книгу Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise - Sven R. Kantelhardt - Страница 14

Ulf­berht, Lauresham, Weinmonat 792

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»Das ist die Schmiede«, erklärte Ulf­berhts junger Führer und zeigte auf ein großes, einzeln stehendes Gebäude, dessen Dach, im Unterschied zu den meisten anderen Gebäuden, nicht mit Reet, sondern mit Holzschindeln gedeckt war. Ulf­berht hatte sich immer gewünscht, einen jener geheimnisvollen Orte zu sehen, an dem man das Eisen in seine Form zwang. Viele Söhne von Freien und sogar Edlen begehrten das Handwerk zu erlernen, wie einst der junge Siegfried. Vielleicht meinte es Gott im Himmel am Ende doch gut mit ihm? »Gleich lernst du Gernod kennen«, unterbrach Hilprik seine Träumereien. »Aber wir nennen ihn insgeheim alle Wieland«, kicherte er.

»Warum denn das?«, fragte Ulfberht.

»Du wirst schon sehen«, erwiderte der Knecht. Durch die niedrige Tür schlugen Ulf­berht Hitze und beißender Rauch entgegen. Das Dröhnen der Schmiedehämmer, das Zischen von Wasser, in das glühendes Eisen getaucht wurde, und das Fauchen der Blasebalge waren so laut, dass ihm der junge Knecht ins Ohr schreien musste. »Dort vorn ist Meister Gernod.« Er zeigte auf einen untersetzten, nicht allzu großen Mann, der mit einer Zange ein glühendes Eisen auf den Amboss hielt und langsam hin und her drehte, während zwei junge Burschen abwechselnd mit großen Hämmern darauf einschlugen, dass die Funken stoben. Der Mann mit der Zange grunzte, und die beiden hielten erschöpft inne, während ihr Meister herumschwenkte und das Eisen wieder in die Glut legte. Dann erst blickte er auf und winkte die beiden heran. Hilprik trat zu ihm und schrie etwas in sein Ohr. Gernod zog die Brauen verärgert zusammen. Dann griff er nach einer Krücke. Ulf­berht bemerkte erst jetzt, warum der Mann bisher gesessen hatte. Er war lahm. Daher also der Name Wieland! Dem sagenhaften Schmied waren von König Nidung die Sehnen in den Kniekehlen durchtrennt worden, damit er ihn niemals verlassen und für einen anderen arbeiten könnte! Ein Unrecht, welches der König später bitter bereuen sollte. Schon stand der Meister schnaufend vor ihm. Missmutig musterte er Ulf­berht von Kopf bis Fuß. Dann griff er nach seinem Oberarm und drückte kräftig zu. Der ständige Lärm hatte ihm offenbar abgewöhnt, mehr Worte zu sprechen als unbedingt nötig. Ulf­berht spürte instinktiv eine Abneigung gegen den Mann, doch er hielt der Untersuchung stand, ohne sich zu rühren.

Endlich sprach Gernod. »Noch ziemlich schwach. Zum Schmieden nicht zu gebrauchen. Was ist er, sagst du? Sohn eines Edlen wohl kaum?«

»Er wurde der Abtei zum Arbeiten gesandt«, brüllte der Knecht, sodass Ulf­berht ihn diesmal verstehen konnte.

»Ein Knecht also«, nickte Gernod finster. »Ich kann ihn hier nicht brauchen. Schick ihn zu den Kohlenknechten. Die brauchen immer frisches Fleisch!«

Ulf­berht schnappte nach Luft. Aus den Gesprächen, die er in den letzten zwei Tagen mit angehört hatte, wusste er, dass dies die schlechteste aller Möglichkeiten war. »Aber ich bin ein freier Franke … «, rief er verzweifelt, nur um von dem Schmiedemeister noch eine Backpfeife zu kassieren. Er hielt sich mit Mühe auf den Beinen.

Der Meister schlug zu wie ein Schmiedehammer. »Frei bin nicht einmal ich, Bürschlein«, zischte er. »Du bist gar nichts. Ein Dreck. Ein Gehilfe für die Kohlenknechte im Wald. Und jetzt schaff ihn fort!«

Bereits zwei Tage später verließ Ulf­berht das Kloster, wieder auf einem Ochsenkarren. Diesmal war er mit Nahrungsmitteln für die Köhler beladen. Ulf­berht hatte die beiden Tage in Lauresham damit zugebracht, schwere Kohlesäcke vom Lagerhaus in die Schmiede zu schleppen. Es war unglaublich, welche Mengen die hungrigen Essen verschlangen. Öfter hatte er zudem die harte Hand Gernods oder eines der Gesellen zu spüren bekommen, und er war sich nicht mehr sicher, ob der Wald wirklich schlimmer war als die Höllenglut der Schmiede. Trotzdem blickte er seiner neuen Heimat, den dunklen, bewaldeten Höhen, starr entgegen. Ihm schauderte, als der Weg schließlich zwischen den Bäumen im Wald verschwand. »Müssen wir tief hinein?«, fragte er ängstlich.

Der schweigsame Knecht, der das Ochsengespann lenkte, antwortete zunächst gar nicht. »Tief wo hinein?«, fragte er schließlich, als Ulf­berht bereits aufgegeben hatte, auf eine Antwort zu warten.

»In den Wald, meine ich«, erwiderte er kleinlaut.

Der Knecht blickte ihn kurz an. Dann wies er mit der Hand den Bachlauf entlang, dem der Weg folgte. »Nicht weit, gleich da vorn sind die Hütten der Kohlenknechte.« Tatsächlich erkannte Ulf­berht die Giebel einfacher Grubenhäuser. Er seufzte erleichtert. »So, da sind wir«, rief der Knecht, als er sein Ochsengespann vor den Hütten zum Halten brachte.

Ein älterer Mann in schwarzer Kleidung trat ins Freie. »Das wird auch Zeit«, schimpfte er, aber seine Augen blickten nicht zornig. »Gut, dass ihr zu zweit kommt«, fuhr der Fremde fort. Erst jetzt bemerkte Ulf­berht, dass er nicht schwarz gekleidet, sondern von Kopf bis Fuß mit Kohlenstaub bedeckt war. »Die Männer sind alle im Wald beim Holzfällen. Ihr müsst selbst abladen.«

Der mürrische Fuhrknecht nickte. »Der Junge hier wird bei euch bleiben. Wieland kann ihn nicht gebrauchen.«

Der Köhler blickte Ulf­berht fest an. »Gut«, nickte er schließlich. »Ich bin Adalbert, der Aufseher der Kohlenknechte. Willkommen in unserem kleinen Dorf.« Mit einem schiefen Grinsen wies er auf die Grubenhäuser hinter sich. »Wie heißt du?«

»Ulf­berht«, antwortete der Gefragte schüchtern.

Adalbert nickte. »Du reichst uns am besten die Sachen vom Wagen runter, und wir bringen sie da vorn in den Schuppen.« Rasch waren die Nahrungsmittel abgeladen.

»Und wo ist die Kohle?«, fragte der mürrische Knecht. »Ich soll eine Ladung für die Schmiede zurückbringen.«

»Natürlich sollst du das«, bestätigte der Köhler. »In dem Schuppen da drüben ist mehr, als du laden kannst.« Was nun folgte, kannte Ulf­berht bereits aus den vergangenen Tagen: säckeweise Kohle schleppen.

»Im Frühjahr brennen die Meiler am besten«, erklärte Adalbert während des Verladens. »Aber bei der Menge an Eisen, die unser König in diesen kriegerischen Zeiten braucht, reicht es nicht aus, wenn wir nur im Frühjahr Kohle brennen. Wir zünden in den nächsten Tagen sechs neue Meiler an. Du wirst sie bewachen, denn zum Holz schlagen bist du noch zu klein.« Ulf­berht hatte keine Ahnung, was eigentlich ein Meiler war, geschweige denn, wie oder wovor man ihn bewachen musste, aber er hatte inzwischen gelernt, keine Fragen zu stellen, und nickte tapfer. »Roland wird dir zeigen, worauf es ankommt. Er ist Franke wie du und wird dich verstehen.«

Ulf­berht sah den Köhlermeister entgeistert an. »Auch Franke?«, fragte er. »Aber sind wir hier nicht alle Franken?«

Adalbert lachte. »Nicht alle. Wir haben einige Sachsen hier, die uns zur Hand gehen.«

»Sachsen!?«, rief Ulf­berht entsetzt. Wie tief war er gesunken, dass er mit diesen Teufeln zusammenarbeiten sollte! Und würden die ihn nicht in der ersten Nacht massakrieren, wie sie auch seinen Vater ermordet hatten?

Adalbert lachte nur. »Sie sind ganz in Ordnung, zumindest die, die wir hier haben. Und wohin sollten sie auch fliehen? Daher tun sie meistens, was man ihnen sagt …« Am nächsten Morgen führte ihn Roland, ein Knecht mit denselben kräftigen Schultern und Armen, wie sie Ulf­berht schon an Adalbert aufgefallen waren, zu dem Kohlplatz. Er lag nicht weit von den Hütten entfernt auf einer Lichtung am Fuße des Hangs. »So können wir die Stämme vom gesamten Hügel einfach zum Kohlplatz rollen«, erklärte Roland. Kohlereste und Asche auf dem Boden zeigten, dass der Platz schon seit längerem in Gebrauch war. »Und das sind die Meiler.« Roland wies auf eine Reihe mit Asche und Erde bedeckter Hügel. Sie waren höher als ein ausgewachsener Mann und maßen vielleicht zwanzig Schritt im Durchmesser. Ulf­berhts Blick wanderte weiter, und er gewahrte, wie hinter den Meilern zwei Männer gespaltenes Holz auftürmten. Vor all dem Kohlestaub leuchtete es weiß und frisch. »Das sind die Meiler«, wiederholte sich Roland.

Ulf­berht war sich bei ihm nie sicher, wohin er eigentlich schaute, denn Roland schielte stark. »Und das da hinten?«, fragte er und zeigte auf den Berg aus frisch geschlagenem Holz.

Roland runzelte die Brauen. »Was?«, fragte er schroff.

Ulf­berht überlegte kurz, ob er lieber den Mund halten sollte, doch bisher war der Kohlknecht ganz umgänglich. »Na das Holz dort hinten«, versuchte er es nochmals.

Roland blickte irgendwo hin, nur nicht zu dem Holzberg. »Der unfertige Meiler dort?«, fragte er verständnislos.

Dafür verstand Ulf­berht. »Das heißt, unter jedem dieser Hügel ist ein Holzhaufen vergraben?«, fragte er.

»Na klar, sind alles Meiler, sag ich doch.« Roland schüttelte den Kopf. »Jetzt komm mit, wir helfen da hinten beim Aufbauen. Die Decke muss drauf, bevor es anfängt, zu regnen, und das kann jeden Augenblick losgehen.« Plötzlich blieb Ulf­berht wie angewurzelt stehen. »Was hast du denn?« Roland wandte sich fragend um.

Ulf­berhts Gesicht war so bleich, als habe er gerade einen Geist gesehen. »Das sind Sachsen«, stieß Ulf­berht mühsam hervor.

»Ja, Sachsen, keine Gespenster«, erklärte Roland, zwischen Belustigung und Ärger schwankend.

»Der Große da drüben heißt Willich, nicht wahr?«, fragte Ulf­berht mit belegter Stimme.

Roland kniff die Augen zusammen. Dann musterte er Ulf­berht scharf. »Woher kennst du den denn? Der spricht doch mit niemandem ein Wort?«

»Der hat meinen Vater getötet«, erwiderte Ulf­berht tonlos.

Doch der harte Alltag der Köhler erlaubte keine Rücksicht auf Ulf­berhts Schicksal. Er half so gut er konnte, doch seine noch jugendlichen Muskeln waren nicht so stark wie die der älteren Knechte oder gar des hünenhaften Willichs. Und so erinnerte sich Adalbert bald wieder an seine Idee, Ulf­berht zum Bewachen der Meiler einzusetzen. Nach dem Mahl, bestehend aus ungesalzener Gerstengrütze, nahm er ihn zur Seite. »Ich glaube, ich kann dir vertrauen, Junge«, erklärte er und blickte Ulf­berht in die Augen.

»Ja, … ja, Herr Adalbert«, antwortete Ulf­berht. Auf einmal war sein Mund trocken. Er schluckte. So hatte noch nie jemand mit ihm gesprochen!

»Ich möchte dir unsere Meiler anvertrauen«, fuhr der alte Köhler fort. »Du hast ja gesehen, wie viel harte Arbeit es kostet, einen zu errichten. Sie sind unser wertvollster Besitz.« Ulf­berht nickte stumm. »Roland wird dir zeigen, worauf du achten musst.« Damit gab er ihm noch eine Decke, dann folgte Ulf­berht dem jungen Kohlenknecht zum Kohlplatz.

Obwohl am Himmel noch ein letzter Schein des Tages zu sehen war, lag der Wald schon in tiefem Dunkel, und Ulf­berht musste aufpassen, nicht zu stolpern. Der Weg zu den Meilern war ihm am Tage kürzer vorgekommen als jetzt, doch schließlich erreichten sie die schwarzen Hügel. »Es ist ganz einfach«, erklärte Roland. »Du behältst die Meiler immer im Auge.« Er machte ein strenges Gesicht. »Und wenn ich immer sage, dann meine ich das auch. Immer. Dafür ist deine Hütte zu den Meilern hin offen. Hast du das verstanden?« Ulf­berht nickte pflichtschuldig. »Gut. Meiler müssen brennen, aber nicht zu stark. Es muss immer weißer Rauch aufsteigen wie jetzt gerade. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Klar?«

Ulf­berht nickte. »Weißer Rauch«, bestätigte er. »Alles klar.«

»Weißer Rauch ist gut. Wenn zu wenig kommt, braucht der Meiler mehr Luft. Dann machst du mit dem Stecken hier«, dabei hielt er einen angespitzten Holzstab, etwa von der Stärke eines Langspeers, hoch, »Löcher in den Mantel. Unten am Fuß des Meilers, damit Luft eindringen kann. Wenn es zu sehr raucht, machst du ein paar Löcher wieder zu. Klar?« Ulf­berht nickte wieder. »Ich zeig es dir«, erklärte Roland, und sie gingen zu dem ersten der qualmenden Haufen. Roland stieß den Stecken kräftig in den Mantel aus Erde und Asche und machte eine kreisende Bewegung, um das Loch zu vergrößern. Nach einem Augenblick drang auch hier weißer Rauch heraus.

»Klar«, bestätigte Ulf­berht einmal mehr. Er war ja nicht blöde.

»Und verschließen tust du es so«, erklärte Roland und machte vor, wie man mit dem Fuß wieder Erde in das Loch drückte.

»K… klar«, bestätigte Ulf­berht, ihm ins Wort fallend.

Dafür fing er sich einen finsteren Blick seines Lehrers ein. »Und wenn blauer Rauch kommt, dann rufst du mich oder Adalbert und zwar schnell«, fuhr Roland in seinen Erläuterungen fort. »Wenn es stimmt und wirklich blauer Rauch kommt, dann ist die Kohle fertig und dann machen wir alle Löcher zu, um das Feuer zu ersticken. Klar?«

»Völlig klar«, murmelte Ulf­berht verlegen. Roland nickte noch ein letztes Mal und übergab ihm dann den Stecken.

Ulf­berht blieb allein auf dem Kohlplatz zurück. Seine Gefühle schwankten zwischen Stolz über die ihm anvertraute Aufgabe einerseits – schließlich hatte Adalbert oft genug betont, wie wichtig es war, dass die Meiler nicht zu schnell brannten –, auf der anderen Seite fürchtete er einen Fehler zu machen. Ganz zu schweigen davon, dass er die Nacht alleine im Wald verbringen sollte. Er seufzte, gab sich einen Ruck und ging zu jedem der Meiler, um sich von der Menge und Farbe des Rauches aus der Nähe zu überzeugen. Dann begann es zu regnen, und Ulf­berht begab sich in die kleine Schutzhütte am Rande des Platzes. Eigentlich war es nur ein Stamm in einer Astgabel, an den man von beiden Seiten Äste gelehnt und mit Erde und Laub bedeckt hatte, sodass ein notdürftiges Dach entstand. Ein alter Stofffetzen diente als Vorhang vor der offenen Seite, die zu den Meilern wies. Glücklicherweise kamen Wind und Regen aus der anderen Richtung, und so brauchte Ulf­berht den Stofffetzen nicht vor die Öffnung zu ziehen. Er zog die Decke, die ihm Adalbert mitgegeben hatte, dicht um die Schultern. Durch die starke Verfilzung und den noch an der Wolle haftenden Schafstalg war sie praktisch wasserdicht, aber bei dem Gedanken an die kommenden Stunden fröstelte ihn dennoch. Drei oder vier Tage, hatte Roland gesagt, würde er hier ausharren müssen, um die Meiler immer im Auge zu behalten. Das konnten sie wohl kaum ernst meinen. Irgendwann musste er schließlich schlafen. Der Regen trommelte eintönig auf das Laubdach der Hütte, und Ulf­berht musste gähnen.

Als er aufwachte, war er immer noch allein. Es war stockfinster, aber er erkannte, dass die Meiler vor seinem Unterschlupf stetig vor sich hin qualmten. Der Regen hatte aufgehört, und ein leichter Nebel hing zwischen den Ästen. Ulf­berht wurde sich plötzlich sehr bewusst, wie alleine er war. Nur ein löchriges Blätterdach trennte ihn von dem Dunkel des Waldes und den Kreaturen, die darin leben mochten. Er lauschte. Tausend Geräusche, die ihm aus der Sicherheit des väterlichen Hofes heraus niemals gestört hatten, drangen an sein Ohr. Was, wenn im Dunkel Wölfe lauerten? Oder Schlimmeres? Ein kaltes Grauen kroch seinen Nacken hinauf. Wie sollte er sich verteidigen? Er hatte nur einen einfachen Stab mit einer eisenbeschlagenen Spitze, um Löcher in den Erdmantel eines Meilers zu stechen. Wohl kaum die richtige Waffe, um sich ein hungriges Rudel Wölfe vom Leib zu halten. Der Rauch!, fiel ihm ein. Der Rauch hielt die Tiere fern. Wieder schaute er zu seinen Meilern hinüber. Sie rauchten, wenn auch nicht besonders stark. Vielleicht sollte er ein paar zusätzliche Löcher machen? Warum nicht, er könnte Adalbert ja später erzählen, dass die Meiler nicht ausreichend gequalmt hätten. Doch es graute Ulf­berht davor, den zweifelhaften Schutz der Köhlerhütte zu verlassen.

»Sei kein Feigling«, schimpfte er laut. »Du musst ohnehin zu den Meilern gehen, um sie zu kontrollieren. In der Dunkelheit siehst du doch gar keinen Rauch!« Der Klang der eigenen Stimme gab ihm tatsächlich etwas Mut. Vorsichtig stand er auf und ergriff den eisenbeschlagenen Stecken mit beiden Händen. Ohne zu atmen, lauschte er einen Augenblick in den Wald hinein. Von fern drang der Jagdruf eines Käuzchens, aber in der unmittelbaren Umgebung der Köhlerhütte schien alles ruhig. Ulf­berht straffte seine Schultern und verließ die notdürftige Deckung, die ihm seine Hütte bot. Nach wenigen Schritten erreichte er den ersten Meiler. Die Oberfläche strahlte trotz der feuchten Erde, die den Schwelbrand im Inneren bedeckte, eine merkwürdige Wärme ab. Ulf­berht blickte nach oben, wo eine dünne weiße Rauchsäule aus dem zentralen Schlot aufstieg. Eigentlich alles in Ordnung. Entschlossen hob er die Stange und stieß sie mit voller Kraft in den Hang. Sofort drang auch aus dem neuen Loch dichter weißer Rauch. Ulf­berht machte noch drei Löcher, bis ihn dichter Rauch umgab. Erleichtert atmete er auf. Hier war er vor den Wölfen sicher. Er hockte sich auf die Stange gestützt vor die Löcher. Wie lange würde es noch bis zum Morgengrauen dauern? Sollte er in die Hütte zurückkehren? Aber nein, dort war der Rauch nicht dicht genug, um ihn vor wilden Tieren zu beschützen. Außerdem fühlte er sich seltsam benommen. Vielleicht musste er lediglich ein wenig schlafen? Er steckte die Stange senkrecht vor sich in den Boden und sank vollends in sich zusammen. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Plötzlich bemerkte er auch Kopfschmerzen, und sein Puls hämmerte in den Schläfen, als hätte er gerade schwerste Arbeit verrichtet. Was war nur mit ihm los? Genauso plötzlich, wie ihn die Kopfschmerzen überfallen hatten, kam Übelkeit dazu. »Was … «, rief er, kam aber nicht weiter. Alles begann sich um ihn zu drehen. Benommen klammerte sich Ulf­berht an seinem Stecken fest, während vor ihm unablässig der weiße Rauch aus den Löchern sickerte. Weißer Rauch, wenigstens werden mich keine wilden Tiere fressen, dachte er noch, bevor es vor seinen Augen endgültig schwarz wurde.

Jemand beugte sich über Ulf­berht. War das die junge Hludahilt? Sie legte ihm sanft die Hand auf die Stirn. Ulf­berht seufzte. Die Berührung ließ sein bohrendes Kopfweh einen Augenblick weichen. Glücklich schlug er die Augen auf. Doch das war nicht Hludahilt. Wie sollte die auch hierherkommen, an diesen gottverlassenen Ort? Und warum auch? Hier gab es nichts für ein so hübsches Mädchen und noch dazu von edler Abstammung. Ulf­berht schalt sich einen Narren, und die Kopfschmerzen kehrten augenblicklich zurück. Er lag in einem der Grubenhäuser der Köhler, und die Frau, die sich gerade noch über ihn gebeugt hatte, war Adalberts Weib, er hatte sie an seinem ersten Tag kennengelernt. Sein ganzer Körper schmerzte, und beim Luftholen brannte es in seiner Brust wie Feuer. Er musste husten.

»Ich glaube, er ist aufgewacht«, rief die Frau.

»Lass sehen«, hörte er die freudige Stimme Rolands, dann erklangen schwere Schritte.

»Gott im Himmel und der Jungfrau Maria sei Dank«, seufzte Adalbert. Dann rüttelte ihn jemand an der Schulter. Auch das tat weh. »Ulf­berht, Ulf­berht, kannst du mich hören?«, rief der Meister.

Ulf­berht kämpfte gegen den Drang an, wieder einzuschlafen. Mühsam öffnete er nochmals die Augen. Es war tatsächlich Adalbert, dessen besorgtes Gesicht sich über ihn beugte.

»Ein Glück, Junge. Ich dachte schon, um dich wäre es geschehen. Willich hat dich gefunden, du warst zu lange im Rauch und bist ohnmächtig geworden!«

Doch da fiel Ulf­berht schon wieder in den Schlaf zurück. Später, es mochte der nächste Abend sein, trat der riesige Sachse an sein Lager. »Du bist ein Franke, wie dein Vater einer war«, grollte Willich.

Ulf­berht sah ihn fragend an. Angst, Wut, aber nun auch ein schlechtes Gewissen, weil er dem Hünen sein Leben verdankte, kämpften in seinem Inneren um die Oberhand. »Wie meinst du das?«, fragte er krächzend.

»Ihr Franken seid stur.« Er winkte beschwichtigend ab, als er sah, wie Ulf­berht aufbrausen wollte. »Stur sind wir Sachsen auch, aber ich meine, ihr seid beständig. Wenn man euch sagt: Bleibt hier stehen, dann steht ihr dort, bis ihr einen neuen Befehl bekommt oder tot umfallt. Im Kampf ist das euer Vorteil. Wir Sachsen rennen los und schlagen auf den Feind ein, mag sein, dass auch einige von uns weglaufen, aber wir stehen nicht, wenn es der Anführer will. Ihr dagegen schon. So wie du auf dem Meiler. Adalbert hat dir gesagt, du sollst ihn bewachen, und deshalb bliebst du da, bis du von den Dämpfen benebelt umfielst.« Er lachte trocken.

Ulf­berht blickte ihn mit großen Augen an. Zum Glück ahnte der Hüne nicht, was wirklich in ihm vorgegangen war! »Wir Franken sind frei. Wir tun, was uns gefällt«, erwiderte er trotzig.

»Aber doch tust du, was dir Adalbert sagt«, bemerkte Willich und verzog den Mund zu etwas, was vermutlich ein Lächeln darstellen sollte.

»Ja, aber ich bin frei geboren, und nur weil, weil …« Du meinen Vater getötet hast, hatte er sagen wollen, aber das traute er sich dann doch nicht. Gleichzeitig schämte er sich seiner Feigheit, als habe er den Vater damit verraten. »Weil mein Vater gefallen ist, bin ich in diese Lage gekommen. Es ist nicht gerecht. Ich bin frei geboren.«

Der Sachse sah ihn mit großen Augen an. Dann lachte er schallend und wollte sich gar nicht mehr beruhigen.

»Was ist daran denn lustig?«, fragte Ulf­berht außer sich.

Schlagartig wurde Willich ernst. »Meinst du, einer von uns Sachsen hier wurde nicht frei geboren?«, fragte er. »Ich bin ein Edler in meinem Stamm. König Karl hat mir mein Hab und Gut und meine Ehre genommen und mich hier in der Fremde versklavt. Du bist wenigstens noch bei deinem eigenen Volk, also jammere mir nichts vor!«, erklärte er dann barsch und wandte sich ab.

Das traf Ulf­berht wie ein Schlag vor den Kopf, aber wie er den Gedanken auch drehte und wendete, der Sachse hatte nicht Unrecht.

Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise

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